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Amöneburg (Kreis
Marburg-Biedenkopf)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Amöneburg
bestand eine jüdische Gemeinde bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Bereits im
Mittelalter lebten unter dem Schutz des Erzbischofs von Mainz jüdische
Personen in Amöneburg. Erste jüdische Einwohner lassen sich im 14. Jahrhundert
nachweisen (1324-25). 1429 waren es fünf, sechs oder mehr jüdische Personen
beziehungsweise Familien, 1451 mindestens vier Familien. Ein nach Amöneburg
benannter Juden lebte vermutlich in Duderstadt (1434/35). Die jüdischen
Familien lebten überwiegend vom Geldhandel. Andere Gewerbe (wie "brauen,
auszuschenken, Gewand zu schneiden oder sonst Handel (kauffmanschacz) zu
treiben") waren ihnen von Seiten der Stadt verboten. Von einer Vertreibung
der Juden aus Amöneburg ist nichts bekannt.
Die Geschichte der neuzeitlichen Gemeinde geht in das 16./17. Jahrhundert zurück.
In den Kellereirechnungen der Stadt werden Juden ab 1587 erwähnt. Auch
nach dem Dreißigjährigen Krieg lebten regelmäßig fünf jüdische Familien im
Amt Amöneburg, zwei davon in Amöneburg selbst (so 1659, 1739, 1742:
jeweils zwei jüdische Familien). Anfang des 18. Jahrhunderts wird erstmals ein
Vertreter der Familie Strauss genannt. Die Familie hatte später ein
Gemischtwarengeschäft am Marktplatz, bis sie nach Marburg verzogen ist.
Im 19. Jahrhundert machte die jüdische Bevölkerung noch zeitweise einen
Bevölkerungsanteil von bis zu 9 % aus: 1827 59 jüdische Einwohner, 1855 74 (10
Familien), 1859 86 (13 Familien), 1867 79, 1895 29, 1925 8 jüdische Einwohner.
Um 1900 löste sich die Gemeinde durch die zuvor erfolgte starke Abwanderung
(insbesondere nach Kirchhain, Marburg usw.) auf. Die hier noch lebenden beiden jüdischen
Familien gehörten nun zur Gemeinde in Kirchhain.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule und ein rituelles Bad. Die Toten der Gemeinde wurden im jüdischen
Friedhof in Kirchhain beigesetzt. Zur
Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war zeitweise ein Religionslehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (vgl.
Ausschreibung von 1893 unten). Bis 1835 war als Lehrer in Amöneburg der aus Rhina
stammende David Lissard tätig. Nachdem er 1835 nach Kirchhain
wechselte, besuchten die jüdischen Kinder von Amöneburg die jüdische
Elementarschule in Kirchhain. Lehrer
David Lissard war bis 1874 Lehrer in Kirchhain, danach war er in der Umgebung
weiterhin als Beschneider / Mohel tätig. 1884 konnte er sein 50-jähriges
Dienstjubiläum als Mohel feiern (siehe Bericht unten).
Die Gemeinde gehörte zum Provinzialrabbinat Oberhessen mit Sitz in Marburg.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Moses Max Windheil
(geb. 29.4.1883 in Amöneburg, vor 1914 in Gießen wohnhaft, gef. 26.11.1917).
Um 1924 lebten noch sieben jüdische Personen in Amöneburg, die zur jüdischen
Gemeinde in Kirchhain gehörten. 1933 lebten noch Angehörige der
Familie Stern sowie Frieda Heching in Amöneburg. In den folgenden Jahren sind einige von ihnen auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert.
Von den in Amöneburg geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Ida Jetchen
Bär geb. Strauß (1866), Erna Hammerschlag (1885), Friedrich (Fritz Nathan)
Hammerschlag (1887), Siegfried Hammerschlag (1887), Toni Hammerschlag (1896),
Frieda Heching (1894), Helene Lang geb. Stern (1902), Amon Denny Meyer (1941),
Michael Meyer (1899), Recha Meyer geb. Stern (1909), Adolf Stern (1904), Ernestine
Stern geb. Spier (1869), Hildegard Stern geb. Steinmann (1917), Pinchas Uri
Stern (1941), Recha Stern geb. Stern (1909), Isaak Strauss (1870), Sally Strauss
(1887), Isaak Strauss (1857).
An die ermordeten Mitglieder der Familie Stern erinnert seit dem Jahr 2000 auf
dem Schulhof der katholischen Privatschule (humanistisches Gymnasium) Stiftsschule
St. Johann, Rentereigasse in Amöneburg ein kleines Denkmal (Basaltsäulen
unterschiedlicher Größe in Bezug zu den unterschiedlichen Generationen) und
eine Tafel mit der Inschrift: "Hier lebte die jüdische Familie Stern,
deren Mitglieder außer Siegfried Stern in Konzentrationslagern des Dritten
Reiches umgekommen sind. Möge ihr Leid eine dauernde Mahnung zu
Mitmenschlichkeit sein". Zur Einweihung des Denkmals im Jahr 2000 kamen die
Witwe (zweite Frau) von Siegfried Stern, ihre vier Kinder und weitere zehn
Familienangehörige aus den USA (weiteres zur Geschichte der Familie Stern
siehe unten bei "Erinnerungsarbeit vor Ort").
Am 31. Mai 2011 wurden in Amöneburg "Stolpersteine" verlegt
zur Erinnerung an Esther Stern geb. Spier (1869), Hildegard Stern geb. Steinmann
(1917), Pinchas Uri Stern (1940), Recha Meyer geb. Stern (1909), Michael Meyer
(1899), Amon Denny Meyer (1941), Frieda Heching (1894), Siegfried Stern
(1905).
Vgl. zur Verlegung der "Stolpersteine" Pressebericht
unten.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet
1893
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. April 1893: "Die
Religionslehrerstellen 1. in Breidenbach mit einem festen Einkommen von
720 Mark, freier Wohnung und Feuerung, 2. in Rauschenberg mit einem festen
Einkommen von 700 Mark und freier Wohnung, 3. in Amöneburg mit einem
festen Einkommen von 600 Mark und freier Wohnung sind zu besetzen.
Bewerber wollen ihre Meldungen und Zeugnisse baldigst dem Unterzeichneten
einsenden. Marburg, 16. April 1893. Der Provinzialrabbiner Dr. Munk." |
Lehrer David Lissard ist verstorben (1891)
Aus
einem Artikel in "Der Gemeindebote" vom 21. August 1891: "Schließlich
gedachte der Jahresbericht in recht warmen Worten der beiden im verflossenen
Jahre verstorbenen Kollegen Lissard - Amöneburg und Davidsohn -
Helmarshausen." |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum 50jährigen Dienstjubiläum von
Herrn Lissard als Mohel (Beschneider) (1884)
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. März 1884: "Danksagung.
Amöneburg. Gestern, 6. Januar, wurde ich durch mehrere Vorstände
und Mitglieder der hiesigen und verschiedener Nachbargemeinden, unter
Vorantritt des Provinzial-Rabbiners Herrn Prof. Munk aus Marburg überrascht,
die als deputiert erschienen, mir im Namen zahlreicher Israeliten des
Kreises und der Provinz Glück zu wünschen, als heute fünfzig Jahre
fungierenden Mohel (Beschneider). Unter kurzer, aber höchst sinnvoller
Ansprache, überreichte mir Herr Dr. Munk, ein prächtiges, wertvolles Mohel-Besteck,
seitens der auswärtigen Gemeinden und einzelner Israeliten, während von
den hiesigen mir gleichzeitig ein Etui mit Silberzeug verehrt wurde.
Von
dieser so unerwarteten als für mich höchst ehrenvollen Ovation tief
inniglich gerührt, fühle ich das Bedürfnis, den hiesigen und auswärtigen
beteiligten zusammen, meinen herzinniglichen Dank auszusprechen…
Lissard". |
Zum Tod von Baruch Strauß
(1879)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Oktober 1879: "Amöneburg
(Provinz Hessen). Heute, am Rüsttage zum Sukkotfeste, starb morgens 8 Uhr
nach dreiwöchentlichem Krankenlager in seinem 80. Lebensjahre der Senior
der weithin bekannten Firma 'Gebrüder Strauß', Baruch Strauß
dahier. Wie im engeren und weiteren Familienkreise sein Heimgang eine
schmerzlich empfindliche Lücke verursache, so wird dieses in Bezug auf
die Gemeinde nicht minder betrübend empfunden. Mit seinem selbständigen
Eintritt in die hiesige religiöse Gemeinde begann dieselbe erst diesen
Namen zu verdienen, die sich dann unter seiner Leitung schöner entfaltete
und eine lange Reihe von Jahren Nahen und Fernen Achtung einflößte.
Langjähriger Vorsteher der Gemeinde und des Kreises hat er überall bei
Wahrung seiner Dienstpflichten, Frieden zu stiften und zu erhalten, als
Lieblingsmotiv seines Wirkens zu betätigen gesucht. Familie und Gemeinde
haben und hatten alle Ursache im Sinne des Bibelwortes sagen zu können 'es segne dich der Ewige…' Gottes Segen war an uns sichtbar bei
Deinem Eintritt ins familiäre, geschäftliche und religiöse Leben.'
Streng religiös und genau in der
Beachtung der Gebote war er hier der fleißigste Besucher des
Gotteshauses, und zwar noch, bis vor wenigen Wochen. Wohltätigkeit übte
er in ausgedehntem Maße. Als einer der
die Tora liebte und
die
sie Lernenden unterstützte
hat er oft innig bedauert, selbst nicht lernen zu können. Seine Kinder
hat er stets zu streng religiösem Lebenswandel angehalten und an seinem
Sterbebette die Freude gehabt,
neben seinen Töchtern, fünf Söhne, unter denen ein Rabbiner, versammelt
zu sehen. Möge dieses fünfstimmige Kadisch-Gebet,
vereint mit seinen vielfachen, im Leben geübten guten Werken, ihn einführen
in den Kreis der Frommen und Seligen." |
Anmerkung: nach der Dokumentation
von Kurt Schubert: Juden in Kirchhain. 1987 ist in Kirchhain kein
Grabstein für Baruch Strauß vorhanden. Das Grab von Baruch Strauß lag vermutlich auf der 1941 abgeräumten Fläche des
Friedhofes. |
Zum Tod von Veilchen Strauß geb. Levi
(1884)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Januar 1884: "Amöneburg
(Hessen). Am 9. dieses Monats, am 11. Tewet, ist die Ehefrau des
Großhändlers J. H. Strauß, Veilchen geb. Levi, in noch nicht
vollendetem 84. Lebensjahre nach kaum 10tägigem Krankenlager dahier
gestorben.
Schon im väterlichen Hause, durch ihre Bescheidenheit, ihre Sanftmut,
ihren Fleiß, von Allen, die sie kannten, verehrt, als eine Zierde der
Familie, hat sie diese Tugenden nicht nur in höherem Maße auch mit in
das eheliche Leben gebracht, sondern auch die sprechendsten Beweise
geliefert, dass diese ihren wahren Grund ihre Quelle in reiner Frömmigkeit
und wahren Gottesfurcht hatten, sodass ihr das Prädikat einer gottesfürchtigen
Frau mit vollem Rechte gebührte.
In ihrem kurzen, aber schmerzvollen Krankenlager, in dem Gefühle, dass
Heilung, ungeachtet aller außerordentlich aufgebotenen Mittel nicht zu
erhoffen sei, hat die Verblichene, jede schmerzenfreie Stunde zum Troste
ihrer Angehörigen, namentlich ihres Gatten und ihrer beiden Kinder, denen
sie ihren letzten Segen erteilte, ohne Erregung und mit aller Kraft ihrer
Beredsamkeit, ergeben in den Willen Gottes, benutzt.
Ihre letztwillige Bestimmung, die ihr wohl die wichtigste war, galt ihren
Kindern: Erziehet meine, unsere Kinder, zu gottesfürchtigen Jehudim!
Fromm und ehrenvoll wie ihr Leben, war auch ihr Sterben.
Ihre Bestattung gab Zeugnis von der großen Teilnahme und Sympathie,
welche sie bei allen bekannten in ihrem Leben genoss und hielt Herr Lißard,
Schriftgelehrter, am Sarge in Amöneburg eine tief ergreifende Trauerrede
und Herr Rabbiner Dr. Munk solche am Grabe in Kirchhain.
Man kann dieser wackeren Frau mit Recht nachrufen: 'gebt ihr von den Früchten
ihrer Hände und preist in den Toren ihre Taten'
Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Anmerkung: nach der
Dokumentation von Kurt Schubert: Juden in Kirchhain. 1987 ist in Kirchhain
kein Grabstein für Veilchen Strauß geb. Levi vorhanden. Das Grab von
Veilchen Strauß geb. Levi lag vermutlich auf der 1941 abgeräumten
Fläche des Friedhofes. |
Zum Tod des Großhändlers und
Kreisvorsteher Abraham Strauß (1889)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. April 1889: "Amöneburg
(Hessen). Heute, am 7. Nissan wurde der vorgestern in seinem noch nicht
vollendeten 77. Lebensjahre sanft entschlafene Großhändler und
Kreisvorsteher Herr Abraham Strauß dahier zur ewigen Ruhe bestattet; den
Leichenkondukt bildete ein überaus zahlreiches Geleite von leidtragenden
Israeliten und Nichtisraeliten aus Nah und Fern.
Mitinhaber der rühmlich bekannten Großhandlungs-Firma 'Gebrüder Strauß'
hat er über ein halbes Jahrhundert durch Fleiß, Umsicht und strenge
Rechtlichkeit den begründeten Namen und Ruf derselben zu erhalten
und zu erhöhen gestrebt.
In seiner Familie, in der Gemeinde und in seinem mehrjährig verwalteten
Amte als Vorsteher des Kreises, seiner Obliegenheiten und Pflichten
bewusst, hat er diesen gemäß stets gehandelt.
Gegen Arme und Hilfsbedürftige war er wohltätig und zwar nicht bloß
gegen diejenigen, die seine Hilfe und Unterstützung nachsuchten, sondern
er war auch bemüht in Nah und Fern sog. verschämte Arme zu entdecken,
denen er regelmäßig spendete. Religiosität war stets der Leitstern
seines Lebens und Handels... Seine
Seele sei eingebunden im Bund des Lebens." |
Anmerkung: nach der Dokumentation
von Kurt Schubert: Juden in Kirchhain. 1987 ist auf dem Kirchhainer
Friedhof kein Grabstein für Abraham Strauß vorhanden. Das Grab von
Abraham Strauß geb. Levi lag vermutlich auf der 1941 abgeräumten
Fläche des Friedhofes. |
Zur Geschichte der Synagoge
Bereits in früheren
Jahrhunderten dürfte eine Betstube in einem der jüdischen Häuser
vorhanden gewesen sein. Das bis heute erhaltene Gebäude, in dem um 1860
der Betsaal der jüdischen Gemeinde eingerichtet wurde, gehörte der Familie
Stern. Es handelt sich beim Haus der Familie Stern um ein zweigeschossiges
Haus mit einem großen geschweiften Walmdach innerhalb der Stadtmauer unweit des
Marktplatzes. Gottesdienste wurden nach Auflösung der Gemeinde (um 1900)
vermutlich nicht mehr in diesem Gebäude abgehalten.
Das Gebäude ist bis heute als Wohnhaus erhalten.
Adresse/Standort der Synagoge: Mittelgasse
1
Fotos
(Foto: Hahn, Aufnahmedatum 3.2008; Foto des Hauses
Strauss aus Arnsberg Bilder S. 15.)
Die ehemalige Synagoge |
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Stammhaus der Familie
Strauss
am Marktplatz in Amöneburg (um 1900) |
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Vertreter der
Familie Strauss werden in obigen Berichten mehrfach genannt |
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
2000/2010:
Das Denkmal für die Familie Stern
auf dem Grundstück der Stiftsschule
(Texte und Dokumente erhalten von Reinhard Forst)
Anmerkung: Siegfried Stern und Minna Stern geb. Buxbaum (aus
Neuhof) hatten als einzige ihrer Familien
die Konzentrationslager der NS-Zeit überlebt. Dort hatten sich beide
kennengelernt. Nach dem Krieg kamen sie nach Amöneburg, dem Heimatort von
Siegfried Stern und lebten hier bis 1951, bevor sie und die Kinder Uri und
Ruth nach Amerika auswanderten. Siegfried Stern starb 1998. Das Haus der
Sterns stand auf einem Teil des heutigen Schulgeländes der Stiftsschule. Aus
diesem Grund wurde auf dem Schulgelände 2000 ein Denkmal zur Erinnerung an
die Familie Stern aufgestellt und eingeweiht.
Text von Reinhard Forst: "Wie überlebte Siegfried
Stern?
Siegfried war Mitglied des Amöneburger Turnvereins. Er war ein junger
durchtrainierter Mann, als er von Amöneburg abtransportiert wurde.
Wahrscheinlich war dies ein Grund, weshalb er Hunger, Quälereien und die
ungeheuren Belastungen der Verfolgung aushielt. Aber trotzdem hätte das
allein für das Überleben nicht ausgereicht. Minna, seine zweite Frau,
berichtete uns im Mai 2000 im persönlichen Gespräch, was ihr Mann ihr
erzählt hatte: Nach seinem Abtransport nach Riga in Lettland war er
schließlich in das KZ Buchenwald bei Weimar gekommen. Als sich absehen ließ,
dass die Fronten näher kamen, wurden viele Gefangene und Zwangsarbeiter nach
Böhmen abtransportiert. In einem solchen Transport mit Zwangsarbeitern, die
in Leipzig arbeiteten, befand sich auch Siegfried Stern. Ein Aufseher im Zug
der Gefangenen war offenbar mit ihm ins Gespräch gekommen. Er sagte ihm und
einem Freund, es komme bald eine Steigung, bei der der Zug langsamer fahren
werde. Sie sollten abspringen. Er werde schießen, sie aber nicht treffen.
Und so geschah es. Bei der Flucht sahen sie in einem Wald einen etwa
12-13jährigen Jungen mit einem Fahrrad. Er sah auch sie. Nun befürchteten
sie, dass er die Polizei holen werde und suchten deshalb ein Versteck. Sie
verkrochen sich unter den Ästen eines Nadelbaums, die bis auf die Erde
reichten. Tatsächlich kam Polizei mit Spürhunden. Aber zwischenzeitlich
hatte ein heftiger Regen eingesetzt, und die Hunde konnten die Witterung
nicht aufnehmen. Im Stall eines Bauern gelang es ihnen, abgetragene Kleidung
zu finden, so dass sie nicht mehr an ihrer Sträflingskleidung erkennbar
waren. Einige Tage arbeiteten sie bei einem Bauern gegen Verpflegung. Sie
gaben sich als Ausgebombte aus Frankfurt aus. Dann gelang es ihnen, in einer
Stadt (offenbar in Franken) eine tägliche Mahlzeit für Ausgebombte zu
erhalten. Eines Tages blieb der Freund von Siegfried viel länger weg als
üblich. Siegfried war überzeugt, dass man herausgefunden hat, wer sie
wirklich sind und dass nun alles aus ist. Der Freund kam aber zurück und
sagte nur: 'Siegfried, der Krieg ist aus.'
Siegfried Stern kehrte nach Amöneburg zurück. Ihm wurde klar, dass weder
seine Frau, noch sein kleiner Sohn noch irgendjemand aus seiner Familie
überlebt hatte. In Frankfurt traf er mit einem Mädchen zusammen, Minna
Buxbaum, die auch ihre Eltern verloren hatte. Er hatte sie in der Zeit der
Verfolgung kennengelernt. Sie heirateten, hatten in Amöneburg zwei Kinder
und wanderten dann in die USA aus. Zur Einweihung des Denkmals im Mai 2000
kam Minna Stern mit den Familien ihrer vier Kinder nach Amöneburg. Siegfried
Stern war in der Zeit zwischen dem Beschluss zur Errichtung des Denkmals und
seiner Umsetzung gestorben." |
Artikel
in der "Oberhessischen Presse" vom 10. Mai 2000:
"Stiftsschule Amöneburg setzt Zeichen gegen das Vergessen. Denkmal
für die jüdische Familie Stern eingeweiht - Wiedersehen nach 50 Jahren..."
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung anklicken.
|
Aus der Begrüßungsrede von Reinhard Forst,
Lehrer an der Stiftsschule, bei der Einweihung im Mai 2000: "Einführung.
Während des Dritten Reichs lebten in der jetzigen Großgemeinde Amöneburg
jüdische Familien in Roßdorf, Mardorf und Amöneburg. Eine dieser Familien
war die Familie Selig Stern ('Seligs'), die ein Haus in Amöneburg an der
damaligen Kirchgasse besaß, in dem Bereich, wo jetzt das Benedikt-Haus der
Stiftsschule steht. Einige Personen aus den jüdischen Familien der jetzigen
Großgemeinde Amöneburg hatten sich rechtzeitig retten können. Von der
Familie Selig Stern überlebte aber nur Siegfried Stern. Alle anderen
Familienmitglieder, auch diejenigen, die Amöneburg wegen Heirat oder aus
beruflichen Gründen früher verlassen hatten, wurden Opfer der
Judenverfolgung. An die Familienmitglieder, die bis zur Deportation oder
kurz davor in Amöneburg lebten, erinnern diese Basaltsäulen (links vom
B-Eingang). Die Stiftsschule möchte mit diesem Denkmal mithelfen, dass es
den Verfolgern von damals nicht gelingt, auch die Erinnerung an die Opfer
auszulöschen. Und sie möchte sich selbst und alle Menschen daran erinnern,
dass man sich dem Unrecht und der Geringschätzung anderer Menschengruppen
schon in den Anfängen widersetzen muss. Deshalb steht auf der Gedenktafel:
Hier lebte die jüdische Familie Stern, deren Mitglieder außer Siegfried
Stern in Konzentrationslagern des Dritten Reichs umgekommen sind.
Möge ihr Leid eine bleibende Mahnung zu Mitmenschlichkeit sein."
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Dazu Beitrag von Reinhard
Forst:
Ein Brückenschlag. Einweihung des Denkmals für Familie Stern.
(als pdf-Datei eingestellt)
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Artikel
von Alfons Wieber in der "Oberhessischen Presse" vom 16. November 2010:
"Stiftsschüler gedenken ermordeter jüdischer Familie. Seit zehn
Jahren erinnert Mahnmal an Holocaust-Opfer..."
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung anklicken.
Artikel auch in der Website der Stiftsschule St. Johann
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Beitrag in der Website der
Stiftsschule St. Johann: "Unsere
Schule. Gedenkfeier für Familie Stern..." (Über die Gedenkfeier
2010, mit Fotos) |
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Mai
2011: Verlegung von
"Stolpersteinen" in Amöneburg |
Artikel
von Florian Lerchbacher in der "Oberhessischen Presse" vom 31.
Mai 2011: "Eine Verneigung vor den Opfern.
Amöneburg ist die europaweit 647. Gemeinde, in der 'Stolpersteine' an die
Opfer der Nazi-Zeit erinnern.
Seit gestern erinnern 19 Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig an
fünf Stellen in Amöneburg, Roßdorf
und Mardorf an die jüdischen Opfer der
Nazi-Zeit..."
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung
anklicken
Vgl. Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Amöneburg |
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Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Germania Judaica III,1 S. 16. |
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 43. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 15 (Haus Strauss). |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 101-102. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 85 (keine weiteren
Informationen) |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S.
145-146.
|
| Verschiedene Beiträge zur jüdischen Geschichte erschienen
in der Reihe: "Amöneburger Blätter - Beiträge und
Mitteilungen des Amöneburger Museums zur Geschichte Landschaft und
Volkskunde", u.a. in:
1988 Heft 2: "Ein jüdischer Heiratsvertrag aus dem Jahre
1787"
1988 Heft 4: "Die sog. 'Reichskristallnacht von 8./9. Nov. 1938 - und
was damals bei uns geschah."
1993 Heft 4: "Siegfried Stern - Der Schicksalsweg einer Amöneburger
Judenfamilie (1)"
1994 Heft 1: Fortsetzung von "Siegfried Stern - .... (2)". |
| Barbara Händler-Lachmann / Ulrich Schütt:
"unbekannt verzogen" oder "weggemacht". Schicksale der
Juden im alten Landkreis Marburg 1933-1945. Marburg 1992. |
| Barbara Händler-Lachmann / Harald Händler
/Ulrich Schütt: 'Purim, Purim, ihr liebe Leut, wißt ihr was Purim
bedeut?' - Jüdisches Leben im Landkreis Marburg im 20. Jahrhundert. Marburg
1995. |
| Alfred Schneider: Die jüdischen Familien im
ehemaligen Kreise Kirchhain. Beiträge zur Geschichte und Genealogie der
jüdischen Familien im Ostteil des heutigen Landkreises Marburg-Biedenkopf
in Hessen. Hrsg.: Museum Amöneburg. 2006.
|
n.e.
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