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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Neudenau (Landkreis Heilbronn)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
(english
version)
In der bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts kurmainzischen
Stadt Neudenau bestand eine jüdische Gemeinde zunächst im Mittelalter, die
durch die Judenverfolgungen 1298 und 1349 vernichtet wurde. Seit 1492/1508 wird
jeweils wieder ein Jude in der Stadt genannt. Möglicherweise waren im ganzen
15. und 16. Jahrhundert (zumindest vereinzelt) Juden in Neudenau. Das
mittelalterliche Wohngebiet war vermutlich die 1454 erstmals genannte
'Judengasse', die vom Marktplatz in nördlicher Richtung ausging (1965 in Kronengasse umbenannt).
Die Entstehung der neuzeitlichen Gemeinde geht auf das Ende
des 17. Jahrhunderts zurück. 1667 war es jedoch nur ein jüdisches
Einwohner (Manneß), der damals 24 Gulden "Schutzgeld" zu bezahlen
hatte. 1769 lebten 36 jüdische Personen in acht Familien in der Stadt.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie folgt: 1806 54 jüdische Einwohner (in elf Familien, 4,5 % von insgesamt
1.195 Einwohnern), 1825 36 (3,4 % von 1.066), 1841 55, 1848 48 (3,5 % von
1.357), 1880 50 (3,7 % von 1.354), 1900 39 (3,4 % von 1.151), 1910 26 (2,1 % von
1.212). Die jüdischen Familien lebten überwiegend vom Vieh-, Pferde- oder
Textilwarenhandel.
An Einrichtungen hatte die Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule (Ende des 19. Jahrhunderts gemeinsame Besetzung der Stelle mit
Stein am Kocher, siehe die Ausschreibungstexte unten), ein rituelles Bad sowie
einen Friedhof. Das rituelle Bad lag bis 1835 im Haus des Gumbel Wolf (Hauptstr.
5, Flurstück 244; Tauchbecken erhalten), seither an der Siglinger
Straße (1965 abgebrochen), wo es von dem noch vorhandenen "Judenbrünnle" gespeist wurde.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (siehe
Ausschreibungstexte unten). Bekannt ist unter den Lehrern des 19. Jahrhunderts
Wolf Strauß, der von 1836 bis zu seinem Tod 1876 in Neudenau tätig war. Die jüdische Gemeinde
gehörte zum Rabbinatsbezirk Mosbach.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Siegmund Haas (geb.
1.4.1898 in Neudenau, vor 1914 in Stuttgart wohnhaft, gef. 26.7.1918). Sein
Name steht auf dem Gefallenendenkmal des städtischen Friedhofes.
Um 1925 (12 jüdische Gemeindeglieder, 1,0 % von insgesamt 1.216
Einwohnern) waren die Vorsteher der
jüdischen Gemeinde Abraham Haas und Sigmund Weinberg, Die damals noch drei
schulpflichtigen jüdischen Kinder erhielten Religionsunterricht durch Lehrer
Moritz Bloch (Adelsheim). Um 1932 war Vorsteher der Gemeinde Sigmund
Weinberg.
1933 bestanden an jüdischen Geschäften noch die Pferdehandlung Leopold Haas (Kirchplatz 2),
das Textilgeschäft Heinrich Rosenberg (Neue Anlage 10) sowie das Manufakturwarengeschäft Sigmund Weinberg und Textilgeschäft Helmar Spier
(Hauptstraße 5). Bereits 1933 waren insgesamt nur noch neun jüdische Personen in der Stadt. Am 8. November
1937 wurde die
Gemeinde aufgelöst; die hier noch lebenden Juden wurden der Gemeinde Billigheim
zugeteilt. Mit Ausnahme von Mina Haas, die noch in Neudenau starb, verzogen
die jüdischen Einwohner zwischen 1935 und 1940 nach Pforzheim, Weinheim,
München und Berlin. Am Tag der Deportation der badischen Juden wohnte in
Neudenau selbst keine jüdische Person mehr. Doch wurden mehrere Neudenauer Juden von anderen
Orten aus deportiert (Ehepaar Spier mit der kleinen Tochter Ingrid von Berlin
aus).
Von den in Neudenau geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Karoline Bier geb.
Hirsch (1898), Leopold Fröhlich (1877), Klementine Landheimer geb. Haas (1896), Hedwig
Rosenberg (1879), Heinrich
(Henry) Rosenberg (1878), Karoline Rosenberg (1881), Selma Rosenberg geb. Levi (1883),
Sofie Rosenberg (1888), Wilhelm Rosenberg (1870), Helmar Spier (1906),
Ingrid Gerda Spier (1937), Irma Spier geb. Weinberg (1909), Lina Weinberg (1911), Mina Weinberg geb. Rosenberg
(1878), Sigmund Weinberg (1879).
In Neudenau geboren ist Carola Rosenberg-Blume
(1899-1987), Pionierin der Frauenbildung in den 1920er-Jahren in Stuttgart.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1879 /
1881
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Juni 1879:
"In der israelitischen Gemeinde Neudenau in Baden ist die
Stelle eines Religionslehrers, Schächters und Vorbeters vakant und sofort
zu besetzen.
Fixer Gehalt 600 Mark, Nebeneinkünfte ca. 300 Mark, Schulgeld Mark 2.20,
wobei jedoch in der Nachbargemeinde Stein
a. Kocher 2mal wöchentlich der Religionsunterricht zu versehen
ist.
Gefällige Anmeldungen sind zu richten an Leopold Rosenberg,
Vorsteher." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Juni 1881:
"Auskündigung einer Religionsschulstelle.
Die beiden vereinigten Religionsschulstellen bei den israelitischen
Gemeinden Neudenau und Stein, Synagogenbezirk Mosbach, mit
welchen ein fester jährlicher Gehalt von 600 Mark, ein jährliches
Schulgeld von 2 Mark 20 Pf. für jedes Schulkind, nebst freier Wohnung,
mit dem Wohnsitze in Neudenau, sowie der Vorsänger- und Schächterdienst
mit den davon abfließenden Gefällen, die sich auf ca. 300 Mark jährlich
belaufen, verbunden ist, sind am 15. Juni dieses Jahres zu besetzen.
Berechtigte und qualifizierte Bewerber um dieselben wollen sich sofort mit
ihren Gesuchen unter Vorlage ihrer desfallsigen Zeugnisse und der Zeugnisse
über ihren sittlichen und religiösen Lebenswandel bei unterzeichneter
Stelle melden.
Mosbach am Neckar (Großherzogtum Baden), den 31. Mai 1881.
Das Großherzogliche Bezirksrabbinat: S. Weil." |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum Tod des langjährigen Gemeindevorstehers Maier Ullmann
(1879)
Nachruf
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. März 1879:
"Neudenau a.S., im Adar. 'Wenn Adar eintritt, mehre sich die
Freude' wird uns gelehrt. Leider ist uns diese Freude sehr,
sehr getrübt worden. Unsere kleine Gemeinde hat einen herben Verlust zu
beklagen. Herr Maier Ullmann ist ihr durch den Tod entrissen worden. Der
Verstorbene bekleidete geraume Zeit das Amt eines Vorstehers in hiesiger
Gemeinde mit seltener Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Das Wohl
seiner Gemeinde zu fördern, lag ihm stets am Herzen. Dabei war er von
echter Gottesfurcht beseelt. Er ruhte und rastete nicht, bis die
hiesige Gemeinde eine ihrem heiligen Zwecke angemessene Synagoge hatte.
Sein Eifer für die heilige Sache überwand und besiegte mit Gottes Hilfe
alle Hindernisse, die bei einer so kleinen Gemeinde wie die hiesige keine
geringen waren. Stets war er der erste beim Gebete und versah, als die
Gemeinde noch ohne Lehrer, das Amt eines Vorbeters. Allgemein
bekannt war seine Friedensliebe, er war ein echter, der den Frieden
liebt und dem Frieden nachjagt. Sein edler Charakter, sein Biedersinn
und seine Uneigennützigkeit erwarben ihm nicht nur die Liebe und
Anhänglichkeit seiner Gemeinde, sondern Aller, die ihn kannten und mit
ihm Umgang hatten. Sein Leichenbegängnis, zu dem Leute von Nah und Fern
herbeigekommen waren und dem auch viele Christen, insbesondere aus den
besseren Ständen, folgten, legte lautes Zeugnis davon ab, in welcher
Achtung der Verblichene in allen Kreisen gestanden. Der allgemeinen
Beliebtheit - eine Krone ist ein guter Name - deren sich der
Hingeschiedene zu erfreuen hatte, und der allgemeinen Trauer, die ob
seinem Ableben sich Aller bemächtigte, gab Herr Bezirksrabbiner Weil aus
Mosbach in ergreifender Weise am Grabe Ausdruck. Der Verblichene
hinterlässt eine trauernde Gattin und obgleich die 43jährige Ehe mit
dieser kinderlos blieb, so hat sich der Verewigte durch seine guten Werke
eine Hinterlassenschaft, ein Monument gegründet, dauerhafter als Erz
und Stein. Möge er in jenen lichten Höhen den reichlich verdienten Lohn
dafür ernten. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens.
H." |
Zum Tod von Hannchen Rosenberg (1921)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Juli 1921:
"Neudenau, 11. Juli (1921). Einen schweren unersetzlichen Verlust hat
die hiesige kleine israelitische Gemeinde durch das Hinscheiden der Frau
Hanchen Rosenberg erlitten, deren irdische Überreste am jüngsten
Freitag der Erde übergeben wurden. Die Dahingeschiedene, die das Alter
von 76 Jahren erreicht, gehörte zu den echten frommen Frommen und wirkte
während ihrer ganzen Lebenszeit getreu den Traditionen gemäß, die
unsere heilige Tora ihren Bekennern ans Herz legt. Gemeinsam mit ihrem vor
wenigen Jahren verstorbenen Gatten führte sie in vorbildlicher Weise ein
Haus, das in jeder Beziehung als mustergültig bezeichnet werden darf.
Vornehme Wohltätigkeit, Gastfreundschaft und Menschenliebe waren die
Eigenschaften, die ihrem Hause zur Zierde gereichten. Das
Leichenbegängnis, dem viele Freunde von Nah und Fern anwohnten und bei
welchem Herr Bezirksrabbiner Dr. Löwenstein aus Mosbach der Verblichenen
einen wohlverdienten, ehrenden Nachruf widmete, legte Zeugnis davon ab,
welcher Beliebtheit die Dahingeschiedene in allen Kreisen sich erfreuen
dürfte. Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des
Lebens." |
Hässlicher antijüdischer Presseartikel einer Tageszeitung vom 30. Juni 1936
zur Teilnahme von Christen an der Beerdigung von Mina Haas
(zugesandt von Helmut Gehrig, Neudenau)
Presseartikel
vom 30. Juni 1936: "Die letzte Ehre - eine Jüdin erwiesen.
Neudenau. Es gibt hier noch seltsame Leute, die hinter dem Mond zu
leben scheinen. So wurde vor einiger Zeit die Jüdin Mina Haas zu Grabe
getragen. 58 Juden und - 46 Deutsche gaben der Jüdin das letzte Geleit,
und dies, obwohl in den frühen Morgenstunden das Gerücht umging, dass
Deutsche, welche mit der Judenbeerdigung gingen, gefilmt würden! Viele
versteckten sich unter dem aufgespannten Regenschirm, um nicht erkannt zu
werden. Aus lauter Vorsicht, dass die Judenbeerdigung gefilmt werde,
vergaßen die Deutschen den Rosenkranz zu beten.
Es ist tief bedauerlich, dass Deutsche als Leidtragende den Nachfolgern
der Christusmörder die 'letzte Ehre (!) erweisen'. Sie haben seit der
Machtergreifung tatsächlich nichts hinzugelernt. Bei vielen mag es ihrer
Dummheit angerechnet werden, aber von Staats- und Gemeindebeamtenfrauen
kann verlangt werden, dass sie sich über die einfachsten
weltanschaulichen Dinge Klarheit verschaffen." |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Junger Mann für Manufakturwarengeschäft Rosenberg
gesucht (1902)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Juli 1902:
"Suche
für mein an Samstag und israelitischen Festtagen geschlossenes
Manufakturwarengeschäft einen tüchtigen, branchekundigen und
militärfreien
jungen Mann,
welcher selbständig die Bücher
führen kann und kleinere Detailreisen bei nur gut eingeführter
Kundschaft zu machen hat. Eintritt könnte eventuell sofort oder auch
später erfolgen. Den Offerten sind Zeugnisse, nebst Gehaltsansprüchen
bei freier Station beizuführen.
Gustav Rosenberg, Neudenau, Baden." |
Hinweis zur Geschichte der Nachkommen von Leopold
Fröhlich (1877 Neudenau - 1940 KZ Sachsenhausen)
vgl. Artikel von Adam Tanner vom 15.1.2017: "The Secret Life of the Gay
Jewish Immigrant Whose Company Sells Your Medical Information":
http://forward.com/news/longform/359832/the-secret-life-of-the-gay-jewish-immigrant-whose-company-sells-your-medica/
Literatur: Adam Tanner: Our Bodies, Our Data: How Companies Make Billions
Selling Our Medical Records.
Zur
Geschichte des Betsaales/der Synagoge
(erstellt unter Mitarbeit von Harald Herr, Neudenau)
Das
mittelalterliche Wohngebiet
war vermutlich die 1454 erstmals genannt "Judengasse" (1965 in
Kronengasse umbenannt; siehe Foto links). Die "Judengasse" ging vom
Marktplatz aus in nördlicher Richtung und war eng mit relativ niederen Häusern
bebaut.
Über Einrichtungen des
Mittelalters ist nichts bekannt.
Über eine Synagoge ("Judenschule") erfährt man erst um 1780.
Damals meldete Gumbel Wolf, der Besitzer des Grundstückes 244 (Hauptstraße 5),
die "Judenschule hinter dem Haus" (Grundstück 245) bei der Einführung der staatlichen Feuerversicherung im
Kurstaat Mainz zum 1. Januar 1781 zur Feuerversicherung an. Die Einrichtung dürfte schon einige Zeit
vor 1780 in dem auf Grundstück 245 stehenden Gebäude bestanden haben. 1808 erwarb die jüdische
Gemeinde von Gumbel Wolf die Synagoge. Bis dahin war sie im
Brandversicherungsbuch immer unter seinem Namen eingetragen.
Nach einem Bericht des jüdischen Gemeindevorstehers Samuel Wolff Rosenberg vom
4. August 1818 war die Synagoge inzwischen in einem solch baufälligen
Zustand, "dass der Ruin derselben ganz nahe ist und man daher den größten
Bedacht nehmen muss, um der hieraus entstehenden Gefahr vorzubeugen". Der
damalige Bürgermeister Keim bat Maurermeister Michael Steiger und Zimmermeister
Gregorius Großkinsky um ein Bauguten. Auch sie kamen zur Feststellung, dass das
Gebäude "ganz baufällig sei". Einige Felder des Fachwerks seien
bereits ausgefallen und mit Brettern zugenagelt worden, da sie "von wegen
zerfaulten Balken und Riegeln" nicht zugemauert werden könnten. Am Dach
seien "Sparren und Latten ganz vermodert". Zwei Jahre später ist von
einem "gänzlich ruinösen Zustand" die Rede, ganz abgesehen davon,
dass der Raum für die Gemeinde viel zu klein war: es sei ein "wirklicher
Vogelkeffich" (Vogelkäfig), von dem "die größte Gefahr des
Einsturzes drohe".
Unter diesen Umständen war der Neubau einer Synagoge dringend geboten. Freilich
waren die erforderlichen finanziellen Mittel der Gemeinde nicht vorhanden. Der
größte Teil der Familien war damals völlig verarmt und lebte vom sogenannten
Nothandel (Handel mit Trödel), sodass es keine Aussichten gab, das Geld für
eine neue Synagoge zu beschaffen. Der Neudenauer Stadtrat sah zwei Möglichkeiten:
entweder ein Haus kaufen und dasselbe zu einer Synagoge umbauen, was auf 1.200
Gulden geschätzt wurde oder eine neue Synagoge bauen, für die man etwa 2.000
Gulden veranschlagte. Gemeindevorsteher Rosenberg schickte 1819/20 mehrere
Briefe an die zuständigen Behörden mit der Bitte, eine Kollekte bei den jüdischen
Gemeinden des Landes veranstalten zu dürfen, was jedoch auf Grund der fehlenden
Eigenmittel der Gemeinde nicht genehmigt wurde. Es gelang immerhin, für 661
Gulden von Ratsdiener Joseph Mayer und Johannes Herrmann ein Haus zu kaufen,
dessen Grundstück sich für einen Synagogenbau geeignet hätte (heutiges
Grundstück Neue Anlage 20) und dazu den Keller unter Engelwirt Kreutters Scheuer. Auch die Behörden taten ihr Möglichstes, mussten
aber darauf hinweisen, dass für fehlende Eigenmittel auch kein anderer öffentlicher
Fond einspringen würde. Selbst der Oberrat der Israeliten konnte keine Unterstützung
gewähren und wies mit Schreiben vom 13. April 1820 darauf hin: "Die
Baukosten für eine Synagoge sind wie alle anderen örtlichen kirchlichen Bedürfnisse
bloß allein von der Gemeinde zu tragen". In Neudenau hatte man immer noch
gehofft, dass es eine Lösung geben könnte. Inzwischen hatte sogar Baumeister Storf aus Billigheim Pläne für das neu erworbene Grundstück ausgearbeitet.
Die Kosten für die neue Synagoge würden nach seiner Schätzung auf 1.238
Gulden kommen. Es half alles nichts: auf Grund der schlechten Finanzlage der jüdischen
Gemeinde konnte der Neubau einer Synagoge damals nicht verwirklicht werden.
So musste die bisherige Synagoge nochmals notdürftig hergerichtet werden. Am 1.
Mai 1820 alarmierte der damalige Engelwirt Ludwig Kreutter, dem das
Gebäude mit dem Betsaal gehörte, dass die vordere Wand
so "gewichen" sei, "dass das Fußgebälk kaum mehr auf den
Mauerlatten aufsitze". Dieser gefährliche Zustand führte schon Tags
darauf zu einem vom Amt Mosbach ausgesprochenen Versammlungsverbot in der
Synagoge. Weitere Akten liegen aus diesem Jahr nicht mehr vor. Irgendwie
scheinen es die Neudenauer Juden kurz darauf fertig gebracht zu haben, die
baulichen Mängel so zu beseitigen, dass nochmals 50 Jahre in der alten Synagoge
Gottesdienste gefeiert wurden.
Aus den Versicherungsbüchern der Stadt geht Näheres zum Inventar des
Betsaales hervor. Zwischen 1854 und 1880 waren vier Torarollen auf Pergament
vorhanden, fünf sonstige "kirchliche Requisiten und Ornate", womit
der Toraschmuck gemeint sein wird. Weiter ist von den Betstühlen und sonstigem
Schreinerwerk, von messingenen Leuchtern und "verschiedenen Kirchenbüchern"
die Rede.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts waren die jüdischen Familien Neudenaus zu
ausreichendem Vermögen gekommen, sodass sie um 1870 an die gründliche
Instandsetzung ihrer Synagoge denken konnten. Am 8. November 1874 bat der
Synagogenrat den Gemeinderat um Unterstützung bei der Finanzierung. Die jüdische
Gemeinde habe auf Grund des baufälligen Zustandes der Synagoge schnell handeln
und die Renovation durchführen müssen, "wenn uns... der morsche alte Bau
nicht während des Gottesdienstes über den Köpfen zusammenfallen soll".
Der Gemeinderat schlug einen Beitrag von 50 Mark vor, der am folgenden Tag durch
den Bürgerausschuss einstimmig auf 85,71 Mark erhöht wurde. Am 29. Januar
1875 wurde die renovierte Synagoge von Rabbiner Weil aus Mosbach
eingeweiht. Bürgermeister Geißler, der ganze Gemeinderat, Pfarrverwalter
Christophl und der Pfarrverwalter Götz von Herbolzheim waren bei der Feier
anwesend, wobei der Chronist der Neudenauer Gemeinde festhielt, dass der
Rabbiner "eine schöne Predigt" gehalten haben soll.
Die Einrichtung der Synagoge war bei die Renovierung großenteils erneuert
worden. Im Fahrnisverzeichnis der Feuerversicherung werden neben den vier
Torarollen nun genannt: ein von rotem Samt mit Gold gestickter doppelter Vorhang
vor dem Torarschrein, sonstige Feiertags- und Werktagsornate, verschiedene hebräische
Schriften und Kirchenbücher, verschiedene Kronleuchter mit 24 Lichtern,
messingene Leuchter mit je sechs Arm, ein neu gefertigter Toraschrein mit neuer
Verzierung, neun Stück neue Subsellien (Bänke) oder Betstühle, zwei Stück
Kandelaber vorne an der Lade, sechs neue kleine Leuchter, ein neuer Lesepult,
eine neue große Bank und eine Opferbüchse. Der Gesamtwert wurde mit 2.538 Mark
angegeben.
Die Synagoge diente den immer weniger werdenden jüdischen Familien der Stadt
als Gotteshaus bis in die 1930er-Jahre. 1925 wurde offensichtlich noch
elektrisches Licht eingerichtet. Spätestens 1937 wurde die Synagoge
geschlossen. Im Mai 1938 erwarb Engelwirt Martin Lang für 50 RM das
Grundstück 245 mit dem
Synagogengebäude (Kaufvertrag vom 11. Mai 1938 - Amtsgericht Mosbach - Notariat
Mosbach II Neudenau). Daher kam es beim Novemberpogrom 1938 zu keinen besonderen Vorkommnissen.
Nach 1945 wurde das Synagogengebäude, da das Dach inzwischen sehr
schadhaft war, teilweise abgebrochen,
auch der erste Stock mit dem früheren Betsaal. Heute (2019) noch zu sehen ist
der zugemauerte Eingang ins Obergeschoss. Die innen liegende Treppe wurde mit
dem Obergeschoss gleichfalls Anfang der 1950er-Jahre abgebrochen. 1980 wurden die Stallungen zu einem bis
heute bestehenden Getränkelager umgebaut. Vom ehemaligen Synagogengebäude ist
nur noch ein Teil der Umfassungsmauern des Erdgeschosses erhalten (frühere
Stallungen unter dem Betsaal; Standort
Grundstück 245 auf dem heutigen Grundstück Hauptstraße 7).
Standort der Synagoge: heute Hauptstraße 7, das gegliedert ist in die
ehemaligen Grundstücke 243 + 245 (Gemarkung Neudenau): Grundstück 243 überbaut
mit dem Gasthaus Engel, früher Grüner Baum und Grundstück 245 (Neue Anlage 12)
mit Stallgebäude und ehemals darüber liegendem Betsaal.
Fotos
Historische Fotos:
Historische Fotos sind nicht bekannt,
Hinweise bitte an den
Webmaster von "Alemannia Judaica",
E-Mail-Adresse siehe Eingangsseite |
Plan:
|
Plan der Altstadt von Neudenau; auf
Grundstück Nr. 245 ist die ehemalige
Synagoge eingetragen (rote Markierung) |
Fotos nach 1945/Gegenwart:
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden.
1968. S. 213-214. |
| Germania Judaica III,2 S. 941. |
| Wolfram Angerbauer/Hans Georg Frank: Jüdische Gemeinden in
Kreis und Stadt Heilbronn. 1986. S. 177-181. |
| Fridolin Mayer: Geschichte der Stadt Neudenau an der Jagst. 1937. |
| Josefine Weihrauch/Heiner Heimberger: Neudenauer Überlieferungen.
Hg. von Peter Assion. Neudenau 1979. S. 88.
|
| Joseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern -
Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from
their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem
1986. S. 411-412. |
| Fridolin Vochezer: Das jüdische Bethaus in
Neudenau. Neudenauer Heimatblätter Nr. 121 Januar 1994. Nr. 122 Februar
1994. Nr. 123 März 1994.
Online eingestellt (pdf-Datei). |
| ders.: Die Neudenauer Judengemeinde. Neudenauer
Heimatblätter Nr. 148 April 1996.
Online
eingestellt (pdf-Datei). |
| ders.: Das jüdische Frauenbad in Neudenau. Neudenauer
Heimatblätter Nr. 97 Januar 1992. Nr. 98 Februar 1992. Nr. 112 April 1993.
Online eingestellt (pdf-Datei). |
| ders.: Sitten und Gebräuche der Neudenauer Juden.
Neudenauer Heimatblätter Nr. 117 September 1993. Nr. 118 Oktober 1993.
Online eingestellt (pdf-Datei). |
| Elisabeth Straßer: Ellen Auerbach geb. Rosenberg.
Künstlerin und Weltbürgerin. Neudenauer Heimatblätter Nr. 235-237.
Juli-September 2003. |
| Andrea Göldner: Karolina Blume geb. Rosenberg. Ein
Lebensweg. Neudenauer Heimatblätter Nr. 177-178. September-Oktober 1998.
|
| Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Neudenau. Baden. Jews
are mentioned from the mid-13th century and were victims of the Rindfleisch
massacres of 1298 and the Black Death persecutions of 1348-49. In the 15th
century, the community dwindled and was only revived in the 18th century.
Throughout the 19th century the Jews maintained a population of around 40-50
(3-4 % of the total). A small synagogue was erected in 1875. Of the ten Jews
present in the Nazi era, nine left for other German cities; all were
subsequently deported, six perishing in Auschwitz in 1942-43.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|