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Verfolgung und Widerstand in Koblenz 1933 - 1945.
Eine Skizze.
von
Joachim Hennig

I. Einleitung

 

Auch 66 Jahre nach der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten, 60 Jahre nach dem Beginn des von Hitler-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges sowie 54 Jahre nach der militärischen Niederlage Deutschlands und der Befreiung vom Faschismus steht immer noch eine grundlegende Beschäftigung mit der Verfolgung und dem Widerstand auf regionaler Ebene im heutigen Rheinland-Pfalz aus. Ansätze hierzu sind allerdings vorhanden. Sie finden sich vor allem in neueren Arbeiten zur Stadt- und Regionalgeschichte, so etwa über Koblenz, Trier, Worms, Boppard und den Westerwald, aber auch in Ausstellungen, wie "Der Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933" im Landeshauptarchiv in Koblenz und jüngst in der Ausstellung der Landeszentrale für politische Bildung in der Gedenkstätte Ehemaliges KZ Osthofen "Rheinland-Pfalz: Die Zeit des Nationalsozialismus in unserem Land". Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch gerade die von der Landeszentrale für politische Bildung bislang zusammengetragenen Informationen über Gedenkstätten in Rheinland-Pfalz# sowie mehrere Veröffentlichungen des Ministeriums der Justiz in seiner Schriftenreihe, die sich mit einzelnen Aspekten der Verfolgung durch die NS-Justiz beschäftigen.

 

Es fehlen aber - abgesehen von recht zahlreichen Veröffentlichungen über das Schicksal der jüdischen Mitbürger -  eingehendere Arbeiten zur kleinräumigen Geschichtsschreibung, die in ihrer Breite die Verfolgung und den Widerstand vor Ort in den Blick nehmen. Das ist umso bedauerlicher, als bald alle Zeugen aus dieser Zeit verstorben sein werden - oft ohne ihr Wissen der nachfolgenden Generation mitgeteilt zu haben. Und dabei tut sich die Enkelgeneration dieser Zeitzeugen mit der Erinnerung an den Widerstand und an die Opfer schwer; sie hat  Probleme damit, diese Geschichte als eigene sowie als Auftrag und Mahnung wie auch als Beispiel für Zivilcourage zu erfahren.

 

Von daher liegt es heute in den Händen der Nachkriegsgeneration - den Kindern der Zeitzeugen und den Eltern der heutigen Jugend - über diese Epoche der jüngsten deutschen Geschichte historisch aufzuklären. Da dies gerade anhand der Verhältnisse vor Ort sehr eindringlich und plastisch geschehen kann, sind dazu politisch engagierte Heimat- und Regionalforscher aufgerufen. Mit welchen Problemen sie dabei zu kämpfen haben, soll beispielhaft der Hinweis auf die für die Landesarchive geltenden gesetzlichen Sperrfristen verdeutlichen. Danach ist die Benutzung von personenbezogenen Archivalien grundsätzlich erst 30 Jahre nach dem Tod bzw. 110 Jahre nach der Geburt des Betreffenden möglich - bei mehreren Personen kommt es auf den Letztverstorbenen bzw. Letztgeborenen an#. Daß dies Unzulänglichkeiten in der Erforschung und Aufarbeitung eines Themas zur Folge haben kann, liegt auf der Hand, muß aber hingenommen werden. Denn wir können es uns andererseits nicht leisten, weitere 50, 60 oder gar 70 Jahre zuzuwarten, bis alle Archive dem Publikum geöffnet sind und die Informationen umfassend zur Verfügung stehen. Dann ist es zu spät: zu spät für die letzten Opfer, für die letzten Täter, für die letzten Zuschauer von damals und zu spät für uns alle. Deshalb muß die Arbeit wenigstens jetzt und mit den vor Ort zur Verfügung stehenden Möglichkeiten getan werden.

 

Aber schon das Wissen, das mit diesen begrenzten Möglichkeiten zu Tage gefördert werden kann, ist teilweise so neu und so umfangreich, daß es die Aufklärung hierüber in einer auch nur skizzenhaften Form rechtfertigt. Ein solcher Abriß soll hier für die Stadt Koblenz und deren Umgebung versucht werden.

 

 

 

II. Zur Einführung: Der Obersturmführer Emil Faust und die Koblenzer

 

Die frühe Geschichte der Verfolgung in Koblenz und von Koblenzern ist untrennbar verbunden mit der Person Emil Faust. 1899 in Oberlahnstein geboren war Faust in Koblenz aufgewachsen. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg, nach Aktivitäten in einem Freikorps und nach Beschäftigungen in verschiedenen Industriebetrieben kehrte er Mitte der 20er Jahre nach Koblenz zurück. 1929 trat er in die NSDAP und in die SA ein und wechselte 1930 in die SS über. Im selben Jahr wurde er zum Truppführer befördert und mit der Führung des SS-Sturmes 22 Koblenz beauftragt. In diesen letzten Jahren der Weimarer Republik - die Nazis nannten sie ihre "Kampfzeit" - war Faust im gesamten Stadt- und Landkreis Koblenz als der gefürchtetste Schläger und "Draufgänger" bekannt. Das stellten damals im "Dritten Reich" sein SS-Standartenführer und nach dem Krieg ein Zeuge in einem Strafprozeß gegen Faust unabhängig voneinander, aber übereinstimmend fest. Immer wieder suchte und fand er Gelegenheiten zu Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern - getreu der Nazi-Parole "Wir prügeln uns groß". Reibungspunkte gab es genug, zumal Faust in der Nachbarschaft mehrerer Kommunisten wohnte.

 

Nach der sog. Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 kam für Faust die Stunde der Abrechnung. Als Ende Februar/Anfang März 1933 in Koblenz - wie auch in anderen Gegenden Deutschlands - viele politische Gegner festgenommen und mißhandelt wurden, war auch er dabei. Danach war er in verschiedenen Funktionen aktiv und wurde dann Anfang August 1933 in die Emslandlager nach Esterwegen kommandiert. Dort erbauten Häftlinge aus dem bereits bestehenden KZ Börgermoor ein weiteres Konzentrationslager. Faust sollte in Esterwegen "KZ-Kommandant lernen" und war Adjutant des dortigen Lagerkommandanten. Schon wenige Tage später kamen die ersten Transporte mit "Schutzhäftlingen". Darunter war auch ein Transport mit Koblenzer Häftlingen. Faust kam diesen noch vor dem Lagereingang mit den Worten "Wer sind die Koblenzer? Hände hoch!" entgegengelaufen, um sich gleich auf sie zu stürzen und zu verprügeln. Nach weiteren Schikanen machte er die Wachmannschaften auf sie aufmerksam und rief diesen zu: "Die Koblenzer empfehle ich euch, das sind meine besonderen Freunde". Die Koblenzer mußten gesondert zwischen den Baracken antreten, dann stellte Faust sich ihnen vor und erklärte: "Das Herz im Leibe lacht mir, wenn ich euch sehe; ihr werdet die Heimat nicht wiedersehen." Faust trat dann näher an sie heran und schlug die Häftlinge, die in seiner Nähe standen, der Reihe nach durch. Er ließ auch einige Häftlinge heraustreten und mißhandelte sie mit den anderen dabeistehenden SS-Männern. Noch abends kam er in die mit den Koblenzern belegte Baracke und erklärte, nun wolle er sie "einmal richtig begrüßen". Dabei veranstaltete er einen "Budenzauber", bei dem sich die Häftlinge auf Kommando in die Betten zu werfen, dann aus den Betten zu springen und andere Übungen zu machen hatten.

 

Was müssen die Koblenzer im KZ Esterwegen alles durchgemacht haben, wenn sie schon so von Faust "begrüßt" wurden! Es war aber wohl ihr Glück, daß er Ende September 1933 die Leitung des gerade neu errichteten weiteren Emslandlagers V in Neusustrum übertragen erhielt. Allerdings blieb er dort ebenfalls nicht lange. Wegen der selbst für die Nazis untragbaren Zustände in den Lagern, vor allem wegen der andauernden Mißhandlungen der Häftlinge, löste man im November 1933 die SS als Bewachung der Lager vorübergehend durch Polizeikräfte ab. Faust kehrte daraufhin nach Koblenz zurück. Er hatte Probleme, wieder Fuß zu fassen und wurde wegen seiner Brutalität und seines Jähzorns sogar aus der NSDAP und der SS ausgeschlossen. Mit Unterstützung der SS wurde er schließlich Hausmeister in der Volksschule in Koblenz-Neuendorf; seine Bemühungen aber, doch wieder in die NSDAP und die SS aufgenommen zu werden, blieben erfolglos.

 

Aus der Nachkriegszeit sei der Vollständigkeit halber noch zu Faust vermerkt: Im Jahr 1950 wurde er vom Schwurgericht des Landgerichts Osnabrück wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und wegen Mordes in Tateinheit mit 33 Fällen von gefährlicher Körperverletzung zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt und später zu 20 Jahren Zuchthaus begnadigt. Nach jahrelanger Haft kam er am 15. Dezember 1965 auf dem Gnadenweg vorzeitig frei und starb wenige Monate später am 13. April 1966 in Emden.

 

Wenn man diese Geschichte aus der Frühzeit des "Dritten Reiches" in einem in der Nachkriegszeit gegen Faust ergangenen Strafurteil liest, dann empfindet man schon Beklemmung. Hier ist - justizförmig aufgearbeitet - die Rede von Menschen aus Koblenz - von Mitbürgern, Nachbarn - vor mehr als 60 Jahren, die durch die Umstände und durch ihr eigenes Zutun einerseits zu Verbrechern und andererseits zu Opfern dieser Verbrecher und dieses politischen Systems wurden und die sich - als Koblenzer - fernab von Koblenz in dem Konzentrationslager Esterwegen im Emsland unter den Bedingungen eines Terrorsystems erneut begegneten.

 

Und dabei war Koblenz gar keine ungewöhnliche Stadt zur Zeit des Nationalsozialismus und die Koblenzer waren es auch nicht. Koblenz war zwar "Gauhauptstadt", aber ansonsten eine Stadt wie jede andere auch, mit Opfern und mit Tätern - wobei beide Gruppen manchmal nicht so einfach voneinander zu scheiden sind wie im Fall Esterwegen - und natürlich auch mit vielen, viel zu vielen Zuschauern. Koblenz war während der NS-Zeit so "Durchschnitt", so "normal", daß man in Koblenz und bei den Koblenzern praktisch die vollständige Verfolgungssituation und auch einen Teil des Widerstandes im "Dritten Reich" wiederfindet - sofern man nur lang und intensiv genug den Spuren der Täter und der Opfer nachgeht.

 

Diese Spurensuche vor Ort hat sich der im Mai 1997 gegründete "Förderverein zur Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V." zur Aufgabe gemacht. Er will die Erinnerung an die nationalsozialistische Verfolgung und an den Widerstand gegen das NS-Regime in Koblenz in ihrer ganzen Breite wachhalten. Dementsprechend ist es nach der Satzung Zweck des Vereins, den Gedanken für die Errichtung eines Mahnmals zu verbreiten und Mitglieder, die sich diesem Anliegen verbunden fühlen, zu gewinnen, die Errichtung eines Mahnmals in Absprache und in Zusammenarbeit mit den entsprechenden kommunalen und staatlichen Stellen in die Wege zu leiten, die Fragen einer angemessenen und anspruchsvollen Gestaltung des Mahnmals zu erörtern und darüber einen breiten Konsens herbeizuführen, die Verfolgung durch den Nationalsozialismus zu erforschen und wissenschaftlich aufzuarbeiten sowie Sponsoren zu gewinnen und zu motivieren, die bereit sind, die Errichtung eines Mahnmals zu unterstützen.

 

In diesem Rahmen bemüht sich u.a. der Verfasser um die Erforschung von Verfolgung und Widerstand in Koblenz. Im Oktober 1997 und im März 1998 hat er vor der Mitgliederversammlung des Fördervereins Vorträge zu diesem Thema gehalten. Der hier vorliegende Artikel ist eine überarbeitete und um Fußnoten ergänzte Fassung eines Teils dieser Vorträge. Zusammen mit dem zweiten, im nächsten Heft erscheinenden Teil will er einen chronologischen Überblick über die Verfolgung und den Widerstand in Koblenz geben. Ein weiterer Artikel soll mit dem Eingehen auf einzelne Opfer und Opfergruppen diese Thematik abrunden.

 

 

III. Säuberung des Machtapparats durch die Nazis

 

Die Verfolgung in Koblenz begann schon wenige Tage nach der sog. Machtergreifung am 30. Januar 1933, die anders als in anderen Städten in Koblenz nur wenig Resonanz fand - es sollen lediglich ein paar Hakenkreuzfahnen geweht haben. Den Anlaß für erste Repressionen gab die in Koblenz erscheinende, SPD-nahe "Rheinische Warte", die sich schon sehr früh mit der neuen Regierung und deren ersten Maßnahmen auseinandersetzte. Bereits am 4. Februar 1933 verfügte der Koblenzer Regierungspräsident von Sybel daraufhin ein dreitägiges Erscheinungsverbot. Diesem Verbot folgte am 15. Februar 1933 eine diesmal vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz erlassene Verfügung, aufgrund der neben anderen sozialdemokratischen Zeitungen des Rheinlandes auch die Rheinische Warte für vier Tage nicht erscheinen durfte. Das endgültige Aus kam eine Woche später. Mit der Ausgabe vom 27. Februar 1933 stellte sie ihr Erscheinen ohne Erklärung ein. Bereits kurz zuvor war eine Demonstration der "Eisernen Front" mit dem Gewerkschaftsführer Hans Böckler, die für den 25. Februar 1933 in Koblenz vorgesehen war, von dem kommissarischen Polizeipräsidenten wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verboten worden.

 

Es versteht sich von selbst, daß solche rechtsstaatswidrigen, undemokratischen Einschränkungen der Presse- und Demonstrationsfreiheit eigentlich nur von Beamten verfügt und auch durchgesetzt werden konnten, die dem neuen Regime loyal oder zumindest indifferent gegenüberstanden. Deshalb mußten - in der Konsequenz der Nazis - alle die in staatlichen und kommunalen Stellen noch verbliebenen demokratisch und republikanisch gesinnten Beamten entfernt werden. Entsprechend dieser Logik hat die Verfolgung in Koblenz mit der Entfernung führender staatlicher Beamter begonnen. Erstes Opfer dieser Verfolgung wurde der erste Polizeipräsident von Koblenz, Dr. Ernst Biesten, der dem Zentrum angehörte. Er wurde bereits am 12. Februar 1933 - keine zwei Wochen nach der sog. Machtergreifung - wegen politischer Unzuverlässigkeit aus dem Amt entfernt. Biesten war zunächst beurlaubt und dann in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden.

 

Zweites Opfer der "politischen Säuberung" war der Vizepräsident des in Koblenz ansässigen Oberpräsidiums der Rheinprovinz, Dr. Wilhelm Johann Guske. Guske war SPD-Mitglied und in Koblenz Vorsitzender der "Eisernen Front" - einer aus SPD, Reichsbanner und Allgemeinem Deutschen Gewerkschaftsbund in der Endphase der Weimarer Republik gegründeten "Kampforganisation". Guske wurde knapp zwei Wochen später als Biesten gemäß § 3 Abs. 2 einer Verordnung aus dem Jahre 1919(!) "im Interesse der Festigung der verfassungsmäßigen republikanischen Staatsform"(!) mit sofortiger Wirkung in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die damals noch erscheinende Rheinische Warte hielt dies zunächst für einen Karnevalsscherz und meinte, nachdem sie sich von der Wahrheit der Meldung hatte überzeugen müssen, die Gerichte würden Gelegenheit haben, diese "neupreußische Einschätzung der Republikaner zu prüfen". Aber auch insoweit mußte sie sich durch die weiteren Ereignisse eines Besseren belehren lassen.

 

Wie diese beiden Beispiele zeigen, geschahen die "Säuberungen" zunächst "wild", also wie im Fall des Polizeipräsidenten Dr. Biesten ohne jede gesetzliche Grundlage oder wie im Falle des Vizepräsidenten Dr. Guske zwar aufgrund einer solchen, aber offensichtlich rechtswidrig. Erst im Laufe der Zeit schuf sich das neue Regime für diese und für andere Personalmaßnahmen nachträglich eine scheinlegale Grundlage und hatte damit auch eine Handhabe für zukünftige Fälle. Geregelt wurde das alles in Gesetzen und Verordnungen von April 1933, und zwar durch das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" und durch das "Gesetz betreffend die Zulassung zur Patentanwaltschaft und zur Rechtsanwaltschaft" nebst "flankierender" Verordnungen. Diese Regelungen boten dann die rechtsförmliche Grundlage, um "politisch Unzuverlässige" und Juden aus dem öffentlichen Dienst und aus der Anwaltschaft zu entfernen.

 

An der Spitze der Stadtverwaltung ging diese "Säuberung" sehr viel geräuschloser vonstatten. Der dem Zentrum angehörende Oberbürgermeister Dr. Hugo Rosendahl hatte nach den Kommunalwahlen am 12. März 1933 und nach Anfeindungen durch die Nazis sehr schnell aufgegeben und sich schon am 15. März 1933 für das laufende Verwaltungsjahr vom Regierungspräsidenten beurlauben lassen. In sein Amt kehrte er nicht mehr zurück.

 

Etwas einschneidender waren die Maßnahmen in der Justiz. Wegen "nicht-arischer" Abstammung wurden beim Landgericht der Gerichtsassessor Dr. Dreyfuß und bei der Staatsanwaltschaft Koblenz der Erste Staatsanwalt Dr. Krämer sofort beurlaubt und mit Wirkung vom 31. August 1933 ohne Dienstbezüge entlassen. Außerdem entließ man sämtliche jüdische Referendare aus dem Vorbereitungsdienst.

 

 

IV. Verfolgung des politischen Gegners aus der "Kampfzeit"

 

Die Nazis schüchterten ihre politischen Gegner differenziert nach der Parteizugehörigkeit und überdies in Intervallen nach und nach ein. Die ersten politischen Gegner aus der "Kampfzeit", die eingeschüchtert wurden, waren die Kommunisten. Wie bereits erwähnt wurden sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Reichtstagsbrand in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 und im Zuge der letzten halbwegs freien Reichstagswahlen am 5. März 1933 wie im gesamten Reichsgebiet so auch in Koblenz Ende Februar/Anfang März 1933 in "Schutzhaft" genommen. Dies geschah aufgrund der vom Reichspräsidenten von Hindenburg erlassenen "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" ("Reichstagsbrand-Verordnung") vom 28. Februar 1933, mit der wesentliche, in der Weimarer Reichsverfassung niedergelegte Grundrechte aufgehoben wurden. Sie bildete die scheinlegale Rechtsgrundlage für die "Schutzhaft". Mit ihr sollten nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut in einer "Notstandssituation" kommunistische staatsgefährdende Gewaltakte abgewehrt werden; tatsächlich beriefen sich die Nazis während der gesamten Zeit ihrer Herrschaft auf diese Verordnung, um die vielfältigsten politisch Andersdenkenden und auch sonstige mißliebige Personen willkürlich in Polizeihaft oder in Haft in einem Konzentrationslager zu nehmen.

 

Die Koblenzer Polizei nahm in ihrem Zuständigkeitsbereich etwa 80 Führer und Unterführer der KPD fest. Grund hierfür war allein ihre Funktion innerhalb der kommunistischen Partei. Um dieser Willkürmaßnahme - denn es war ja nicht verboten, in einer solchen Funktion in der KPD tätig zu sein - den Anschein einer Berechtigung zu geben, hieß es in dem Polizeibericht hierzu, man habe "eine Menge Waffen und Munition" beschlagnahmt. Unter den in "Schutzhaft" genommenen Kommunisten war auch der Buchhändler Richard Christ. Knapp zwei Wochen später wurde er bei den Kommunalwahlen zum Stadtverordneten gewählt. Bedeutung hatte das für ihn und für Koblenz nicht mehr. Nicht einmal zur ersten Sitzung der neu gewählten Stadtverordnetenversammlung hat man ihn eingeladen und schon gar nicht in sein Amt eingeführt - geschweige denn, daß die anderen Stadtverordneten gegen seine Inhaftnahme protestiert hätten. Als "Schutzhäftling" war er rechtlos und die Nationalsozialisten waren froh, ihn auf diese Weise ignorieren zu können. Der zweite gewählte Stadtverordnete der KPD, der Schneider Max Krause, hatte übrigens angesichts dieser Repressionen die Wahl gar nicht erst angenommen.

 

Unter diesen Umständen blieben von den entschiedenen Gegnern der Nationalsozialisten nur noch die SPD-Stadtverordneten übrig. Auch diese dezimierten die Nazis - reichsweit - mit ganz neu erlassenen Unvereinbarkeitsregeln hinsichtlich mehrerer Ämter, so daß in der Koblenzer Stadtverordnetenversammlung nur noch zwei der gewählten SPD-Stadträte übrigblieben: Maria Detzel und Veit Rummel. Auch sie mußten die Stadtverordnetenversammlung schon bald verlassen und wurden in der konstituierenden Sitzung am 29. März 1933 von SS-Leuten abgeführt, als sie gegen die Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Adolf Hitler protestierten.

 

Während die Mitglieder des Zentrum - abgesehen von dem aus dem Dienst entfernten Polizeipräsidenten Dr. Biesten - noch eine Schonfrist hatten, ging die Verfolgung der "Marxisten" durch die Nationalsozialisten weiter. Unter den nächsten Opfern waren der Geschäftsführer der SPD-nahen Rheinischen Warte Manschke und der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks und Gewerkschafters Johann Dötsch. Sie wurden im Zusammenhang mit der Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 5. Mai 1933 in "Schutzhaft" genommen.

 

Die Verhaftungen gingen weiter und im Juli 1933 häuften sich die Fälle der "Schutzhaft". Betroffen waren davon vornehmlich Sozialdemokraten. Sie waren nach der Erklärung des Reichsinnenministers Fricks vom 22. Juni 1933, die SPD sei eine "staats- und volksfeindliche Partei", und dessen Aufforderung an die Landesregierungen, "auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 die notwendigen Maßnahmen gegen die SPD zu treffen", noch mehr ins Blickfeld der neuen Machthaber geraten. Betroffen von diesen Maßnahmen waren aber auch parteilose Gegner der Nazis, wie der schon früher den Nationalsozialisten als mißliebig aufgefallene A.B. Sie alle waren im Koblenzer Gefängnis, dem sog. Karmelitergefängnis in der Karmeliterstraße, untergebracht. Tagsüber arbeiteten sie in  Kommandos an verschiedenen Stellen in der Stadt und hatten schwere Mißhandlungen durch die SS zu erdulden. Eine beträchtliche Zahl von ihnen - schätzungsweise 40 "Schutzhäftlinge" - wurden dann im August 1933 in das Konzentrationslager Esterwegen ins Emsland verschleppt und hatten dort unter dem Koblenzer Sturmführer Emil Faust zu leiden. Die meisten von ihnen sind wohl Ende 1933 freigekommen. Ihr Schicksal läßt sich erahnen anhand des autobiographischen Romans des Schauspielers und Regisseurs Wolfgang Langhoff, der am 28. Februar 1933 in Düsseldorf in "Schutzhaft" genommen und in das Emslandlager Börgermoor eingeliefert wurde; er spricht von zahlreichen "Weihnachtsentlassungen" zum Jahresende 1933.

 

 

V. Einschüchterung der Zentrumspartei

 

Anders als die KPD und die SPD fand sich das (katholische) Zentrum mit Hitler und seiner "nationalen Revolution" eher ab. Die Selbstaufgabe des gerade im Rheinland so mächtigen und einflußreichen Zentrum ging so weit, daß deren Reichstagsabgeordnete sogar dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" (sog. Ermächtigungsgesetz) vom 23. März 1933 zustimmten. Doch auch dieses Wohlverhalten gegenüber den Nationalsozialisten half dem Zentrum und seinem Umfeld nichts. Am 5. Juli 1933 - nachdem die SPD verboten war und Goebbels dem Zentrum den "guten Rat" gegeben hatte, sich aufzulösen - folgte das Zentrum diesem "Rat" und löste sich selbst auf. Die Mandate der Abgeordneten und die der Stadtverordneten - auch in Koblenz - verfielen.

 

Gegen Leute des Zentrums gingen die Nationalsozialisten subtiler vor als gegen die Kommunisten und Sozialdemokraten. Im großen und ganzen begegnete man ihnen nicht mit roher, physischer Gewalt, sondern diffamierte und stigmatiserte sie als "Schmarotzer" und "Profiteure". Beispielsweise warfen die Nazis dem inzwischen auf eigenen Wunsch beurlaubten Oberbürgermeister Dr. Rosendahl (Zentrum) und der Schwester des langjährigen Vorsitzenden der Zentrumsfraktion in der Koblenzer Stadtverordnetenversammlung, der Koblenzer Sozialreferentin Anna Loenartz, persönliche Bereicherung anläßlich eines Umzuges bzw. einer Urlaubsreise vor.

 

Viel massiver waren die Ehrabschneidungen in den verschiedenen Sparkassen- und Devisenprozessen gegen Mitglieder des Zentrums. Ein solches Verfahren war bereits im April 1933 von der Staatsanwaltschaft Koblenz in die Wege geleitet worden und fand alsbald vor dem Landgericht Koblenz - auswärtige Kammer in Neuwied - statt. In diesem sog. Neuwieder Sparkassenprozeß waren die maßgeblichen Persönlichkeiten des Zentrums in Neuwied beschuldigt: der Sparkassendirektor Josef Muth, der Landrat Robert Großmann und das Mitglied des Reichstages Eduard Verhülsdonk. In seinem Urteil vom 4. Februar 1934 folgte das Landgericht allerdings der Staatsanwalt nicht, die für Muth drei Jahre, für Verhülsdonk zwei Jahre und für Großmann ein Jahr Gefängnis beantragt hatte, sondern sprach vielmehr alle Angeklagten frei. Gleichwohl hinterließ diese Kampagne, die auch noch zu Disziplinarverfahren führte, ihre Spuren. Eduard Verhülsdonk etwa starb unter dem Druck dieser Anfeindungen noch im selben Jahr.

 

 

VII. Hochverratsverfahren gegen Kommunisten

 

In der Frühphase des "Dritten Reiches" gingen die Nationalsozialisten gegen keinen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner - die Juden eingeschlossen - so unnachgiebig und brutal vor wie gegen die Kommunisten. Nachdem die Nazis sie aus Anlaß des Reichstagsbrandes vielfach in "Schutzhaft" genommen und sie zum Teil nach einigen Monaten wieder entlassen hatten#, begab sich das Regime - in Übereinstimmung mit weiten Teilen der öffentlichen Meinung - an die endgültige Zerschlagung der illegal gewordenen KPD und ihrer Nebenorganisationen und bediente sich nach den "wilden Anfängen" dabei der Justiz.

 

Anlaß für Strafverfahren gegen Kommunisten waren etwa illegaler Waffenbesitz, die Herstellung oder Verteilung von Flugschriften der KPD, die Zahlung von Beiträgen an die illegale Parteikasse oder die Teilnahme an Treffen, bei denen über die Organisationsstruktur der KPD gesprochen wurde. Da die KPD, wie die Rechtsprechung schon zur Zeit der Weimarer Republik festgestellt hatte, den bürgerlichen Staat mit Gewalt zertrümmern wollte, war bald jede Unterstützung oder Förderung für kommunistische oder sozialistische Organisationen ein "hochverräterisches Unternehmen" oder "Vorbereitung zum Hochverrat", die eine sehr empfindliche Strafe nach sich zogen.

 

Solche Hochverratsverfahren sind auch für Koblenz und den Koblenzer Raum nachgewiesen. Ihre konkrete Ermittlung ist allerdings noch nicht in allen Fällen gelungen. Dies hängt u.a. mit einer recht verwirrenden Zuständigkeitsregelung für die Gerichte in diesen Verfahren zusammen. Sie fielen - wenn sie nicht gerade von überragender Bedeutung waren und vor dem neu geschaffenen Volksgerichtshof angeklagt wurden - in die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte. Zur damaligen Zeit gab es aber in Koblenz noch kein eigenes Oberlandesgericht. Der Koblenzer Raum gehörte vielmehr teils zum Bezirk des Oberlandesgerichts Köln und teils zu dem des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main. Erschwerend kommt noch hinzu, daß weder das Oberlandesgericht Köln noch das Oberlandesgericht Frankfurt/Main über einen eigenen Strafsenat für Hochverratssachen u.ä. politische Delikte verfügte. Vielmehr waren diese Verfahren für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln beim Oberlandesgericht Hamm und für den Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt/Main bei dem Oberlandesgericht Kassel zentralisiert. Mithin findet man solche Hochverratsverfahren u.ä. lediglich im Bestand des Oberlandesgerichts Hamm bzw. in dem des Oberlandesgerichts Kassel. Die Recherche wird noch dadurch kompliziert, daß vielfach nicht einmal die Namen der Angeklagten und Verurteilten feststehen.

 

Gleichwohl ist ein Massenverfahren aus dem Neuwieder Raum bekannt. Hierüber existiert eine Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Kassel vom 23. August 1933. Darin wurde insgesamt 28 Kommunisten vorgeworfen, in den Monaten Juni und Juli 1933 in Neuwied und Umgebung ein "hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlungen" unternommen zu haben, indem sie die "Rote Fahne" u.a. kommunistische Druckschriften verteilt, Beiträge für die KPD bei den Mitgliedern gesammelt und sich in mehreren Zusammenkünften getroffen hatten. Des weiteren heißt es in einem Bericht des Landrats des Landkreises Koblenz vom 27. September 1933 an den Koblenzer Regierungspräsidenten, daß Führer der KPD wegen Vergehens gegen das Schußwaffengesetz vom Sondergericht Kassel (?) zu erheblichen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind. Schließlich wissen wir von einer Aktion gegen Anwohner eines Häuserblocks in Koblenz am 15. September 1933, die zur Festnahme mehrerer Personen führte. Ihnen wurde vorgeworfen, sich dadurch "hochverräterisch betätigt zu haben, daß sie unter dem Deckmantel eines Skatklubs geheime Zusammenkünfte pflegten (...) und kommunistische Flugblätter unter sich verteilten". Der Bericht endet damit, daß diese Personen dem Amtsrichter zum Erlaß eines Haftbefehls vorgeführt wurden, nachdem sie zunächst einmal in "Schutzhaft" genommen worden waren.

 

In kurzer Zeit zerschlugen politische Polizei und Justiz die KPD so, daß der Polizeipräsident in Koblenz Ende des Jahres 1933 dem Regierungspräsidenten melden konnte, ein Neuaufbau der KPD sei ebenso wenig beobachtet worden wie die Verbreitung kommunistischer Druckschriften; "trotz schärfster Überwachung der Kommunisten (sei) ein Aufleben der kommunistischen Aktivität nicht wahrgenommen (worden)".

 

 

 

VI. Boykott und Prozesse gegen Juden

 

Die ersten Repressalien gegen Juden - als Gruppe - begannen ebenfalls im Jahr 1933,  mit dem sog. Judenboykott am 1. April. Zuvor hatte Hitler am 28. März 1933 alle Parteiorganisationen der NSDAP mit den Worten "Das Deutschland der nationalen Revolution ist nicht das Deutschland einer feigen Bürgerlichkeit" zum Boykott gegen "das Judentum in Deutschland" am 1. April 1933 "Schlag 10 Uhr" aufgerufen. Reichsweit sollten "jüdische Geschäfte, jüdische Waren, jüdische Ärzte und jüdische Rechtsanwälte" boykottiert werden. Während diese Maßnahmen, bei denen sich vor allem SA-Leute vor jüdischen Geschäften postierten und zum Boykott aufriefen, in anderen Städten größeren Erfolg hatten, war die Resonanz in Koblenz offensichtlich recht bescheiden. Zwar trommelte das inzischen als Nazi-"Kampfblatt" in Koblenz erscheinende "Koblenzer Nationalblatt" zum Boykott ("Nieder mit Juda! Strafgericht über den Weltfeind bricht herein - Der Weltpest an den Kragen - Weltverbrecher Juda!" - so die Schlagzeilen auf der Titelseite am 1. April 1933), jedoch konnte es bei allen propagandistischen Tricks  alsbald nur mit einem kleinlauten Artikel über "Die Abwehrfront in Koblenz" berichten. Ohnehin wurde aus Rücksicht auf das Ausland der von Hitler befohlene offizielle und reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte nach dem 1. April 1933 eingestellt.

 

Die Politik der Ausgrenzung und des Boykotts jüdischer Geschäftsleute, Freiberufler und Intellektueller setzten die Nationalsozialisten oft auch in scheinlegaler Form fort. Erinnert sei nur an das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" von April 1933, mit dem die Rechtsgrundlage für die Entfernung der ohnehin nur wenigen Juden aus dem Beamtenverhältnis geschaffen wurde, oder an das "Gesetz betreffend die Zulassung zur Patentanwaltschaft und zur Rechtsanwaltschaft" ebenfalls von April 1933. Durch das letztgenannte Gesetz verloren allein in Koblenz vier Rechtsanwälte, nämlich die jüdischen Anwälte Dr. Walter Barsch II, Jakob Gottschalk, Paul Hirsch und Albert Trum, ihre Zulassung. Der Rechtsanwalt Dr. Elias Fröhlich ließ sich freiwillig löschen. Bis auf weiteres durften nur noch die beiden jüdischen Rechtsanwälte Dr. Arthur Salomon und Dr. Josef Treidel praktizieren; sie waren als dekorierte Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges privilegiert.

 

Daneben gerieten auch schon zu diesem frühen Zeitpunkt jüdische Geschäftsleute unter dem Vorwand der Steuerhinterziehung und ähnlicher Wirtschaftsdelikte in "Schutzhaft". Belegt ist das etwa für Ferdinand Faber, den Inhaber einer Landhandel-Firma in Polch. Über ihn berichtete das Koblenzer Nationalblatt vom 15. April 1933 unter der diffamierenden Überschrift "Der Nationalsozialismus säubert! Große Saatenschieber, Steuerhinterzieher, Urkundenfälscher. Ferd. Faber in Polch verhaftet und in Schutzhaft genommen."

 

Einen ersten Höhepunkt brachten  die sog. Nürnberger Gesetze, die am 15. September 1935 auf dem "Reichsparteitag der Freiheit" verabschiedet wurden. Bedeutsam insoweit  waren das "Reichsbürgergesetz" und das "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre". Das "Blutschutzgesetz" verbot die Ehe "zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes" sowie den "außerehelichen Verkehr" zwischen ihnen. Außerdem untersagte es Juden, Haushaltsgehilfen, die jünger als 45 Jahre alt waren, zu beschäftigen. Dieses Gesetz war die Grundlage für eine Vielzahl von Strafverfahren wegen Rassenschande. Solche gab es auch beim Landgericht in Koblenz, bisher sind sie aber noch nicht näher aufgearbeitet worden. Mit dem zweiten wichtigen "Nürnberger Gesetz", dem "Reichsbürgergesetz" wurde für "Arier" der neue Status des Reichsbürgers geschaffen, an den alle politischen Rechte geknüpft waren. Juden behielten demgegenüber nur den Status der Staatsbürgerschaft. Die praktischen Konsequenzen aus dem "Reichsbürgergesetz" brachten die einzelnen Durchführungsverordnungen hierzu, die den Juden nach und nach so gut wie alle bürgerlichen Rechte und auch Annehmlichkeiten nahmen.

 

Die Nürnberger Rassengesetze waren begleitet von weiteren Boykottmaßnahmen gegen jüdische Gewerbetreibende und Freiberufler. Diese Schikanen fanden in Koblenz ihren sinnfälligen Ausdruck in der "Judenliste von Koblenz", die drei Tage nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze im Koblenzer Nationalblatt veröffentlicht wurde. Solche Boykottmaßnahmen waren ein weiteres Mittel zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, zur sog. Entjudung der Wirtschaft. Daneben gab es immer wieder Prozesse gegen jüdische Geschäftsleute, denen man Wirtschaftsdelikte vorwarf. Die gleichgeschaltete Presse nutzte dies immer zur Hetze gegen die jüdischen Mitbürger.

 

 

 

VIII. Zwangssterilisationen

 

Zwangssterilisationen gab es im "Dritten Reich" praktisch von Anfang an. Bereits im Juli 1933 beschloß das Reichskabinett das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das zum 1. Januar 1934 in Kraft trat. Es war eines der ersten, wenn auch weniger bekannten Rassengesetze, eine Maßnahme der von den Nazis so verstandenen "Rassenhygiene". Rassismus im Nationalsozialismus gab es nicht nur in Form des anthropologischen Rassismus, der "fremde Rassen" als genetisch "minderwertig" stigmatisierte (Beispiel: "Nürnberger Gesetze"), sondern auch in Form der "Rassenhygiene". Nach ihr wurden bestimmte Gruppen innerhalb einer "Rasse" als genetisch "minderwertig" ausgegrenzt. Aufgrund des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" konnte auf Antrag eines Amtsarztes und nach der Entscheidung eines Erbgesundheitsgerichts unfruchtbar gemacht werden, wer intellektuelle Defizite aufwies oder an bestimmten physischen oder psychischen Krankheiten litt. Reichsweit entschieden speziell zur Durchführung dieses Gesetzes 220 neu geschaffene Erbgesundheitsgerichte. Sie waren den Amtsgerichten angegliedert und setzten sich aus einem Amtsrichter als Vorsitzendem und zwei Ärzten zusammen.

 

Auch in Koblenz gab es ein Erbgesundheitsgericht; es war dem Amtsgericht Koblenz angegliedert und für den gesamten Landgerichtsbezirk Koblenz zuständig. Ein Erfahrungsbericht des Erbgesundheitsgerichts aus dem Jahr 1935 zeigt, daß das neue Gesetz schon im ersten Jahr aus der Sicht der Nationalsozialisten ein Erfolg war. Danach ließ sich das Gesetz ungeachtet "einiger Widerstände in gewissen Kreisen" reibungslos vollziehen. Zwar werde auf die Kranken oder ihre Angehörigen aus diesen Kreisen dahin eingewirkt, daß sie statt der Unfruchtbarmachung die gesetzlich zugelassene dauernde Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt wählen sollten, jedoch passe man auf - so der Bericht weiter -, daß damit das Gesetz nicht "umgangen" werde.

 

Die Forschungen in diesem Bereich sind sehr schwierig, da die Materie sensibel ist und außerdem sehr viele Unterlagen gesichtet werden müßten. Die Akten waren seinerzeit bei den Gesundheitsämtern angefallen und sind zum Teil dort noch vorhanden bzw. befinden sich nach ihrer Ablieferung im Landeshauptarchiv in Koblenz. Vom Gesundheitsamt Koblenz, das für die Stadt und für den Landkreis Koblenz zuständig war, existieren im Landeshauptarchiv Koblenz insgesamt 2.378 Akten. Hierbei handelt es sich allerdings um sog. Sippenakten, zu denen neben den Erbgesundheitsakten auch die Akten zu Ehestandsdarlehen, Ehetauglichkeitszeugnissen, Kinderbeihilfen u.ä. gehören. Daher ist zum gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht einmal die genaue Zahl der Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht Koblenz bekannt.

 

 

 

IX. Erste Verfolgung katholischer Priester

 

Kaum waren die Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter in Haft, außer Landes geflohen oder fast bis zur Bedeutungslosigkeit eingeschüchtert, setzten die Nationalsozialisten in anderen Bereichen ihren gesellschaftlichen und weltanschaulichen Machtkampf fort. Ihr Gegner wurde - zumal im Rheinland - in zunehmendem Maße der politische Katholizismus, d.h. die Existenz und Einflußnahme des Katholizismus in Gesellschaft und Politik, wie sie ihren Ausdruck fand in katholischen Zeitschriften, katholischen Verbänden oder auch in der Zentrumspartei.

 

Schon bald nach dem überraschend schnellen Abschluß des Konkordats zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich am 20. Juli 1933 begannen die Auseinandersetzungen zwischen der katholischen Kirche und dem nationalsozialistischen Staat. Ein Ausdruck dessen waren die bereits erwähnten Sparkassen- und Devisenprozesse - wie u.a. der Neuwieder Sparkassenprozeß -, mit denen die Nazis Zentrumspolitiker diffamierten. Den Nationalsozialisten ging es aber um mehr. Sie wollten letztlich die gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen, Traditionen und den Einfluß des Katholizismus zurückdrängen. Ein wichtiges Ziel war dabei - etwa im Bereich der kirchlichen Jugendarbeit - die Gleichschaltung von kirchlichen Organisationen, die mit solchen der Nationalsozialisten konkurrierten oder parallel mit ihnen liefen. Beispielhaft wird dies deutlich in einem Bericht des Koblenzer Regierungspräsidenten vom 4. November 1933 an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, in dem dieser nach der einleitenden Feststellung, vom polizeipolitischen Standpunkt aus könne die Lage im Regierungsbezirk Koblenz als ruhig bezeichnet werden, fortfährt, größere Schwierigkeiten bestünden lediglich noch zwischen den katholischen Jugendverbänden und der Hitler-Jugend, die besonders in den überwiegend katholischen Kreisen des Koblenzer Regierungsbezirks stark hervorträten. Diese "Schwierigkeiten" waren dem Regierungspräsidenten dabei so wichtig, daß er hierüber - wie auch über die Einstellung der katholischen Geistlichkeit - sogleich einen Sonderbericht ankündigte.

 

Von daher rückten die katholischen Priester immer mehr in das Blickfeld der nationalsozialistischen Machthaber. Auf dem Rücken einzelner Priester wurde dieser Kampf der Nationalsozialisten zur Durchsetzung ihrer "Weltanschauung" gegen die katholische Religion/Weltanschauung ausgetragen. Die "Vergehen" der Priester waren nicht im engeren Sinne politischer Natur, denn es gab nur ganz wenige "politisch unzuverlässige" Priester bzw. solche, die sich als "politisch unzuverlässig" zu erkennen gaben. Die Nazis machten den katholischen Priestern im allgemeinen zum Vorwurf, daß sie an ihrer überkommenen liturgischen und seelsorgerischen Praxis festhielten und nicht ausreichend der "neuen Zeit" und ihrer Ideologie Rechnung trugen. Ein typisches "Vergehen" war beispielsweise die Nichtbeflaggung des Kirchturms mit der Hakenkreuzfahne.

 

In Koblenz war der Pfarrer Otto Friesenhahn von St. Peter in Koblenz-Neuendorf schon früh Opfer solcher Verfolgung. Bereits am 4. August 1934 wurde er in "Schutzhaft" genommen, weil er - wie es im amtlichen Bericht dazu heißt - das für den 3. August 1934 angeordnete Trauergeläut aus Anlaß des Todes des Reichspräsidenten von Hindenburg nicht vornehmen ließ, und bei seiner Vernehmung durch Beamte der Staatspolizeistelle erklärte, das Glockengeläut käme noch früh genug. In seinen Weihnachtspredigten desselben Jahres soll Pfarrer Friesenhahn die christliche Caritas der "römisch-heidnischen Karitas" gegenübergestellt haben. Hierin sah man einen Angriff auf das nationalsozialistische Winterhilfswerk und die NS-Volkswohlfahrt und verurteilte Pfarrer Friesenhahn  gemäß § 130 a des Strafgesetzbuches wegen öffentlicher Friedensgefährdung zu sechs Monaten Gefängnis.

 

Im Laufe der Zeit verschärfte sich noch die Lage. Ein erster Höhepunkt war der Erlaß des Reichsministers der Justiz vom 20. Juli 1935, der es den Strafverfolgungsbehörden zur Pflicht machte, "in engster Zusammenarbeit mit den zuständigen Staatspolizeistellen und Verwaltungsbehörden allen auf Zersetzung des Staates und Aufspaltung der Volksgemeinschaft gerichteten Bestrebungen des politischen Katholizismus, wo immer sie sich zeigen, ohne Rücksicht auf die Person und Stellung des Täters mit ruhiger, jeden Fehlgriff ausschließender Besonnenheit, aber auch mit allem durch die Gefährlichkeit dieser Bestrebungen geforderten Nachdruck entgegenzutreten."

 

Daraufhin wurden in Koblenz auch der Pfarrer von Güls, Anton Adolf Busenbender, und sein Kaplan Peter Woll vorübergehend in "Schutzhaft" genommen. Anlaß hierfür war die Kritik daran, daß im Klassenraum der Gülser Volksschule das Kreuz ab- und statt dessen ein Hitlerbild aufgehängt worden war. Der Kaplan von St. Josef in der Südlichen Vorstadt, Werner Sandkaulen, schließlich wurde wegen Verstoßes gegen das "Heimtückegesetz" zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte in einer Predigt erklärt, die Kirche werde durch den Staat verachtet, bedroht und herabgesetzt. Die Strafe verbüßte er im Koblenzer Gefängnis.

 

Nicht unerwähnt bleiben sollen in diesem Zusammenhang die zahlreichen, vor dem Landgericht Koblenz verhandelten Strafverfahren gegen katholische Ordensangehörige wegen gleichgeschlechtlicher Betätigungen meist mit Schutzbefohlenen. Die Verfahren betrafen zwar keine Koblenzer Anstalten, wohl aber einige der näheren Umgebung und prägten das von den Nationalsozialisten erzeugte Klima ab Mitte 1936 wesentlich mit. Ziel der Gestapo war es, eine große Zahl belasteter Ordensleute zu schaffen, um damit besser die politisierende Geistlichkeit als Staats- und Volksfeind anprangern zu können. Die nationalsozialistische Presse schlachtete diese Prozesse für ihre Zwecke demagogisch aus und "berichtete" genüßlich über die Verfahren etwa mit den Schlagzeilen: "Die Orgien des Bruders Nikodemus" - "Pater Linus - ein Satan in der Mönchskutte" - "Der Liebesschlaf des Bruders Basilius" u.a.m.

 

 

 

X. Verfolgung im Bereich der evangelischen Kirche

 

Von solchen Repressalien war im hiesigen Raum vor allem der katholische niedere Klerus betroffen. Das lag nicht nur an dem seinerzeit zahlenmäßig deutlichen Übergewicht der Katholiken im Rheinland, sondern auch daran, daß die katholische Kirche und das katholische "Milieu" von der Tradition her - als Stichworte müssen hier "Kulturkampf" und "politischer Katholizismus" genügen - ein distanziertes Verhältnis zum (protestantischen) preußischen Staat hatte, während der Prostantismus sehr viel enger mit der Obrigkeit und dem preußischen Königs- und Kaiserhaus verbunden ("Thron und Altar") und patriotisch-nationalkonservativ geprägt war. Zudem ließ sich die katholische Kirche mit ihrer weltumspannenden Organisation und ihrem Zentrum in Rom nicht so vom Nationalsozialismus vereinnahmen wie die in einzelne selbständige Landeskirchen gegliederte evangelische Kirche. Es kam hinzu, daß Gruppierungen in der evangelischen Kirche dem Nationalsozialismus sehr nahe standen und eine fast vollständige Synthese von Nationalsozialismus und Christentum für wünschenswert hielten. Dies waren die "Deutschen Christen" (den Begriff  "Evangelische Nationalsozialisten" hatte Hitler strikt verboten), die die evangelischen Gemeinden und Landeskirchen sehr schwächten. Es gab aber auch Pfarrer und Laien, die sich solchen Gleichstellungsbestrebungen der Nationalsozialisten widersetzten. Zunächst ging es diesen darum entgegenzuwirken, daß sich der Staat in die kirchlichen Angelegenheiten einmischte - und umgekehrt die Kirche in die Anlegenheiten des (nationalsozialistischen) Staates. Bei dieser Abwehr fanden sich Pfarrer und Laien in der "Bekennenden Kirche" zusammen.

 

Auch in Koblenz gab es mehrere Pfarrer, die sich den "Deutschen Christen" angeschlossen hatten. Ein fanatischer Nationalsozialist war der Pfarrer Rudolf Wolfrum, der bei seiner Einführung im März 1933 nicht nur verkündete, Hitler sei ein von Gott für das Volk bestellter Wächter, sondern der beispielsweise auch in militärischer Uniform "Gottesdienst" abhielt. Von daher war in Koblenz selbst nur wenig Opposition im Bereich der evangelischen Kirche zu erwarten. Allerdings gab es auch hier in Pfarrer Winterberg einen Geistlichen, der sich zur "Bekennenden Kirche" hielt.

 

Aus der Selbstbehauptung heraus entwickelte sich in Teilen der "Bekennenden Kirche" eine religiös und zunehmend politisch motivierte Opposition gegen das NS-Regime. Einer der wenigen auch politisch oppositionellen Pfarrer war Paul Schneider. Er war schon wegen Resistenz aus dem Wetzlarer Raum zwangsweise in den Hunsrück zu den beiden sehr kleinen Gemeinden Dickenschied und Womrath versetzt worden. Als unbeugsamer "Prediger von Buchenwald" ist Paul Schneider allgemein bekannt. Nur wenige wissen aber, daß er wiederholt in Koblenz in "Schutzhaft" gesessen hat - teils im Koblenzer Karmelitergefängnis und teils im Gestapo-Gebäude "Im Vogelsang 1". Er wurde zuletzt Ende November 1937 von Koblenz aus in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar verschleppt. Dort ist der "Prediger von Buchenwald" im Frühsommer 1939 aufgrund einer ärztlichen Behandlung gestorben. Paul Schneider ist wohl das erste Koblenzer Opfer des nationalsozialistischen Regimes, das in einem Konzentrationslager umgekommen ist.

 

 

 

XI. Die Verfolgung der Ernsten Bibelforscher/Zeugen Jehovas

 

 

In jener Zeit wurden nicht nur Pfarrer und manche Laien der katholischen und evangelischen Kirche verfolgt. Opfer des Nationalsozialismus wurden auch Mitglieder der Zeugen Jehovas, die sich damals noch Ernste Bibelforscher nannten. Es gab im "Dritten Reich" keine andere religiöse Gruppierung, die - obwohl sie niemals eine herrschaftsgefährdende Rolle spielte und eine kleine und nicht sehr akzeptierte Minderheit blieb - so rücksichtslos verfolgt wurde wie die Ernsten Bibleforscher. In den Jahren 1933 bis 1945 war etwa jeder Dritte von ihnen in Haft - wenn auch von unterschiedlicher Dauer. Fast 10 Prozent von ihnen waren in Konzentrationslagern, wobei die Hälfte der KZ-Häftlinge ums Leben kam. Dabei verlief die Verfolgung der Ernsten Bibelforscher in Phasen und in unterschiedlicher Intensität.

 

Ihre Verfolgung im Koblenzer Raum begann Mitte der 30er Jahre mit einem Prozeß vor dem Sondergericht Köln, das in Koblenz tagte. Angeklagt waren 21 Ernste Bibelforscher aus Neuwied und aus dem Kreis Altenkirchen. Unmittelbar aus Koblenz stammte wohl keiner von ihnen. Angeklagt waren sie wegen "staatsfeindlicher Tendenzen" gemäß § 4 der Reichstagsbrand-Verordnung. Diese Vorschrift paßte zwar nicht auf die hartnäckige, aber friedliche Missionierung und Selbstbehauptung der Ernsten Bibelforscher - andere Bestimmungen kamen aber noch weniger in Betracht, um sie mit den Mitteln des Strafrechts zu verfolgen. Um die Zeugen Jehovas zu pönalisieren, denunzierten die Nazis sie als "jüdisch-bolschewistische Tarngesellschaft". Das Sondergericht sprach einen Zeugen Jehovas wegen seines hohen Alters frei, die anderen wurden teilweise zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Über deren weitere Verfolgung - viele Zeuge Jehovas wurden im Anschluß an die verbüßte Gefängnisstrafe in Konzentrationslager verschleppt - ist nichts bekannt.

 

 

 

XII. Die Reichspogromnacht und ihre Folgen

 

Die Ereignisse am und um den 9. November 1938 markierten einen Wendepunkt der Verfolgung im Nationalsozialismus. Der in der Umgangssprache als "Reichskristallnacht" verniedlichte Novemberpogrom war ein Rückfall in die Barbarei. Er machte den jüdischen Mitbürgern deutlich, daß für sie die bürgerlichen Rechte und Gesetze in einem totalen und existentiellen Sinne nicht mehr galten. Reichsweit und in einer großen Vielzahl von "Fällen" demonstrierte der nationalsozialistische Staat seinen Bürgern und der Weltöffentlichkeit - sofern man das Geschehen damals überhaupt wirklich sehen und bewerten wollte -, daß es auf bürgerliche Freiheitsrechte und auf die lange rechtsstaatliche Tradition und sogar auf den bloßen Schein derselben keinen Wert legte.

 

Die Verzweiflungstat eines jungen Juden am 7. November 1938 in Paris, das Attentat Herschel Grünspahns auf den bald darauf verstorbenen deutschen Legationsrat Ernst von Rath, war willkommener Anlaß für die Nationalsozialisten, um einen "Anschlag des internationalen Judentums" auf das Deutsche Reich zu konstruieren und eine "neue Ära nationalsozialistischer Judenpolitik" anzukündigen. Während die amtliche, am 10. November 1938 verbreitete Version des Pogroms dahin lautete, "im ganzen Reich (hätten sich) spontane judenfeindliche Kundgebungen entwickelt (und) die tiefe Empörung des deutschen Volkes (hätte) sich auch vielfach in starken antijüdischen Aktionen Luft (gemacht)", war es vielmehr eine gut geplante und organisierte Aktion der Nazis.

 

Eine solche Aktion haben sie auch in Koblenz inszeniert. Die SA war offenbar schon frühzeitig im Laufe des 9. November 1938 über die Ausschreitungen gegen Juden informiert sowie darüber, daß jüdische Männer ins KZ Dachau verschleppt werden sollten. Die Mobilisation der Partei und ihrer Funktionsträger geschah erst später. Es begann auf einer Versammlung in der Koblenzer Stadthalle am Abend des 9. November 1938. Am frühen Morgen war die Goebbels-Rede dann das Signal zum Losschlagen und Handlungsanweisung. Gegen 4 Uhr morgens waren die Koblenzer Ortsgruppenleiter der NSDAP von der Gauleitung über die Aktion und deren beabsichtigten Verlauf informiert. Träger des Pogroms waren die Ortsgruppenleiter, deren vertraute politische Leiter, selbständig vorgehende einheimische, wahrscheinlich auch ortsfremde Trupps der SA, SS und Gestapo. Zerstört wurden 19 Geschäfte und 41 Wohnungen, auch wurden jüdische Mitbürger mißhandelt. Trupps zerstörten ebenfalls die Synagoge am Florinsmarkt. Um einen Schaden für die benachbarten Gebäude zu vermeiden, sah man davon ab, sie auch noch in Brand zu setzen. Des weiteren schändete man den Friedhof und verwüstete die Leichenhalle. Die Gestapo verhaftete etwa 100 Männer und verschleppte sie vom Gestapo-Gebäude "Im Vogelsang 1" aus in das Konzentrationslager Dachau bei München. Dabei gab es zwei Todesopfer durch Herzattacken.

 

Am nächsten Tag, dem 11. November 1938, waren die Zeitungen zu diesem Thema voll. Das Nationalblatt etwa trug auf der Titelseite die Überschrift "Volkszorn gegen das Judenpack. Spontane Kundgebungen im ganzen Reich als Folge der feigen Mordtat des Juden Grünspahn" und im Innenteil heißt es in der Rubrik "Aus Stadt und Land" unter der Überschrift "Der Denkzettel" u.a.: " Dank der Disziplin der Koblenzer Bevölkerung und der Ordnungsbereitschaft aller verantwortlichen Stellen sind die Juden diesmal mit einem blauen Auge davongekommen. Hoffen wir, daß die Judenschaft der Welt niemals wieder Veranlassung gibt, unseren Zorn an die hiesigen Krumm-Nasen heimzuzahlen. Beim nächstenmal, das steht fest, fällt unsere Antwort auf die jüdische Mordpest nicht so gelinde aus..!"

 

Die meisten der nach Dachau verschleppten Juden kamen dann wohl wieder frei, aber die jüdischen Gemeinden und ihre Mitglieder waren in ihrem Lebensnerv endgültig schwer getroffen und letztlich als rechtlos aus der Gesellschaft ausgeschlossen. In den folgenden Wochen und Monaten ging ein Hagel diskriminierender Verordnungen auf die Juden nieder: Dem Verbot des Grundstückserwerbs folgte der Ausschluß der Juden von deutschen Schulen und Universitäten, verboten wurde ihnen der Besuch von Theater, Konzerten, Museen, Sportplätzen, Bädern usw.; es folgte die Einziehung von Führerscheinen und Zulassungspapieren für Kraftwagen, die Ablieferung von Schmuck und Edelmetallen, die Räumung "arischer" Wohnungen und die Einweisung in "Judenhäuser", die Verpflichtung zur Tragung des gelben Sterns; hinzu kamen die Verbote, öffentliche Telefone zu benutzen und Haustiere, Zeitungen und Zeitschriften zu halten, usw. usw.

 

Die Reichspogromnacht war der Anfang vom Ende. Mit dem von Hitler-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg sollte die Verfolgung noch ganz andere Dimensionen erreichen. Die entsetzliche Drohung, wie sie etwa auch im Nationalblatt vom 11. November 1938 ausgestoßen wurde, sollte Wirklichkeit werden. Über diese Verfolgung und den Widerstand in Koblenz während des Zweiten Weltkriegs wird im zweiten Teil dieser Skizze, die im nächsten, im Herbst erscheinenden Nummer veröffentlicht wird, berichtet.   

zu Teil 2

 

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