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Franz Blücher war der zweite Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei (FDP) und unter Konrad Adenauer der erste „Vizekanzler" der Bundesrepublik Deutschland.
Geboren am 24.3.1896 als Sohn einer kleinbürgerliche Familie in Essen, legte er 1915 in seiner Heimatstadt das Abitur am humanistischen Gymnasium ab und zog anschließend als Kriegsfreiwilliger in der Ersten Weltkrieg. 1919 als Oberleutnant aus französischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, nahm er ein Studium der Geschichts- und Staatswissenschaft auf, welches er aber wegen des Todes seines Vaters abbrechen musste. Stattdessen absolvierte Blücher eine kaufmännische Lehre und arbeitete zunächst als kaufmännischer Leiter in mittelständischen Industriebetrieben, ab1926 im gemeinnützigen Wohnungsbau. Nicht ganz klar ist, ob er bereits zu dieser Zeit in der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) Gustav Stresemanns (1878-1929) parteipolitisch aktiv war. Jedenfalls fühlte er sich – wie es in einem späteren Lebenslauf heißt – der „staatserhaltenden vaterländischen Mitte" verbunden.
1938 wechselte er ins Bankgewerbe, wo er bis ins DirektoriumLateinisch, Vorstand, leitende Behörde. Von 1795-1799 im revolutionären Frankreich die oberste Regierungsbehörde (Directoire). der Essener „Nationalbank" aufstieg. 1945 galt er als politisch unbelastet, engagierte sich sofort bei der Wiederbelebung des politischen Lebens und war an der Gründung einer „Liberaldemokratischen Partei" in Essen beteiligt. Diese vertrat er Anfang 1946 in Opladen bei der Gründung der „Freien Demokratischen Partei in der britischen Zone", in deren Vorstand er gewählt wurde; im Mai des gleichen Jahres folgte er Wilhelm Heile (1881-1969) im Vorsitz des Zonen-Verbandes. Damit hatte der „Newcomer" Blücher neben Theodor Heuss (1884-1963) und Wilhelm Külz (1875-1948), die als „Parteiveteranen" der Weimarer Republik die liberalen Verbände für die amerikanische und sowjetische Besatzungszone leiteten, eine der wichtigsten Funktion im reorganisierten deutschen Liberalismus inne. Er nutzte dies einerseits, um seinem Zonenverband ein ausgesprochen marktwirtschaftliches Profil zu verleihen, und andererseits, um Einfluss auf die Politik des neu entstandenen Landes Nordrhein-Westfalen zu nehmen. So war er im ersten Kabinett unter Rudolf Amelunxen kurzzeitig Finanzminister und gehörte sowohl dem ernannten als auch dem ersten gewählten nordrhein-westfälischen Landtag an.
Wichtiger wurde jedoch Blüchers Mitgliedschaft im bizonalen „Wirtschaftsrat" ab Mitte 1947, wo er Sprecher der freidemokratischen Gruppe war. Hier sorgte er für eine enge Zusammenarbeit mit den Christdemokraten, welche entscheidenden Einfluss auf die wirtschaftspolitische Weichenstellungen hatten: Blücher und die FDP brachten gegen Widerstände in der CDU Ludwig Erhard (1897-1977) als „Direktor für Wirtschaft" ins Gespräch und halfen diesem bei der Umsetzung der wirtschafts- und finanzpolitischen Reformen vom Juni 1948. Bei der Gründung eines freidemokratischen Gesamtverbandes für die Westzonen im Dezember 1948 wurde Blücher dann zum Stellvertreter des Vorsitzenden Heuss gewählt und übernahm faktisch die organisatorische Leitung der Partei.
Da Heuss sich unmittelbar nach der Bundestagswahl vom August 1949 als frisch gewählter Bundespräsident aus allen Parteiämtern zurückzog, stand Blücher nun auch nominell an der Spitze der FDP und führte in dieser Funktion die Verhandlungen zur Bildung der ersten Bundesregierung. Wider Erwarten erhielt er als Parteiführer der zweitgrößten Koalitionsfraktion vom neugewählten Bundeskanzler Konrad Adenauer kein klassisches Ressort angeboten, sondern lediglich die „Stellvertretung des Kanzlers", verbunden mit dem „Ministerium für Angelegenheiten des Marshallplans", dessen Aufgabe die Verteilung der US-amerikanischen Wiederaufbauhilfe war. Blücher ging auf dieses Angebot ein, weil er mittelfristig die Umwandlung dieses Ministeriums in ein Außenministerium oder zumindest Außenhandelsministerium erhoffte. In der Tat konnte Blücher in den Folgejahren die Bundesrepublik recht häufig auf internationalem Parkett vertreten, aber alle Hoffnungen auf eine Ausweitung seiner Kompetenzen scheiterten am Widerstand des Wirtschaftsministeriums und Adenauers, der selbst die Außenpolitik leiten wollte. Ebenso erwies sich die „Stellvertretung des Kanzlers" – heute Vizekanzlerschaft – als ein wenig geeignetes Instrument zur Erweiterung von Blüchers politischem Gewicht; Adenauer ließ ihm dazu einfach keinen Spielraum.
Zwar wurde Blücher mehrfach als Bundesvorsitzender der FDP wieder gewählt, aber auch in dieser Funktion hatte er wenig Fortüne. Vielmehr erwies er sich bei der Integration der von Flügelkämpfen erschütterten Partei eher überfordert, vor allem als sein eigener Landesverband Nordrhein-Westfalen Anfang 1953 in den Verdacht geriet, einer Unterwanderung des Funktionärskorps durch ehemalige Nationalsozialisten Vorschub zu leisten. Als dann die Bundestagswahl von 1953 zu einem großen Erfolg Adenauers und der CDU wurde, während die FDP Stimmen verlor, und überdies bei der Neubildung des Kabinetts der in der Partei beliebte, politisch aber unberechenbare Thomas Dehler (1897-1967) sein Amt als Justizminister verlor, formierte sich starker innerparteilicher Widerstand gegen Blücher. 1954 stellte er sich nicht mehr zur Wahl, sein Nachfolger als FDP-Vorsitzender wurde Dehler, von dem viele Freidemokraten eine Schärfung des liberalen Profils erwarteten.
Blücher behielt sein Bundestagsmandat und blieb weiterhin im Kabinett Adenauer, nunmehr als „Minister für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit". Schon früh setzte er sich für eine Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs auf die Entwicklungsländer ein. Das gelang aber erst unter seinem späteren Nachfolger Walter Scheel (geboren 1919), der ab 1961 als Minister auch für die Entwicklungshilfe zuständig wurde. In der bald ausbrechenden Auseinandersetzung zwischen Thomas Dehler und Konrad Adenauer, die vor allem deutschlandpolitische Ursachen hatte, trat Franz Blücher immer mehr auf die Seite des Kanzlers. So stimmte er zusammen mit wenigen Abgeordneten seiner Fraktion als einziger liberaler Minister im Februar 1955 für das Saarstatut, das von der FDP-Mehrheit leidenschaftlich bekämpft wurde. Als der Konflikt zwischen den Koalitionsparteien ein Jahr später wegen einer von Adenauer vorgeschlagenen Wahlrechtsänderung, die die FDP mit einem Koalitionswechsel in Düsseldorf zugunsten der nordrhein-westfälischen SPD beantwortete, eskalierte, trat Blücher wie seine drei liberalen Ministerkollegen und 16 Abgeordnete zunächst aus der FDP-Bundestagsfraktion aus. Nachdem kurz darauf ein Bundesparteitag jedoch Dehlers Kurs bestätigt hatte, erklärten Blücher und seine Gesinnungsfreunde ihren Parteiaustritt und gründeten die „Freie Volkspartei" (FVP).
Der neuen Partei war jedoch kein Erfolg beschieden. Zwar im Kabinett und im Bundestag infolge der Abspaltung vertreten, verfügte sie aber über keinen organisatorischen Unterbau. Trotz einer Fusion mit der „Deutschen Partei" erlebte sie bei der Bundestagswahl 1957 ein Desaster; Blücher verlor seinen Kabinettsposten und gab bald darauf sein in Göttingen direkt gewonnenes Mandat auf. Gut ein Jahr fungierte er noch als Vertreter der Bundesrepublik in der Luxemburger „Hohen Behörde der Montanunion", ehe er zwei Tage nach seinem 63. Geburtstag am 26.3.1959 überraschend in Bad Godesberg (heute Bonn) verstarb.
Literatur
Furtok, Karl, Blücher, Franz, in: Kempf, Udo / Merz, Hans-Georg (Hg.), Kanzler und Minister 1949-1998, Wiesbaden 2001, S. 143-146.
Henning, Friedrich, Franz Blücher. Ein Porträt, in: Geschichte im Westen 11 (1996), S. 216-233.
Laak, Dirk van, Franz Blücher, in: Oppelland, Thorsten (Hg.), Deutsche Politiker 1949-1969, Band 1, Darmstadt 1999, S. 117-128.
Rüter, Anne, Blücher als Marshallplan-Minister und Parteivorsitzender – Mitstreiter für eine liberale Wirtschaftsordnung, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 20 (2008), S. 59-82.
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Frölich, Jürgen, Franz Blücher, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franz-bluecher/DE-2086/lido/57c583d5305093.76416104 (abgerufen am 19.08.2024)