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Hubert Knackfuß war ein stiller, hilfsbereiter Mann von großer Bescheidenheit. Er stand nicht im Rampenlicht wie sein berühmter Kollege Theodor Wiegand, mit dem er in Milet und Didyma arbeitete. Über ein Jahrzehnt jünger als die beiden anderen leuchtenden Sterne am Firmament der Archäologie, Wilhelm Dörpfeld und Robert Koldewey (1855-1925), war sein Verdienst gleichwohl nicht geringer. Gemeinsam mit diesen beiden begründete er die Bauforschung als selbständige Disziplin innerhalb der Archäologie. Auch war der wissenschaftliche Erfolg der Grabungen in Milet und vor allem in Didyma neben Wiegand ihm zuzuschreiben. Dort legte er das Fundament für die Methoden sorgfältiger Untersuchung, umfassender Dokumentation und Bearbeitung, auf denen die heutige Bauforschung für alle historischen Epochen aufbaut.
Bernhard Hubert Victor Johannes Knackfuß wurde am 25.6.1866 auf Gut Dalheim, Kreis Heinsberg, geboren. Sein Vater war Eduard Knackfuß (1823-1893), landwirtschaftlicher Beamter und Rentmeister auf Burg Eltz, Sohn des preußischen Generalmajors Friedrich Ludwig Karl Knackfuß (1772-1842), seine Mutter Bernhardine (1823-1883) geborene Freiin von Martial. Sein wesentlich älterer Bruder Hermann (1848-1915) war ein bedeutender Vertreter der akademischen Historienmalerei. Über Knackfuß´ Schul- und Gymnasialzeit ist nichts bekannt. Ob er also wie viele seiner Kollegen in dieser Zeit seine Zuneigung für die Antike entdeckte, kann nicht geklärt werden. Gleichfalls liegt im Dunkeln, ob sich Knackfuß während seiner Ausbildung über das die Erfordernisse seines Faches hinaus mit der Architektur der Antike beschäftigt hat. 1889/1890 leistete er seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger bei einem hessischen Regiment. Ab 1890 studierte er an der Technischen Hochschule Aachen Architektur. 1895 bestand er die Prüfung zum preußischen Regierungsbauführer „mit Auszeichnung“. Von 1895 bis zur Prüfung zum Regierungsbaumeister 1899 absolvierte Knackfuß die obligatorische praktische Ausbildung bei den Baubehörden in Kassel. Parallel zur Karriere seines berühmten Kollegen Dörpfeld schien Knackfuß während dieser Zeit keine besondere Neigung zur antiken Architektur entwickelt zu haben. Beider Karriere wurde durch andere in die Richtung der antiken Bauforschung gelenkt.
Der im Jahr 1899 zum Direktor der Königlichen Berliner Museen in der Türkei ernannte Theodor Wiegand begann im selben Jahr mit der umfangreichen Grabungskampagne in Milet. Die Erforschung dieser antiken Weltstadt an der ionischen Küste der Türkei galt schon lange in der deutschen Archäologie als ein Traumziel. 1898 wurde von deutschen Mäzenen wie dem Berliner Baumwollhändler James Henry Simon (1851-1932) die Deutsche Orientgesellschaft gegründet. In deren Auftrag begann nun 1899 Robert Koldewey mit der Ausgrabung von Babylon am Euphrat. Die archäologische Forschung des Deutschen Reiches erreichte einen Höhepunkt.
Bei solchen Grabungen war es üblich, Stipendiaten des Deutschen Archäologischen Instituts eizusetzen. Hier konnten die jungen Wissenschaftler in der Praxis die Methoden der Grabung und die gründliche Beobachtung im Gelände erlernen. Jeder wurde vor Aufgaben gestellt, die seiner Eigenart entsprachen und dazu angehalten, selbständige Leistungen für das Gesamtziel zu erbringen. Aber Theodor Wiegand verstand es, auch andere Experten für das Unternehmen anzuheuern. 1901 bat er Knackfuß um seine Mitarbeit als Architekt und technischer Leiter bei der Ausgrabung von Milet. Dies war womöglich die entscheidende Begegnung in Knackfuß´ beruflichem Leben. Fortan befasste er sich ausschließlich mit der antiken Bauforschung.
Für die Grabung in Milet war das Engagement von Knackfuß ein großer Glücksfall. Denn er konnte im Gegensatz zu den Stipendiaten die Kampagne über mehrere Jahre hinaus begleiten. 1901/1902 begann er seine Arbeit und es schien, als wäre er in einer Ausgrabung geboren worden. Er verband sein zeichnerisches Können und seine feine technische Beobachtungsgabe mit einem tiefen historischen Verständnis. Zunächst begann er mit der Ausgrabung und der Aufnahme des Rathauses an der westlichen Seite des südlichen Marktes (Agora). Im Gebälk der Vorhalle wurde die Weihinschrift gefunden. Die beiden Milesier Timarchos und Herakleides waren hohe Beamte des Königs Antiochos IV. Epiphanes (215-164 v.Chr.) und stifteten an der Stelle eines Vorgängerbaus das Rathaus dem Volk von Milet. Durch ein Erdbeben zerstört, konnte durch Knackfuß´ technisches Können das Bild eines der schönsten Beispiele hellenistischer Rathausarchitektur der Wissenschaft zurückgegeben werden.
Anschließend leitete Knackfuß die zwischen 1902 und 1903 durchgeführte Freilegung des hellenistisch-römischen Theaters. Diese Arbeit war besonders anspruchsvoll, da das Gebäude mehrfach umgebaut wurde. Die komplizierten Baubefunde und die Größe der Anlage stellten überdies hohe Anforderungen an die Arbeit der Architekten, und schon bald musste Knackfuß wegen Arbeitsüberlastung die Bearbeitung der Rekonstruktion an andere abtreten, denn neben der Grabung in Milet spannte Wiegand Knackfuß für immer neue Projekte ein.
Bei einem Ausflug in die Umgebung hatte Wiegand 1900 die Trümmer eines großen hellenistischen Grabbaus entdeckt. Nachdem er eine Erweiterung der Grabungserlaubnis erwirkt hatte, ließ er Knackfuß mit 30 Arbeitern für mehrere Wochen dorthin übersiedeln. Das Bild des Monumentes konnte Knackfuß anhand der erhaltenen Werkstücke vollständig wiederherstellen. Gleichfalls unternahm er zusammen mit Wiegand ausgedehnte Erkundungsritte in das Latmosgebirge am See von Herakleia. Dort konnten Aufnahmen einiger byzantinischer Klosterbauten gemacht werden.
Aber in Milet selbst stand viel Arbeit an, denn während der zwischen 1903 und 1905 erfolgten Freilegung des Hauptmarktes wurde das berühmte Markttor von Milet ausgegraben. Bereits 1906 publizierte Knackfuß die Rekonstruktion der zweigeschossigen Schauseite. Die 1924 veröffentlichte Publikation umfasste den Gesamtbefund und wurde zur Grundlage der Wiedererrichtung des Torbaus im Pergamonmuseum. Dabei setzten Knachkfuß und Wiegand durch, dass die Anlage innerhalb des Museums aufgestellt werden sollte, und nicht, wie von anderen gefordert, im Freien. Während der Zeit in Milet konnte Knackfuß wertvolle Erfahrungen sammeln und seine Fähigkeiten verfeinern. Das sollte ihm schon sehr bald zu Gute kommen.
Schon von Beginn der Grabung in Milet an hatte Theodor Wiegand seinen Blick auf Didyma gerichtet. Dort befand sich das in Antike berühmte Apollonorakel mit seinem riesenhaften Tempel, an dem Jahrhunderte gebaut worden war. Bis Wiegand und Knackfuß dieses Unternehmen angingen, galt es als undurchführbar. Eine französische Kampagne scheiterte bei dem Versuch, den Tempel von 118 zu 59 Meter Ausdehnung mit 80 19,70 Meter hohen Säulen aus seiner Verschüttung zu befreien. Nun aber wollte das Organisationstalent Wiegand gemeinsam mit seinem versierten technischen Leiter Knackfuß dem Schuttberg zu Leibe rücken. Wiegand regelte das Organisatorische in bekannt souveräner Manier. Landkäufe, Beseitigung der modernen Häuser, Beschaffung der Feldbahn und der Flaschenzüge waren 1906 soweit gediehen, dass mit der Arbeit begonnen werden konnte. Zwischen 1906 und 1913 erfolgte unter der Leitung von Knackfuß das kühnste Grabungsunternehmen seiner Zeit. Die planvolle Durchführung und die Beseitigung all der enormen technischen Schwierigkeiten waren eine der bedeutendsten Grabungsleistungen der Geschichte. Das wurde möglich durch den von Knackfuß sorgfältig erarbeiteten Plan. Die von allen An- und Umbauten befreite Zone um den Tempel sollte bis auf das antike Niveau ausgegraben werden. Dadurch gewann man ringsum eine freie Fläche, um die übereinander gestürzten riesigen Bauglieder von dem Trümmerberg herunterzuholen und geordnet aufzustellen. Die Aufdeckung der Bauphasen, die Anordnung der Fragmente im Umfeld des Tempels und die Sicherung der Ruine war die bedeutendste wissenschaftliche Leistung im Leben Knackfuß´.
1912 trat er in die Dienste des Deutschen Archäologischen Instituts. Er wurde Nachfolger Dörpfelds als Architekt in der Stellung des Zweiten Sekretärs am Institut in Athen. Sein Arbeitsfeld waren nun die großen deutschen Ausgrabungen in Pergamon und Olympia. Ende 1916 wurden die Institutsangehörigen in Folge der Kriegslage aus Athen ausgewiesen. Knackfuß stieß zum Deutsch-Türkischen Denkmalschutzkommando, das während des Palästinafeldzuges Vermessungen und Denkmalaufnahmen in Syrien, Palästina und dem Ostjordanland durchführte. Die Kriegshandlungen erbrachten wenigstens noch einen wissenschaftlichen Erfolg für Knackfuß in diesen dunklen Tagen. Nach der Beschießung des Johanniterkastells in Halikarnassos (heut: Bodrum), konnte er im Sommer 1918 die dort verbauten Reste des Mausoleums - eines der antiken Weltwunder - untersuchen. Der ansonsten sehr stille und freundliche Knackfuß konnte auch unerbittlich sein. Seine Abreise aus der Türkei im allerletzten Zug verzögerte er trotz des vehementen Drängens militärischer Stellen gnadenlos, um noch Unterlagen und Material aus dem Grabungshaus in Milet mit an Bord nehmen zu können.
1919 wurde Knackfuß als erster Bauforscher an die Technische Hochschule München berufen. Der Ruhm von Didyma wirkte nach. Er überführte sein Lehrgebiet von der bisher praktizierten Stil- und Formenlehre hin zur Lehre griechischer und römischer Architekturgeschichte. Somit wurde ein bauarchäologisches Seminar erstmals in den akademischen Betrieb einer Hochschule aufgenommen. 1920 heiratete er Chrysanthe Stergiou (1895-1927), Tochter des Kaufmanns Stergios und seiner Frau Kalomira Garyfallou aus Volos an der olympischen Riviera. Nach seiner Emeritierung 1934 veröffentlichte er 1941 sein dreibändiges Alterswerk über den Apollontempel von Didyma. Mit seiner nach nur sieben Ehejahren verstorbenen Frau hatte er den Sohn Hermann Themistokles, der 17-jährig 1944 in Krieg fiel. Im gleichen Jahr wurde Knackfuß´ Wohnung in München durch Bomben zerstört. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau Cäcilia (geboren 1902) teilte er mit vielen anderen das Los der Evakuierung. Der nunmehr 80-Jährige hielt noch einmal eine Vorlesung über antike Baugeschichte anlässlich der Wiedereröffnung der Technischen Hochschule München 1946. Zwei Jahre später, am 30.4.1948, starb Hubert Knackfuß in München.
In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Meriten hatte ihm die Technischen Hochschule Aachen 1920 den Dr. h.c. verliehen.
Werke
Das Rathaus von Milet (Milet, Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen. seit dem Jahr 1899, Band 1, Heft 2), Berlin 1908.
Der Südmarkt und die benachbarten Bauanlagen (= Milet, Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahr 1899, Band 1, Heft 7), Berlin 1924.
Didyma, 3 Bände, Berlin 1941.
Altenhöfer, Erich, Hubert Knackfuß, in: Lullies, Reinhard/Schiering, Wolfgang (Hg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache, Mainz 1988, S. 164-165.
Watzinger, Carl, Theodor Wiegand. Ein deutscher Archäologe, München 1944.
Altenhöfer, Erich, Knackfuß, Hubert, in: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S. 150. [Online]
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Kirschbaum, Markus, Hubert Knackfuß, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hubert-knackfuss-/DE-2086/lido/603e24a9544693.65779724 (abgerufen am 19.08.2024)