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Willi Daume war die prägende Persönlichkeit des deutschen Sports wie der Sportpolitik in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Er bekleidete zahlreiche hochrangige Funktionärsposten und war unter anderem zwischen 1950 und 1970 erster Präsident des Deutschen Sportbundes. Den Höhepunkt seiner sportpolitischen Laufbahn stellt die erfolgreiche Bewerbung und Organisation der Olympischen Spiele 1972 in München dar.
Als einziger Sohn einer katholischen Dortmunder Unternehmerfamilie wurde Willi Daume am 24.5.1913 im bergischen Hückeswagen geboren. Sein vollständiger Geburtsname lautete Wilhelm Karl August Ferdinand Daume. Seine Eltern waren Wilhelm und Emilie Daume. Der Vater führte im Dortmunder Hafen eine nach ihm benannte Eisengießerei. Seine Schulzeit verbrachte Willi Daume überwiegend in seiner Geburtsstadt: Von 1919 bis 1931 besuchte er dort die Grundschule und das Gymnasium. Das Abitur bestand er schließlich 1932 in Leipzig.
In der Rückschau lassen sich zwei Konstanten erkennen, die wegweisend für Daumes Leben werden sollten. Auf der einen Seite war dies die industrielle Unternehmertätigkeit seines Vaters. Es ist anzunehmen, dass sie Daume als maßgebliches Vorbild für seinen beruflichen Werdegang diente. Andererseits wandte er sich schon im Kindesalter dem Sport zu. Auch dieses Interesse wurde wohl von seinen Eltern entfacht, die beide geturnt hatten. So trat er 1921 als aktives Mitglied dem Turn- und Sportverein Eintracht Dortmund bei. Neben der Leichtathletik weckten insbesondere die Sportarten Handball und Basketball sein Interesse. Im Alter von 15 beziehungsweise 16 Jahren besuchte Daume zusammen mit seinem Vater die Olympischen Sommerspiele in Amsterdam 1928. Die darauf folgenden Spiele vier Jahre später in Los Angeles besuchte er ebenso, diesmal allerdings selbständig.
Im selben Jahr, 1932, trat Willi Daume in Leipzig das Studium in den Fächern Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre sowie Jura an. Weitere Studienorte bis 1938 waren Köln und München. Die bis dahin an der Universität erworbenen Kenntnisse musste Willi Daume bald in der Praxis erproben. Nach dem Tod seines Vaters 1938 trat er, ohne das Examen ablegen zu können, in das Familienunternehmen ein und übernahm dessen Führung. Die fehlenden akademischen Qualifikationen hinderten Daume in den folgenden Jahrzehnten nicht daran, verschiedene hochrangige Positionen in Industrie und Wirtschaft zu erklimmen.
Neben dem väterlichen Unternehmen war er Inhaber der W.K.D. Noll Metallgießerei sowie geschäftsführender Gesellschafter von Vles-Metall Dortmund. Darüber hinaus war er Aufsichtsratsmitglied in zahlreichen Unternehmen, als bekannteste können die Agrippina Lebensversicherungs AG in Köln, die Oerlinkon-Boehringer GmgH oder der Artemis Verlag genannt werden. Dennoch sollte seinem unternehmerischen Lebenswerk ein erfolgreiches Ende verwehrt bleiben: 1993 musste die Dortmunder Eisengießerei Konkurs anmelden.
Das Äquivalent zu Daumes unternehmerischer Tätigkeit in jungen Jahren war die erfolgreiche Ausübung des Sports. Erstmals trat er 1933 als Teilnehmer am Deutschen Turnfest in Stuttgart vor einer breiten Öffentlichkeit in Erscheinung. Während er die vorangegangenen Olympiaden noch als Zuschauer erlebt hatte, gehörte er bei den Sommerspielen des Jahres 1936 in Berlin zum Aufgebot der deutschen Basketballauswahl, obwohl er sich zuvor vor allem als talentierter Handballer einen Namen gemacht hatte.
Der nationalsozialistischen Herrschaft und dem heraufziehenden Krieg konnte sich auch Daume nicht entziehen. Im Dezember 1937 trat er in die NSDAP ein. Ein Jahr später wurde er zum Militärdienst bei einer Infanterieeinheit in Oberschlesien eingezogen. Die Einberufung verhinderte seinen Antritt bei einem Länderspiel der Handball-Nationalmannschaft 1938. Nach Kriegsausbruch nahm Willi Daume im Range eines Gefreiten am Feldzug gegen Polen teil, wurde aber 1940 zur Wahrnehmung von Rüstungsaufgaben in Dortmund von der Wehrmacht freigestellt. Während er in der eigenen Firma fortan die Rüstungsproduktion organisierte, wobei auch Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, widmete er sich weiterhin dem Sport. Mit der Übernahme der Funktion als Jugendwart und Vorsitzender der Handballabteilung bei seinem Heimatverein Eintracht Dortmund Anfang der 1940er Jahre begann seine Laufbahn als Sportfunktionär. In diesen Ämtern fokussierte Daume auch die Vorbereitung der Jugend auf den Militärdienst durch den Sport, eine im NS-System allgegenwärtige sportpolitische Maxime.
Ab 1943 arbeitete Daume als SD (Sicherheitsdienst)-Informant, was ihn im Gegenzug vor einem Fronteinsatz an der Ostfront bewahrte. Seine Tätigkeit versuchte er später als unbedeutend und sogar tendenziell widerständig darzustellen. Insgesamt kann Daumes Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus zwar als teilweise widerwillig bezeichnet werden, allerdings keineswegs als widerständig. Vielmehr hatte er mit seinem „Wirken als Unternehmer, sowie als Parteimitglied und SD-Mitarbeiter […] deutlich bewiesen, dass er sich mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten arrangiert hatte.“ (Rode, S.40). Anders wäre sein Aufstieg zum Gaufachwart für Handball in Westfalen 1944 wohl auch kaum vorstellbar gewesen. Unterbrochen wurde seine weitere sportpolitische Karriere 1945 zunächst durch seine Einberufung zum Volkssturm und anschließend durch den Zusammenbruch der Organisationsstrukturen mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Bereits kurz nach dem Ende der NS-Herrschaft bemühte sich Daume zunächst auf örtlicher Ebene um den Wiederaufbau des TSV Eintracht Dortmund, dessen Vorsitzender er bis 1953 war. Doch auch im Westdeutschen Sportverband übernahm er ab 1946 Verantwortung und wurde 1947 Vorsitzender des Westdeutschen Handballverbandes. In schneller Folge stieg er in der Hierarchie der Sportverbände auf. Hierbei mag ihm geholfen haben, dass er nach einem Entnazifizierungsverfahren 1949 als „Unbelasteter“ eingestuft wurde, nachdem er gegen eine erste Beurteilung als „Mitläufer“ (1948) erfolgreich Berufung eingelegt hatte.
Zum Zeitpunkt der Gründung des NOK (Nationales Olympisches Komitee) 1949 wurde Daume dessen Schatzmeister (bis 1952) und übernahm 1961 die Präsidentschaft der Institution. Dieses Amt führte er in Personalunion mit der Präsidentschaft des DHB (Deutscher Handball Bund), welche er ebenfalls 1949 übernommen hatte. In der Zwischenzeit erlangte er im Dezember 1950 den Vorsitz im DSB (Deutscher Sport Bund) und wurde 1956 Mietglied des IOC (Internationales Olympisches Komitee). Zum Zeitpunkt seines Eintrittes ins IOC war Daume das zweite deutsche Mitglied neben Dr. Karl Ritter von Halt (1891-1964), dem letzten NS-Reichssportführer. Diese Ämter hatte er bis 1970 (DSB) beziehungsweise bis 1991 inne.
Parallel zu den Weichenstellungen für die Verbandstätigkeiten Daumes veränderte sich auch seine familiäre Situation. Seit 1949 war er mit Rosemarie Daume, geborene Kredel, verheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, Sohn Kay und Tochter Doreen.
Aus der großen Anzahl der von Daume getragenen Aufgaben ragen die Olympischen Sommerspiele 1972 in München hervor. Nach der Spaltung der Gesamtdeutschen Olympiamannschaft in eine DDR- und eine BRD- Mannschaft in den 1960er Jahren initiierte Willi Daume das Vorhaben, die Olympischen Sommerspiele 1972 nach München zu holen. Zwischen 1966 und 1974 war er als Präsident des Organisationskomitees für die zwanzigsten Olympischen Spiele für die Bewerbung, Vorbereitung und Durchführung verantwortlich. Seine Vision von einem „Gesamtkunstwerk" beinhaltete eine Gestaltung der Spiele durch eine Symbiose von Sport, Kunst, Kultur und Architektur und sollte für folgende Olympiaden Maßstäbe setzen. Zudem sah er darin die Möglichkeit, das neue demokratische Selbstverständnis Deutschlands in bewusster Abgrenzung zu den propagandistisch überlagerten Berliner Spielen von 1936 der Welt vor Augen zu führen.
Durch den Terroranschlag auf die Sportmannschaft Israels während der Wettkämpfe wird dieser größte Erfolg Willi Daumes jedoch bis heute überschattet.
Als weitere bemerkenswerte Errungenschaften Daumes sind die Öffnung der olympischen Wettbewerbe für professionelle Athleten auf dem elften Olympischen Kongress 1981 und die Gründung des DOI (Deutsches Olympisches Institut) 1993 in Berlin zu nennen. Seine wohl größte verbandspolitische Niederlage musste er 1980 hinnehmen, als sich das NOK trotz Daumes vehementer Opposition für einen Boykott der Spiele in Moskau entschied. Realistische Ambitionen, nach der Vizepräsidentschaft (1972-1976) auch die Spitzenfunktion des IOC zu übernehmen, wurden dadurch vereitelt. Anstelle Daumes fiel die Wahl auf Juan Antonio Samaranch (geboren 1920).
Ein drittes Betätigungsfeld neben Unternehmertum und Verbandsarbeit fand Daume im Kulturbereich, der ihn stets interessierte. Er engagierte sich in der literarischen Erich-Kästner Gesellschaft und der e.o. plauen-Gesellschaft. In beiden Vereinigungen übernahm er zeitweise den Vorsitz.
Die weitreichenden Verdienste Willi Daumes fanden in zahlreichen Ehrungen bis heute ihren Ausdruck. In nahezu allen Verbänden denen er angehörte oder die er führte, wurde er zum Ehrenmitglied oder Ehrenpräsidenten ernannt. Daneben wurden ihm zahlreiche Auszeichnungen zuteil. Mit dem Großen Verdienstorden der Bundesrepublik (1959), dem Großen Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik (1973), der Doktorwürde der Sporthochschule Köln (1973) und dem Olympischen Orden in Gold des IOC (1992) sind nur einige genannt.
Nach seinem Ausscheiden aus den hohen Gremien der Sportverbände und dem wirtschaftlichen Niedergang seines Industrieunternehmens verbrachte Daume die letzten Jahre seines Lebens in einfachen Verhältnissen im Olympischen Dorf in München. Am 20.5.1996 starb er in München an einem Krebsleiden und wurde in Dortmund beigesetzt.
Im Jahr 2006 wurde Willi Daume in die „Hall of Fame des Deutschen Sports" aufgenommen. Nach ihm wurde auch ein Platz im Münchner Olympiapark benannt.
Literatur
Bundesinstitut für Sportwissenschaft / Deutsches Olympisches Institut (Hg.), Willi Daume - Olympische Dimensionen. Ein Symposion, Bonn 2004.
Dwertmann, Hubert / Peiffer, Lorenz, Willi Daume. Eine Bibliographie seiner Schriften Reden und Interviews, Köln 2001.
Rode, Jan C., Willi Daume und die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1970.
Scherer, Karl Adolf, Willi Daume. Ein Portrait, Freudenstadt 1968.
Online
Haffner Steffen, Deutschlands erfolgreichster Sportfunktionär nach dem Kriege (Information auf der Homepage der Hall of Fame des deutschen Sports). [Online]
Willi Daume (Information auf der Homepage der Deutschen Olympischen Akademie). [Online]
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Kaltscheuer, Christoph, Willi Daume, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/willi-daume/DE-2086/lido/57c69081372705.10461793 (abgerufen am 19.08.2024)