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Die Geburtsstadt von Alfred Herrhausen ist Essen, und diese Herkunft hat das Leben des Bankiers geprägt. Er fühlte sich seiner rheinländischen Heimat verbunden, und es gab nur drei längere Phasen, in der Herrhausen sie verlassen hat – bemerkenswert für einen Mann, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere als einer der mächtigsten Finanzexperten der Welt galt.
Erstmals verließ der am 30.1.1930 als Sohn des bei der Ruhrgas AG tätigen Vermessungsingenieurs Karl Herrhausen und dessen Ehefrau Wilhelmine „Hella" Funke geborene Alfred Herrhausen seine Heimatstadt Essen als 12-jähriger: Der Oberrealschüler wechselte im Herbst 1942 auf die Reichsschule der NSDAP im bayerischen Feldafing – eine Eliteeinrichtung am Starnberger See, für die aus dem gesamten Deutschen Reich Bewerber vorgeschlagen werden konnten. Aber nicht mehr als drei Schüler pro Gau wurden aufgenommen, und da Herrhausens Eltern keine Parteimitglieder waren, galten seine Chancen als schlecht, ehe der Vater doch noch pro forma der NSDAP beitrat und damit seinem Sohn eine Schulbildung ermöglichte, die ihn im „Dritten Reich" für eine steile Karriere prädestiniert hätte.
Doch mit dem Zusammenbruch Deutschlands in April und Mai 1945 wurde auch die Reichsschule aufgelöst, und der 15-jährige Herrhausen musste sich aus Tirol, wohin die Belegschaft der Schule evakuiert worden war, allein durch das zerstörte Land nach Essen durchschlagen. Dort wurde er im November 1945 in einem neusprachlichen Gymnasium eingeschult, allerdings eine Klasse tiefer als zuvor in Feldafing. Diesen Zeitverlust machte er 1948 wieder gut, als er die Unterprima übersprang; im Jahr darauf bestand er die Abiturprüfungen und schrieb sich als Student der Betriebswirtschaftslehre ein, nachdem ihm ein Lehramtsstudium verweigert worden war. Im Ruhrgebiet gab es 1949 noch keine Universitäten, aber dem Rheinland blieb Herrhausen treu. Er ging an die Universität Köln.
Als Alfred Herrhausen das Rheinland zum zweiten Mal verließ, war das kein weiter Weg, aber diesmal für eine längere Zeit: 1955 trat er eine Stelle als kaufmännischer Leiter bei den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW) in Dortmund an. Zuvor war er drei Jahre lang als Direktionsassistent bei der Ruhrgas beschäftigt gewesen, nachdem er 1952 sein Studium nach nur sechs Semestern abgeschlossen hatte und 1954 mit einer Doktorarbeit zum Grenznutzenprinzip promoviert worden war. Bei den VEW war Paul Sattler (1894-1965) Generaldirektor, dessen Tochter Ulla 1953 Herrhausens erste Ehefrau wurde. 1959 wurde beider Tochter Bettina geboren, und ein Jahr danach erhielt Herrhausen einen Direktorenposten bei den VEW, ehe er 1967 Finanzvorstand des Unternehmens wurde.
Zum 1.1.1970 kehrte er dann ins Rheinland zurück, als ihm die Deutsche Bank den Posten eines Vorstandsmitglieds anbot. Das Kreditinstitut teilte seine Führungsspitze damals noch zwischen Frankfurt am Main und Düsseldorf auf, und Herrhausen wurde für die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt angeworben. Nach der Trennung von seiner Frau, die sich weigerte, ihre westfälische Heimat zu verlassen, bezog Herrhausen ein Domizil in Solingen und heiratete 1977 die österreichische Ärztin Traudl Baumgartner. Herrhausen verließ das Rheinland zum dritten Mal und diesmal endgültig, als klar wurde, dass er 1985 einer von zwei Vorstandssprechern der Deutschen Bank werden würde. Mittlerweile war die Führungsspitze des Unternehmens in Frankfurt konzentriert, und so zog Herrhausen 1982 nach Bad Homburg um, wo er sieben Jahre später, als er zum ersten alleinigen Sprecher der Deutschen Bank seit Hermann Josef Abs geworden war, ermordet wurde.
Die Bindung Herrhausens zu seiner rheinischen Heimat riss nie ab. Einen Tag vor dem Attentat hatte er noch an einer Sitzung des Kuratoriums der Krupp-Stiftung in Essen teilgenommen, dem er als eine Art Trost angehörte, seit die Deutsche Bank ihrem Sprecher verweigert hatte, den Aufsichtsratvorsitz bei Krupp zu übernehmen. Es wäre die Krönung für einen gebürtigen Essener gewesen, die höchste Position in dem für die Stadt so wichtigen Konzern zu übernehmen. Doch auch bei anderen Gelegenheiten engagierte sich Herrhausen stark fürs Ruhrgebiet: als „Stahlmoderator", der 1982 auf Bitten des neuen Bundeskanzlers Helmut Kohl (Amtszeit 1982-1998) ein Konzept für die als notwendig erachtete Konzentration der deutschen Montankonzerne erarbeitete; als Förderer der 1983 gegründeten Privatuniversität von Witten-Herdecke; und vor allem als entscheidend Mitwirkender bei der Gründung des Initiativkreises Ruhrgebiet, der 1989 unter Beteiligung von 28 Großunternehmen, darunter die Deutsche Bank, geschaffen wurde, um die Region ökonomisch wie kulturell zu unterstützen. Herrhausen wurde neben Ruhrbischof Franz Kardinal Hengsbach und dem Veba-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder (1926-1989) einer von drei Moderatoren des Initiativkreises, also Repräsentant der neuen Institution.
Doch all diese Ehrenämter verblassen gegenüber der Leistung des Bankiers Herrhausen. Als Sprecher der Deutschen Bank stand er nicht nur seit 1985 dem wichtigsten Kreditinstitut der Bundesrepublik vor, er betrieb auch konsequent die Globalisierung seines Unternehmens und war der entscheidende Akteur in der Debatte um einen Schuldenerlass für die Entwicklungsländer, die in den 1980er Jahren die internationale Bankenwelt spaltete.
Alfred Herrhausen wurde in einer Zeit Sprecher der Deutschen Bank, als die Öffentlichkeit längst mehr von einem Exponenten der Wirtschaft erfahren wollte, als nur die Bilanzzahlen seines Unternehmens. Er bemühte sich, gegen diese Neugier das Private zu bewahren, denn er besaß im Familienleben und im Freundeskreis ein notwendiges Rückzugsgebiet, das er nicht verlieren wollte. Hier konnte er auch das umfassende Kontrollbedürfnis und Imagebewusstsein ablegen, denen Herrhausen seine öffentlichen Auftritte unterwarf. Doch gerade seine Medienwirksamkeit und Popularität, die sich entscheidend aus seinem Engagement für die Dritte Welt speisten, machten ihn vielen Kollegen im traditionell zurückhaltenden Bankgewerbe suspekt.
Herrhausen war ein Manager, der nicht umsonst in der Industrie groß geworden war und also keine falschen Rücksichten auf die institutionellen Usancen des Kreditwesens nahm. Dadurch gelang es ihm, ein neues Selbstbewusstsein bei den Mitarbeitern des Deutsche-Bank-Konzerns zu schaffen und dem Unternehmen selbst den Weg zum weltumspannenden Finanzdienstleister zu ebnen.
Er steht aber noch für mehr: Herrhausen ist der herausragende Exponent einer Generation, die in der Kindheit die geordnete Welt des Nationalsozialismus erlebte und nach der Zerstörung ihrer naiven Illusionen für kurze Zeit eine natürliche Skepsis gegenüber dem neuen, von außen bestimmten Gesellschaftssystem in Deutschland entwickelte – die durch das individuelle Erlebnis von Freizügigkeit und Freiheit dann überwunden und ins Gegenteil verwandelt wurde. Herrhausen wurde zum glühenden Verfechter der Demokratie, aber nicht allein aus Begeisterung für deren egalitäre Werte, sondern auch, weil aus dem Wettstreit der Meinungen eine Elite erwuchs, die kein anderes politisches System zu schaffen wusste. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank darf selbst als Verkörperung dieser Elite gelten. Seine Karriere, die ihn als Branchenfremden bis in den illustren Kreis des Vorstands des größten deutschen Kreditinstituts führte, ist eine Erfolgsgeschichte, die beispielhaft für die Entwicklung der Bundesrepublik bis zum Einschnitt des Mauerfalls steht. Dass Herrhausen nur drei Wochen danach ermordet wurde, macht ihn nur noch mehr zum Aushängeschild einer Epoche und eines Staates, der seitdem mit anderen Maßstäben gemessen werden muss, weil er mit dem westlichen Deutschland allein nicht mehr gleichzusetzen ist.
Herrhausen gilt aber nicht nur als Manager der Bundesrepublik, sondern auch als Visionär der Weltwirtschaft. Sein Weltbild beruhte auf Überlegungen, die bis in die frühen 50er Jahre zurückgingen, in die Zeit seiner betriebswirtschaftlichen Dissertation, wo er bereits seine berühmte, auf manche Gesprächspartner arrogant wirkende Überzeugung vom „richtigen Denken" ausformulierte, nach der er später konsequent handeln sollte. Als er dann Vorstandssprecher der Deutschen Bank wurde und damit die Spitze der deutschen Wirtschaftshierarchie erreicht hatte, entwickelte er sich zum Visionär, der ungekannte Gestaltungsfreiheit für sein Tun einforderte, während er als einfaches Vorstandsmitglied zuvor ganz auf die Erfüllung seiner beruflichen Aufgaben konzentriert schien.
„Macht", so hatte Herrhausen aber bereits 1976 in einem Vortrag vor Mitarbeitern ausgeführt, „beginnt nicht bei der Einflußnahme selbst, sondern schon bei der Möglichkeit dazu." Diese Möglichkeit eröffnete sich für ihn erst, als er tatsächlich den Gipfel erreichte: Veränderungen in der Deutschen Bank werden von oben angestoßen.
Am 30.11.1989 fiel Alfred Herrhausen einem Bombenanschlag zum Opfer. Seine bis heute ungeklärte Ermordung, die der RAF zugeschrieben wird, beendete eine Lebensleistung, die ihm noch fünf Jahre lang die Position des Vorstandssprechers und danach die des Aufsichtsratschefs der Deutschen Bank beschert hätte. Sofort nach dem Tod Alfred Herrhausens aber wurde von seinem Nachfolger Hilmar Kopper etliches korrigiert, was zuvor mühsam in Gang gesetzt worden war, vor allem die Umstrukturierung der Hierarchien im deutschen Mutterunternehmen. Der internationale Expansionskurs aber wurde beibehalten, und auch die gezieltere Ausrichtung aufs Finanzmarktgeschäft statt der traditionellen Kreditvergabe blieb bestehen. So entwickelte sich die Deutsche Bank zu einem der größten Finanzkonzerne der Welt und ist in Deutschland bis heute ganz ohne ernsthaften Konkurrenten geblieben. Vieles davon verdankt sie dem Konzept von Alfred Herrhausen.
Seine Lebensleistung spiegelt sich nicht zuletzt in der nach ihm benannten Alfred-Herrhausen-Gesellschaft der Deutschen Bank wider. Ein Mahnmal an der Stelle der Bombenexplosion erinnert an seinen tragischen Tod.
Literatur
Balkhausen, Dieter, Alfred Herrhausen. Macht, Politik und Moral, München 1990.
Balkhausen, Dieter, Alfred Herrhausen (1930-1989), in: Pohl, Hans (Hg.), Deutsche Bankiers des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2008, S. 211-225.
Platthaus, Andreas, Alfred Herrhausen – eine deutsche Karriere, Berlin 2006.
Veiel, Andres, Black Box BRD: Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, die RAF und Wolfgang Grams, Stuttgart, München 2001.
Online
Alfred Herrhausen (Vita und Literaturhinweise auf der Homepage der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft).
Herrhausen, Alfred (Biographische Information auf der Homepage der Historischen Gesellschaft der Deutschen Bank e.V.).
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Platthaus, Andreas, Alfred Herrhausen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/alfred-herrhausen/DE-2086/lido/57c82df7df8882.71130105 (abgerufen am 19.08.2024)