Zu den Kapiteln
Theophanu reiht sich ein in die Liste der bedeutenden Äbtissinnen des Frauenstifts Essen aus dem 10. und 11. Jahrhundert. Sie war Empfängerin zweier königlicher Privilegien, Bauherrin am Essener Münster und ließ zudem bedeutende Kunstwerke des Essener Münsterschatzes anfertigen. Über Essen hinaus war Theophanu wirksam als Äbtissin von Gerresheim und als Mitglied der ezzonischen Pfalzgrafenfamilie. Bekannt ist das so genannte Testament der Äbtissin Theophanu.
Mathilde (982-1025), eine Tochter Kaiser Ottos II. (Regierungszeit 973-983) und der byzantinischen „Prinzessin aus der Fremde“ Theophanu, heiratete vor dem Jahr 1000 den rheinischen Pfalzgrafen Erenfrid (Ezzo), wodurch die am Nieder- und Mittelrhein bedeutende pfalzgräfliche Familie in eine unmittelbare Verwandtschaft zu den ottonischen Königen und Kaisern rückte. Ezzo galt daher nach dem Tode Kaiser Ottos III. (Regierungszeit 983/984-1002), des Bruders der Mathilde, durchaus als ein Anwärter auf den Königsthron, doch setzte sich der bayerische Herzog Heinrich (II.) als Herrscher (Regierungszeit 1002-1024) durch. Politischen Spannungen folgte der Ausgleich von circa 1016 mit der Übertragung des Reichsgutkomplexes um Kaiserswerth (heute Stadt Düsseldorf) und Duisburg an den Pfalzgrafen. Erenfrid und Mathilde gründeten nach 1024 das ezzonische Hauskloster Brauweiler (heute Stadt Pulheim). Ihrer Ehe entstammten insgesamt zehn Kinder: die Söhne Ludolf, Otto, der spätere Pfalzgraf (als Otto II., Regierungszeit 1034-1045) und Herzog von Schwaben (als Otto III., Regierungszeit 1045-1047), und Hermann (II.), der Kölner Erzbischof (Regierungszeit 1036-1056), die Töchter Richeza die polnische Königin, Adelheid, Theophanu, Heylwigis, Mathilde, Sophia und Ida. Zweifellos wurde die jüngere Theophanu nach ihrer Großmutter, der Kaiserin Theophanu, benannt. Als Geburtsjahr kann für sie, die wohl zu den älteren Kindern Ezzos und Mathildes zählte, die Zeit um 997 angenommen werden.
Die um die Mitte des 9. Jahrhunderts gegründete Frauengemeinschaft (Frauen-, Damenstift) Essen hatte als eine eng mit Königtum und Reichskirche verbundene geistliche Kommunität unter den Äbtissinnen Mathilde, einer Enkelin Kaiser Ottos I. des Großen (Regierungszeit 936-973), und Sophia (Regierungszeit 1011-1039) eine kulturelle Glanzzeit erreicht. Mathilde wird in Verbindung gebracht mit der Errichtung des berühmten Essener Westwerks; unter ihr entstanden so bedeutende Kunstwerke wie die Goldene Madonna oder der Siebenarmige Leuchter. Theophanus Vater Ezzo war Vogt der linksrheinischen Besitzungen des Essener Frauenstifts. Sie selbst hatte vielleicht in Essen die christliche Erziehung und geistliche Ausbildung einer adeligen Sanktimonialen genossen, wurde jedenfalls im Jahr 1039 dort zur Äbtissin gewählt und folgte damit ihrer Tante Sophia nach, der Schwester ihrer Mutter.
Zwei königliche Privilegierungen für das Essener Frauenstift sind aus der Zeit der Äbtissin Theophanu überliefert. Ein Diplom König Heinrichs III. (Regierungszeit 1039-1056) vom 13.6.1041, ausgestellt in Essen und als Originaldiplom erhalten, wies auf Intervention des Kölner Erzbischofs Hermann II. der Äbtissin das Recht zu, einen sechstägigen Jahrmarkt in Essen um den Festtag der Stiftsheiligen Cosmas und Damian (27. September) abzuhalten. Die mit dem Jahrmarkt verbundenen Einkünfte standen der Frauengemeinschaft zur Verfügung, der Jahrmarkt trat an die Seite eines sicher schon bestehenden Nahmarktes zur Versorgung des Essener Stiftsfrauen und Kanoniker. Markt und Marktrecht, der Schutz von Händlern und Gewerbetreibenden, sollten dann eine der Wurzeln darstellen, aus denen sich die Siedlung Essen im topographischen Vorfeld der Frauengemeinschaft zur hochmittelalterlichen Stadt entwickeln sollte. Wahrscheinlich auf Theophanu zurück geht die Essener Marktkirche, die Gertrudiskirche. Hier scheinen Beziehungen zu Theophanus Schwester Adelheid, der Äbtissin von Nivelles (gestorben nach 1023), und zur Heiligen Gertrud von Nivelles auf.
Das zweite Diplom Kaiser Heinrichs III. vom 17.11.1054, abschriftlich und verfälscht überliefert, verfügt die Schenkung von zehn Mansen (mit Hörigen und Zubehör) in Westfalen an das Essener Frauenstift. Die Schenkung ist eine Memorialstiftung des Herrschers und stärkte wirtschaftlich die Frauengemeinschaft als Glied der ottonisch-salischen Reichskirche. Dafür hatte die Frauengemeinschaft im Rahmen des servitium regis, des „Königsdienstes“, Leistungen für das Königtum zu erbringen wie Gebetsgedenken, Abgaben und Dienste. Auch der Besuch König Heinrichs III. in Essen im Juni 1041 gehört in diesen Zusammenhang.
In der Amtszeit der Äbtissin Theophanu fanden Umbauten im Chor- und Kryptabereich des Essener „Münsters am Hellweg“, der Kirche der Frauengemeinschaft, statt. Auf Theophanu ging zurück die Erweiterung der Krypta zu einer dreischiffigen Außenkrypta, wie sie so heute noch besteht. Eine in der Krypta angebrachte Inschrift nennt den Weihetag, den 9.9.1051, sowie Theophanu und den die Krypta weihenden Kölner Erzbischof Hermann, ihren Bruder. Eine Inschrift auf dem Deckel eines Reliquienkästchens verweist zudem auf die Weihe des Essener Hochaltars im Jahr 1054 und damit auf die Neugestaltung des Chors unter Theophanu.
Aus der Zeit der Äbtissin Theophanu sind schließlich als Ausdruck der Frömmigkeit noch bedeutende liturgische Gerätschaften und Kunstwerke des Essener Münsterschatzes erhalten geblieben. Der aufwändig mit Gold, Silber und Elfenbein gestaltete Buchdeckel, der einst die Handschrift des heute verschollenen Theophanu-Evangeliars geschützt hat, zeigt am unteren Rand der Vorderseite die Äbtissin, wie sie demütig vor der heiligen Jungfrau Maria niederkniet und dieser das Buch überreicht; eingebunden ist die Dedikationsszene in das heilsgeschichtliche Umfeld der Kreuzigung Christi und das himmlische der Heiligen Petrus und Paulus, Cosmas und Damian, Pinnosa und Walburga. Für das Vortragekreuz und kreuzförmige Reliquiar, das inschriftlich Theophanu als Stifterin nennt, ist charakteristisch ein in der Mitte der Kreuzarme befindlicher ovaler Bergkristall, hinter dem sich Kreuzreliquien befinden, sowie die Verzierung durch 18 Emailtäfelchen. Theophanu ließ auch zwei auf ihre Vorgängerin Mathilde zurückgehende Kunstwerke vollenden, ein Vortragekreuz („jüngeres Mathildenkreuz“) sowie einen nicht mehr erhaltenen Schrein für die Reliquien des heiligen Marsus.
Nach einer in der (Düsseldorf-) Gerresheimer Frauengemeinschaft überlieferten Notiz war Theophanu auch Äbtissin von Gerresheim. Die dortige Frauengemeinschaft lässt sich ins letzte Drittel des 9. Jahrhunderts zurückverfolgen. Um 919 wurde die Kommunität von den Ungarn heimgesucht. Für das Gerresheimer Stift, das 922 dem Kölner Erzbischof unterstellt wurde, begann eine Zeit des mühsamen Wiederaufbaus, der mit der Weihe der Stiftskirche (970) einen gewissen Abschluss fand. Zum 12.4.977 sicherte Kaiser Otto II. auf Intervention seiner Ehefrau, der Kaiserin Theophanu, der Kommunität die Verfügung über den Gerresheimer Zoll zu. Im 11. Jahrhundert erscheint die Kommunität als weitgehend wirtschaftlich konsolidiert. Die erwähnte, auf 1056/1058 zu datierende Notiz berichtet nun von einer Stiftung der Äbtissin Theophanu betreffend die Bekleidung der Gerresheimer Sanktimonialen und eine zusätzliche Versorgung mit Fisch.
Nicht zuletzt eingebunden waren Theophanu und die ihr unterstellten geistlichen Kommunitäten in das Netzwerk ezzonischer Macht- und Familienpolitik an Nieder- und Mittelrhein. Das Kölner Erzbistum leitete der ezzonische Erzbischof Hermann II., einige Frauengemeinschaften unterstanden den Geschwistern Hermanns. Neben Theophanu sind Heylwigis (gestorben 1076), Äbtissin des Quirinusstifts in Neuss, Mathilde (gestorben nach 1021), Äbtissin des Frauenstifts Vilich (heute Stadt Bonn), und Ida (gestorben um 1060), Äbtissin der Kölner Frauengemeinschaft St. Maria im Kapitol, zu nennen. Einen Einbruch in die ezzonischen Positionen am Niederrhein bedeutete zweifellos der zwischen Pfalzgraf Otto II. und König Heinrich III. vereinbarte Rücktausch von Duisburg und Kaiserswerth (1045), während die benachbarte Duisburg-Kaiserswerther Grafschaft zwischen Rhein, unterer Ruhr und Wupper weiterhin in der Verfügung der (nunmehr hezelinidischen) Pfalzgrafen blieb. Das ezzonische Hauskloster Brauweiler wurde einschließlich der Vogtei auf Beschluss Hermanns und seiner Geschwister Richeza und Theophanu dem Kölner Erzbistum übergeben (1051).
Äbtissin Theophanu starb – auch nach Ausweis der mittelalterlichen Nekrologien aus Essen und Gerresheim – an einem 5. März, wahrscheinlich des Jahres 1058. Ihr roter Sandsteinsarkophag wurde neben der Krypta des Essener Münsters entdeckt. Die Aufschrift einer darin aufgefundenen Kalksteinplatte verweist auf die Äbtissin und den Todestag und betont die adelig-kaiserliche Herkunft Theophanus als Enkelin Kaiser Ottos II. Das so genannte Testament der Theophanu, undatiert und wahrscheinlich verfasst in den 1050er Jahren, ist eine große, annähernd quadratische und beidseitig beschriebene Pergamenturkunde und enthält eine Reihe von Stiftungen anlässlich des Todes der Äbtissin. Die Stiftungen dienten der Überwindung von Tod und Vergessen durch Gedenken und Erinnern (memoria) und verpflichteten geistliche Institutionen zu einem systematischen Gebetsgedenken in Form von individuellen Messfeiern an bestimmten Tagen (wie dem Todestag) sowie durch Armenfürsorge und durch die Vergabe von Almosen. Dem Seelenheil der Verstorbenen dienten die Essener Sanktimonialen, Kanoniker und Priester, die Priester am benachbarten Benediktinerkloster (Essen-) Werden an der unteren Ruhr, auch die Kirche (oder eine womöglich auf Theophanu zurückgehende Frauenkommunität?) in (Essen-) Rellinghausen und die Gerresheimer Frauengemeinschaft.
Das Erinnern und Gedenken an Theophanu als Stifterin und Bauherrin blieb in der Essener Frauengemeinschaft auch später gegenwärtig. Der Essener Liber ordinarius, ein Verzeichnis der liturgischen Feiern am Frauenstift aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, führt den Todestag der Äbtissin auf; vier Messen waren abzuhalten und das Grab der Toten zu beleuchten. Das Essener Kettenbuch vom beginnenden 15. Jahrhundert kennt den ersten Donnerstag im März als Gedenktag für Theophanu; an diesem Tag wurden Bier und Brot verteilt. Der Gründungsbericht des Brauweiler Klosters schließlich charakterisiert die Essener Äbtissin Theophanu als von ihren Anlagen her „wie einen Mann“ (virum se moribus agens).
Quellen
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Buhlmann, Michael, Theophanu II, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/theophanu-ii/DE-2086/lido/57c93dda49d1d4.02269508 (abgerufen am 19.08.2024)