Zu den Kapiteln
Der Bilderbuch-Aufstieg des Friedrich Soennecken vom mittellosen Lehrling zum Pionier der deutschen Schreibwarenindustrie fällt in die Periode des Deutschen Kaiserreichs. Zeittypisch sind das Verantwortungsbewusstsein des Fabrikherrn für Belegschaft und Region und die unbedingte Identifikation mit Monarchie und starkem Staat. Um so bitterer fiel 1918 die Enttäuschung über Niederlage und Revolution aus.
Als sechstes von zwölf Kindern des Schmiedes Peter Caspar Soennecken am 20.9.1848 in Dröschede geboren, durchlief Friedrich Soennecken die Elementarschule in Iserlohn. Die kärglichen finanziellen Mittel ließen das ursprünglich angestrebte Theologiestudium nicht zu. Nach nur zwei Jahren Rektoratschule begann er 1864 eine kaufmännische Lehre bei der Iserlohner Firma Aurand & Sudhaus (Sporen, Steigbügel, Kutschbeschläge). Hier brachte ihn, dessen kalligraphische Begabung schon in der Schule aufgefallen war, die Geschäftskorrespondenz mit der französischen „Ronde" in Kontakt. Er gab der nur von Spezialisten beherrschten Zierschrift eine leichter erlernbare Form und arbeitete fortan mit missionarischem Eifer an der Verbreitung seiner „Rundschrift", zunächst beschränkt auf den von ihm mitbegründeten „Kaufmännischen Verein", später durch selbst verfasste Lehrgangshefte. Der Kredit eines Bruders ermöglichte 1875 den Sprung in die Selbständigkeit.
Ein gutes Jahr später zog der junge Unternehmer von Remscheid nach Bonn und ließ die Firma am 19.10.1876 als „F. Soenneckens Verlag" in das Handelsregister eintragen. In der Universitätsstadt hoffte der Schriftreformer, seine Ideen zu vervollkommnen und besser verbreiten zu können. Mit Sondergenehmigung der Hochschule hörte er zwischen 1876 und 1878 Kunstgeschichte, Paläographie, Psychologie und Pädagogik. Es folgten ausgedehnte Reisen ins In- und Ausland. Das Geschäftliche kam dennoch nicht zu kurz. Parallel zum Lehrmaterial vertrieb er spezielle Rundschrift(Gleichzug)federn. Nach seinen Spezifikationen in Birmingham hergestellt und mit seinem Namen versehen, wurden sie in Säcken nach Bonn geliefert. Verpackung und Vertrieb erfolgten in drei gemieteten Häusern in der Reuterstraße. 1877 traten tragbare Kopierpressen hinzu. 1883 beschäftigte die Firma bereits 30 Arbeiterinnen und Packer, dazu zehn Korrespondenten und einen Reisenden.
Die Verbreiterung der Produktionspalette machte einen kompletten Neuanfang nötig. In der Nachbargemeinde Poppelsdorf (1904 nach Bonn eingemeindet) fand Soennecken ein erweiterungsfähiges Grundstück. 1884 entstand hier eine schmucklose, von Zeitgenossen als düster geschilderte dreistöckige Fabrikanlage, in der ab 1886 auch die berühmten Briefordner und Locher gefertigt wurden. Insgesamt waren die von einem Gasmotor angetriebenen Produktionsanlagen noch stark handwerklich ausgerichtet. Obwohl Soennecken damals noch keine 100 Arbeiter beschäftigte, konnte der Bürgermeister schon 1892 vermelden: „Das ... Schreibwaren-Fabrikgeschäft ist wohl das Lohnendste des hiesigen Bezirks, ... muss einen ganz immensen Gewinn abwerfen und dehnt sich von Jahr zu Jahr weiter aus."
Dabei standen die eigentlichen Wachstumsjahre noch bevor. Im Zuge der industriellen Hochkonjunktur von 1895 bis 1913 wuchs die Belegschaft auf über 1.000 Köpfe an. Der Besuch der Weltausstellung in Chicago (1893) hatte dem Firmengründer wertvolle Impulse für die Fertigung von Büromöbeln gegeben. Ihre Herstellung nach modernen amerikanischen Methoden bedeutete den endgültigen Übergang zur industriellen Produktion. In Poppelsdorf entstand zwischen 1895 und 1911 ein eindrucksvoller, geschlossener Komplex fünfgeschossiger Großbauten. Hohe luftige Räume, Warmwasserduschen und Badewannen verbesserten die Arbeitsbedingungen. Trotz des vervielfachten Platzangebots musste 1904 wegen der Ausweitung der Schreibwarenfabrikation die Büromöbelherstellung in das neu erbaute Friedrichswerk nach Bonn verlagert werden. Der Absatz erfolgte ausschließlich über den Fachhandel, flankiert durch eine aufwändige, regelmäßige Direktwerbung. Eine Rücknahmegarantie bis zu zwei Jahren entlastete den Handel vom Lagerrisiko. Im Auslandsgeschäft setzte die Firma auf die großen deutschen Exporthäuser.
1913 war Friedrich Soennecken mit einem Vermögen von fünf bis sechs Millionen Goldmark einer der reichsten Männer der Region. Die Leitung des Unternehmens ging später auf seinen Sohn Alfred Soennecken (1881-1954) über. Seine Tochter Karoline Soennecken (1883-1972) heiratete 1911 Wilhelm Hammerschmidt (1883-1924), den einzigen Sohn des Kommerzienrates Rudolf Hammerschmidt.
Löhne und freiwillige Sozialleistungen hielten sich im Rahmen des Üblichen, denn das Wachstum des Unternehmens wurde weitgehend aus im Betrieb belassenen Gewinnen finanziert. Für den Unternehmer Soennecken war, neben einem gründlichen Schulunterricht, die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen die wichtigste Art von „Wohlfahrtspflege". Schwankungen in der Absatzlage versuchte er durch innerbetriebliche Umsetzung seiner vielseitig ausgebildeten Arbeiter auszugleichen. In Jahren starker Teuerung bezog die Firma Kartoffeln, Kohlen und Fisch zu Großhandelspreisen und verkaufte sie ohne Gewinnaufschlag an die Belegschaft weiter. Zum 25-jährigen Firmenjubiläum stiftete der Inhaber einen Arbeiter-Notfonds in Höhe von 25.000 Mark. Langjährige Betriebstreue wurde mit Sparbüchern belohnt.
Die Gründung der Bonner Industrie- und Handelskammer (1891) überließ Soennecken den bereits etablierten Industriellen der Region. Erst 1905, als die Wachstumsdynamik seiner Werke unübersehbar war, trat er als stellvertretender Vorsitzender in die Geschäftsleitung ein. Nach dem Tode seines Vorgängers, des Bonner Steingutfabrikanten Franz Guilleaume (1848-1914), rückte der nunmehr bedeutendste Bonner Unternehmer 1914 als ehrenamtlicher Präsident an die Spitze eines Selbstverwaltungsorgans, dem ein überforderter Staat zusätzlich zu den Kernaufgaben eine Fülle kriegsbedingter Organisationspflichten aufbürdete. Um die Kriegsbegeisterung der Bürgerschaft zu fördern, ließ Soennecken auf dem Bonner Münsterplatz die „Arndt-Eiche in Eisen" aufstellen. Gegen Hergabe einer Spende wurde sie vollständig mit Nägeln beschlagen. Über 130.000 Mark Einnahmen wanderten so in Kriegsanleihen. Noch höher lag die Summe, die Soennecken zur Unterstützung von Soldatenfamilien sowie „Liebesgaben" an Soldaten und Deutsche in Kriegsgefangenschaft ausgab.
Noch im Herbst 1916 gelobte er in einem Telegramm an die Reichsregierung größtmöglichen Einsatz der regionalen Wirtschaft. Im eigenen Betrieb ließ er Durchhalteparolen anbringen, welche allerdings zunehmend „böswillig beschmutzt" oder abgerissen wurden. Pures Entsetzen spricht aus seiner Reaktion auf militärische Niederlage und Revolution: „Mit unerhörter Wucht ist fast über Nacht über unser Vaterland ein geradezu vernichtendes Geschick hereingebrochen. Eine politische Umwälzung im Innern hat Platz gegriffen, wie sie selbst eine glühende Phantasie niemals für möglich erachtet hätte, und alle Begriffe von Autorität und Disziplin scheinen über den Haufen geworfen zu sein."
Der Patriarch hat das untergegangene Kaiserreich nicht lange überlebt: Er starb am 2.7.1919. Seine letzte Ruhestätte fand er im bis heute erhaltenen Mausoleum der Familie Soennecken auf dem Poppelsdorfer Friedhof. Posthum wurde er zum Ehrendoktor der Universität Bonn ernannt.
Wegen eines hohen Anteils von Frauenarbeitsplätzen und der unstillbaren Nachfrage einer überbordenden Kriegsbürokratie waren die Werke ohne größere Produktionseinschränkungen durch den Krieg gekommen; zudem wurde eine Granatendreherei angegliedert. Als Nachfolger an der Spitze der Firma vermochte Alfred Soennecken den Expansionskurs seines Vaters fortzusetzen (1938: circa 2.000 Mitarbeiter). Nach dem Konkurs (1973) in der dritten Generation verblieb von der ehemaligen „Weltfirma" allein der Name als Handelsmarke. Einen Teil der einstigen Fabrikgebäude nutzen heute Institute der Universität Bonn.
Literatur
Ettighoffer, Paul Coelestin, 75 Jahre F. Soennecken Bonn 1875-1950, Heppenheim 1950.
Heinemeyer, Elfriede, Schreibgarnituren aus der Sammlung Kommerzienrat F. Soennecken, Cloppenburg 1991.
Hellbeck, Robert, Friedrich Soennecken. Sein Leben und Werk, Essen 1927, Neudruck Bonn 2008.
Kraemer, Johannes, Friedrich Soennecken. Ein Lebensbild, Langensalza 1929.
Vogt, Helmut, Die Wirtschaftsregion Bonn/Rhein-Sieg im Industriezeitalter. Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Industrie- und Handelskammer Bonn 1891-1991, Bonn 1991.
Online
Seit 1875: Zukunft mit Tradition (Information auf der Homepage der Soennecken eG). [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Vogt, Helmut, Friedrich Soennecken, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-soennecken/DE-2086/lido/57c952c9acb883.70053404 (abgerufen am 19.08.2024)