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Bruno Werntgen war in den ersten Tagen des Motorfluges einer der maßgeblichen Pioniere, die durch ihre Konstruktionen und Teilnahmen an Wettbewerbsflügen das Fliegen im eigentlichen Wortsinn etablierten. Seine Fähigkeiten als Aviatiker waren so herausragend, dass er der jüngste Berufspilot der Welt wurde und auch als Fluglehrer tätig werden konnte. Sein früher Tod mit nur 20 Jahren beraubte die Fliegerei eines ihrer hoffnungsvollsten Talente.
Willi Bruno Buschmann wurde am 17.3.1893 in Ruhrort-Beek (heute Stadt Duisburg) geboren. Über den Vater, den Kaufmann Matthias Buschmann, ist wenig bekannt. Dafür sollte seine Mutter, Katharina Antoinette Buschmann (1875-1954), geborene Werntgen – lebenslang allgemein „Tony“ gerufen –, die wichtigste Persönlichkeit in Brunos Leben werden. Vier Jahre später kam Bruder Erik (1897-1944) in Moers auf die Welt. Wohl noch vor 1900 ließ sich die Mutter scheiden und nahm wieder ihren Mädchennamen an; seit dem 14.5.1910 durfte auch Sohn Bruno den Namen führen. Die selbstbewusste Frau bestritt in Frankfurt am Main als Immobilienmaklerin den Lebensunterhalt für sich und ihre beiden Söhne, die nach der Scheidung bei ihr geblieben waren. 1909 wohnte die Familie in der Mainmetropole unter der Adresse Am Salzhaus Nr. 6.
Ostern 1909 begann Bruno Buschmann sein Ingenieursstudium mit dem Besuch des Technikums im sächsischen Mittweida. Diese private Institution war 1867 unter anderem von ortsansässigen Unternehmern gegründet worden. Unter dem Direktorat des Ingenieurs Alfred Udo Holzt (1859-1945) entwickelte sie sich seit etwa 1900 zu einer der größten und bedeutendsten privaten technischen Bildungseinrichtungen in Deutschland. Aber Brunos Zeit in Mittweida war nur kurz. Als seine Mutter ihm eine Dauerkarte für die „Internationale Luftfahrtausstellung“ vom 10.7.-17.10.1909 in Frankfurt schenkte, kam Bruno erstmals mit Flugzeugen in Berührung. Diese Begegnung machte so großen Eindruck auf ihn, dass er beschloss, sein Studium in Mittweida abzubrechen und stattdessen selbst Flugzeuge zu konstruieren. Der aufkommende Industriezweig der Flugzeugproduktion bot zu dieser Zeit für Privatpersonen die Möglichkeit, ohne Voraussetzungen im Sinne von Leistungsnachweisen eine Firma zu gründen und Flugversuche zu unternehmen. Erforderlich waren lediglich etwas Startkapital und gute Ideen. Ende 1909 gründete Tony Werntgen mit einigen Teilhabern auf der rechten Erlenbachseite, gegenüber der Teichmühle von Köppern im Taunus, das „Deutsche Flugtechnische Institut“. Die Einrichtung umfasste die Abteilungen Lehranstalt, Versuchsstation und Flugzeugfabrikation. Die Leitung des Instituts übernahm der Oberingenieur Edmund Bernhard Philipps, über den nichts weiter bekannt ist.
Tony Werntgen begnügte sich nicht mit einer stillen Teilhaberrolle, sondern konstruierte ab dem 1.4.1910 als erste Frau in Deutschland eigenständig Flugzeuge. Ebenso ungewöhnlich war auch, dass die Flugkurse in Köppern auch Damen offenstanden. Mit dem ersten Motorflug am 17.12.1903 der Gebrüder Wright, spätestens aber nachdem der Franzose Louis Blériot (1872-1936) am 25.7.1909 den Ärmelkanal überflogen hatte, hatte ein neues Zeitalter begonnen, wobei der Enthusiasmus für die Fliegerei rund um den Erdball auch Frauen erfasste.
Tony Werntgen entwickelte in ihrem Institut 1910 einen Eindecker und einen Doppeldecker. Mit ihren Flugapparaten, die bereits über Motoren von stolzen 30 PS Leistung verfügten, waren Flüge von mehreren Minuten Dauer möglich. Am 20.7.1910 glückte Bruno Werntgen mit dem Eindecker, der von einem Dreizylinder-Motor mit 30 PS angetrieben wurde, gegen 20 Uhr der erste Alleinflug. In etwa sieben bis acht Metern Höhe flog er 400 Meter weit, obwohl es absolut windstill war. Bereits im Dezember 1910 war das Abenteuer des „Deutschen Flugtechnischen Institutes“ in Köppern beendet, denn am 7.12.1910 wurde über das Vermögen von Philipps, der als Firmeninhaber fungierte, das Konkursverfahren eröffnet. Einen Tag später erfolgte die Zwangsversteigerung von Werkzeugen, eines Motors und der zwei Flugapparate.
Kurz darauf war aber die Freude in der Familie Werntgen groß, denn am 13.12.1910 erhielt der 17-jährige Bruno offiziell den Deutschen Pilotenschein mit der Nummer 40. Die Abschlussprüfung hatte er am 30. November in Berlin-Johannisthal abgelegt. Damit war Bruno Werntgen der jüngste Pilot der Welt und einer der ersten von 817 deutschen lizensierten Fliegern vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Den Pilotenschein mit der Nummer 1 hatte am 1.2.1910 der Flugpionier August Euler (1868-1957) erworben. Am gleichen Tag bekam Hans Grade (1879-1946) die Lizenz Nr. 2. Bei ihm machte das Koblenzer Fliegerass des Ersten Weltkrieges und Pour-le-Mérite-Träger Hans Kirschstein (1896-1918) seine Pilotenprüfung.
Dass Grade und Werntgen schon vor dem Erwerb des Deutschen Pilotenscheins als Fluglehrer tätig waren, überrascht nur auf den ersten Blick. Erst 1909 wurde im Deutschen Reich der Führerschein für Automobile eingeführt. Mit der steigenden Flugbegeisterung wurde auch hier eine Regelung nötig. Bis zu diesem Zeitpunkt aber hatten einige Flugpioniere sich das Fliegen selbst beigebracht, arbeiteten als Fluglehrer und machten erst nachträglich ihren Pilotenschein. Um dem wirtschaftlichen Ruin zu entgehen, erkundeten Tony und Bruno Werntgen die Möglichkeit einer Niederlassung in Westdeutschland. Dabei kam ihnen das Angebot des „Kölner Club für Luftschifffahrt“, der am 6.11.1906 als „Kölner Aero-Klub“ gegründet worden war, sehr gelegen. Neben seiner Tätigkeit als Fluglehrer bestand für Bruno in der Teilnahme an Flugtagen und Schaufliegen die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Tony schloss mit einigen Städten entlang des Rheins entsprechende Verträge ab. Das Geld für den Kauf von Flugapparaten borgte sich Tony von Verwandten. Im März kaufte Bruno in Berlin-Johannisthal einen Dorner-Eindecker mit einem 50 PS Körtingmotor, den er auf den Namen „Libelle“ taufte. Bereits am 24.4.1911 flog Bruno von Merheim (heute Stadt Köln) den Rhein entlang nach Düsseldorf und zurück. Am 2.5.1911 startete er in Merheim, um seinen offiziellen Stundenflug zu absolvieren. Diese Leistung war Voraussetzung für den „Deutschen Zuverlässigkeitsflug am Oberrhein“, an dem Bruno teilnehmen wollte. Bei seinem Versuch brach allerdings der Propeller, auch ein zweiter Anlauf scheiterte an technischen Problemen.
Den ersten Schauflug absolvierte Bruno am 14.5.1911 bei Holten (heute Stadt Oberhausen). Veranstalter des Ereignisses, an dem acht Piloten teilnahmen, war die „Niederrheinische Flugzeug-Bauanstalt“. Einen Tag später gewann Bruno Werntgen den mit 500 Mark dotierten „Hamborner Preis“ für einen Überlandflug von Holten nach Hamborn (heute Stadt Duisburg). Um 7 Uhr morgens startete er, umrundete wie gefordert den Rathausturm von Hamborn und kehrte 13 Minuten später nach Holten zurück. Statt zu landen blieb er aber in der Luft, um seinen Stundenflug abzuleisten. Auch diesmal hatte er kein Glück, ein geringer Schaden in der Tragfläche beendete den Versuch. Dennoch wurde er durch den „Hamborner Preis“ noch bekannter, und irgendwann zwischen dem 15. und 19.5.1911 gelang ihm auch endlich sein Stundenflug, keine Sekunde zu früh, denn am 20. Mai begann der „Deutsche Zuverlässigkeitsflug am Oberrhein“.
Diese auch als „Oberrheinflug“ bekannte Prüfung von Baden-Baden nach Frankfurt war in sieben Etappen eingeteilt und dauerte bis zum 27. Mai. Acht Piloten gingen an den Start. Für Bruno Werntgen stand sein erster größerer Überlandflug unter keinem guten Stern, bei der Überführung seines Flugzeuges wurde das Höhenruder gestohlen, er musste aus Ersatzteilen ein behelfsmäßiges Steuer anfertigen. Einen Tag vor dem Start fing der Motor der „Libelle“ Feuer. Am 23. Mai hatte Werntgen den Motor repariert und fuhr direkt nach Karlsruhe, um von dort aus die letzten beiden Etappen in Angriff zu nehmen. In Karlsruhe hatte die Leitung des „Oberrheinfluges“ den Beginn der Schauflüge auf dem Exerzierplatz wegen der unsicheren Wetterlage für 17 Uhr angesetzt. Werntgen kurbelte schon um 16 Uhr 30 seinen Motor an. Nach ein paar Runden landete er wieder und holte sich damit den Eröffnungspreis von 300 Mark ab. Gemeinsam mit einem anderen Piloten errang er auch den Passagierpreis der „Badischen Presse“ und den Preis für Dauerleistung, was 850 Mark in die Kasse brachte. Werntgen schaffte die nächste Etappe nach Heidelberg, wo er aber erneut einen Propellerbruch erlitt. Überdies trat ein Pferd auf das am Boden liegende Höhensteuer. Damit war der Weiterflug endgültig nicht mehr möglich. Das Flugzeug wurde zerlegt und nach Frankfurt gebracht. Hier konnte Werntgen immerhin an den örtlichen Schauflügen teilnehmen. Er gewann Preise für den kürzesten Start und den schönsten Flug. Damit hatte er beim „Oberrheinflug“ einen Gewinn von 1.800 Mark gemacht.
Der Sieger Hellmuth Hirth (1886-1938) aus Heilbronn, der alle sieben Etappen absolvierte, konnte sich auf 56.979 Mark freuen. Aber ein Vergleich verbietet sich. Schon in den Kindertagen der Fliegerei waren die Wettbewerbe sehr professionell organisiert. Wie heute in der Formel 1 war Hirth der Pilot eines Rennstalls. Das Rumpler-Werksteam stellte das Flugzeug, Ausrüstung und Mechaniker zur Verfügung. Deshalb kassierte der Eigentümer, der Flugpionier Edmund Rumpler (1872-1940), Konstrukteur der berühmten „Taube“, dem ersten in großer Stückzahl gebauten Flugzeug der Welt, auch zwei Drittel des Preisgeldes. Im weiteren Verlauf des Jahres 1911 nahm Bruno Werntgen noch erfolgreich an diversen Flugtagen teil. Besonders wichtig war sein Auftritt in Koblenz Anfang September. Für die Stadt am Deutschen Eck bedeutete das den Beginn der Ära des Motorflugs.
Die Schau- und Manöverflüge fanden vom 2.-4.9.1911 auf dem Exerzierplatz des VIII. Armeekorps auf der Karthause statt und wurden vom Verkehrsverein der Stadt Koblenz organisiert. Werntgen sollte vertraglich zwei Einzelflüge und vier Passagierflüge ausführen. Am Eröffnungstag, einem sonnigen Sonntag, war die Straße auf die Karthause völlig überfüllt, Werntgen flog in einem eleganten Bogen bis zur Mosel und kehrte dann unter dem Jubel der Menge auf die Karthause zurück. Nach weiteren gefeierten Passagierflügen und einem einwandfreien Höhenflug von 150 Metern waren auch die Offiziere des VIII. Armeekorps restlos begeistert. Sie luden ihn ein, am Herbstmanöver vom 17.-19.9.1911 in Jülich teilzunehmen. Besonders die Fürsprache des Hauptmanns im Generalstab Hans Koeppen (1876-1946) hatte Gewicht. Der Berliner genoss in der Sportwelt einen guten Ruf. Er hatte 1908 erfolgreich an der ersten Tourenwagenrallye der Welt von New York über Sibirien nach Paris teilgenommen. Um 7 Uhr 20 am 18.9.1911 startete Werntgen mit Koeppen als Beobachter zu einem Flug, der sich insgesamt über 90 Kilometer erstreckte. Der militärische Wert blieb zweifelhaft, dennoch meldete Koeppen pflichtgemäß die Erfüllung des Auftrages an den Kommandeur.
Im Dezember 1911 deutete sich an, dass das Flugunternehmen Werntgen nicht in Köln bleiben konnte. Bürokratische Einschränkungen beeinträchtigten die Wirtschaftlichkeit des Betriebes. Das Verbot, die Festung Köln zu überfliegen sowie das Auslaufen der kostenlosen Nutzung von Merheim schränkten die Einnahmemöglichkeiten bei den laufenden Kosten zu sehr ein. Wegen des Risikos in der Fliegerei mussten Lieferanten immer sofort bezahlt werden. Niemand stellte Werntgen eine Rechnung aus, denn keiner wusste, ob der Schuldner den nächsten Tag überleben würde.
Zwar gelang es Tony, beim Kriegsministerium in Berlin eine vorläufige Erlaubnis zum Überflug Kölns zu erhalten, aber ohne ein neues Flugfeld war das Unternehmen nicht zu retten. In ihrer Not schrieb sie einen Brief an den Bruder des Kaisers, den Prinzen Heinrich von Preußen (1862-1929), der die Pilotenlizenz Nr. 38 besaß und dafür bekannt war, Fliegerkameraden in Not zu helfen. Tatsächlich wurde auf seine Vermittlung hin die Möglichkeit eröffnet, den Truppenübungsplatz auf der Hangelarer Heide bei Bonn als Flugfeld zu übernehmen.
Im Frühjahr 1912 zog man nach Hangelar. Dort war man von der Platzmiete entbunden, wenn man das Flugfeld für wenige Wochen im Jahr dem Militär überließ und mit den eigenen Flugzeugen an Manövern teilnahm. Überdies wurde das Flugfeld den Werntgens für 20 Jahre überlassen. Am 20.4.1912 trafen die ersten Flugzeuge in Hangelar ein. Die Bonner Husaren errichteten ein großes Pferdezelt, um die Maschinen vor der Witterung zu schützen, da noch keine Hallen existierten. Anmeldungen für Flugschüler oder Passagierflüge nahm das Hotel „Zum goldenen Stern“ am Bonner Marktplatz entgegen, wo die Werntgens zunächst auch wohnten. Für den Bau der Werkhallen gewährte die Stadt Bonn einen Zuschuss von 3.000 Mark.
Bei Bruno Werntgen in Hangelar lernte in dieser Zeit ein junger Mann das Fliegen, der selbst zu einer Pilotenlegende werden sollte: Josef Jacobs (1894-1978) aus Kreuzkapelle (Gemeinde Much), der erfolgreichste Dreideckerpilot des Ersten Weltkrieges. Den ersten Flug auf der Hangelarer Heide absolvierte Bruno Werntgen am 22.4.1912. Am 27. April kam der Kommandeur des VIII. Armeekorps Paul von Ploetz (1847-1930) zur jährlichen Personalbesichtigung. Dabei stattete er auch der Flugschule einen Besuch ab. Werntgen unternahm zwei Aufstiege, von denen einer ein militärischer Erkundungsflug war. Als Beobachter flog Leutnant Erich Heinrich Clößner (1888-1976) vom Rheinischen Infanterieregiment Nr. 160 aus Bonn mit.
Im Frühjahr 1912 flog Werntgen zwecks Überprüfung des Motors in Richtung Butzweiler Hof bei Köln. Dort entstand gerade die „Kaiserlicher Fliegerstation und Flugschule“, das Gelände war aber weitgehend Weidegrund für Rinder. Plötzlich setzte der Motor aus, Werntgen musste auf den eingezäunten Viehweiden landen. Da aber das Betreten des Geländes wegen Maul- und Klauenseuche verboten war, bekam Tony Werntgen einen Strafbefehl in Höhe von drei Mark. Der Schutzmann, der Bruno vor Ort über dessen widerrechtliches Verhalten belehrt hatte, erstattete Anzeige und es kam zur Gerichtsverhandlung. Werntgens Verteidiger konnte nur mit Mühe und dem Hinweis auf Werntgens tadellosen Leumund beim Militär Schlimmeres verhüten.
Am 9.5.1912 fand in Hangelar ein großer Flugtag statt, bei dem Bruno Werntgen fünf Starts absolvierte. Im Juni begann der Bau der großen Flugzeughalle, mit Schreinerei, Schlosserei, Büro- und Ankleideräumen sowie Toiletten. Im Mai des Jahres zeigte Werntgen sein außergewöhnliches Verständnis für die Technik seiner Flugzeuge. Auf dem „Clever Flugtag“ stieg er zu einem Flug von 400 Metern Höhe auf. Als er zur Landung ansetzte, verlangsamten sich die Propellerumdrehungen und der Motor stand schließlich ganz still. Die vielen Zuschauer befürchteten das Schlimmste, Werntgen hingegen landete sicher. Er hatte bewusst den Motor abgestellt, um den Motor zu schonen und im Gleitflug zu landen. Das gleiche Manöver absolvierten später Piloten im Ersten Weltkrieg, deren Maschinen mit einem Umlaufmotor ausgestattet waren, weil dieser Motor nur bei voller Rotationsgeschwindigkeit über ausreichende Luftkühlung verfügte.
Bei den „Braunschweiger Flugtagen“ am 5.6.1912 trat Bruno Werntgen mit einem Dorner-Eindecker an, den er konstruktiv verändert hatte. Die Tragflächen hatte er mit einer geringen Pfeilung zur Querachse des Flugzeugs angebracht, was bei der Draufsicht wie ein V aussah. Werntgen hatte erkannt, dass ein Zusammenhang zwischen der Luftströmungsgeschwindigkeit um die Tragflächen, dem Auftrieb und der Stabilität der Maschine bestand. Durch eine schwache Pfeilung ergaben die Tragflächen bei niedrigen Geschwindigkeiten einen verbesserten Auftrieb. So nahm Werntgen praktisch die Idee vorweg, mit der in den 1930er Jahren der deutsche Aerodynamiker Adolf Busemann (1901-1986) die Fliegerei revolutionieren sollte. Heute ist ein stark gepfeilter Flügel ein unverzichtbares Konstruktionsmerkmal für jedes moderne Flugzeug.
Auch international hatten der Flugplatz Hangelar und die Werntgens mittlerweile einen guten Namen in der Fliegerwelt. Bereits im Dezember 1911 lernten Tony und Bruno Werntgen bei der Luftfahrtausstellung in Paris den französischen Piloten Marcel Brindejonc de Moulinais (geboren 1892) kennen. Dabei kam die Idee auf, Brindejonc, der ein bekannter Distanzflieger war, solle von Paris nach Berlin fliegen und dabei in Hangelar zwischenlanden. Am 8.8.1912 setzte der junge Franzose die Idee in die Tat um. Brindejonc startete um 6 Uhr morgens mit seinem Morane-Eindecker in Paris, flog über Reims und die Ardennen, verlor dann aber den Kurs, zog eine Schleife über Düsseldorf und Bonn, um schließlich in Köln-Merheim zu landen. Von dort startete er sogleich wieder und kam um 10 Uhr morgens in Hangelar an, wo er den Werntgens erzählte, dass der günstige Westwind ihm erlaubt hatte, in nur viereinhalb Stunden von Paris nach Hangelar zu fliegen. Nach seinem erneuten Start in Hangelar hatte Brindejonc kein Glück und stürzte in einem Gewitter bei Attendorn in Westfalen ab. Er blieb unverletzt, das Flugzeug jedoch, welches man nach Hangelar zur Reparatur brachte, war nicht mehr zu retten. Brindejonc fiel im Ersten Weltkrieg als Jagdflieger aufgrund des versehentlichen Beschusses durch eigene Flugzeuge am 18.8.1916 bei Verdun.
Während Brindejoncs kurzem Aufenthalt in Hangelar nahm Bruno Werntgen dessen Morane-Eindecker begeistert unter die Lupe. Das fortschrittliche Design und der vollständig verkleidete Rumpf hatten es ihm angetan. Im Winter 1912 machte er sich daran, ein Flugzeug zu entwerfen, das sich durch Schnelligkeit und militärische Nutzbarkeit auszeichnen sollte. Im Februar 1913 war das neue Modell „PK 102“ fertig. Dieses Flugzeug hatte einen Zugpropeller, der vor dem Piloten angeordnet war, und sollte für Motoren verschiedener Leistungsklassen geeignet sein. Dabei profitierte Werntgen von seinen Experimenten mit dem Dorner-Eindecker, bei dem er versuchsweise auch schon den Propeller nach vorn verlegt hatte. Am 4.1.1913 erfolgte die Gründung der „Werntgen-Flugunternehmen G.m.b.H.“ Diese Firma sollte Flugzeuge herstellen, die den Namen Bruno Werntgen tragen würden. Dazu kam es jedoch nicht mehr.
Seine neue Konstruktion „PK 102“ rüstete Werntgen mit einem 106 PS starken Argusmotor aus. Damit sollte das schnelle Flugzeug eine Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h erreichen. Am 22.2.1913 erprobte Werntgen das Flugzeug erstmals. Er startete vier Mal und erreichte eine Höhe von 600 Metern. Bei mehreren Runden über dem Flugplatz Hangelar bewährte sich die Maschine tadellos. Für den 25. Februar war ein Passagierflug mit einem Offizier des Infanterieregiments Nr. 173 aus St. Avold vorgesehen. Aufgrund des böigen Windes wurde der Flug jedoch verschoben. Um die Verhältnisse zu testen, stieg Werntgen um 17 Uhr 45 alleine auf. Trotz der vielen Böen umrundete er den Flugplatz ohne Probleme, doch kurz vor der Landung erfasste ein heftiger Windstoß das Flugzeug und drückte dessen Nase herunter, so dass es sich fast überschlug. Aus 20 Metern Höhe stürzte das Flugzeug senkrecht zu Boden. Herbeigeeilte Helfer fanden Bruno Werntgen unter den Trümmern seines Flugzeugs auf dem Rücken liegend: Er war tot.
Die Beisetzung des 20-jährigen Flugpioniers Bruno Werntgen fand am 28.2.1913 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Bonner Nordfriedhof statt, wo sein Ehrengrab noch besteht. Die Grabinschrift lautet: „Im Fluge zum irdischen Tod, im Sturz zum ewigen Leben.“
Literatur
Domschke, Jan-Peter/Dorn, Sabine/Hofmann, Hansgeorg/Poch, Rosemarie/Stascheit, Marion/Hochschule Mittweida (Hg.), Mittweidas Ingenieure in aller Welt, ergänzte Nachauflage, Mittweida 2014.
Gsell, Robert/Krebser, Werner, 25 Jahre Luftkutscher. Vom Luftsprung zur Luftbeherrschung, Zürich/Leipzig 1936.
Haude, Rüdiger, Grenzflüge. Politische Symbolik der Luftfahrt vor dem Ersten Weltkrieg. Das Beispiel Aachen, Köln/Weimar/Wien 2007.
Küper, Hartmut, Bonn-Hangelar. Geschichte eines Flugplatzes, Band 1, 1909-1926, Siegburg 1998.
Probst, Ernst, Königinnen der Lüfte in Deutschland, München 2010.
Totzauer, Werner, Mittweidas Ingenieure in aller Welt – Tradition – Realität – Vision, Mittweida 2004.
Wirtz, Paul, Aviatiker Bruno Werntgen, 1893-1913, Jülich 2005.
Wirtz, Paul, Vom ersten Hopser bis zum Streckenflug, Jülich 2007.
Wirtz, Paul/Probst, Ernst, Tony und Bruno Werntgen - Zwei Leben für die Luftfahrt, 1. Auflage, München 2011.
Zegenhagen, Evelyn, Schneidige deutsche Mädel. Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945, Göttingen 2007.
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Kirschbaum, Markus, Bruno Werntgen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/bruno-werntgen/DE-2086/lido/5e3a995ddc6951.43935525 (abgerufen am 19.08.2024)