Die mittelalterliche jüdische Gemeinde in Alzey hatte vermutlich noch keinen Friedhof. Die Toten dürften in
Worms beigesetzt
worden sein.
Ein erster Friedhof wurde 1685 oder einige Jahre zuvor
angelegt. Auf ihm wurden bis 1810 Beisetzungen vorgenommen, danach wurde er
geschlossen. Das Gelände wurde neu überbaut. Spuren haben sich am Standort
nicht erhalten. Ein Teil der Grabsteine befindet sich heute im ältesten Teil des
1810 angelegten Friedhofes.
Ein zweiter Friedhof wurde 1810 angelegt. Er wurde zweimal erweitert.
Der älteste Teil enthält die Gräber aus der Zeit bis 1870, dazu Grabsteine
aus dem alten Friedhof. Im Erweiterungsteil auf einem unmittelbar daneben
befindlichen Grundstück befinden sich nach dem Friedhofsregister
178 Gräber aus der Zeit von 1870 bis 1905. Im dritten Teil - separat
von den älteren Teilen gelegen - befinden sich 161
Gräber aus der Zeit von 1905 bis 1940. 1942 gab es noch zwei
Urnenbeisetzungen, eine weitere Beisetzung war am 1. Januar 1945 (Frau aus einer
Mischehe). Auch nach 1945 gab es vereinzelte Beisetzungen. Die Friedhofsfläche
umfasst insgesamt 34,98 ar.
Texte zur Geschichte der Friedhöfe
Erweiterung des Friedhofes 1867 - Frage des gemeinsamen
Friedhofes zwischen Christen und Juden
Artikel in
der Zeitschrift "Chananja" vom 1. Mai 1867: "Alzey, 5. April (1867). Schon
seit einer Reihe von Jahren ist der Friedhof der hiesigen israelitischen
Gemeinde mit demjenigen der Christen vereinigt und von einer Mauer
umschlossen. Während jedoch die Gräber der Protestanten und Katholiken
nicht räumlich getrennt sind, ist dies wohl mit denen der Juden der Fall.
Da der den Juden angewiesene Platz beinahe gefüllt ist, trugen diese bei
der Stadt (denn nach linksrheinischem französischem Gesetz sind die Begräbnisplätze
städtisches Eigentum) zur Erweiterung ihres Friedhofes auf Überweisung
eines nebenliegenden Grundstückes an. Gleichzeitig verbanden sie damit
den Antrag auf die Erlaubnis zur Mitbenützung des städtischen
Leichenwagens und Leichenhauses, sowie des im letzteren befindlichen
Betsaales. Die Mitbenützung des Leichenwagens und Hauses nebst der des
Betsaales wurde einstimmig gestattet und in gleicher Weise der Antrag zum
Beschluss erhoben, dass in Betreff der Erweiterung des Begräbnisplatzes
die Juden in Zukunft ihre Gräber nicht mehr von denen der Christen räumlich
trennen sollen. Dieser Akt der Aufklärung und Humanität lässt uns
hoffen, dass, wie im Tode, so auch bald im Leben Friede unter den Menschen
walten wird! Ein solcher Beschluss ist umso ehrenvoller für den hiesigen
Gemeinderat, als er einstimmig von den Bekennern der verschiedenen
Konfessionen gefasst wurde. Er reiht sich würdig dem Entschlusse jenes
evangelischen Geistlichen in Prag an, wovon die öffentlichen Blätter jüngst
berichtet haben, welcher der dortigen jüdischen Tempelgemeinde für die
Zeit des Umbaues ihrer Synagoge die Mitbenützung seiner Kirche anbot."
Kritische Besinnung zur Frage nach dem gemeinsamen Friedhof für Christen und
Juden 1867 von Rabbiner Dr. David Rothschild
Artikel in
der Zeitschrift "Chananja" vom 15. November 1867: "Kultus und
Kultusgemeinde. Alzey, im
Oktober (1867). Über die hiesige Friedhofsfrage haben auch Sie seinerzeit
berichtet. Einer endgültigen Entscheidung harrt diese Angelegenheit auch
heute noch, wenn sie auch in ihrer Entwicklung weiter vorgerückt ist.
Eine aufgeworfene Zwischenfrage veranlasst mich, den gegenwärtigen
Sachverhalt zu schildern. Die auf Grund des eingelieferten rabbinischen
Gutachtens abgegebene Erklärung des Vorstandes lautet dahin, dass wegen
des allgemeinen Kreuzes, wodurch der ganze Friedhof christianisiert sei,
und wegen der Sitte, die Leuchen auszugraben und die entleerten Gräber
aufs neue zu verwenden, die Benützung des christlichen Friedhofes seitens
der Juden nicht zulässig sei. Wider Erwarten hat man in christlichen
Kreises keinen Sinn für diese humane Rücksicht der Juden, die Ruhe der
toten in ihren Gräbern nicht zu stören; man begreift sie nicht, man belächelt
sie, ja zählt sie zu den religiösen Vorurteilen der Vorzeit.
Man
bezweifelt, dass die Zivilgemeinde, deren Eigentum der Friedhof ist, und
welche die Verpflichtung hat, auf Verlangen jeder Konfession, eine
gesonderte Parzelle anzuweisen, gesetzlich genötigt sei, den Juden die Übergabe
eines neuen Grundstückes zur Erweiterung ihres angefüllten Friedhofes zu
bewilligen. Sie haben vielmehr das Recht, auch bei den Juden auf
Ausgrabung der Leichen und Wiederbenützung der entleerten Gräber zu
bestehen. Ich bin der Entgegengesetzten Ansicht und glaube, dass der Stadt
die Pflicht obliegt, bei der vorhandenen konfessionellen Scheidung der
Parzellen auch die religiösen Satzungen der Konfessionen, hier also die
auf religiöser Satzung beruhende Rücksicht der Juden gegen die Gräber
ihrer Toten, zu respektieren. Es ist dies ein Kampf um Prinzipien. Schon
die Fortsetzung dieses Kampfes dürfte den Verfolg der hiesigen
Friedhofsfrage auch in weiteren Kreisen interessant machen. Aber auch die
Frage über die Berechtigung der religiösen Satzung, welche den Juden die
Aufgrabung der Toten verbietet, ist aufgerufen worden. Das Beispiel der
Anlegung eines Zentralfriedhofes für Paris in einer Entfernung von 8-10
Stunden beweist, welche Schwierigkeit für die Ausführung einer solchen
Stadt die Gewinnung eines ausreichenden Terrains für Begräbnisplatze
hat. Zwar handelt es sich in unserem Falle weder um Paris, noch um die Übertragung
unserer Rücksicht gegen die Toten auf Andersgläubige. Aber bei Erörterung
des Prinzips sind Ort und Personen gleichgültig. Der Fall ist denkbar,
dass es sich um eine größere jüdische Bevölkerung handelt, als unsere
Stadt sie bietet. Auch ist die in Rede stehende Rücksicht gegen die Toten
keine spezifisch jüdische, sondern eine allgemein menschliche, nicht bloß
eine konfessionelle Satzung, sondern eine Forderung der Humanität, woran
auch die übrige Welt partizipiert. Wenn aber die ganze Welt eine gleiche
Rücksicht gegen die Toten nähe, wie die Juden, so könnte in der Tat mit
der Zeit die ganze Erde ein großes Leichenfeld und die Gewinnung von
frischen Grabesstätten eine Schwierigkeit werden, vielleicht auf größere
Entfernungen noch, als die jetzt für Paris in Aussicht genommene. Der übliche
Ausweg, die Gräber mit frischer Erde zu überschütten, würde in solchen
Fällen auch nicht ausreichen, sowohl, weil die Gewinnung frischer Erde
oft gleichbedeutend ist mit der Gewinnung neuen Terrains, als auch, weil
die Auftürmung des Grabeshügels bis zu unendlicher Höhe ebenfalls eine
Unmöglichkeit ist. So lange es sich hierbei um die kleine Zahl der Juden
handelt, bietet die Sache keine Schwierigkeit. Aber bei der sozialen
Stellung, welche wir in unserer Zeit zu den Andersgläubigen einnehmen,
und bei dem Streben, ihnen die Wahrheit unserer religiösen Anschauungen
und Lehren entgegen zu tragen, wie zur Annahme und Befolgung zu empfehlen,
scheint die Frage einige Berechtigung zu haben, ob das Prinzip von der
Unantastbarkeit der Gräber für alle Zeiten und Fälle ausführbar und
aufrecht zu halten ist. In Ausnahmefällen ist es bereits schon in der
Vorzeit zulässig erklärt worden, alte Gräber behufs der Wiederbenützung
für neue Leichen zu entleeren und den vorgefundenen Gebeinen
verschiedener Leichen ein gemeinsames Grab zu bereiten (Tur J.D. 363). Die
Frage ist indes hier über das Prinzip und für veränderte Verhältnisse
aufgestellt worden. Man hat hierbei wohl im Auge, dass der Friedhof stets
öffentliches Eigentum bleiben müsse und nie in den Besitz von Privaten
übergeben dürfe, um sich die Sicherheit und Garantie dafür zu erhalten,
dass der Begräbnisstätte im Allgemeinen und den ausgegrabenen Gebeinen
insbesondere stets die erforderliche Rücksicht gemacht werde. Auch denkt
man daran, dass, wie es hier bereits unter den Christen Sitte ist, das
Grab unantastbar bleibe, so lange die Erhaltung desselben für die
Gesamtheit oder irgend jemand aus der Verwandtschaft wünschenswert ist.
Bei
der Neuheit und Wichtigkeit der Sache ist es von Interesse, die Ansichten
Anderer und Vieler zu vernehmen. Mir scheint die vorliegende Frage dahin
beantwortet werden zu müssen, dass, wenn das diesbezüglich Raisonnement
für die Zukunft auch seine Berechtigung haben sollte, Israel doch vorläufig
noch die Aufgabe hat, die gewohnte Rücksicht gegen die Toten streng zu
wahren, und zwar so lange, bis dieselbe Eigentum auch der übrigen Welt
geworden sein wird und die Mission Israels für die Völker, wenn nicht überhaupt,
doch wenigstens in diesem Punkte vollständig erfüllt ist.Dr. Rothschild"
Rabbiner Dr. David Rothschild führt die (jüdische) Beerdigung in deutscher Sprache ein
(1865)
Artikel in
der Allgemeinen Zeitung des Judentums vom 7.2.1865: u.a. Rabbiner Dr.
Rothschild führte in Alzey die "öffentliche Leichenfeier in
deutscher Sprache ein"
Lage der Friedhöfe
Der alte Friedhof lag "Am Judengraben", heute
Antoniterstraße (schräg gegenüber Antoniterstraße 74, vgl. Foto unten, bis
hin zu dem zwischen Sickingerstraße und Antoniterstraße angelegten Parkplatz), der
neue Friedhof liegt mit allen drei Teilen heute innerhalb
des allgemeinen Friedhof der Stadt an der Berliner Straße.
Links zu den Google-Maps
Die Lage des alten Friedhofes an der
Antoniterstraße
(der grüne Pfeil markiert die Lage des nicht mehr bestehenden alten
Friedhofes)
Die Lage der neuen Friedhof im Bereich des
allgemeinen Friedhofes
(der grüne Pfeil markiert die Lage des allgemeinen Friedhofes)
Fotos
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 3.8.2005 bzw. Michael Ohmsen, Mai
2011 s.u.)
Der alte jüdische Friedhof
("Judengraben")
(Quelle links: Aquarell von
Carl Schüler, 1840;
als sw-Foto in Arnsberg Bilder S. 13; das
Gemälde
befindet sich heute in Privatbesitz,
Sammlung Wulf und Gisela
Kleinknecht;
rechts: D.
Hoffmann s.Lit. S. 185)
Blick auf den
unterhalb der Stadtmauer
gelegenen Friedhof, von dem keine Spuren
mehr erhalten sind. Das Gelände ist teilweise
neu bebaut, teilweise
befindet sich der
zwischen Antoniterstraße und Sickingerstraße
befindliche Parkplatz auf dem Grundstück.
1. Mai 1933, "Tag der
nationalen Arbeit":
jüdische Bürger wurden von SA und SS
gezwungen,
Plakate vor der Eingangstür
zum alten jüdischen Friedhof abzukratzen.
Das Foto wurde vom Haus
Antoniterstraße 74 aufgenommen.
Die älteren Teil des neuen Friedhofes
(1810-1905, 1870 erweitert)
Teilweise stark verwitterte
Steine
im ältesten Teil
Grabsteine im Erweiterungsteil
(nach 1870)
Charakteristischer
neoklassizistischer Grabstein
Grabstein mit den
"segnenden Händen" der Kohanim
Grabstein für Isaak Süßkind
und Helene geb. Reinach (gest. 1898/99)
Grabstein für Amalia Gassmann
(Malcha
Tochter des Schim'on; gest. 28.4.1871)
Der ältere
Friedhofsteil im Mai 2011 (Fotos: Michael Ohmsen; diese Fotos in hoher
Auflösung auf einer
Website von M. Ohmsen: Fotoseiten
zu Alzey)
Teilansichten des älteren Friedhofsteils
Der neuere, 1905
angelegte Friedhofsteil
Dieser Friedhofsteil ist
großenteils unbelegt
Grabstein für Rosa Schloß
(1856-1938)
im Vordergrund: Grabstein für Mathilde Neuberger geb. Belmont (1854-1931) und Karl Neuberger (1848-1932)
Grabstein für
Elisabeth
Rothschild
geb. Baum (1903-1929) mit
Erinnerungsinschriften für
drei
Angehörige der Familie Baum
Grabstein für Jenny Hirsch
(1883-1912)
Grabstein für
Johanna Kahn
geb. Weiler
(1862-1935) und Moses Kahn (1857-1930)
mit "segnenden
Händen" der Kohanim
Grabsteine für
Bettchen
Rosenthal
geb. Grünenbaum (1863-1933) und Berta Koch (1856-1933)
Neuere Grabsteine
aus der Zeit
nach 1945
Der neuere
Friedhofsteil im Mai 2011 (Fotos: Michael Ohmsen; diese Fotos in
hoher Auflösung auf einer
Website von
M. Ohmsen: Fotoseiten
zu Alzey)
August 2011:
Dokumentation des jüdischen
Friedhofes
Artikel von Christopher Mühleck in der "Allgemeinen
Zeitung" vom 26. August 2011:
"Toten eine Geschichte gegeben. Forschung: Arbeitskreis untersucht
jüdischen Friedhof in Alzey"
Link zum Artikel:
Toten eine Geschichte gegeben (Allgemeine Zeitung, 26.08.2011);
auch als pdf-Datei
eingestellt.
Oktober 2012:
Schändung des Friedhofes - Belohnung zur
Ergreifung der Täten ausgesetzt
Anmerkung: 19 Grabsteine im jüngeren der
Grabfelder wurden mit rechtsradikalen Symbolen und Parolen beschmiert.
Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft ermitteln. Es sind 1000 Euro
Belohnung ausgelobt.
Website des Altertumsvereins für Alzey und Umgebung
e.V. Verein für Geschichte und Kunst: www.altertumsverein-alzey.de
mit einer "Arbeitsgruppe Juden im Alzeyer Land" Kontakt über Renate Rosenau, Mailadresse: RenateRosenau@t-online.de