Staus auf der Autobahn, lange Schlangen beim Einchecken auf dem Flugplatz, verspätete Züge und verpasste Anschlüsse, typische Begleiterscheinungen von Reisen in unserer heutigen Zeit, in der allerdings fast jeder Wunschort erreichbar geworden ist. – Die fürstlichen Bestände der Bibliotheca Bipontina vermitteln hierzu eine Alternative: Sicherlich war Reisen in der Zeit unserer Vorväter höchst beschwerlich, die heute durchaus normale Fernreise, gar als Urlaub, schier unvorstellbar, man reiste allenfalls in einer fest umrissenen Mission. Trotzdem war das Interesse an fremden Ländern, der Wunsch, mehr über sie zu erfahren, ausgesprochen groß, dies beweisen die zahlreichen Atlanten und Reiseberichte, die fester Bestandteil alter Bibliotheken aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind. Sie lieferten, illustriert durch prächtige Karten und illuminierte Holzschnitte, ebenso wie die aus fernen Ländern Zurückgekehrten mit ihren Erzählungen, Fakten zu ganz anderen Reisen, Reisen kraft der Phantasie.
Eine Erfahrung dieser Art wurde auch den Besuchern der Bibliotheca Bipontina im 450. Jubiläumsjahr der Bibliothek geboten: Am 9. Juli 2009 nahm der Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums, Herr Prof. Dr. Siegfried Englert, seine Zuhörer im gefüllten Lesesaal der „Jubilarin“ mit auf eine Reise nach China. Der Staatssekretär, selbst ein Schüler des ehemals ältesten protestantischen humanistischen Gymnasiums der Pfalz, hatte sich spontan bereit erklärt, seinen Beitrag zur Reihe „Begegnungen. Beiträge Ehemaliger des Herzog Wolfgang Gymnasiums“ zu leisten. Prof. Dr. Englert berichtete den gebannt lauschenden Zuhörern aus der Sicht des Sinologen, Wirtschaftswissenschaftlers und Politologen von seinen langjährigen Erfahrungen in China. Seine Analyse von Mentalität, Traditionsverbundenheit und Kultur der Menschen in diesem riesigen Land, das gerade in Zeiten der Globalisierung immer stärker in den Focus des Interesses rückt, machte die extremen Unterschiede besonders zu unserer christlich geprägten Welt deutlich. Weltsicht, Eigenerfahrung, Familiengebundenheit, Hierarchieabhängigkeit, Fremdsicht und Philosphie waren einige der Themen, mit denen Prof. Dr. Englert die Besonderheit des chinesischen Volkes belegte, eine Andersartigkeit, die von allen beteiligten Seiten noch viel Zeit und Geduld im Umgang miteinander erfordern wird.