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Der Kölner Publizist Jean Ignace (Johann Ignaz) Roderique gehörte zu den bedeutendsten Journalisten des 18. Jahrhunderts. Seine „Gazette de Cologne" war an den Höfen ganz Europas bekannt und galt während der Schlesischen Kriege als Sprachrohr der österreichischen Partei. Kein Geringerer als der preußische König Friedrich der Große (Regierungszeit 1740-1786) würdigte ihn in einer gereimten französischen Epistel als einen „fripier de nouvelles", als einen Nachschreiber von (fragwürdigen) Nachrichten, dessen Machwerke er dem öffentlichen Spott preisgeben wollte.
Roderique lebte seit 1731 in Köln, nachdem er dort die Witwe Sibylla Katharina Pöner, geborene Topsius, geheiratet hatte. Seither besaß er das Kölner Bürgerrecht, das er für 20 Reichstaler erworben hatte. Er war am 3.11.1696 in Malmedy als Sohn des Goldschmiedes und Uhrmachers Jean Roderique (1661/1662-1759/1765), seit 1715 Bürgermeister von Malmedy, und von Anne Marie Mayer (gestorben 1765) geboren worden. 1714 trat er in Trier in den Jesuitenorden ein, den er nach neun Jahren wieder verließ. Seit 1718 wirkte Roderique als Lateinlehrer für die unteren Klassen der Jesuitengymnasien in Trier und Neuss. In den Jahren 1721 und 1722 unterrichtete er am Gymnasium in Osnabrück Griechisch, ehe er mit dem Studium der Theologie in Köln und Münster begann. Dort hörte er unter anderem bei dem Jesuiten Bartholomäus des Bosses (1668-1738) Philosophie. Dieser empfahl ihn dem damals berühmten Historiker und Bibliothekar Johann Georg von Eckhart (1664-1730), der seit 1694 Mitarbeiter von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) an den Scriptores Rerum Brunsvicensium war. Mit Eckhart ging er im Jahr darauf nach Würzburg, wo sich Roderique in die Dienste des Fürstbischofs Christoph Franz von Hutten (1673-1729) begab. Auf Eckharts Empfehlung wurde Roderique dort am 11.12.1725 zum Professor für Algebra, Analysis und Geographie ernannt. In Würzburg wirkte er zeitweilig auch als Pagenerzieher, da die Einkünfte aus dem Lehramt nicht für den Lebensunterhalt reichten. Der Fürstbischof äußerte 1730 gelegentlich seine Unzufriedenheit mit Roderique und ermahnte ihn, seine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, wollte aber auf seine Dienste nicht verzichten.
Die Hintergründe der Ermahnungen liegen im Dunkeln. Jedoch sind Roderiques und Eckharts Namen mit der Affäre um die so genannten „Würzburger Lügensteine" verknüpft, die durch den Leibarzt des Fürstbischofs, den Paläontologen Johann Bartholomäus Adam Beringer (1667-1738) in dem Buch „Lithographia Wirceburgensis" im Mai 1726 beschrieben wurden. Es handelte sich unter anderem um die heute noch vorhandenen „Würzburger Lügensteine", gefälschte Fossilien aus Muschelkalk, die Roderique Beringer unterschieben ließ, um diesen in der wissenschaftlichen Welt der Lächerlichkeit preiszugeben.
Roderiques Neigung zum wissenschaftlichen Disput mit konkurrierenden Gelehrten zeigte sich zwei Jahre später, als er umfangreiche Disceptationes (1728) zur Geschichte der Benediktiner-Abtei Stablo-Malmedy veröffentlichte, die gegen die Urkundensammlung der beiden gelehrten Mauriner Edmond Martène (1634-1739) und und Ursin Durand (1682-1771) gerichtet waren. Der Vorgang hatte auch politische Aspekte. Es ging um den kirchenrechtlichen Vorrang des Klosters Malmedy, das mit Stablo einem gemeinsamen Abt unterstand. Als Begräbnisstätte des Klostergründers Remaclus (600 – 673 oder 679) konnte Stablo einen Primat beanspruchen, obwohl es die spätere Gründung war. Malmedy lag innerhalb des Erzbistums Köln während Stablo zum Bistum Lüttich gehörte. Martène und Durand vertraten 1730 aufs Neue die Sache Stablos und fanden dafür den Beifall des Fuldaer Bibliothekars Johann Friedrich Schannat (1638-1739) und auch der Jesuiten Joseph Hartzheim (1694-1763) und Bartholmäus des Bosses, während Roderique seinen Standpunkt in einer weiteren Disceptatio (1731) bekräftigte und dabei von den Malmedyer Mönchen unterstützt wurde. Ein Besuch in seiner Heimat hatte ihm unter anderem eine Anklage wegen „Majestätsbeleidigung" eingetragen, weil er die Echtheit kaiserlicher Urkunden angezweifelt habe. Gegen eine Geldstrafe legte er beim Reichskammergericht in Wetzlar Berufung ein und erreichte 1741 einen Freispruch. Nach dem endgültigen Abschied von Würzburg begann Roderiques Karriere als Zeitungsschreiber in Köln. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Dozent für Geschichte an der Universität beantragte er im Sommer 1734 beim Kölner Rat die Genehmigung für die Herausgabe einer französischen Zeitung. Seine Absicht, sich als Geschichtsschreiber einen Namen zu machen, hatte er aufgegeben, da ihm in Köln nur ein Jahresgehalt von 100 Reichstalern geboten wurde, was einem Fünftel seiner Würzburger Einkünfte entsprach. Um so einträglicher sollten sich seine publizistischen Aktivitäten erweisen.
Die „Gazette der Cologne" sollte von Anfang in Konkurrenz zu Blättern wie der „Gazette d' Amsterdam", der „Gazette de la Haye" oder der „Gazette d'Utrecht" treten, die von protestantischen französischen Emigranten in den Niederlanden herausgegeben wurden. Im Unterschied zu diesen Zeitungen legte Roderique Wert darauf, dass sein Blatt die Würde der katholischen Religion respektieren werde, wie er in seinem Gesuch an den Rat betont hatte. Er war bestrebt, nicht in die Gegensätze zwischen den Großmächten hineingezogen zu werden. Andererseits unterstützte er die österreichische Politik, nachdem ihm von Karl VI. (Regierungszeit 1711-1740) 1735 ein kaiserliches Privileg zur Herausgabe einer Zeitung erteilt worden war, das ihn von der üblichen Zensur in der Reichsstadt unabhängig machte. Es wurde zehn Jahre später von Kaiser Franz I. (Regierungszeit 1745-1765) bestätigt. Dafür musste der Zeitungsschreiber an jedem Posttage sechs Exemplare seines Blattes an den Reichshofrat senden. Er verpflichtete sich, nichts zu veröffentlichen, was dem Ansehen des Kaisers schaden konnte.
Roderique zog sein Presseunternehmen für die Zeit professionell auf. Neben der gedruckten Zeitung auf italienischem Postpapier im Umfang von vier Seiten und einem Supplement von zwei Seiten, das dienstags und freitags erschien, gab er eine geheime, vertrauliche Korrespondenz heraus, seine „geschriebenen Zeitungen", die von Lohnschreibern handschriftlich vervielfältigt wurden. Sie wurden an Bezieher zu unterschiedlichen Preisen versandt. Das Abonnement des preußischen Residenten in Köln, Jacob Friedrich von Rohd (1701-1784), kostete 24 bis 30 Dukaten. Der Postmeister in Kleve hingegen bezahlte nur 12 Dukaten. Auch den Handel mit Nachrichten betrieb Roderique mit Hilfe von geschriebenen Zeitungen, die Geschäftsfreunde gewöhnlich einen Posttag früher erhielten als die Konkurrenten. Diesen Service ließ er sich mit 100 bis 150 Gulden im Jahr bezahlen. Enge Beziehungen pflegte er zu dem österreichischen Befehlshaber in den Niederlanden, Herzog Karl von Lothringen (1712-1780), während er zunehmend in einen Gegensatz zur preußischen Politik geriet. Dass Friedrich der Große ihn im April 1741 nach wiederholten Warnungen wegen seiner politischen Haltung auf offener Straße verprügeln ließ, widersprach dessen angeblichem Grundsatz, die Zeitungen dürften „nicht genieret werden, wenn sie irgend interessant sein sollten". Es gelang der preußischen Politik nie, die „Gazette de Cologne" auf ihre Seite zu ziehen.
Das Zeitungs- und Nouvellengeschäft in der Glockengasse entsprach der Bedeutung des Wirtschaftszentrum Köln. Der Abdruck von Nachrichten verschiedener Herkunft machte die Kölner Zeitung für auswärtige Bezieher interessant und aufschlussreich, obwohl Roderique für heutige Begriffe eine zurückhaltende Berichterstattung pflegte. Der wohlhabende Zeitungsschreiber wurde sowohl von dem wittelsbachischen Kaiser Karl VII. (Regierungszeit 1742-1745) wie auch von Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) zum Hofrat ernannt. Nach seinem Tode am 4.4.1756 übernahm sein Neffe Anton Caspar Jacquemotte (1725-1764) die Redaktion der „Gazette de Cologne".
Werke
Ignatii Roderique Disceptationes de abbatibus, Origini, primaeva et hodierna constitutione Abbatiarum inter se unitarum Malmundariensis et Stabulensis oppositae observationibus maximae Reverendorum Domnorum Edmundi Materne et Ursini Durand Presbyterorum Benedictinorum e Congregatione Sancti Mauri, Würzburg 1728.
Historiae universalis institutiones, sive res praecipuae ab orbe condito ad saeculum a Christo nato decimum medium ordine Chronologico digestae et excursibus Philologico-Politicis in mores, instituta, rem civilem bellicam atque sacram praecipuorum populorum illustrata in usum lectionum Academicorum adornabat Ignatius Roderique Lovanii, Histor. I. A. V. C. C. P. P.
Gazette de Cologne, Jahrgang 1744 (Universitäts- und Stadtbibliothek Köln), 1746-1752 (unvollständiger Sammelband, Erzbischöfliche Bibliothek Paderborn), 1749-1755 (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien), 1756 (Universitäts- und Stadtbibliothek Köln).
Literatur
Ennen, Leonard, Die Zeitungspresse in der Reichsstadt Köln, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 36 (1881), S. 12-82.
Hömig, Herbert, Jean Ignace Roderique (1696-1756), in: Rheinische Lebensbilder 9 (1982), S. 159-177.
Hömig, Herbert, Jean Ignace Roderique und die Anfänge der Geschichtswissenschaft an der Kölner Universität, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 180 (1978), S. 146-168.
Hoppe, Kläre, Roderiques „Gazette de Cologne" 1740-1745, Münster 1948.
Online
Hömig, Herbert, „Roderique", in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 699-700. [Online]
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Hömig, Herbert, Jean Ignace Roderique, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/jean-ignace-roderique/DE-2086/lido/57cd2238459525.92349201 (abgerufen am 19.08.2024)