Wer Keramik sagt, meint Höhr-Grenzhausen
Von überall her finden Studierende den Weg in den Westerwald � Ausstellung im CeraTechCenter
Das Prädikat �weltoffen�, mit dem Höhr-Grenzhausen auf seiner Internetseite wirbt, ist durchaus wörtlich zu nehmen. Denn ans dortige Institut für Künstlerische Keramik und Glas der Fachhochschule Koblenz zieht es Studierende aus aller Herren Länder. Im CeraTechCenter präsentieren die Studierenden in einem �Akademischen Rundgang� ihre Semesterarbeiten. Im Vorfeld der Ausstellung erzählten einige der ausländischen Studierenden, die dort auch ihre Werke zeigen, auf welchem Wege sie in die Kannenbäckerstadt im Westerwald kamen und was ihnen an den Arbeits- und Lernbedingungen besonders gefällt.
Alles eine Frage der Perspektive
Maria Jimenez stammt aus Chile. Dort hat sie Industriedesign studiert, nun besucht sie in der Westerwälder Keramikklasse das vierte Semester. Der Werkstoff Keramik war es, der Jimenez nach Deutschland geführt hat: �Das Material ist toll�, sagt sie und strahlt: Man kann so viel damit machen!� In Chile nutzen vor allem Indios den Werkstoff für Gebrauchskeramik. Zur künstlerischen Gestaltung spielt er dagegen keine Rolle. Nun geht Jimenez ganz darin auf, sich auf diesem neuen Spielfeld auszuprobieren. Zugleich setzt sich die Studentin dort mit den traditionellen Techniken der chilenischen Ureinwohner auseinander.
Die Heimat spielt in Jimenez Kunst stets eine Rolle. Etwa in einer Installation, die sie gerade im Rahmen des �Akademischen Rundgangs� der Studierenden im CeraTechCenter in Höhr-Grenzhausen zeigt. �Wissen Sie, es ist einfach nicht wahr, dass Kolumbus Südamerika entdeckt hat. Denn wir waren schon da!� Genau um dieses kritische Hinterfragen der eigenen Perspektive geht es Jimenez. Sie hat Erde aus dem Garten der Fachhochschule ausgestreut und darauf Vierkantröhren in Weiß und Rot vereilt. Die Röhren strömen auf einen aufgestellten Turm zu: �Das ist der Norden�, erklärt die Chilenin � �der aus Eurer Sicht der Süden ist.�
Auch Florencia Califanos Heimat liegt in Südamerika: Argentinien. Dort besuchte die studierte Grafikdesignerin eine Keramikschule, bevor ihr Weg sie für ein Semester in den Westerwald führte. Während einer privaten Reise entdeckte sie das Keramikmuseum, stieß darüber auch auf die Fachhochschule. Jetzt experimentiert die Austauschstudentin erstmals bei Temperaturen von 1200 Grad Celsius. �Der Salzbrand im alten Ofen war super�, berichtet sie. In ihrer Arbeit hat sie sich mit dem deutschen Begriff �Heimat� auseinandergesetzt, den es im Argentinischen nicht gibt. Califanos spielt nun mit dem Klischee: Sie hat das Haus vom Nikolaus in Keramik nachgebaut und bricht mit dem Idyll und einer falschen Vorstellung von Sicherheit: Im Dach eines Hauses klafft ein riesiger Krater, bei einem anderen ist die Fassade geborsten. Drinnen passieren witzige Dinge: Da steckt ein Mensch kopfüber in einem Heuhaufen, in einem zweiten Häuschen ragt der schuppige Hinterleib eines Seeungeheuers aus einem Suppentopf. Califanos verwendet harmlose Spielzeugfiguren für ihre Übertreibungen ins verstörend Surreale.
Biografien werden in Kunst greifbar
Pinar Caliscan Günes kommt aus der Türkei und ist ebenfalls Austauschstudentin. Den Weg nach Höhr-Grenzhausen hat sie dank eines Besuchs des Institutsleiters Jochen Brandt in Izmir gefunden. An der dortigen Hochschule stellte Brandt seinen Studiengang im Westerwald vor. Nun ist die junge Frau völlig entflammt für alte Brandtechniken im Holz- oder Kannenofen. An ihrer heimatlichen Hochschule beschäftigte sie sich schon mit dem Thema Zeit, arbeitete mit alten Vasen und antiken Türen. Nun treibt die primitive Kunst sie um: Aus Holz, Lehm und Asche � uralten Baumaterialien � hat sie antike Bögen modelliert, ein steinzeitliches Stonehenge.
Reichlich modern kommt dagegen das Bauwerk daher, das Valerija Peters aus Glas geschaffen hat. Peters ist in Kasachstan geboren und als Zweitklässlerin nach Deutschland gekommen. Dass sie den Studiengang im Westerwald entdeckte, bezeichnet sie als schicksalshaft: �Eigentlich wollte ich Malerei studieren�, erzählt die 29-Jährige, �aber niemand hat mich genommen.� Mit der Aufnahme in die Glasklasse hat sich die gelernte Glasmalerin mit ihrem Werkstoff emanzipiert. �Als Glasmaler muss man ständig Aufträge von anderen ausführen, das nervt. Der Glasmaler ist doch der eigentliche Künstler!� Für die Semesterausstellung im CeraTechCenter hat Peter ein �Russlandhaus� aus Glas gebaut. Das fragile Gebäude steht auf einem rostigen Stahlfundament. Stockwerk für Stockwerk hat die Künstlerin darauf die Grundrisse all ihrer bisherigen Wohnungen gesetzt. So ist Biografie der Migrantin zu einer Skulptur geworden, die ganz bestimmt noch weiter wachsen wird. �Wissen Sie�, sagt Peters, �in jedem Menschen steckt eine Skulptur. Genau genommen ist schon das Leben ein Kunstwerk.�
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Westerwälder Zeitung vom Samstag, 9. Juli 2011, Seite 20