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Raibach (Stadt
Groß-Umstadt, Kreis Darmstadt-Dieburg)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Raibach bestand eine
kleine jüdische Gemeinde bis um 1870/80. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17./18.
Jahrhunderts zurück. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts sind Juden am Ort
nachweisbar, die unter dem Schutz der Freiherren von Reibold standen.
Die Zahl der jüdischen Einwohner stieg bis in die 1830er-Jahre an: 1835
waren 53 Personen, d.h. 8,8 % der Einwohnerschaft jüdischen Glaubens (insgesamt
602 Einwohner). Wie aus dem unten stehenden Aufruf des Gemeindevorstandes von
1865 für Moses Sänder in Klein-Umstadt zu
schließen ist, gehörten die in Klein-Umstadt lebenden jüdischen Familien zur
Gemeinde in Raibach (nach Auflösung der Raibacher Gemeinde zur Gemeinde in
Groß-Umstadt).
Die jüdischen Familien lebten hauptsächlich vom Viehhandel, aber auch vom
Handel mit landwirtschaftlichen Produkten oder Spezereiwaren.
An Einrichtungen war eine Synagoge (s.u.), vermutlich auch eine Mikwe und
eine Schule (Raum für den Religionsunterricht) vorhanden.
In den 1850er-Jahren waren noch etwa zehn jüdische Familien am Ort. 1858
werden als Vorsteher Abraham Rapp, Herz LIchtenstein und Josef Sternberg
genannt. 1863 war als Religionslehrer Michael Wormser in der Gemeinde tätig,
der Sohn des bedeutenden Seckel Löb Wormser (Baalschem) aus Michelstadt.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wanderten die jüdischen Familien überwiegend
nach Groß-Umstadt beziehungsweise in
andere Orte ab. Der letzte jüdische Einwohner Raibachs war vermutlich Zodeck
Rapp; er wurde am 12. September 1881 im jüdischen Friedhof in Dieburg
beigesetzt. Rapp war der häufigste jüdische Familienname am Ort.
Nach Auflösung der jüdischen Gemeinde waren die noch am Ort und die in
Klein-Umstadt lebenden jüdischen Einwohner der Gemeinde in Groß-Umstadt
zugeteilt worden.
Von den in Raibach geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen
Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Jettchen
Mayer geb. Rapp (1869), Gustav Rapp (1862), Lina Würzburger geb. Lichtenstein
(1866).
Berichte aus
der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Spendenaufruf für die Familie von Moses Sänder in
Klein-Umstadt (1865)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. März 1865: "Menschenfreunde!
Glaubensgenossen! Wenn wir mit einer herzlichen, dringenden Bitte
vor Euch treten, so gilt es der Rettung einer am Abgrund stehenden,
verzweifelnden Familie. Ohne die Hilfe edler Menschen ist sie dem
Untergange verfallen.
Moses Sänder in Klein-Umstadt, unserer Synagoge angehörend, ein braver
Mann, ist an den siebziger Jahren. Seine Frau verschied nach langen,
schweren Leiden! ebenso deren Bruder, eine Stütze der Verwandten. Zwei
Kinder sind ihm geblieben: ein unmündiges Töchterlein, das
schwächlicher Natur ist, ein Sohn in höherem Alter, aber geistig wie
körperlich total zerrüttet, unfähig zur geringsten Arbeit, sodass beide
dem alten, kranken Vater zur Last fallen. Derselbe ist durch die enormen
Kosten der Krankheit und Beerdigung seiner Angehörigen, durch die
gänzliche Hilflosigkeit seiner bedauernswürdigen Kinder, durch
Fehlschlagen aller Hoffnungen und Unternehmungen, durch eigenes hohes
Alter und Schwäche - pekuniär so zurückgekommen, dass er sich nicht
mehr zu helfen weiß. Sein Häuschen - seine einzige Zufluchtsstätte -
ist mit 600 Gulden belastet und soll ihm in 14 Tagen verkauft werden.
Würde das geschehen, so wäre er obdachlos: denn des Sohnes Zustand ist
derart, dass niemand sie in Miete nehmen wird, bei dem Mangel dortiger
Glaubensgenossen. Wir in der Nähe haben die Verlassenen - wie wir
es auch bei anderen getan - schon bisher unterstützt, sind aber unserer
zu wenig und zu geringen Vermögens, als dass wir allein diese arme
Familie vor dem nahenden Verderben bewahren könnten. Einige hundert
Gulden reichen hin. Darum wenden wir uns an Euch, ihr teuren,
beglückteren Brüder und Schwestern, und bitten Euch um Gottes- und
unserer Heiligen Religion willen: Helfet durch milde Gaben den
Unglücklichen, ihr Häuschen, ihre Existenz, ihr Leben retten! Wer
schnell gibt, der gibt doppelt. Gottes Segen begleite unser schwaches
Wort, unsern dringenden Hilferuf, und öffne reichlich für die Linderung
der großen Not Eure Herzen und Hände!
Raibach bei Dieburg
(Großherzogtum Hessen, den 18. März 1865). Der israelitische
Vorstand. J. Rapp L. Rothschild Herz Lichtenstein.
Der löbliche Vorstand zu Raibach ersucht uns, die Gaben entgegen zu
nehmen. Da wir jedoch bereits zu viele Kassen zu verwalten haben, so
bitten wir die Herren Geber, die etwaigen Gaben direkt an den löblichen
Vorstand zu Raibach gelangen zu lassen. Die Redaktion." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. August 1865:
"Für Moses Sänder in Klein-Umstadt sind bei der Redaktion
folgende Spenden eingegangen:
Ungenannter in Belgard 3 Thaler. Durch J.L. Schönfärber in Dornheim
gesammelt: von Pfeifer Schönfeld dahier 1 fl., von Ignaz Schönfeld 1
fl., von David Hausmann 1 fl., von Mayer Schönfeld 30 kr., von Helene
Hausmann 48 kr., von ihm selbst 1 fl.; zus. 5 fl. 18 kr. Sophie
Offenbacher in Fürth 2 fl. 45 kr. -
Herz Lichtenstein dort 30 kr., Isaak Rapp dort 30 kr., Zodik Rapp 30 kr.,
Marx Ney von Oberklingen 1 fl., L. aus Mainz 36 kr., J.S. in Freidlingen
und ein Ungenannter 2 fl. 15 kr., durch Lehrer Moses Strauß von
Raibach von S. Eisenmann aus Frankfurt am Main 1 fl. 45 kr., ein
Ungenannter in Schweinshaupten 3 fl. 30 kr., durch Lißmann Fürth von
Hanau gesammelt von S.D. Fürth 1 fl., Anselm Fürth 2 fl Moses Fürth 1
fl. 30 kr., Isaak Stern 1 fl., Wolf Stern 48 kr., von ihm selbst 2 fl. 42
kr. K. Grünebaum von Wiesenfeld, Bayern, 1 fl., Anschel Rapp aus
Hetzschbach 1 fl.; Übertrag aus Nr. 18 des 'Israelit' 105 fl. 59 kr.;
zus. 127 fl. 35 kr., abz. Porto 127 fl. 26 kr. -
Im Namen des Unglücklichen drücke ich allen edlen Gebern den
tiefgefühlten Dank aus. Möge der Geber alles Guten Sie vielfach dafür
belohnen! - Doch muss ich nochmals meine Bitte allein Glaubensgenossen
dringend ans Herz legen, die Nationaltugend der Mildtätigkeit auch hier
zu beweisen. Denn es tut Not. Da mir nicht hinreichend Mittel zur Verfügung
standen, so wurde des armen Familienvaters Haus verkauft, und er musste es
räumen. Es ist mir zwar gelungen, ein Zimmer für die unglückliche
Familie zu mieten, welches Wohnstube, Schlafkammer und Küche zugleich
ist. Doch ist Gefahr, dass die Hausleute den kranken Sohn und somit die
ganze Familie vor die Türe setzen. Deshalb müssen einige hundert Gulden
beigeschafft werden, um der bedrängten Familie wieder ein eigenes Haus zu
kaufen. Zaudert aber nicht, ihr edeln Männer und Frauen in Israel, helfet
eilig, wer schnell gibt, der gibt doppelt. Bedenket, welch großes
Verdienst es ist, eine ganze Familie vom Verderben zu retten! darum
helfet! Der Vorstand in Raibach: J. Rapp." |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige von Emanuel Rotschild (1859)
Anmerkung: es ist unklar, in welcher Zeitung die Anzeige erschien. Die
Anzeige stammt aus der Sammlung von Hans Peter Trautmann.
Anzeige
in ? vom März 1859: "(Raibach). Unterzeichneter lässt sein dahier
stehendes, neuerbautes einstöckiges Wohnhaus nebst Scheuer und einem
Nebenbau auf den Abbruch verkaufen. Emanuel Rothschild."
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Kennkarten
aus der NS-Zeit |
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Am 23. Juli 1938 wurde
durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von
Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht
eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen
Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch"
galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste
Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt.
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände:
Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV:
Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm.
Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de |
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Kennkarten
zu Personen,
die in Raibach geboren sind |
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KK (Offenbach 1940) für
Jettchen Mayer geb. Rapp (geb.
28. Februar 1868 in Raibach), wohnhaft in Seligenstadt
und Frankfurt; am 1. September 1942 ab Frankfurt in das
Ghetto Theresienstadt deportiert, am 29. September 1942
in das Vernichtungslager Treblinka, ermordet |
KK (Mannheim 1939)
für
Zerline Selig geb. Rapp
(geb. 2. Dezember 1859 in Raibach)
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KK (Frankfurt 1939) für Lehna
Würzburger
geb. Lichtenstein (geb. 7. Februar 1866 in Raibach),
wohnhaft in Frankfurt; am 15. September 1942
ab Frankfurt in das Ghetto Theresienstadt deportiert,
wo sie am 21. November 1942 umgekommen ist |
Zur Geschichte der Synagoge
Eine Synagoge beziehungsweise ein Betsaal war seit dem 18. Jahrhundert
vorhanden. In den 1850er-Jahren war das Gebäude in höchst baufälligen
Zustand geraten, sodass die Behörde die weitere Benutzung des Gebäudes
verbieten musste. Mit großer Mühe sammelten die damals zehn jüdischen
Familien 400 Gulden für die Reparatur des Gebäudes, um beim Beginn der
Arbeiten feststellen zu müssen, dass die Schäden wesentlich größer waren. Im
November 1858 beschloss der Gemeindevorstand, mit einem Spendenaufruf an die
Öffentlichkeit zu gehen. Dieser erschien in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" am 15. November 1858:
"Die
Synagoge der israelitischen Gemeinde dahier war schon seit Jahren
baufällig, und zwar in einem so hohen Grade, dass die Großherzogliche
Baubehörde sie schließen und uns die Abhaltung des Gottesdienstes darin
untersagen ließ. Von der Sehnsucht nach der gewohnten täglichen Erbauung und
Verehrung unseres Gottes beseelt, entschlossen wir uns, obgleich nur aus zehn
größtenteils unvermögenden Familien bestehend, den zur Reparatur
erforderlichen und, nach äußerlichem Anschein auf etwa vierhundert Gulden
veranschlagten Fond zu sammeln. Große Opfer und Entbehrungen legten wir uns
lange Zeit auf, hatten endlich die Freude, diese Summe aufweisen zu können, und
dachten uns schon dem gewünschten Ziele nahe.
Doch unsere Hoffnung wurde schmerzlich getäuscht. Beim Beginn der unlängst
vorgenommenen Arbeiten zeigte sich nämlich der Verfall unserer Synagoge viel
bedeutender, als man bisher glaubte, und nötigt uns, dieselbe von Grund auf
wiederherzustellen. Hierzu sind aber mindestens zwölfhundert Gulden notwendig,
eine Summe, welche unsere erschöpften Kräfte gänzlich übersteigt und unsere
Gemüter schwer und tief bedrückt. Denn wir müssen in der trostlosen Lage sein
und bleiben, den angefangenen Bau zu sistieren und ein auch nur einfaches
Gotteshaus zu entbehren, wenn nicht brüderliche Herzen und Hände in der Nähe
und Ferne sich öffnen, aus der Not uns liebevoll zu ziehen.
Und darum wagen wir es, im festen Vertrauen auf die israelitische
Mildtätigkeit, um baldige gütige Beisteuer zu dem genannten edlen Werke
hiermit zu bitten; ebenso um ein Verzeichnis der frommen Geber, da wir solches
für ewige Zeiten aufzubewahren gesonnen sind.
Möge unsere herzliche Bitte eine gute Stätte finden und der Herr Alle dafür
reichlich segnen!
Raibach im Kreise Dieburg, im November 1858. Der Vorstand: Abraham Rapp,
Herz Lichtenstein, Josef Sternberg." |
Die Spenden flossen offenbar nicht so reichlich, wie die Gemeinde erhofft
hatte. Die Renovierung der Synagoge wurde immer kostspieliger und kam wohl einem
völligen Neubau gleich. Im Januar 1861 erschien mehrfach ein Hilferuf
der Gemeinde, veröffentlicht in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
23. und 30. Januar 1861 mit der Bitte, Spenden zu schicken, nachdem bis zur
Vollendung des Baus noch 1.400 Gulden nötig waren. Immerhin war bis zu diesem
Zeitpunkt offenbar das Dach des Synagogengebäudes gerichtet:
"Hilferuf!
Durch große Anstrengung ist uns gelungen, unser Gotteshaus unter Dach gebracht
zu haben. Unsere Mittel sind nunmehr ganz erschöpft und sind zur Vollendung
noch 1.400 Gulden notwendig. Nur durch die Hilfe mildtätiger Glaubensgenossen
wird es uns möglich werden, wieder täglich, morgens und abends, Gottesdienst
zu halten, wie es seit undenklichen Zeit hier geschieht. Die hiesige Gemeinde
ist nur klein und ihre Glieder sind mittellos. Wir bitten daher alle Herren
Rabbiner, Vorsteher und Lehrer unseren Hilferuf bekannt zu machen und Sammlungen
für uns zu veranstalten. Den Loh der edlen Tat kennt das edle Herz. Der Herr
Redakteur wird gefälligst die Wahrheit unserer Angaben bescheinigen (Geschieht
hiermit. Redaktion)
Der Vorstand der israelitischen Gemeinde zu Raibach im Kreis Dieburg,
Großherzogtum Hessen:
Abraham Rapp Herz Lichtenstein". |
Es ist nicht bekannt, wann die Reparatur abgeschlossen und die Synagoge
wieder eingeweiht werden konnte. Lange Zeit wurden in der Raibacher Synagoge
nicht mehr Gottesdienst abgehalten, da mit der Abwanderung der jüdischen
Gemeindeglieder nach Groß-Umstadt und in andere Orte in den 1870er-Jahren nicht
mehr die nötige Zehnzahl der religionsmündigen Männer vorhanden war. Die
Synagoge wurde geschlossen und verkauft.
Adresse/Standort der Synagoge: Hauptstraße
(genauere Angaben fehlen noch; bitte Informationen an den Webmaster von
"Alemannia Judaica", Adresse siehe Eingangsseite.
Fotos
Fotos sind keine
vorhanden; über Zusendungen freut sich der
Webmaster von "Alemannia Judaica", Adresse siehe Eingangsseite. |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. 297-299. |
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