Title: Prostitution ist Mord an der Seele
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Prostitution ist Mord an der Seele

Jana Koch-Krawczak, Sr. Lea Ackermann

Jana Koch-Krawczak, Sr. Lea Ackermann

Von Jana Koch-Krawczak
Jana Koch-Krawczak, geboren 1978 in Nordpolen, veröffentlichte 2013 ihre Biographie unter dem Titel „Du verreckst schon nicht ... Wie mich meine Mutter in die Kriminalität und Prostitution trieb“. Darin erzählt sie, wie sie aus ärmlichen Verhältnissen und einem kaputten Elternhaus heraus in die Prostitution kam – und es aus eigener Kraft wieder raus schaffte. Heute lebt sie, glücklich verheiratet, in Süddeutschland, engagiert sich für Frauen in der Prostitution und versucht, ihnen beim Ausstieg zu helfen. In ihrem Beitrag für SOLWODI schildert sie unter anderem, wie sich Prostitution in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren verändert hat und was sie sich für die Zukunft wünscht.

Ich war 18 Jahre alt, als ich nach Deutschland kam. Das war Ende 1994, Anfang 1995. Damals kamen sehr viele Frauen aus Polen und aus Russland hierher, und viele von ihnen träumten einen trügerischen Traum: "Ich gehe mal für zwei, drei Monate nach Deutschland, mache mit meinem Körper das große Geld, gehe zurück nach Hause und habe keine Sorgen mehr". - Ich kenne keine, die das geschafft hätte.
Im Gegenteil. Ich habe es selbst gesehen. Ich bin damals mit zwei solcher Frauen nach Deutschland gekommen – beide sind aus freien Stücken gegangen, ich schloss mich ihnen aus Not an, weil es meine einzige Chance war, einem Menschenhändler-Ring in Polen zu entkommen. Die eine von ihnen ist bis heute verschollen, die andere wurde vergewaltigt und dann abgeschoben. Der Traum wurde zum Alptraum. Das erschreckt mich bis heute: Diese Gutgläubigkeit und Naivität, mit der viele Frauen in die Prostitution kommen ohne zu ahnen, wie schwer, ja beinahe unmöglich es ist, da jemals wieder raus zu kommen. Prostitution legt man nie mehr ab. Es gibt immer Männer, die sehr aggressiv sind, die das Undenkbare einfordern. Diese Erlebnisse prägen eine Frau ein Leben lang.
Mit meinem Beispiel möchte ich dennoch zeigen, dass der Ausstieg gelingen kann. Genau deshalb spreche ich offen über meine Erfahrungen, mache Ausstiegsberatung in verschiedenen Projekten. Die Geschichten, die ich dort höre, sind unvorstellbar. Die Welt der Prostituierten hat sich in Deutschland, seit ich hergekommen bin, auf unvorstellbare Weise verändert – vor allem, seit 2002 rein rechtlich gesehen Prostitution ein Job wurde wie jeder andere.
Dieses Gesetz hat die Gesellschaft verändert, die Werte von Männern und Frauen. Wenn etwas erlaubt ist, dann verändert sich das Denken. Als ich Mitte der neunziger kam, da schämten sich Männer noch dafür, ins Bordell zu gehen. Heute brüsten sie sich damit. Sie denken: "Ich darf das, es steht mir zu! Und ich darf all das tun, was ich will." Dieses Denken der Männer verändert fataler Weise dann auch die Frauen. "Ich bin doch dafür da, das ist mein Job. Eine Putzfrau muss ins Klo greifen, also muss ich als Prostituierte alles machen was der Mann verlangt." Die Praktiken, die die Männer in Deutschland inzwischen selbstverständlich einfordern, sind entwürdigend. Prostitution ist heute mehr denn je Mord an der Seele.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Männer und Frauen in ihrem Kopf ein neues Bild des Miteinanders entwickeln. Ich weiß, man kann die Menschen zum Umdenken bewegen, daher kämpfe ich hier in Deutschland meinen Kampf gegen den alltäglichen Mord an den Seelen dieser jungen Frauen. In meiner Heimat Polen will niemand etwas davon wissen. Dort schauen die Menschen immer noch weg, wollen auch meine Geschichte nicht hören – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Aber Schweigen bringt nichts. Denn die Folgen der Prostitution für jede einzelne von uns können lebenslänglich zur Strafe werden. Selbst wenn der Ausstieg gelingt: Man kann Prostitution nicht geheim halten. Wer einmal in der Prostitution war, den lässt das nie mehr los. Die Seele erinnert sich – und, wenn man Pech hat, auch die Menschen. Irgendjemanden gibt es immer, der Dich erkennt. Seitdem ich in meine Vergangenheit zurückgegangen bin, mich ihr offen gestellt habe, stehe ich in mancherlei Hinsicht wieder vor dem Nichts – aber ich konnte nicht anders, weil ich den Frauen Mut machen will, sich zu trauen und den Schritt in ein Leben jenseits der Prostitution zu wagen.
Ich habe inzwischen Familie und Tochter, die mich sehr glücklich macht. Ich habe eine Vision von und einen Glauben an meine Zukunft und an die der Frauen in Deutschland: Diese Zukunft möchte ich gestalten – indem ich meine Geschichte erzähle und zeige: Es lohnt sich zu kämpfen.

 

 

Artikel Nr. 4 von 8 in: Rundbrief Nr. 102 - Dezember 2014
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