Zu den Kapiteln
Die Phase der Ausdifferenzierung der Konfessionen infolge der verschiedenen Ansätze zur Kirchenreform in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war nicht ausschließlich vom Gegeneinander der Bekenntnisse gekennzeichnet. Vielmehr zeigen die Lebensläufe vieler Geistlicher und Gelehrter, dass es auch zahlreiche Mediationsversuche gab, um den Bogen zwischen einer tatsächlichen Erneuerung und Bewahrung überlieferter Formen zu spannen. Vielfach waren sie vom Humanismus und der ihm innewohnenden Irenik geprägt; in Köln steht vor allem Johannes Gropper für diese via media. In Groppers Umfeld wirkten jedoch beispielsweise mit dem Karmeliterprovinzial Eberhard Billick, Matthias Kremer und eben dem kurfürstlichen Kanzler und Generalvikar Bernhard von Hagen Männer, die vor Ort einen zum Teil deutlich maßgeblicheren Einfluss auf die konfessionspolitische Entwicklung ausübten.
Über die ersten Lebensjahrzehnte Bernhard von Hagens gibt es widersprüchliche Forschungen, die wohl auf eine Namensgleichheit oder Verwechslung zurückgehen. Fest steht, dass er im westfälischen Geseke als Sohn des wohlhabenden Bürgers Konrad von Hagen und seiner Frau Adelheid geboren wurde, und zwar entweder um 1470 oder um 1490. Der ersten Lesart folgend soll er in jungen Jahren in den geistlichen Stand eingetreten sein und um 1505 die Pfarrstelle in seiner Heimatstadt innegehabt haben. Er müsste demnach bereits ein theologisches Studium absolviert haben, um sich vielleicht danach in Köln einem weiteren, juristischen Studium zu widmen. Nach der zweiten Lesart immatrikulierte er sich im Oktober 1503 an der Montanerburse der Kölner Artistenfakultät, wo er bereits 1504 das Bakkalaureat und 1506 den Magistergrad erwarb. Im Anschluss an dieses philosophischen Grundstudium habe von Hagen dann aus der Trias der höheren Studienrichtungen die Rechtswissenschaft gewählt, in welcher er sich schließlich im Jahr 1515 promovierte – offenbar allerdings lediglich im weltlichen Recht und nicht, wie es gerade angesichts seiner späteren kirchlichen Laufbahn zu erwarten gewesen wäre, auch im kirchlichen.
Zwar geht auch Hermann Keussen, der die immer noch maßgebliche biographische Skizze verfasst hat, davon aus, dass von Hagen schon vor seiner Kölner Zeit an einer unbekannten Universität studiert habe; das würde zu den implizierten Lebensdaten aber nicht passen und gleichzeitig die Frage aufwerfen, wie und insbesondere wo eine erste, geistliche Ausbildung von Hagens stattgefunden haben könnte – wenn nicht an der Kölner Universität, in deren Matrikel er sich allerdings nicht findet.
Für beide Varianten gibt es freilich Argumente: Bernhard von Hagen tritt von seinem Tätigkeitsprofil her ausschließlich als Jurist in Erscheinung. Nach dem Doktorat, das er sicher erworben hat, blieb er der juristischen Fakultät verbunden, die ihn im Jahr 1518 zum Dekan wählte. So könnte er einen direkten Weg ins Kölner Domkapitel gefunden haben, das neben 16 adligen Mitgliedern acht so genannte Priesterherren umfasste, in der Regel theologische oder juristische Gelehrte, für deren Entsendung es komplizierte Vorschlagsrechte sowohl der Kurie als auch des Rates und der Universität gab. Dass er dann sofort mit noch nicht einmal 30 Jahren zum Generalvikar und damit zum leitenden Verwaltungsbeamten der gesamten Erzdiözese bestellt worden sein soll, erscheint jedoch unwahrscheinlich. Zwar rekrutierten sich aus dem Kreis der Priesterherren häufig die hohen Beamten des Hofes und der Diözese. Völlig ohne theologische Ausbildung oder kirchliche Laufbahn wird man ihm dieses Amt jedoch nicht übertragen haben. Insgesamt harrt die Frage nach dem Werdegang von Hagens bis 1518 damit der Aufklärung, die vielleicht ein vertiefendes Quellenstudium der Domkapitelsprotokolle bringen könnte.
Mit einiger Sicherheit bekleidete Bernhard von Hagen seit 1518 das Amt des kurfürstlichen Siegelbewahrers. Aus der Aufgabe der Aufbewahrung des Siegels als Herrschaftszeichen des Fürsten hatte sich eine Beamtenposition herausgebildet, die ohne konkreten Geschäftsbereich vor allem eine beratende Funktion hatte, im Falle von Hagens also sehr wahrscheinlich die eines Rechtsberaters. Dass Erzbischof Hermann von Wied ihn im Mai 1526 nach dem Tod des Kanzlers Degenhard Witte (gestorben 1526) zum leitenden Verwaltungsbeamten seines Hofes machte, zeigt, dass der schwelende Konfessionsstreit, in dem Witte sich unter anderem auf dem Wormser Reichstag des Jahres 1521 auf Seiten der gemäßigten Kräfte engagiert hatte, zunächst mehr als rechtliches und weniger als theologisches Problem gesehen wurde.
In seinem neuen Amt erwarb sich Bernhard von Hagen rasch Ansehen und Sympathie, etwa indem er gegen den Missbrauch und die Anhäufung kirchlicher Pfründen vorging. Allerdings machte er bei diesen Reformen im Einzelnen von vorneherein sehr deutlich, dass er der lutherischen Reformation im Ganzen ablehnend gegenüber stand. 1530 begleitete er Hermann von Wied zum Augsburger Reichstag, auf dem die neugläubigen, protestierenden Stände sich zur Confessio augustana bekannten. Die Bemühungen zur Lösung der konfessionellen Streitfragen, an denen auch von Hagen entscheidend beteiligt war, waren damit nicht nur vorerst, sondern auf lange Sicht gänzlich gescheitert.
Von Hagen konzentrierte sich in den 1530er Jahren deshalb ganz auf seine Arbeit im Dienste des Erzbischofs, dem er etwa durch geschicktes Verhandeln die Administration des Bistums Paderborn sicherte. Er unterhielt Briefwechsel mit Philipp Melanchton (1497-1560) und Martin Bucer und folgte Hermann von Wied in seinem konfessionspolitisch libertären Kurs. Persönlich musste Bernhard von Hagen sich in diesem Jahrzehnt zunehmender Kritik stellen, weil er durch Erbschaft, aber auch mit Hilfe seiner zahlreichen Pfründen, etwa an St. Severin, St. Andreas und am Domstift, ein ziemliches Vermögen angehäuft hatte, das von seinem Neffen Konrad Orth ab Hagen (1523-1589) in eine im Rahmen des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds bis heute bestehende Studienstiftung eingebracht wurde.
Zum Bruch mit dem Erzbischof kam es erst nach 1540, als Hermann immer mehr zum offenen Protestantismus drängte und die Reformation schließlich im Jahr 1543 in seinem Territorium einführte. Zwar waren die adligen Mitglieder des Domkapitels mehrheitlich bereit, diesem Vorgehen nicht zu widersprechen; die Priesterherren jedoch, deren Wortführer von Hagen und Gropper waren, konnten gar nicht anders als den Rechtsbruch festzustellen und sich dem Erzbischof zu widersetzen. Während es Gropper gelang, auch nach außen als Oppositionsführer wahrgenommen zu werden, arbeitete von Hagen eher im Hintergrund, etwa an der Redaktion des gemeinsamen Gegengutachtens zum „Einfältigen Bedenken“, jener Schrift, mit der Hermann von Wied den Konfessionswechsel im Erzstift hatte durchsetzen wollen.
Aus diesem Hintergrund kam von Hagen auch nach der erfolgreichen Absetzung Hermanns nicht mehr heraus. Zwar blieb er auch unter Adolf von Schaumburg kurkölnischer Kanzler, gehörte aber nicht mehr zu den engsten Beratern am Hof, ein Umstand, der wohl darauf zurückzuführen ist, dass die rechtliche Auseinandersetzung zumindest vorübergehend beigelegt war und der Jurist, der Bernhard von Hagen zeitlebens war, in der Folge zum vor allem im Umfeld des Trienter Konzils angestellten theologischen Diskurs keine Beiträge leisten konnte.
Am 3.10.1556 wurde er tot aufgefunden, vermutlich erlitt er einen Schlaganfall. Sein Grabmal im Kölner Dom ist nicht erhalten, wohl aber dessen Inschrift: „Den hervorragenden Bernhard von Hagen, von strahlend weißer Haut, gebar die westfälische Erde. In seinem außerordentlichen Körper wohnte eine berühmte Tugend; die Reinheit des wahren Glaubens war nicht zerstört. O trüber, schwarzbedeckter Tag! Durch diesen brutalen Tod wurde der Welt eine Zierde genommen.“
Literatur
Keussen, Hermann, Die Dompfründen der Kölner Universität, Köln 1930.
Molitor, Hansgeorg, Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe (Geschichte des Erzbistums Köln Bd. 3), Köln 2008, S. 376-377.
Online
Hillenkamp, Walter, Bernhard von Hagen, kurkölnischer Kanzler und sein Neffe Konrad von Orth, in: Blätter zur näheren Kunde Westfalens 12 (1874), S. 107-109.
Keussen, Hermann, „Hagen, Bernhard vom“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 49 (1904), S. 698-700.
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Bock, Martin, Bernhard von Hagen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/bernhard-von-hagen-/DE-2086/lido/57c82504dc9881.73459370 (abgerufen am 19.08.2024)