In Fulda bestand eine jüdische
Gemeinde bereits im Mittelalter. Anlässlich
eines angeblichen Ritualmordes 1235 findet sich eine erste Erwähnung einer jüdischen
Gemeinde. Vermutlich gab es jedoch bereits seit der Gewährung des Marktrechts
(1019) Juden in der Stadt. Der katholische Gelehrte Rabanus Maurus erwähnt
bereits im 9. Jahrhundert "jüdische Zeitgenossen".
Bei der Judenverfolgung am 28. Dezember 1235 wurden etwa 34 Personen der
Gemeinde wegen eines angeblichen Ritualmordes von drei oder gar fünf Kindern
erschlagen. Im Juli 1236 wurden die Fuldaer Juden jedoch auf Grund des Urteils
einer Untersuchungskommission vom Kaiser, den Fürsten und der Geistlichkeit von
der gegen sie erhobenen Beschuldigung freigesprochen. Bis Ende des 13.
Jahrhunderts fehlen Nachrichten über Juden in der Stadt. 1301 werden
jedoch Juden in Fulda genannt, die gemeinsam mit den in Hammelburg und Hünfeld
lebenden - zum Herrschaftsbereich des Kloster Fulda gehörenden - Juden von König
Albrecht dem Kloster verpfändet wurden. Am 22. März 1349 kam es zur
Judenverfolgung während der Pestzeit. Bürger der Stadt und die Amtleute des
Abtes fielen über die Juden her und ermordeten sie (nach Schützungen ist von
etwa 180 Toten auszugehen). Einige konnten wohl entkommen wie Abraham von Fulda,
der 1357 zu den Neugründern der Gemeinde Erfurt gehörte, und Joseph, der 1359
in Nürnberg aufgenommen wurde.
1367 werden wieder zwei Juden in der Stadt genannt, die in der in diesem
Jahr erstmals genannten "Judengasse" wohnten. Diese
Judengasse war verhältnismäßig breit und lag gegen den Stadtrand hin, aber
keineswegs unmittelbar an der Mauer. Hier stand vermutlich die Synagoge
der Gemeinde. An dem zur Innenstadt gerichtete Teil der Gasse war ein eigener
Brunnen, der "Judenborn". Von den beiden 1367 genannten Juden
war einer aus Mellrichstadt
zugezogen. Im 15./16. Jahrhundert lebten nur relativ wenige jüdische Familien
in der Stadt, doch kam es spätestens um 1500 wieder zur Bildung eines Gemeinde.
1492 nahm Fürstabt Johann II. von Henneberg den Arzt Jakob in der Stadt
auf. Er wurde verpflichtet, die Stiftsuntertanen gegen eine angemessene
Bezahlung zu behandeln. 1507 wurden alle Juden der Stadt für mehrere
Wochen aus nicht geklärten Gründen mehrere Wochen im Gefängnis festgehalten. 1514
wird der jüdische Arzt Lipman genannt, der für das Hofgesinde zuständig war
und zugleich einen Arznei- und sonstigen Handel betrieb. 1516 widersetzte sich Fürstabt
Hartmann II. der Forderung nach der Vertreibung der Juden aus der Stadt.
Zu einer Blüte jüdischen Gemeindelebens kam es im 16./17. Jahrhundert,
obwohl in dieser Zeit der Gegensatz zwischen der Bürgerschaft und den Juden der
Stadt immer stärker wurde. Die Zahl der jüdischen "Hausgenossen"
(offenbar Familien) stieg von 18 im Jahr 1567 auf 28 (1586) auf 50 (1601), 80
(1623). 1591 wurde die jüdische Bevölkerung von durchziehenden Söldnern
vollständig ausgeplündert. Die Fuldaer hatten sich entgegen der Aufforderung
der Regierung geweigert, die Juden der Stadt zu schützen. 1603 wurde
Fulda Sitz eines jüdischen Gerichtshofes. In der Stadt gab es eine Jeschiwa
(Talmudschule), die unter Rabbiner Maharam Schiff (1605 Frankfurt - 1644
Prag; von 1622 bis 1640 Rabbiner in Fulda) Weltruhm erlangte. Vor Maharam Schiff
waren u.a. als Rabbiner in der Stadt tätig: 1565 bis 1588 David ben Isak
aus Litauen, bis 1598 Ruben ben Salomon, 1598 bis 1604 Natphatli ben David
Bacharach ("Herz aus Fulda"), 1604 bis 1609 Elia ben Mosche Loans (ein
Enkel des Joselmann von Rosheim), 1615 bis 1920 Aron Samuel ben Mosche Schalom
aus Krzeminiec.
1671 wurden alle Juden aus Fulda (und dem Fürstbistum) ausgewiesen
bis auf fünf Familien, die weiterhin in der Judengasse wohnen konnten. Ihre
Namen waren Hirsch auf der Trepp (nach den Stufen des "Judenbergs" so
genannt, daraus entstand später der Familienname Trepp u.ä.), Löser Seligmann
auf der Tanzhütte (dem Gemüsemarkt), Lemble Geys sowie die Witwe Koppelen und
ihr Sohn.
Im 18. Jahrhundert nahm die Zahl der jüdischen Familien in der Stadt
wieder langsam zu, doch war das jüdische Leben in der Stadt auf Grund
zahlreicher Verordnungen und Restriktionen nur eingeschränkt möglich. Erst
nach der Französischen Revolution (1789) setzte ein Prozess ein, der schließlich
nach den Gesetzen von 1833 zur rechtlichen Gleichstellung der Juden mit
den Christen führte.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1802 237 jüdische Einwohner (2,8 % von insgesamt 8.559 Einwohnern), 1811
jüdische 47 Familien (35 Familienväter mit Familie, 9 Witwen mit Kindern und 3
Ledige ohne Angehörige), 1827 324 jüdische Einwohner (3,5 % von 9.266), 1854
291 (3,3 % von 9.547), 1861 281 (3,0 % von 0.339), 1871 295 (3,1 % von 9.423),
1885 440 (3,6 % von 12.284), 1895 566 (3,9 % von 14.528), 1905 861 (4,2 % von
20.419), 1910 957 (4,3 % von 22.487).
An Einrichtungen bestanden insbesondere eine Synagoge (s.u.), eine jüdische
Schule, ein rituelles Bad und ein Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde gab es neben dem Rabbiner
(Provinzialrabbiner s.u., zeitweise zwei Rabbiner beziehungsweise zusätzlich
ein Rabbinatsassessor [Dajan]) jüdische Lehrer, die auch den Vorbeterdienst in
der Synagoge übernahmen, Schochetim (Schächter) und weitere Bedienstete
(Synagogendiener). Die jüdische Schule befand sich seit 1898 im Gebäude
Von-Schildeck-Straße 10/Ecke Rangstraße. Damals (und bis 1910) war Lehrer an
der Schule Jakob Spiro.
Fulda war im 19./20. Jahrhundert Sitz eines Provinzialrabbinates. Der
Rabbinatsbezirk umfasste um 1925 die Kreise Fulda, Hünfeld, Hersfeld und
Schmalkalden. Auch der Kreis Gersfeld gehörte zum Rabbinat Fulda. Als
Provinzialrabbiner waren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts tätig:
Dr. Jakob Rosenberg (Rabbiner in Fulda von 1843 bis
1852): geb. 1806 als Sohn des Kaufmannes David Rosenberg in Düsseldorf;
nach seiner Zeit in Fulda, die ihn in mancherlei Konflikte mit der Gemeinde
brachte (siehe Bericht auf Textseite), wählte ihn am 7. September 1852 die
Gemeinde im niederländischen Groningen zum Rabbiner, wo er bis Ende 1860
beziehungsweise bis zum Dezember 1861 verblieb (Link:
Rabbiner in Groningen); 1864 verzog er nach Frankfurt, wo er im April
1868 starb.
Dr. Samuel Enoch (Rabbiner in Fulda von November
1855 bis Dezember 1876), geb. 8. Oktober 1814 in Hamburg, Studium in Würzburg
(Schüler von Abraham Bing) und Erlangen; bereits 1832 Rabbinatsassistent in
Kassel, 1839 Schuldirektor der Bürgerschule (beziehungsweise Freischule;
private orthodoxe Lehranstalt) in Altona; seit 1845 mit Jacob Ettlinger
Herausgeber der Zeitschrift "Der treue Zionswächer", später
"Redakteur der Jüdischen Presse"; 1854 Berufung nach Fulda - die
Stelle trat er im November 1855 an (siehe Berichte auf Textseite); gestorben
31. Dezember 1876 in Fulda.
Dr. Michael Cahn (Rabbiner in Fulda
von 1877 bis 1918): geb. 1847 in Rüdesheim am Rhein, gest. 1920 in Fulda;
Studium in Mainz und Berlin, Promotion 1874 in Straßburg, Rabbinerdiplom
1876 in Berlin, Rabbiner in Samter (Provinz Posen), seit 1877 in
Fulda; war im Religiösen streng orthodox, politisch war er patriotisch,
national und kaisertreu eingestellt.
Dr. Leo Cahn (Rabbiner in Fulda von 1919 bis
1939), geb. 1889 in Fulda; war zunächst Rabbinatsassessor, ab 1919 als
Nachfolger seines Vaters als Provinzialrabbiner in Fulda; emigrierte mit seiner Familie
nach der Pogromnacht 1938 nach England,
von dort im folgenden Jahr nach Palästina/Erez Israel; gest. 1959 in Bnei
Brak/Israel).
Neben den Provinzialrabbinern gab es mehrere
Rabbinatsassessoren, darunter:
Baruch Kunstadt (von 1909 bis 1939 in Fulda), der
als Leiter der Talmudlehranstalt (Schass Chewrah) in Fulda tätig war. Nach
seiner Auswanderung gründete er in Palästina die Jeschiwa "Kol-Torah"
(Stimme der Torah). Er starb 1967 in Jerusalem.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Unteroffizier Julius Birnbaum
(geb. 11.5.1893 in Fulda, gef. 8.8.1918), Eugen Eschwege (geb. 7.7.1885, gef.
29.7.1916), Josef Eschwege (geb. 19.4.1877 in Fulda, gef. 14.4.1916), Julius
Flörsheim (geb. 25.1.1881 in Flieden, gef. 18.4.1917), Isfried Freund (geb.
28.5.1897 in Fulda, gef. 25.7.1917), David Goldschmidt (geb. 5.7.1897 in Fulda,
gef. 7.10.1916), Johann Julius Greif (geb. 3.11.1878 in Fulda, gef. 7.10.1916), Alfred Herrmann
(geb. 25.4.1896 in Richlawo, gef. 21.4.1916),
Moritz Kamm (geb. 10.6.1886 in Hettenhausen, gef. 5.10.1917), Siegfried Katzmann
(geb. 6.4.1894 in Flieden, gef. 27.7.1916), Adolf Nußbaum (geb. 16.4.1898 in
Fulda, gef. 17.10.1917), Gefreiter Artur Nußbaum (geb. 28.12.1889 in Fulda,
gef. 6.11.1914), Siegmund Simon Plaut (geb. 4.3.1877 in Hünfeld, gef.
29.10.1918),
Siegfried Seligstein (geb. 18.9.1892 in Fulda, gef. 18.11.1918), Friedrich Moritz Sichel
(geb. 5.2.1888 in Fulda, gef. 16.3.1915), Simon
Strauß (geb. 24.4.1878 in Obermoss, gef. 20.9.1916).
Um 1925, als zur Gemeinde 1.137 Personen gehörten (4,3 % von insgesamt
26.140 Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Emanuel Stern, Max
Kugelmann und Mendel Wertheim. Neben Provinzialrabbiner Dr. Leo Cahn wird als
Rabbinats-Assessor B. Kunstadt genannt. Als Lehrer war Iwan Möller
angestellt, als Lehrer und Schriftführer der Gemeinde (seit 1919) Abraham Sonn
(geb. 1873 in Mainstockheim, zuvor
Lehrer in Theilheim und Rhina), als Schochet C.
Lassmann, als Synagogendiener M. Fuchter. An der Israelitischen Volksschule gab
es damals 69 Kinder, unterrichtet durch die genannten Lehrer Möller und Sonn.
An den höheren Schulen der Stadt erteilte Rabbiner Dr. Cahn den
Religionsunterricht.
1932 waren die Gemeindevorsteher M. Kugelmann (1. Vors.), M. Wertheim (2.
Vors.) und Dr. L. Herz (3. Vors.). Es gab in der Gemeindeleitung einen Finanzausschuss
(Vorsitzender Dr. L. Herz) und einen Kaschruth-Ausschuss (Vorsitzender S.
Ansbacher). Weiterhin waren die Lehrer Iwan Möller und Abraham Sonn in der Gemeinde und der
Israelitischen Volksschule tätig. In drei Klassen wurden 92 Kinder
unterrichtet. Weitere 60 Kinder erhielten Religionsunterricht.
An jüdischen Vereinen gab es u.a. die Armenkasse für hiesige Arme
der Israelitischen Gemeinde (Zweck und Arbeitsgebiete: Unterstützung
hilfsbedürftiger Gemeindemitglieder), die Chewra Bikkur-Cholim, Verein zur
Unterstützung armer jüdischer Kranker (gegründet 1927, 1932 Vorsitzender
Moritz Oppenheimer mit 90 Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiet:
Krankenunterstützung), die Chevra Kadischa (1932 unter Vorsitz von Isak
Wertheim, Zweck und Arbeitsgebiete: Unterstützung, Bestattungswesen), den Israelitischen
Frauenverein e.V. (gegründet 1900, 1932 unter Vorsitz von Ida Nußbaum mit
260 Mitgliedern), der Verein "Rituelle Küche im Landkrankenhaus"
(gegründet 1927, 1932 unter Vorsitz von Rabbiner Dr. Cahn; Zweck und
Arbeitsgebiet: Versorgung jüdischer Kranker im Landkrankenhaus mit ritueller
Kost). An weiteren Vereinen gab es die Maharam Schiff-Loge U.O.B.B. (1932
Vorsitzender Isak Wertheim), den Ostjüdischen Verein, die Schass-Chevra
(1932 Vorsitzender S. Ansbacher). An besonderen Einrichtungen ist die Jüdische
Abteilung mit 15 Plätzen im Lioba-Siechenhaus zu nennen. Mit einem
"Gemeindeblatt" hatte die jüdische Gemeinde ein eigenes
Publikationsorgan für ihre Mitglieder.
1933 lebten 1.058 jüdische Personen in der Stadt (3,89 % von insgesamt
27.753 Einwohnern). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Der Boykott vom 1.
April 1933 hatte über 100 Geschäfte und Unternehmen betroffen, deren
Inhaber in den folgenden Jahren zur Geschäftsaufgabe gezwungen waren. Am 11.
Juli 1935 wurde ein brutaler Überfall über den bis dahin vor allem von
jüdischen Viehhändlern beschickten Viehmarkt in Fulda verübt. Der Überfall
wurde von dem damaligen Kreisbauernführer Fang und weiteren Bauern geplant. Mit
Knüppeln bewaffnete Schlägertrupps - vor allem aus Dipperz, Dietershausen und
Friesenhausen - überfielen den Viehmarkt, schlugen auf die jüdischen Händler
und auf das Vieh ein, jagten die Tiere durcheinander und lösten die
Stricke. Am 1. April 1937 wurden
noch 852 jüdische Einwohner gezählt. Beim Novemberpogrom 1938 kam es
bereits am 9. November zu Übergriffen auf jüdische Geschäfte und Wohnungen.
Die Jüdische Volksschule wurde von fanatisierten Jugendlichen überfallen, die
Einrichtung zertrümmert; alter und neuer jüdischer Friedhof wurden schwer
geschändet. Am Morgen des 10. November wurde die Synagoge unter Anleitung des
SS-Standortkommandanten Otto Grüner und seinen Helfershelfern die Synagoge
niedergebrannt. Die jüdischen Männer wurden verhaftet und in das Katholische
Gesellenhaus in der Florengasse gesperrt; die meisten wurden anschließend in
das KZ Buchenwald verbracht. Die jüdischen Wohnungen wurden durchsucht.
Während aus Fulda bis Ende 1938 ein Großteil der jüdischen Einwohner von 1933
verzogen beziehungsweise ausgewandert sind, zogen andere Familien vom Land in
die Stadt Fulda nach. Ende 1940 mussten die jüdischen Familien in sogenannten
"Judenhäusern" zusammenziehen (u.a. Mittelstraße 25 und 28,
Am Stockhaus 2 und 10; Karlstraße 32 und 37, Petersberger Straße 25,
Rhönstraße 6, im Jüdischen Altersheim Schildeckstraße 10). Vor Beginn der Deportationen waren am 30.
September 1941 248 jüdische Personen in der Stadt. Ein Jahr wurde keine
jüdische Person mehr gezählt - Fulda war in der NS-Sprache durch die
Deportationen "judenfrei" geworden.
Anmerkung: Hinweis auf unvollständige
Listen der in Fulda
1933 und danach lebenden jüdischen Personen (pdf-Datei
der an den International Tracing Service vom Bürgermeisteramt der Stadt Fulda
1962 mitgeteilten Liste mit Namen und Adressen aus Fulda).
Zu den in Fulda geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen, die in in der NS-Zeit
umgekommen sind, siehe die - mehrere hundert Namen umfassenden - Angaben im
"Gedenkbuch
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"). Nach Unterlagen im Stadtarchiv
gelang von den 1.545 jüdischen Personen, die in Fulda gemeldet waren - unter
ihnen auch diejenigen, die aus umliegenden Dörfern nach Fulda gezogen waren
oder nur kurze Zeit bei Verwandten wohnten - 940 die Flucht ins Ausland. Etwa
600 Kinder, Frauen und Männer wurden in Konzentrationslager deportiert und
ermordet.
Auf einem im Oktober 2010 eingeweihten Gedenkstein am früheren
Synagogenplatz (siehe Pressebericht unten) stehen die Namen von 252 jüdischen
Einwohnern, die 1940 bis 1942 aus Fulda deportiert wurden.
Im Mittelalter befand sich eine Synagoge in der
"Judengasse" (heute "Am Stockhaus"), wahrscheinlich bereits
auf dem Grundstück der bis ins 20.
Jahrhundert bestehenden Synagoge. Sie wird als "Judenschul"
1423 und
1508/09 genannt, doch gab es eine Synagoge sicher bereits vor der Verfolgung in
der Pestzeit.
Um 1550 war die Fuldaer Synagoge die einzige im Hochstift Fulda. 1575 wurde ein
neuer "Lehnbrief über die Judenschule" erteilt. Damals wird ihre Lage
beschrieben als "oben an der Ecken gegen Anton Holzscheren Behausung über
und auf der anderen Seite an Hans Kochen stoßend" beschrieben. Andere
Lagebeschreibungen waren: die "Judenschule hinter der Treppe" oder am
"Judenberg", womit jedoch immer dasselbe Grundstück gemeint
war.
Um 1850 war die Zahl der Gemeindeglieder bereits so angewachsen, dass die
Plätze in der alten Synagoge nicht mehr ausreichen. Der Bau einer neuen
Synagoge wurde geplant. Ende 1857 oder Anfang 1858 konnte man die
Torarollen in einem feierlichen Umzug in ein provisorisch eingerichtetes
Betlokal verbringen, die alte Synagoge abbrechen und an ihrer Stelle mit dem Bau
der neuen Synagoge beginnen.
Umzug von der alten
Synagoge in ein provisorisch eingerichtetes Betlokal (Ende 1857 / Anfang 1858)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 18. Januar 1858: "In Fulda wird dem längst gefühlten
Bedürfnisse eines der Zeit so wie den numerischen Verhältnissen der
dortigen Synagogengemeinde entsprechenderen Gotteshauses nunmehr durch
einen bereits vor geraumer Zeit in Angriff genommenen Synagogenbau
abgeholfen. Der Zug aus der alten, nunmehr abgebrochenen Synagoge in das
provisorisch eingerichtete Betlokal fand auf sehr feierliche Weise statt,
wobei jedes Gemeindeglied eine brennende Wachskerze trug."
Noch im Frühjahr 1859 - am 7. Juni 1859
- konnte die neue Synagoge
eingeweiht werden, die in neu-orientalischem Stil erbaut wurde. Für den
Berichterstatter der liberal geprägten "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" hätten allerdings die "Verzierungen der inneren
Räume" etwas einfacher ausfüllen dürfen. Zur Zeit der Einweihung
herrschte offenbar eine gemäßigt liberale Gesinnung in der Gemeinde. Der neue
Synagogen-Chorgesang wurde als "sehr erfreulicher Fortschritt"
gepriesen, wobei jedoch nicht angegeben wird, ob es sich damals um einen
Männerchor oder um einen von liberaler Seite befürworteten gemischten Chor
gehantelt hat.
Die Einweihung der neuen Synagoge steht bevor
(1859)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 20. Juni 1859: "Der Bau der neuen Synagoge in Fulda ist bereits
so weit vollendet, dass deren Einweihung noch vor Pfingsten stattfinden
soll. Es ist dieses ein sehr stattlicher Bau in schönen Verhältnissen,
welcher der Gemeinde und der Stadt zur Zierde gereicht. Den räumlichen
Bedürfnissen der Zukunft, sowie größerer Einfachheit hinsichtlich der
Verzierungen der inneren Räume hätte vielleicht mehr Rechnung getragen
werden dürfen. Man ist jetzt mit der Einübung eines Synagogen-Chors
beschäftigt, indem in die neue Synagoge Chorgesang eingeführt werden
soll. Es ist dieses ein sehr erfreulicher Fortschritt, der nicht ohne
segensreiche Folgen auch für andere Gemeinden bleiben wird; denn da Fulda
die Metropole zahlreicher, nicht unbedeutender Landgemeinden ist, in
welchen der Gottesdienst noch der Erlösung von alter Unordnung
entgegenharrt, so wird das Beispiel Fuldas dort nicht ohne Nachahmung
bleiben."
Die Einweihung der Synagoge (1859)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 18. Juli 1859: "Fulda, 8. Juni (1859). Gestern fand
hierselbst die feierliche Einweihung des neu erbauten israelitischen
Gotteshauses statt, woran sich die städtische Behörde, viele Bürger und
Mitglieder der Zivil- und Militärstellen beteiligten. Die Feier machte in
jeder Beziehung einen günstigen Eindruck und gab Zeugnis von der hier
herrschenden gegenseitigen Achtung der Konfessionen und davon, dass die
zelotische Agitation der jüngsten Zeit doch hier keinen Boden gewinnen
kann. Die vom Rabbiner im echten Geist der Demut, der Duldsamkeit, der
Gleichberechtigung aller Menschen vor Gott und darum der Nächstenliebe
gehaltene Rede verdient besonders hervorgehoben zu werden und dürfte
manchem christlichen Zeloten zum Muster dienen. Das Schlussgebet für
Gedeihen des religiösen Lebens in der Gemeinde, für das Vaterland und
die Vaterstadt, sowie den Landesherrn hat gewiss aller Herzen
bewegt."
Schon wenige Jahrzehnte nach der Einweihung der
Synagoge war auf Grund der weiter stark gestiegenen Zahl der jüdischen
Gemeindeglieder in der Stadt die Synagoge zu klein geworden. Man plante den Bau
einer neuen Synagoge, wofür man im Sommer 1914 für 40.000 Mark ein
Grundstück kaufen konnte. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende
Inflationszeit verhinderten jedoch die Ausführung der Pläne der Gemeinde.
Weiterhin wurden die Gottesdienste in der bisherigen Synagoge
abgehalten.
Ein Grundstück für eine neue Synagoge wird gekauft
(1914)
Anmerkung: das Grundstück für die neue Synagoge lag an der Dalbergstraße.
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 17. Juli 1914: "Fulda. Die jüdische Gemeinde kaufte ein
Grundstück für etwa 40.000 Mark, um eine neue Synagoge zu
erbauen."
Einweihung einer durch den Aurach-Chajim-Verein
gestiftete Torarolle (1920)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2.
Dezember 1920: "Ein durch ein Gottesgebot veranlasstes Festmahl
vereinigte heute die Mitglieder des Aurach-Chajim-Vereins, die im
Festeskleide erschienen waren. Eine feierliche, weihevolle Stimmung
herrschte. Der Verein hat in opferfreudiger, von Liebe zur Tora zeugender
Weise eine Torarolle erstanden, die ihrer Bestimmung übergeben
wurde. Eingeleitet wurde die Feier nach vorangegangenem Mincha-Gebete
durch Gesang des hiesigen Synagogenchores. Nach Rezitation mehrerer
Psalmen hielt Herr Provinzialrabbiner Dr. Cahn eine die Bedeutung des
Tages würdigende Rede. Als dann unter dem vom Synagogenchor meisterhaft
vorgetragenen 'Wajehi Binesoa...' ('und es geschah, als die Lade
aufbrach..., sc. Chorgesang nach 4. Mose 10,35) die in reichem
Blumenschmuck prangende, vom Kerzenlicht umstrahlte heilige Lade geöffnet
und ihr die Torarolle entnommen wurde, erreichte die Weihe ihren
Höhepunkt. Nach Beendigung der religiösen Feier trugen mehrere Kinder
ernste und heitere Gedichte und Kouplets lokalen Charakters vor. Nach den
geistigen Genüssen bot man den Mitgliedern des Vereins ein lukullisches
und mit trefflichen Reden gewürztes Mahl. Der erste Vorsitzende, Herr
Bankdirektor Birkenrut, begrüßte die Erschienenen, gab einen Rückblick
auf die seit Gründung des Vereins durchlebte Zeit und wünschte ihm
ferneres Wachsen, Blühen und Gedeihen. Der zweite Vorsitzende, Herr
Gabriel Eschwege, richtete unter Zugrundlegung der Haftara des ToraabschnittesWajeze einen warmen Appell an die Mitglieder des Vereins, den Tora-Geist
zu pflegen und die Standarte der heiligen Gotteslehre in allen Lebenslagen
hochzuhalten. Herr Sanitätsrat Dr. Stern gab in bewegten, zündenden
Worten seiner Freude Ausdruck, über die sich in aller Blicken
wiederspiegelnde Freude über die Erfüllung des Gottesgebotes und
wünschte dem Verein ein weiteres erfolgreiches Ergehen. Noch lange
wird die Erinnerung an die erhebende Feier in den Herzen der Beteiligten
nachhallen."
Spende aus Amerika für den Synagogenbauverein
(1926)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
4. Februar 1926: "Fulda, 26. Januar. Herr Abraham und Julius
Stern in Amerika, Söhne des kürzlich hierher verzogenen Loeb Stern,
übermittelten der hiesigen jüdischen Gemeinde den Betrag von 1000
Dollars für den Synagogenbauverein. Die Gemeinde, welche vor einem
unaufschiebbaren Erweiterungsbau ihrer Synagoge steht, hat den Betrag mit
größtem Dank angenommen."
Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 19. Februar 1926: "Fulda. (Synagogenbau). Dem hiesigen
Synagogenbauverein wurden von den Amerikanern Abraham und Julius Stern,
den Söhnen des jetzt hier wohnenden Löb Stern, 1000 Dollar für
Bauzwecke übermittelt."
Einweihung einer Gefallenengedenktafel in der Synagoge
(1926)
Artikel in der "CV-Zeitung" (Monatsgabe der Zeitschrift des
"Central-Vereins") vom Juni 1926. "Gedenkfeier für
unsere Gefallenen. In der Synagoge in Fulda fand am 30. Mai
eine stimmungsvolle Gedächtnisfeier zu Ehren der gefallenen jüdischen
Soldaten der Stadt Fulda statt. Gleichzeitig wurde die
Gefallenengedächtnistafel, die auf schwarzem Marmor in goldenen
Buchstaben in Deutsch und Hebräisch die Namen der 18 Mitglieder der
jüdischen Gemeinde verzeichnet, die den Heldentod gestorben sind,
eingeweiht. Zur Gedächtnisfeier waren neben den Mitgliedern der
jüdischen Gemeinde die Spitzen der Zivil- und Militärbehörden
erschienen. Außerdem nahmen Abordnungen von Krieger- und
Frontkämpfervereinigungen (darunter der Stahlhelm) an der Feier teil.
Provinzialrabbiner Dr. Cahn hielt die außerordentlich weihevolle und
ernste Gedenkrede. Alsdann brachte Landrat Freiherr von Gagern in einer
Ansprache zum Ausdruck, dass die Trauer der Gemeinde die Trauer des ganzen
Volkes sei. Für Artillerieregiment Nr. 5 sprach Oberstleutnant Scheffel,
der nebst Oberst Kraus und anderen Offizieren erschienen war. Scheffel
betonte, dass es im Kriege keinen Unterschied der Konfessionen gegeben
habe, und in dieser Einigkeit die Quelle der deutschen militärischen
Großtaten liege. Studienrat Eschelbach redete für das Reichsbanner
Schwarz-Rot-Gold, Beigeordneter Arnd überbrachte in Vertretung des
Oberbürgermeisters den Dank der Stadt für den Opfertod der jüdischen
Krieger. Namens des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten sprach Kamerad
F. Schuster, der auf die insgesamt 12.000 gefallenen Juden hinwies, und
Synagogenältester Dr. Herz sprach als letzter im Namen des
Synagogenvorstandes ehrende Worte für die Gefallenen."
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
1. Juli 1926: "Fulda, 1. Juni (1926). Am Sonntag Vormittag
fand in der hiesigen Synagoge eine Gedächtnisfeier zu Ehren der
gefallenen Soldaten unserer Gemeinde statt. Sie knüpfte sich an die
Einweihung der Gedächtnistafel an der inneren Nordwand der Synagoge. Die
Tafel ist aus schwarzem Marmor und verzeichnet in goldenen Buchstaben
deutsch und hebräisch die Namen der 18 gefallenen Helden der
Gemeinde. Zu der Feier waren neben den Gemeindemitgliedern die Spitzen der
Zivil- und Militärbehörden und Abordnungen der Krieger- und
Frontkämpfervereinigungen (darunter der Stahlhelm) erschienen. Nach dem
Chorgesang des Psalms 108, V. 18-19 hielt Herr Provinzialrabbiner Dr. Cahn
die Gedenkrede, die einen tiefen Eindruck hinterließ. Ferner sprachen
Landrat Freiherr von Gagern, Oberstleutnant Scheffel, der mit anderen
Offizieren in Uniform erschienen war, Studienrat Eschelbach, Beigeordneter
Arnd, der mit Beigeordnetem Wißler den in Urlaub befindlichen
Oberbürgermeister vertrat, Ferdinand Schuster und Gemeindeältester Dr.
Herz. Chorgesang des Psalms Michtam von David (Psalm 16), Verse
9-11 beendete die würdige Gefallenen-Gedächtnisfeier."
Eine Erweiterung der Synagoge wird vorgenommen
(1926)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
2. September 1926: "Fulda, 11. August (1926). Da der geplante
Neubau einer Synagoge, für den die jüdische Gemeinde dahier einen
Bauplatz in der Dalbergstraße besitzt, infolge der Geldverhältnisse in
der Nachkriegszeit nicht ausführbar ist, wird jetzt eine Erweiterung der
jetzigen Synagoge vorgenommen, nachdem sich die Gemeinde so sehr
vergrößert hat, dass der Raum nicht mehr ausreicht. Nach Beschloss der
Vorsteheramtes soll nun ein Erweiterungsbau nach der Mittelstraße
ausgeführt werden. Geplant ist eine Verlängerung des Hauptraumes mit
Emporen für Frauen und Chor, sowie des Treppenhauses. Der Erweiterungsbau
wird vollständig unterkellert und birgt im Keller die Garderobe und
Toiletten für Männer und Frauen. Die Arbeiten zum Erweiterungsbau werden
in den nächsten Tagen beginnen. Man hofft, dass die Vergrößerung bis Rausch
haschonoh (jüdisches Neujahrsfest) fertigt ist."
Die Erweiterung der Synagoge geht ihrer Vollendung
entgegen (1927)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
21. Juli 1927: "Fulda, 11. Juli (1927). Der Erweiterungsbau
der hiesigen Synagoge geht seiner Vollendung entgegen. Die
Innenausstattung der Synagoge selbst, wie auch des neu angelegten
Treppenhauses und einiger neu geschaffener Nebenräume ist geschmackvoll
und künstlerisch ausgeführt. Die Anzahl der Plätze in der Männer wie
in der Frauen-Synagoge konnte mehr als verdoppelt werden. Es ist damit
einem sehr dringenden Bedürfnis abgeholfen, da unsere Gemeinde in den
letzten Jahrzehnten starb gewachsen ist. Man rechnet mit einer Einweihung
am Schabbat Nachamu". (sc. das wäre der 13.
August gewesen, der dem 9. Aw folgende Schabbat).
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 29. Juli 1927: Dieselbe Mitteilung wie in der Zeitschrift "Der Israelit"
siehe oben.
Einweihung der erweiterten Synagoge am 9. September 1927
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
25. August 1927: "Fulda, 22. August (1927). Der
Erweiterungsbau der hiesigen Synagoge ist jetzt so weit fortgeschritten,
dass die Einweihung auf Freitag, den 9. September festgesetzt wurde.
Die Eröffnung der koscheren Küche im hiesigen Landeskrankenhaus findet
voraussichtlich am 1. September statt.
Die Küche steht unter Aufsicht des hiesigen Provinzial-Rabbiners Herr Dr.
L. Cahn."
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 9. September 1927: "Fulda. Am kommenden
Sonnabend, den 13. Elul findet die verschobene Einweihung der erweiterten
Synagoge statt. Am Sonntag, den 14. Elul, schließt sich eine gemütliche
Feier an. Zu beiden Veranstaltungen werden viele auswärtige Gäste
erwartet. Wir werden in unserer nächsten Nummer so Gott will ausführlich
über die Veranstaltungen berichten."
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 16. September 1927:
"Synagogen-Weihe in Fulda. Die neuerbaute Fuldaer Synagoge wurde
dieser Tage ihrer künftigen Bestimmung übergeben. Am Sabbatvorabend
hatte der erste feierliche Gottesdienst stattgefunden. Sonntagvormittag
war eine große Zahl von Vertretern der Behörden und Körperschaften der
Einladung zu einem offiziellen Festakt gefolgt. Erschienen waren
die Spitzen der Staatsbehörden, der Stadtverwaltung, Abordnungen von
Magistrat und Stadtverordneten, Landtagsabgeordneter Rhiel (Fulda),
Schulvorstände, gerner Vertreter von Industrie, Handel und Gewerbe. Auch
aus den israelitischen Nachbargemeinden waren zahlreiche Gäste zugegen.
Nach mehrstimmigem Chorgesang hielt in Verhinderung des Provinzialrabbiners
Dr. Cahn Rabbiner Kunstadt eine eindrucksvolle Ansprache, in der er
über die Würde und Bedeutung des Gotteshauses sprach. Landrat
Freiherr von Gagern überbrachte die Glückwünsche der Staatsbehörde.
Herr Oberbürgermeister Dr. Antoni sprach namens der Stadt Fulda.
Er wies darauf hin, dass die Fuldaer jüdische Gemeinde stets an allem
Guten treu mitgewirkt habe. Für die Synagogenältesten sprach deren
Mitglied Dr. Herz. Er legte in wohldurchdachten Ausführungen dar,
wie das Gotteshaus die Aufgabe hat, die menschliche Seele zu bilden und so
die Pflanzschule werden kann für die Menschen, die der Gemeinde, dem
Staat und der gesamten Menschheit wertvolle Dienste zu leisten in der Lage
sind."
Einbruch in der Synagoge (1929)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 1. November 1929: "Fulda. In der Nacht zum
Dienstag wurde in der Synagoge eingebrochen und die Armenbüchse
gestohlen, die über Sukkaus nicht geleert und annähernd 600 Mark
enthielt. Man ist dem Dieb auf der Spur."
Nach der Einweihung der erweiterten Synagoge 1927 war das
Gotteshaus nur noch elf weitere Jahre Mittelpunkt des jüdischen Lebens in der
Stadt.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge
am Morgen des 10. November unter Anleitung des
SS-Standortkommandanten Otto Grüner und seinen Helfershelfern niedergebrannt.
Die Feuerwehr war anwesend und musste sich auf den Schutz der umliegenden
Wohnhäuser beschränken. Ende Januar 1939 begann der Abbruch der
Brandruine. Die Kosten wurden der jüdischen Gemeinde auferlegt. An der Stelle
der Synagoge blieb ein Baulücke. Erhalten ist neben der Synagoge das Gebäude
des Gemeindesekretariat, in dem sich auch die Jeschiwa (Toralehranstalt)
und das rituelle Bad (Mikwe) befanden.
Auf dem Grundstück der ehemaligen Synagoge wurde ein Parkplatz sowie eine
Autowerkstatt angelegt. Letztere diente zuletzt als ein Box-Club.
Eine Neugestaltung des Synagogengrundstückes wurde 2010 durchgeführt (siehe
Presseberichte unten). Auf einer Darstellung an der Wand des Nachbarhauses ist
seitdem die Synagoge abgebildet. An einer Mauer finden sich die Namen der in der
NS-Zeit ermordeten Juden aus Fulda. Auf einer Gedenktafel ist zu lesen: "Hier
stand die Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Fulda. Sie wurde 1895 (falsch
für 1859) errichtet, 1927 erweitert und am 10. November 1938 von den
Nationalsozialisten niedergebrannt".
2024 erwarb die Stadt Fulda das Grundstück der ehemaligen Synagoge. Im April
2024 wurde die Betonfläche des Grundstückes entfernt und die darunter teilweise
noch erhaltenen Grundmauern der Synagoge freigelegt.
Adresse/Standort der Synagoge: Judengasse
(frühere Adresse: Obere Judengasse Nr. 2; heute "Am Stockhaus)
Fotos (Quelle: historische Fotos u.a. aus Arnsberg Bilder
s.Lit. S. 64; neuere Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 10.4.2009)
Historische Fotos (Quelle: Stadtarchiv Fulda)
Blick auf die ehemalige
Synagoge,
rechts des Gebäudes führt die
"Judengasse" entlang
Innenaufnahme mit Blick zum
Toraschrein;
links an der Nordwand ist die 1926
eingeweihte Marmortafel
für die 18
Gefallenen der jüdischen Gemeinde zu sehen
Das Grundstück der
ehemaligen
Synagoge im Frühjahr 2009
Die Fotos zeigen
das Grundstück der ehemaligen Synagoge; die Blickrichtung des Fotos in
der Mitte entspricht der Blickrichtung des historischen Fotos oben; die
Inschrift der Gedenktafel: "Zum Gedenken an die Mitbürger jüdischen
Glaubens, deren Synagoge hier einst stand, wurde diese Gedenkplatte
errichtet. Bis 1920 war die Fuldaer jüdische Kultusgemeinde auf fast 1200
Mitglieder gewachsen. 1938 lebten in Fulda noch 658 Juden, die das schwere
Los der Diskriminierung und Verfolgung zu erdulden hatten. Viele von ihnen
verloren ihr Leben in den Vernichtungslagern der Gewaltherrschaft. Wir
wahren das Andenken an unsere jüdischen Mitbürger und ehren ihre Toten.
Die Bürgerschaft der Stadt Fulda".
Das Gebäude des
Gemeindesekretariates
und der Mikwe
Ansichten der
ehemaligen Judengasse (heute "Am Stockhaus")
Video
zur Synagoge in Fulda (von Anja Listmann), eingestellt bei youtube
https://www.youtube.com/watch?v=86iQl3UDaAQ . Das Video gibt einen Überblick über die geschichtliche und religiöse
Entwicklung der Fuldaer Synagoge vom Mittelalter bis zu Ihrer Zerstörung
während des Novemberpogroms 1938.
The video gives an overview of the historical and religious development of
the Fulda synagogue from the Middle Ages until its destruction during the
November pogrom in 1938.
Weitere Videos
https://juden-in-fulda.org/videos/
November 2009:
Gedenken am 71. Jahrestag des Novemberpogroms
1938
Artikel von Wolfgang Hohmann in der "Fuldaer Zeitung" vom
10. November 2009 (Artikel):
"Gedenken an die Reichspogromnacht.
FULDA. Von einem 'fest gefügten Kalenderdatum' sprach Oberbürgermeister Gerhard Möller (CDU) am Montagabend und meinte nicht den Fall der Mauer oder 60 Jahre Bundesrepublik. Er bezog sich auf das Gedenken an die Reichspogromnacht 'am 9. November vor 71 Jahren und an diesem
Platz'..."
März
2010: Das Grundstück der ehemaligen
Synagoge wird umgestaltet
Artikel in "Fuldainfo" vom März
2010 (Artikel): "Gestaltung des Platzes der ehemaligen Fuldaer Synagoge
Fulda (fdi) - Die Stadtfraktion der Fuldaer Grünen begrüßen die geplante Umgestaltung des Ortes, an dem bis zum 10. November 1938 die Fuldaer Synagoge stand. Der Hintergrund dieser Pläne geht zurück auf den Antrag der Grünen, das Projekt Stolpersteine von Gunter Demnig auch in Fulda zu verwirklichen. Der Kölner Künstler erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten..."
Oktober
2010: Eine neue Gedenkstätte wird
eingeweiht
Artikel von Volker Nies in der "Fuldaer Zeitung" vom 7. Oktober
2010 (Artikel):
"Neue Gedenkstätte für 252 deportierte Fuldaer Juden.
FULDA Regine Eschwege und Fritz Goldschmidt, Karl Strauss und Bea Weinberg – das sind vier von 252 jüdischen Bürgern, die 1940 bis 1942 aus Fulda deportiert wurden. Ein neuer Gedenkstein nennt alle Opfer jetzt erstmals mit
Namen..."
November
2010: Vortrag über die Zerstörung
der Synagoge beim Novemberpogrom 1938
Artikel von Volker Nies in der "Fuldaer Zeitung" vom 10.
November 2010 (Artikel):
"Vortrag: Morgens um sechs brannte die Synagoge
Fulda In der Reichspogromnacht am 10. November 1938 wurde die Synagoge in Fulda zerstört.
'Von der Zerstörung der Synagogen bis zum Massenmord an den Juden war es nur ein kurzer Weg', sagte der Historiker Dr. Walter Mühlhausen in der Marienschule..."
November/Dezember
2012: Ausstellung "Jüdische
Nachbarn - Wege von gestern"
Das inhaltliche Konzept dieser Ausstellung wurde erarbeitet von Gabriel
Müller, Fulda. Die Realisierung geschah in Kooperation mit dem Stadtarchiv, dem Vonderau Museum
Fulda und der "Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
in Fulda".
Ausstellung "Jüdische Nachbarn - Wege von gestern"
(Informationstext aus http://fulda.deutscher-koordinierungsrat.de/gcjz-fulda-archiv-ausstellung)
vom 8. November bis 3. Dezember 2012
Laut Melderegister lebten am 31. Dezember 1933 in der Stadt Fulda 28.293 Einwohner, davon 1029 Juden. Juden prägten das Stadtbild mit. Sie führten beliebte Geschäfte, deren Sortiment auf die katholische Bevölkerung der Stadt und auf den Bedarf der umliegenden Dörfer abgestimmt war. Fast Alle – vom ärmsten Hausierer bis zum Fabrikbesitzer – waren selbstständig oder im Familiengeschäft tätig.
Soweit sie nicht bereits emigriert oder geflohen waren, wurden die noch verbliebenen Fuldaer Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft schließlich in das Ghetto Riga und die Konzentrationslager Theresienstadt und Sobibor deportiert. Die Ausstellung dokumentiert die Geschichte und das Schicksal der Fuldaer Juden in dieser Zeit, von denen lediglich 14 die Schoah überlebten.
Eingestellt als pdf-Dateien: Info-Flyer zur AusstellungAusstellung Teil 1 mit den ersten acht BildtafelnAusstellung Teil 2 mit den zweiten acht Bildtafeln.
September 2014:Ausstellung "200 Jahre
Emanzipation der Juden in Fulda und Region" Ausstellung vom 11. September
bis 19. Oktober 2014
Ausstellungskonzeption:
Die Ausstellung zeigt den wechselvollen Weg der Fuldaer Juden in die
Emanzipation im 19. Jahrhundert. Mit den napoleonischen Eroberungen wurden
die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution zu
Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten verbreitet. Für die Juden
wurden sie zu einer rechtlichen und individuellen Hoffnung. Dieser Prozess
der gesellschaftlichen Integration ist jedoch auch von Widerständen auf
kommunaler und lokaler Ebene begleitet.
Die wirtschaftliche Emanzipation war ab der Mitte des 19. Jahrhunderts am
unternehmerischen Erfolg jüdischer Kaufleute und Produzenten ablesbar. Dies
veranschaulicht die Ausstellung beispielhaft an den Portraits von drei
Unternehmerfamilien. Dass nicht alle an dieser Entwicklung teilhatten, wird
an dem hohen Anteil von jüdischen Auswanderern nach Amerika deutlich. Mit
dem aufkommenden Zionismus um die Jahrhundertwende wurde 'Erez Israel – das
Land der Verheißung' zu einem neuen Ziel.
Welche Bedeutung die Bildung im Selbstverständnis der Juden einnahm, zeigen
die Diskussionen über die Schulbildung in öffentlichen staatlichen Schulen
oder in eigenen jüdischen Elementarschulen. Die Diskussionen waren geprägt
vom Spannungsverhältnis zwischen Anpassung und Bewahrung der jüdischen
Identität.
Wie sehr der jüdische Alltag von Religion geprägt war und ist, zeigt die
Ausstellung mit den Feiertagen und Erinnerungsfesten des religiösen
Jahreskreises sowie am Leben des Einzelnen und seiner Familie.
In großformatigen Bildcollagen und mit den Modellen von Synagogen werden
Eindrücke von der Vielfalt des Landjudentums in der Region Fulda gezeigt.
Ihre Vernichtung spiegelt sich symbolisch in den Abbildungen zerstörter
Synagogen wider.
Ab November 2014 (bis 2021):
Ausstellung "200 Jahre Emanzipation der Juden in Fulda und Region" wird in
eine Wanderausstellung umgewidmet
Die Ausstellung "200
Jahre Emanzipation der Juden in Fulda und Region" wurde in eine
Wanderausstellung umgewidmet und Ende 2017 um die in der Rhönstadt Tann
gezeigte Ausstellung "400 Jahre Juden in der Rhön" erweitert. Das flexible
Gestaltungsformat der auf Stoff gedruckten großformatigen Fotoreproduktionen
und Informationstafeln erlauben es, die Aufstellung den jeweiligen örtlichen
Gegebenheiten anzupassen.
Seit 2014 wurde die Ausstellung an etwa 20 Schulen in der Region Fulda, der
Hochschule Fulda und weiteren Bildungseinrichtungen gezeigt. In
Eröffnungsveranstaltungen, Workshops und Führungen mit Klassen und
Schülergruppen sowie Studierendengruppen, Spurensuche zu Orten jüdischen
Lebens, Lehrerfortbildungen und öffentliche Abendveranstaltungen wird die
Ausstellung als mobiler Lernort genutzt. Über 1000 Schülerinnen und Schüler
haben bisher an den Veranstaltungen teilgenommen. Mindestens die gleiche
Anzahl haben mit ihren Lehrerinnen und Lehrern insbesondere im Geschichts-
und Religionsunterricht die Ausstellung besucht
Betreut wird die Ausstellung von Dr. Michael Imhof und Joachim Schulz (beide
Petersberg bei Fulda)
Fotos /
Eindrücke von der Ausstellung
November
2014: Gedenken zum Novemberpogrom
1938
Artikel in den
"Osthessen-News" vom 10. November 2014: "Pflicht zur
Erinnerung" Gedenkfeier an REICHSPOGROMNACHT- Bischof Algermissen: "schlimmes Erbe"
Er ist einer der geschichtsträchtigsten Tage im Jahr, der nie in Vergessenheit geraten darf: der 9. November. Im Jahr 1938 - der Reichspogromnacht - brannten in Deutschland die Synagogen. 1.400 Gotteshäuser wurden auf brutale Weise zerstört. Jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zertrümmert, 400 Menschen ermordet, jüdische Friedhöfe geschändet und 30.000 Juden verhaftet und in Vernichtungslager deportiert.." Link
zum Artikel
März 2016:
Gedenktafel im Freiherr vom
Stein-Gymnasium
Am 1. März 2016 wurde
im Freiherr vom Stein Gymnasium auf Initiative von Dr. Michael Imhof,
Schulamtsdirektor für regionale Lehrerfortbildung in Fulda a.D., und
Schulleiter Helmut Sämann ein Memorial für die 106 in der Zeit des
Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Schüler der früheren Oberrealschule
Fulda enthüllt. In der ehemaligen Oberrealschule in Fulda wurden seit ihrer
Gründung im Jahre 1838 bis 1936 etwa 700 jüdische Schüler unterrichtet. Ihr
Anteil betrug zeitweise 30 bis 40 Prozent der Schülerschaft eines Jahrgangs.
Gemessen am jüdischen Anteil von nur etwa vier Prozent an der Fuldaer
Gesamtbevölkerung ist dieser Wert überproportional hoch und ein Beleg für
das große Bildungsinteresse der Juden in der Stadt und der Region Fulda. Mit
der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden Antisemitismus und
Judenverfolgung Staatsdoktrin. Die jüdischen Schüler wurden diskriminiert
und gezwungen, die Schule zu verlassen. 1936 gab es keine jüdischen Schüler
mehr auf der Oberrealschule Fulda. In der Jubiläumsschrift zum 100jährigen
Bestehen der Schule 1938 waren ihre Namen aus den Schülerlisten getilgt.
Eigens wurde in der Schrift darauf hingewiesen, dass die Schule von nun an
'judenfrei' sei. Von den ehemaligen jüdischen Mitschülern wurden 104 in den
Vernichtungslagern und durch den Terror ermordet. Am Ende stehen die
Todesorte Auschwitz, Sobibor, Maidanek, Treblinka, Theresienstadt,
Bergen-Belsen. Weitere 240 ehemalige jüdische Schüler konnten sich nur durch
Flucht ins Ausland retten. 'Ihr Schicksal ist Teil der Geschichte unserer
Schule. Ihre Namen sind uns Erinnerung und Mahnung für die Zukunft', steht
auf der Gedenktafel.
Michael Imhof hat mit dem Regionalforscher Gabriel Möller aus Schul- und
Archivakten die Lebensdaten zu den Schülern recherchiert. Sie sind mit ihrem
Namen, dem Geburtsdatum und der Verweildauer in der Schule sowie dem Ort und
Datum ihrer Ermordung aufgeführt. Mit der Kunsterzieherin Judith Winkelbach
wurde das Memorial in Form eines Triptychons gestaltet. Das Memorial (im
Pausenfoyer, seit Dezember 2021 im Treppenhaus der Schule) ist in Deutsch
und Hebräisch überschrieben mit 'Jeder Mensch hat einen Namen - Lesch Isch
Jesch Schem' (Gedicht von Zelda Schneersohn Mishkovsky). Darauf bezog sich
Helmut Sämann (Schulleiter bis Januar 2016) in seiner Begrüßung: 'Es ist mir
eine Herzensangelegenheit, diesen Menschen ihre Identität zurückzugeben'.
In seinem Grußwort sagte Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld: 'Es ist
wichtig, sich klarzumachen, dass der Holocaust nicht abstrakt ist, sondern
genau hier bei uns in Fulda geschehen ist – und der Mensch sich in seinem
Kern seit damals nicht verändert hat. Viele Schüler fragen sich, wie es so
weit kommen konnte, dass sechs Millionen Menschen ermordet wurden. An den
aktuellen politischen Entwicklungen wie in Sachsen ist zu sehen, wie schnell
Hass in Gewalt umschlagen kann.' Der geschäftsführende Direktor der
Jüdischen Gemeinden in Hessen, Daniel Neumann betonte: 'Das ideologische
Gift der Vergangenheit ist nicht nach Ende des Holocaust verschwunden. Es
genügt nicht, sich politisch mit den Opfern zu solidarisieren –
Antisemitismus, Rassismus und Hassbotschaften müssen aktiv bekämpft
werden.'
Michael Imhof zeigte am Schicksal von Aaron Nussbaum (geb. 1863 in
Rothenkirchen bei Hünfeld), Fritz Nussbaum (geb. 1895 in Fulda) sowie den
Brüdern Salomon und Josef Frank (geb. 1923 bzw. 1922 in Fulda), wie mit dem
Einzelschicksal der Schüler das Schicksal ganzer Familien, deren Deportation
und Ermordung, verbunden war.
Roman Melamed vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Fulda sprach ein
jüdisches Trauergebet. Schülerinnen und Schüler der Leistungskurse
Geschichte der Jahrgangsstufe 11 verlasen in einer szenischen Darstellung
die Namen aller Opfer. Der Festakt wurde mit Lied- und Instrumentalbeiträgen
eindrucksvoll begleitet.
Die Gedenktafel am Tag
der Einweihung
Dezember 2016/Januar 2017:
Zum Tod von Michael Kahn, Sohn
des letzten Rabbiners in Fulda
Artikel in der "Fuldaer Zeitung"
vom 4. Januar 2017: "Michael Cahn, Sohn von Fuldas letztem Rabbiner,
gestorben
Fulda. Nach der Reichspogromnacht 1938 flohen er und seine Familie aus
Osthessen. Trotz der Gräueltaten im Dritten Reich warb Michael Cahn, Sohn
von Fuldas letztem Rabbiner, Dr. Leo Cahn, sein Leben lang in Israel und der
alten Heimat für gegenseitigen Austausch. Nun ist Michael Cahn mit 92 Jahren
gestorben. 'Wir werden ihm und seinem Lebenswerk stets ein ehrendes Andenken
bewahren', kündigte Fuldas Bürgermeister Heiko Wingenfeld über den nun
verstorbenen Träger der Ferdinand-Braun-Medaille der Stadt Fulda an. Lesen
Sie nachfolgend eine Pressemitteilung der Stadt Fulda im Wortlaut: Mit tiefer Betroffenheit hat die Stadt Fulda die Nachricht zur Kenntnis
genommen, dass Michael Cahn am 31. Dezember 2016 verstorben ist. Michael
Cahn wurde am 14. November 1924 als Sohn des letzten Rabbiners in Fulda, Dr.
Leo Cahn, geboren. Nach der Reichspogromnacht 1938 emigrierte er gemeinsam
mit seinen Eltern und Geschwistern und gelangte so über England und Tel Aviv
nach Jerusalem, wo er mit seiner Ehefrau Chassida und seinen vier Kindern
lebte und schließlich im Alter von 92 Jahren verstarb. Trotz der
schrecklichen Umstände, die zu dem Wegzug aus seiner Heimatstadt führten,
fühlte sich Michael Cahn seiner Geburtsstadt zeitlebens verbunden. Immer
wieder reiste er mit seiner Familie nach Osthessen, um als Augenzeuge
darüber zu berichten, was im Kontext der Reichspogromnacht in Fulda
geschehen war. Sein Anliegen war es dabei stets, sachlich über die
Ereignisse der Vergangenheit zu berichten und daraus Lehren für die
Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Besonderes Augenmerk legte er darauf, die
Jugend zum Austausch und gegenseitigen Verständnis zu ermuntern. Hierzu
gehört auch, dass er durch sein Wirken maßgeblich dazu beigetragen hat, den
Weg für Kooperationen der Hochschule Fulda mit Hochschulen in Israel zu
ebnen. 'Es war ihm ein Anliegen, aus dem Vergangenen zu lernen und den Blick
auf die Zukunft zu richten. Er hat sein Leben in den Dienst der Aussöhnung
gestellt und durch sein vorbildliches Engagement die Beziehungen zwischen
Israel und Fulda nachhaltig und positiv beeinflusst', zollt
Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld dem Verstorbenen tiefen Respekt für
dessen Lebenswerk. In Anerkennung seiner Verdienste um die Verbindungen der
Stadt Fulda zu Israel wurde Michael Cahn im Januar 2015 mit der
Ferdinand-Braun-Medaille der Stadt Fulda geehrt. Mit dieser Auszeichnung
werden Personen gewürdigt, die im gesellschaftlichen Leben Fuldas besondere
Leistungen erbracht und dadurch zum Ansehen der Stadt Fulda beigetragen
haben. 'Mit Michael Cahn verlieren wir eine Persönlichkeit, die sich durch
tiefe Menschlichkeit und durch die Herzlichkeit ihrer Freundschaft
ausgezeichnet hat. Wir werden ihm und seinem Lebenswerk stets ein ehrendes
Andenken bewahren', so Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld."
Link zum Artikel
November
2017:Gedenken zum Novemberpogrom
1938
Artikel in der "Fuldaer
Zeitung" vom 8. November 2017: "Reichpogromnacht vor 79 Jahren: Gedenkfeier mit Zeitzeugen an ehemaliger Synagoge.
FULDA. Zu einer Gedenkfeier anlässlich des 79. Jahrestags der Reichspogromnacht 1938 laden die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Fulda und die Stadt Fulda am Donnerstag, 9. November, alle interessierten Bürger an die Gedenkstätte
'Am Stockhaus' – am Standort der ehemaligen Fuldaer Synagoge – ein. Los geht es am Donnerstag um 18 Uhr. Das teilte die Stadt Fulda mit, dessen Pressemitteilung Sie nachfolgend im Wortlaut lesen: Ein besonderer Gastredner bei der Gedenkfeier ist Martin Löwenberg, der als Zehnjähriger den Brand der Fuldaer Synagoge selbst miterlebte und 1941 mit seiner Familie und vielen anderen Fuldaer Juden deportiert wurde.
Während seine Eltern und seine Brüder in Auschwitz ermordet wurden, überlebten Martin Löwenberg und seine Schwester Eva den Holocaust und wanderten später in die USA aus. Die Rede Löwenbergs bei der Gedenkfeier wird eingeleitet von dem Beitrag einer Projektgruppe der Fuldaer Bardoschule (Leitung: Anja Listmann), die sich mit dem Leben Löwenbergs beschäftigt hat.
Zu der Kranzniederlegung an der Gedenkstätte 'Am Stockhaus' werden Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld, Bischof Heinz Josef Algermissen, Pfarrer Marvin Lange sowie Roman Melamed, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Fulda, sprechen.
Nach der Gedenkstunde findet in der Kapelle des Vonderau-Museums eine Lesung mit Musik unter dem Titel
'Lyrik gegen das Vergessen – Texte, Gedichte und Lieder aus Ghettos und Konzentrationslagern
1933-1945' statt. Der Eintritt ist frei. Die Schauspielerin und Sprecherin Ursula Illert liest eine von ihr zusammengestellte Auswahl der Texte. Anka Hirsch hat dazu eine brüchig-assoziative Musik komponiert, die sie auf dem Cello spielt.
Bereits vor der Gedenkfeier 'Am Stockhaus' beginnt die Erinnerung an die Pogromnacht und das Schicksal der Juden in Fulda um 17 Uhr mit einer besonderen Veranstaltung von der Projektgruppe der Bardoschule auf dem Jerusalemplatz (Rabanusstraße/Sturmiusstraße). Dort werden die Ausstellungsthemen
'Alter jüdischer Friedhof', 'Pogrom in Fulda 1938' und 'Deportationen aus Fulda
1941/42' präsentiert. Es sprechen Martin Löwenberg sowie Ethan Bensinger und Roy Stern, beides Nachkommen Fuldaer Juden." Link
zum Artikel
November 2018:
Gedenken zum Novemberpogrom 1938
Artikel von Jasha Günther in der
"Osthessen-Zeitung" vom 9. November 2018: "Gedenkfeier und Lesung zum
Jahrestag der Pogromnacht - Fulda (gü) – Mit einem Gebet am ehemaligen jüdischen Friedhof, einer
Gedenkfeier am Platz der ehemaligen Synagoge und einer Lesung im
Kanzlerpalais wurde in Fulda am Donnerstag den Opfern der Pogromnacht vor 80
Jahren gedacht. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren
bundesweit Synagogen, Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe von den
Nationalsozialisten zerstört worden – auch in Fulda.
'Aktuell leben wir wieder in einer Zeit, in der populistische Gruppen unsere
freiheitliche Gesellschaft aufs Spiel setzen und gefährden', mahnte
Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld. All dies zeige, dass die
Gesellschaft heute nicht sagen könne, aus der Vergangenheit gelernt zu
haben. In eine ähnliche Richtung gingen auch die Worte des ehemaligen
Fuldaer Bischofs Heinz-Josef Algermissen: 'Der Anfang wird immer in den
Herzen der Menschen gelegt.' Weder die Gräueltaten von damals noch die
Kriege von heute fielen vom Himmel, sie würden immer vorbereitet. Wingenfeld
appellierte, dass das Erinnern mit 80 Jahren Abstand für die
Vorstellungskraft immer schwerer werde, aber nicht aufhören dürfe: 'Als
Stadt haben wir die Aufgabe, an das wahrhaftig dunkelste Kapitel unserer
Stadtgeschichte zu erinnern.' Gegen das Vergessen brauche es Orte, deshalb
freute sich Wingenfeld, dass im Erdgeschoss des Hauses Am Stockhaus 2 das
damalige jüdische Leben in Fulda sichtbar gemacht wurde. Dort wurde in
kurzer Zeit eine Lichtinstallation mit großen Fotos geschaffen. 'Das ist
sehr würdig gelungen', lobte Wingenfeld, der zudem auch den zahlreichen
Bürgern für ihr Kommen dankte. Unter den Teilnehmern waren auch Vertreter
der städtischen Gremien und der Kirchen. Da wie Wolfgang Hengstler, zweiter
Vorsitzender des Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit,
ausführte, Einzelschicksale immer einprägsamer als eine Zahl wie sechs
Millionen getötete Juden seien, berichte Michael Braunold, der selbst in
Israel lebt, über das Leben seines Vaters. Dieser wurde durch einen
Kindertransport nach England gerettet, seine Großeltern wurden deportiert
und ermordet.
Am Jerusalemplatz, wo sich früher der jüdische Friedhof Fuldas befand, hatte
der 95-jährige Heinz Hesdörffer, Überlebender des Holocaust, ein Kaddisch
(jüdisches Gebet) für das Seelenheil der Verstorbenen gesprochen. Zuvor war
ein weiteres Gebet gesprochen worden und Nachfahren Fuldaer Juden, die zur
Gedenkwoche nach Osthessen gekommen waren, hatten über den Umgang mit Juden
während der NS-Zeit und heute berichtet. Auf einem großen Transparent waren
die Namen derer zu lesen, die zwischen 1822 und 1906 auf dem jüdischen
Friedhof begraben worden waren, weitere Roll-Ups informierten über den alten
jüdischen Friedhof, die Deportation Fuldaer Juden, die Kindertransporte und
die Pogromnacht.
Im Anschluss gab es eine Lesung im Kanzlerpalais, zu der die Gesellschaft
für christlich-jüdische Zusammenarbeit eingeladen hatte. Igal Avidan las aus
seinem Buch 'Mod Helmy. Wie ein arabischer Arzt in Berlin Juden vor der
Gestpo rettete'. Der Arzt Mod (Mohamed) Helmy wurde von den
Nationalsozialisten als 'Nichtarier' diskriminiert und als Ägypter
inhaftiert. Trotzdem half er jahrelang einer jüdischen Familie aus Rumänien,
sich vor der Gestapo zu verstecken. Der Autor Avidan fand Helmys ehemalige
Patienten, besuchte seine Verstecke und zeichnete seine einzigartige
Geschichte nach.
Mit Rücksicht auf den Shabbat, den jüdischen Ruhetag, am Freitag, waren die
Gedenkveranstaltungen in diesem Jahr nicht auf den Jahrestag selbst gelegt
worden. Stattdessen hatten das Kulturamt der Stadt Fulda, der Fuldaer
Geschichtsverein, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
und das Projekt Juden in Fulda zu verschiedenen Veranstaltungen in dieser
Woche eingeladen. Aus Anlass der Gedenkwoche besuchten auch mehr als 20
Gäste aus den USA, Israel und Brasilien die Heimatstadt ihrer Eltern und
Großeltern. Gestartet war die Gedenkwoche am Dienstag mit einem
Schweigemarsch vom Jerusalemplatz zum Bahnhof. Am Abend hatte es dann ein
Podiumsgespräch gegeben, bei dem die Nachfahren über verschiedene Aspekte
wie Alltag in Fulda, Rettung durch Kindertransporte, Deportation und
Ermordung sowie gelungene Flucht berichtet hatten."
Link zum Artikel
Dezember 2019:
Gedenkmarsch zur Erinnerung an
die NS-Verbrechen
Artikel in der "Fuldaer Zeitung" vom 4. Dezember 2019: "Erinnerung
an NS-Verbrechen in Fulda: Schweigemarsch durch Innenstadt geplant
Erinnerung an NS-Verbrechen in Fulda: Schweigemarsch durch Innenstadt
geplant Fulda. Mit einem Schweigemarsch soll am Donnerstag, 5. Dezember, an
die 135 Menschen erinnert werden, die von den Nationalsozialisten am 8.
Dezember 1941 von Fulda nach Riga deportiert und zum großen Teil dort
ermordet wurden. Der Marsch beginnt um 12.30 Uhr am Jerusalemplatz, wo sich
früher der jüdische Friedhof befand, und endet um 13.15 Uhr am
Bahnhofsvorplatz. Am Bahnhof wurden die Opfer in Waggons gepfercht. 'An alle Deportationen erinnern'. 'Ziel ist, dass wir in Fulda an
alle Deportationen erinnern, nicht nur an die vom Dezember 1941, sondern
auch an die der Sinti und Roma im März 1943 und die zweite und dritte der
Fuldaer Juden im Mai und September 1942', sagt Anja Listmann, die den Marsch
angemeldet und organisiert hat. Listmann forscht seit vielen Jahren zum
Schicksal der jüdischen Bürger in Fulda und in anderen Städten der Region.
'Am Donnerstag sind die Namen der 135 Deportierten vorbereitet, sodass jeder
Teilnehmer und jede Teilnehmerin, wenn er oder sie das möchte, eine oder
zwei Personen symbolisch mit auf den Weg zum Bahnhof nehmen und dort den
Namen der Person vorlesen kann', sagt Listmann.
Der Erinnerungsmarsch fand vor einem Jahr anlässlich des Jahrestags von 80
Jahren Reichspogromnacht das erste Mal statt."
Link zum Artikel
Februar 2020:
Sollen in Fulda "Stolpersteine"
verlegt werden?
Artikel von Marius Scherf in der
"Fuldaer Zeitung" vom 29. Februar 2020: "Werden jemals auch in der Stadt
Fulda Stolpersteine verlegt?
Fulda. Sind Stolpersteine eine angemessene Art an die Opfer des
NS-Regimes zu erinnern? Die Meinungen darüber sind verschieden. In der
Region gibt es sie vielerorts – in Fulda selbst nicht.
Seit 1996 wurden in ganz Europa 75.000 Stolpersteine verlegt. Mittlerweile
bilden sie die größte dezentrale Gedenkstätte der Welt. Jeder Stolperstein
trägt den Namen eines Opfers des NS-Regimes und befindet sich dort, wo das
Opfer zuletzt gelebt hat. Künstler Gunter Demnig, der einst die Idee zu den
Stolpersteinen hatte, betonte bei einem Vortrag im Bonifatiushaus, wie
wichtig diese Art der Erinnerungskultur aber sei: 'Für die vielen
Ermordeten, die nie ein Grab bekommen haben, und deren Angehörige sollen sie
vor allem Schlusssteine sein – keine Grabsteine'. Das Konzept ist eng mit
dem Leben des Künstlers verbunden: Schon als junger Student experimentierte
er mit Aktionskunst auf Straßen und Plätzen. Bündnis 'Fulda stellt sich quer' für Stolpersteine. 'Ich wollte
Spuren hinterlassen', sagt der heute 73-Jährige. Die Idee zu den Steinen kam
ihm 1993, Drei Jahre später wurden die ersten in Berlin verlegt, damals noch
ohne offizielle Genehmigung. 'Heute nimmt alles endlich die Form an, die ich
mir gewünscht habe', sagt er. Und die Anfragen werden nicht weniger, sondern
immer mehr. Jeder kann einen Antrag auf Verlegung beim Künstler und einen
auf Genehmigung beim Magistrat seiner Stadt stellen. Das Bündnis 'Fulda
stellt sich quer' macht sich nun für eine Verlegung stark: 'Es gibt in Fulda
zu wenig sichtbares Gedenken für die Opfer des Faschismus. Stolpersteine
sind eine langjährige Forderung von uns, wir wollen alle Verfolgten sichtbar
machen,' sagt Andreas Goerke, Vorsitzender des Vereins. In Fulda gehen die Meinungen auseinander. Doch die Meinungen gehen
weit auseinander, auch unter Vertretern der jüdischen Gemeinden. Charlotte
Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, spricht sich
gegen die Steine aus. Da die Tafeln im Boden liegen, würden die Ermordeten
erneut mit Füßen getreten. Josef Schuster, ihr Nachfolger im Amt, ist ganz
anderer Meinung. Er hält Stolpersteine für eine würdige Art der Erinnerung.
Menschen blieben stehen und würden im Alltag mit der Geschichte
konfrontiert. Auch in Fulda sind die Meinungen verschieden. 'Der Name eines
Menschen ist ein Teil von ihm. Dass dieser mit Füßen getreten wird, finde
ich respektlos', sagt Roman Melamed, Vorstandsmitglied der jüdischen
Gemeinde in Fulda. Das Projekt entspreche seiner Meinung nach nicht dem
Geist der jüdischen Religion. Entscheidung der Stadt. 'Ob jemals Steine nach Fulda kommen, ist
nicht die Entscheidung der jüdischen Gemeinde, sondern die der Stadt' sagt
Melamed. 'Aber ich werde mich nicht dagegen stellen, wenn andere die Steine
in Fulda haben wollen'. Die Jüdische Gemeinde ist für die Stadt bei der
Frage nach Stolpersteinen ein wichtiger Ansprechpartner, sagt Johannes
Heller, Pressesprecher der Stadt Fulda. 'Mit deren Vertretern stehen wir im
intensiven Dialog'. 'Ein schwebendes Verfahren'. Eine eindeutige Position hat die Stadt
momentan aber nicht: 'Die Gremien – unter anderem der Ältestenrat– befassen
sich mit dem Thema', sagt Heller. Margarete Hartmann (CDU) ist Vorsitzende
des Ältestenrates und bestätigt dies, kann sich aber auch nicht weiter
äußern: 'Es handelt sich um ein schwebendes Verfahren. Es steht nicht fest,
wie formal weiter vorgegangen wird, daher werden auch keine Ergebnisse nach
außen transportiert.' Falls in Zukunft eine Genehmigung durch die Stadt
erfolgt, müssen vor einer Verlegung durch den Künstler die historischen
Daten – vom Geburtstag bis Ort und Umstand des Todes – genau recherchiert
werden. In vielen Städten haben sich daher vor einer Verlegung Arbeitskreise
gebildet. Erinnerung in den Alltag tragen. Für eine solche Vorgehensweise wäre
auch Dr. Sebastian Koch. Er ist Historiker und Mitglied der FDP in Fulda.
'Wir müssen versuchen, alle in ein Boot zu holen' fordert er. Dazu gehörten
auch die jüdische Gemeinde und alle anderen Angehörigen von Opfergruppen.
Für ihn ist die Frage, welche Form der Erinnerung wir heute brauchen von
enormer Bedeutung. 'Es wird mehr Aufklärung erforderlich sein, weil es immer
weniger Zeitzeugen gibt.' Stolpersteine könnten die Erinnerung in den Alltag
tragen. 'Die Zeit des Nationalsozialismus darf nicht einfach historisiert
werden.' Erinnerungsstätte am Stockhaus. Eine Erinnerungsstätte für die
jüdischen Opfer gibt es in Fulda am Stockhaus, an der ehemaligen Synagoge,
die 1938 von den Nazis niedergebrannt wurde. Der Magistrat hatte sich 2010
noch unter Oberbürgermeister Gerhard Möller (CDU) für Messingtafeln
entschieden, auf denen die Namen 252 deportierter jüdischer Bürger
eingraviert sind und heute einen Parkplatz zäunen... "
Link zum Artikel
Hinweis
auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Fulda
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs
(innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus
hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar:
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41
Zu Fulda sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur
Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):
HHStAW 365,345 Familien- und Geburtsregister der Juden von
Fulda 1748 - 1899
Literatur:
Germania Judaica I S. 113-114;
II,1 S. 267-268; III,1 S. 419-421.
Paul Horn/ Naftali Herbert Sonn: Zur Geschichte der Juden in
Fulda. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv 1969.
Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 221-235.
ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 63-67.
Keine Abschnitte zu Fulda bei Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 und dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. und dies.: Neubearbeitung der
beiden Bände. 2007².
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S.
13-19.
Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 527-534.
Heinz-Jürgen Hoppe: Das jüdische Fulda. Ein historischer Stadtrundgang. Hünfeld
1998.
Bert
Wallace: Ketzerbriefe 79. Bert Wallace - Der Sturm zieht auf. € 9,-
Ahriman-Verlag Freiburg. Informations-Seite
des Verlages.
ISSN: 0930-0503. ISBN: 978-3-89484-219-2 (ISBN-10: 3-89484-219-9). April 1998. Zu diesem Buch und dem Autor: Bert Wallace (urspr. Wallach) wuchs in der Weimarer Republik als Sohn einer jüdischen Familie auf, die seit der Reformationszeit im Hessischen ansässig war; sein Vater besaß eine größere Gemischtwarenhandlung. Nach der Machtübernahme der Nazis konnte Bert Wallace 1934 nur noch unter schwerster Drangsalierung in Fulda das Abitur ablegen und versuchte dann, nachdem ihm wegen seiner jüdischen Herkunft Studium und sogar eine Lehre verwehrt worden waren, als "Praktikant" den Beruf des Werkzeugmachers zu erlernen. Zwischen 1934 und 1938 war er führendes Mitglied jüdischer Jugendorganisationen (v. a. der Habonim) in Fulda, Karlsruhe und Hamburg. Auf Druck der Nazis immer wieder selbst als Praktikant entlassen, ständig überwacht von der Gestapo, immer schärferer Verfolgung ausgesetzt, entging er mehrfach nur haarscharf Verhaftung und Konzentrationslager. Erst im Frühjahr 1939 flüchtete er nach England und entrann so in allerletzter Minute dem Schicksal seiner zurückbleibenden, in den folgenden Jahren ermordeten Angehörigen und Freunde. Bert Wallace emigrierte weiter in die USA, wo er eine Ingenieursausbildung nachholte und sich eine Existenz aufbaute. Er lebte bis zu seinem Tod am 11. Juni 2005 in New York.
Juden in Deutschland und 1000 Jahre Judentum in Fulda.
hrsg. von Michael Imhof. Zukunft Bildung Region Fulda e. V.
Erschienen im Michael Imhof Verlag
Petersberg 2011.
24 x 30 cm, 440 Seiten, 700 S/W und 200 Farbabbildungen, Hardcover. ISBN 978-3-86568-673-2
(D) 44,00 € CHF 62,90 (A) 45,25 €
Die vorliegende Publikation ist ein umfangreiches Standardwerk zur Geschichte der Juden in Deutschland, unter besonderer Berücksichtigung der jüdischen Gemeinden im Raum Fulda. Die detaillierte Darstellung reicht von den Ritualmorden, der Kammerknechtschaft und den Pestpogromen im Mittelalter sowie den Einschränkungen durch die Judenordnungen und der jahrhundertelangen Vertreibung und Verfolgung bis hin zur Deportation in die Vernichtungslager zur Zeit des Nationalsozialismus. Dabei werden aber auch hoffnungsvolle Entwicklungen im Sinne einer Emanzipation und Integration im 19. Jahrhundert nicht ausgeklammert. Das Buch stellt die jüdischen Gemeinden im Raum Fulda anhand zahlreicher Abbildungen im Einzelnen vor und gibt einen Ausblick auf die Neuentwicklung jüdischen Lebens in der
Region.
Michael
Imhof: Juden in der Rhön. Jubiläumsausgabe 1700 Jahre jüdisches Leben
in Deutschland. Hrsg. von Zukunft Bildung Region Fulda e.V. 2. erweiterte Neuauflage des
oben genannten Buches.
21 x 29 cm, 424 Seiten, über 689 Farb- und 40 SW-Abbildungen.
Klappenbroschur. ISBN 978-3-7319-1176-0. 39,95 €.
Erschienen im Michael Imhof-Verlag.
Informationsseite zur Publikation mit Downloads und "Blick ins Buch"
Seit 400 Jahren waren Juden in den Landstädten und Dörfern der hessischen
Rhön urkundlich verbürgt. Ende des Mittelalters und noch zu Beginn der
Frühen Neuzeit aus ihren angestammten Wohngebieten vertrieben, fanden viele von ihnen auf den Territorien von Ritterschaften und der Universität Würzburg auch in der Rhön eine neue Bleibe. Erst mit der rechtlichen Gleichstellung der Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte für sie ein wirtschaftlicher und sozialer Prozess ein, der den Namen Emanzipation verdient. In den Gemeinden der Rhön wurden sie zu wesentlichen Wegbereitern der Moderne. Dieser Entwicklung stellte sich ein zunehmender Antisemitismus schon in der Kaiserzeit entgegen. Als mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 der Judenhass zum Regierungsprogramm wurde, begann auch für die in der Rhön lebenden Juden eine Zeit der Demütigungen und Verfolgungen mit dem Ziel ihrer Vertreibung und
Vernichtung.
Rezension von Jutta Hamberger in den Osthessen-News vom 18. Oktober 2021:
https://osthessen-news.de/n11655845/aufwuehlende-spurensuche-in-der-rhoen-michael-imhoff-juden-in-der-rhoen.html.
Fulda
Hesse-Nassau. Although Jews may have lived there in the ninth century, their
population only became substantial after the First Crusade (1096). A blood libel
in 1235 led to the martyrdom of 32 Jews, and nearly 200 perished during the
Black Death persecutions of 1348-49. Reestablished in 1367, the community
established a synagogue in the Jewish quarter (Judengasse) in 1423 and,
despite heavy taxation and restrictions, grew to number 77 families by 1653.
Fulda became the seat of a regional religious court, (beit din), one of
five in Germany. Its chief rabbis, who also headed the yeshiva, included Eliyahu
Loanz (1604-09) and Meir ben Yaakov ha-Kohen Schiff (the 'Maharam'; 1622-40), a
leading talmudist who was appointed at the age of 17. Although 2.000 Jews were
expelled from the diocese in 1671, some returned shortly afterward and
eventuelly opened one of the first German schools in 1784. French occupation
anthorities compelled them to adopt surnames in 1812, but they only obtained
civil rights in 1833. Abandoning their former occupations, the Jews became
department store owners, textile and paint manufacturers, lawyers, and
physicians. Catholics in Fulda discountenanced the rise of political
antisemitism and the community built a larger synagogue in 1859 to accomodate
new members from rural areas, growing from 237 (3 % of the total) in 1802 to 861
(4 %) in 1905. A district rabbi (1877-1919), Dr. Michael Cahn transformed
Orthodox Fulda Jewry into a bastion of Agudat Israel, denouncing both Liberal
Judaism and Zionism (including Mizrachi). Thanks to his initiative, phylacteries
(tefillin) 'made in Fulda' were prized throughout Europe. In response to
the Tiszaeszlar blood libel in 1882 Fulda's Catholic bishop circulated a
declaration refuting the charge. East European refugees founded a congregation
of their own during Worldwar I, but soon became an integral part of the
community. During the Weimar Republic era, branches of the Central Union (Central-Verein),
Jewish War Veterans Association, and B'nai B'rith were established. Leo Cahn
succeeded his father as rabbi (1919-38) and at its height the community numbered
1.137 in 1925. The synagogue was further enlarged and with the aid of Kalman
Kahana, a rabbi from Brody, Barukh Kunstadt reestablished a yeshiva. While the
older generation remained anti-Zionist until 1933, members of the Blau-Weiss
youth movement left for Palestine in the 1920s. Around that time a training farm
(hakhsara) was established by the religious Zionist Bahad movement in
Rodges, and its philosophy hat a great attraction for Orhtodox youth in
neighboring Fulda. A larger training farm at Geringshof survived until 1938.
Most of the graduates of these farms emigrated to Palestine, where they helped
found religious kibbutzim such as Yavne and Tirat Tzevi.
The Catholic Center Party in Fulda, which many Jews supported, retained an
absolute majority (51,5 % as against the Nazis' 27 %) in March 1933, when Hitler
war already chancellor. Nazi terror silenced the free press and deprived Jews of
their livelihood. Even the rabbi's sermons were monitored by Gestapo agents. On Kristallnacht
(9-10 November 1938), the synagogue (with its ancient Memorbuch dating from
1550) war burned to ashes. One Jewish girl was raped and the men were sent to
the Buchenwald or Dachau concentration camp. Of 1.058 Jews registered in Fulda
at the beginning of 1933, 935 emigrated (195 to Palestine); virtually all the
remainder were deported: 132 to the Riga ghetto (December 1941); 36 to the
Lublin district (May 1942); and 75 to the Theresienstadt ghetto (September
1942). Among those who moved to Palestine, R. Barukh Kunstadt established the
Kol Torah Yeshiva in Jerusalem while Dr. Kalman Kahana, a founder of Kibbutz
Hafetz Hayyim, later served as Israel's deputy minister of education
(1962-69).
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