Nein zur Zwangsprostitution – Die Kampagne
Der erwartete Anstieg von Prostitution und Zwangsprostitution, sowie Informationen zum Ausbau von Bordellen begleiteten die allgemeinen Vorbereitungen und Meldungen zur WM 2006. Im Herbst 2005 sahen sich SOLWODI, andere Fachberatungsstellen und Frauenorganisationen aufgefordert, dem etwas entgegenzusetzen, um Frauen zu helfen, die über lukrative Jobangebote in Deutschland in Not geraten.
SOLWODI entschied sich, trotz der knappen Zeit, zu einer umfassenden Kampagne, die nicht nur die Information der Bevölkerung in Deutschland und eine Sensibilisierung zum Ziel hatte, sondern vor allem in den Herkunftsländern präventiv wirken sollte und ein konkretes Hilfsangebot für betroffene Frauen in Deutschland zum Ziel hatte.
Laut Medienberichten blieb der erwartete Anstieg an Prostitution und Zwangsprostitution aus. Vielleicht kann dies als Erfolg der Präventions- und Informationskampagne von SOLWODI und anderen gewertet werden. Gerade im Bereich der Zwangsprostitution muss jedoch auch mit einer sehr hohen Dunkelziffer gerechnet werden. Aufgrund der Situation der Frauen, die in der Regel die Sprache nicht beherrschen, psychisch und physisch unter Druck gesetzt und von der Außenwelt abgeschlossen werden, muss davon ausgegangen werden, dass die wenigsten von Menschenhandel betroffenen Frauen, eine Möglichkeit haben, sich selbst aus dieser Situation zu befreien.
Die Kampagne erfolgte in 3 Phasen. Die Auswertung ergab folgendes Bild:
In Zahlen:
Gemeinsam mit der Solidaritätsaktion Renovabis wurde eine Kampagne in den Herkunftsländern durchgeführt. Ziel der Kampagne war es zum einen, die Frauen in ihrer Heimat zu erreichen und über die Vorgehensweise der Menschenhändler zu informieren, zum andern die Bevölkerung vor Ort auf die Problematik aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren.
Angeschrieben wurden 300 verschiedene Organisationen. Sie erhielten auf Wunsch Flyer und Plakate in ihren Sprachen oder entsprechende Dateien zur eigenen Weiterverarbeitung, die die Vorgehensweise der Menschhändler thematisierten und auf die Notrufnummer in Deutschland aufmerksam machten.
Nichtregierungsorganisationen und Ordensgemeinschaften verteilten Informationsmaterialen und führten unterschiedliche Aktionen aus, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und gefährdete Frauen zu erreichen.
Dazu wurden unter anderem:
Es erreichten uns einzelne Rückmeldungen, die von konkreten Erfolgen berichteten. So wurde eine Frau kurz vor der Grenze vom Busfahrer aufgefordert sich am nächsten Rastplatz heimlich zu entfernen, da sie sonst in der Prostitution landen würde. Andere Frauen meldeten sich und berichteten von unseriösen Arbeitsangeboten, da sie darin die Methoden der Menschenhändler erkannten.
Generell wurde die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Problematik gelenkt und die Sensibilisierung in weiten Kreisen gefördert.
Ein weiteres positives Ergebnis sind die guten Kontakte, die durch die gemeinsame Präventionsarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen und Ordensgemeinschaften in den Herkunftsländern geknüpft oder verstärkt wurden. Diese Kontakte werden weitergenutzt und vertieft.
In Zahlen:
Sr. Lea Ackermann und ihre Mitarbeiterinnen waren zu zahlreichen Veranstaltungen unterwegs, um die Problematik bekannt zu machen und eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu erreichen. Unterstützung erhielt die Kampagne durch zahlreiche Frauenverbände, Frauengruppen, Ordensgemeinschaften, Gleichstellungsbeauftragte, SchülerInnen, verschiedenste andere Gruppierungen und Einzelpersonen, die sich für die Sensibilisierung der Bevölkerung einsetzten und ein klares Nein zur Zwangsprostitution einforderten.
Die Plakate wurden in Geschäften, Kirchen, öffentlichen Toiletten, im Flughafen Hahn und Flughafen Hamburg ausgehangen.
Eine der Aktionen fand in Augsburg gemeinsam mit dem BDKJ statt. Dort wurde durch das Aufstellen eines Bauwagens eine "Verrichtungsbox" simuliert, Informationen zur Zwangsprostitution weitergegeben und intensive Gespräche geführt. Dieser intensive Austausch fand ebenfalls in zahlreichen anderen Städten an Informationsständen statt. Dazu hatten lokale und überregionale Gruppen aufgerufen und wurden von SOLWODI -Mitarbeiterinnen unterstützt und oder mit Materialien ausgestattet.
Die detaillierte Auswertung wird im Auftrag des Bundesfrauenministeriums von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin vorgenommen und liegt noch nicht vor. Aufgrund unserer eigenen Auswertung kommen wir zu folgendem Ergebnis:
Der Notruf war ein kostenloses bundesweites Angebot für Frauen in Not in der Zeit vom 1.05.2006 – 31.07.2006.
Die Telefonnummer war 24 Stunden täglich in mehreren Sprachen besetzt. Im Wechsel war ständig eine erfahrene Beraterin aus einer der SOLWODI Beratungsstellen als ständige Ansprechpartnerin im Hintergrund, um eine fachliche Beratung zu garantieren. Eine weitere Mitarbeiterin war zur Unterstützung und Begleitung der Notrufmitarbeiterinnen, als Koordinatorin und als kontinuierliche Ansprechpartnerin vor Ort.
Die 20 Notrufmitarbeiterinnen kamen aus Polen, Tschechien, Ukraine, Slowakei, Rumänien, England, Spanien und Deutschland. Alle verfügten über gute Deutschkenntnisse und hatten Erfahrung im sozialen Bereich oder ein Studium in diesem Bereich absolviert.
Sie wurden in einer 14-tägigen Schulung im Vorfeld des Notrufes von Fachberaterinnen von SOLWODI zum Bereich Menschenhandel, Hintergründe und Vorgehensweise der Täter, Rechtliche Grundlagen und Beratungsarbeit geschult. Ebenso erhielten sie Einblick in die Vernetzung der Fachberatungsstellen und die Kooperationskonzepte. Eine Fachärztin informierte sie zum Thema "Trauma im Kontext von Menschenhandel". Ein Mitarbeiter der Telefonseelsorge schulte sie zu Krisengesprächen am Telefon und bereitete sie auf den Umgang mit Scherzanrufen vor.
Die Notrufmitarbeiterinnen, arbeiteten während des Notrufes in Sprachgruppen und Wechselschichten. Da einige über gute Kenntnisse in mehreren Sprachen verfügten, konnte Beratung in Ukrainisch, Russisch, Polnisch, Englisch, Bulgarisch, Litauisch, Tschechisch, Spanisch, Lettisch und Französisch angeboten werden.
Es gingen in der Zeit des Notrufes über 2574 Anrufe ein. Davon 211mit einem ernsthaften Anliegen. Die hohe Anzahl der Scherz- und Schweigeanrufe von 2363 Anrufen entspricht der Quote die auch bei anderen kostenlosen Notruf- und Beratungstelefonen eingehen. Für die Notrufberaterinnen war es vor allem schwierig mit den Schweigeanrufen umzugehen, da damit gerechnet werden musste, dass es sich in vielen Fällen um ernsthafte Anliegen handelte, die Anruferin oder der Anrufer jedoch zu große Hemmungen hatte, sich zu äußern.
Die Scherzanrufe werden zum Teil als Argument genutzt auch Notrufe kostenpflichtig zur Verfügung zu stellen. Für die Einrichtung eines kostenlosen Notrufes spricht, dass auch von einem Handy ohne Guthaben oder aus einer Telefonzelle angerufen werden kann, wenn kein Geld zur Verfügung steht.
Die Anrufe mit ernsthaftem Anliegen gliederten sich in Anrufe mit Informationsbedarf (55) und Anrufe mit einem Beratungsanliegen (147), davon 30 Anrufe, die Fälle von Zwangsprostitution oder Verdacht auf Zwangsprostitution zum Anliegen hatten. In den Verdachtsfällen wurde die Polizei informiert um zu klären, ob es sich um Zwangsprostitution handelte. Für die Frauen ist es jedoch sehr schwierig in der Gegenwart des Täters/der Täterin, die Zwangssituation zuzugeben. Sodass es nicht immer eindeutig zu klären ist, ob es sich um Zwang handelt.
Die Notrufberaterinnen vermittelten an Beratungsstellen vor Ort, gaben Hinweise auf Hilfsmöglichkeiten, wenn es sich nicht um die Betroffenen selbst, sondern Angehörige, Freunde oder in Fällen von Zwangsprostitution um Freier handelte. Sie informierten zur aktuellen allgemeinen rechtlichen Situation.
Es zeigte sich, dass die meisten Anrufe tagsüber und während der Woche eingingen. Spät in der Nacht und am Wochenende waren deutlich weniger Anrufe zu verzeichnen. Die angebotenen Sprachen wurden nur zum Teil genutzt. Wichtiger waren am Telefon gute Deutschkenntnisse und die Möglichkeit auf eine andere Sprache zurückgreifen zu können.
Die Fachberaterin im Hintergrund wurde von den Notrufmitarbeiterinnen als sehr wichtig und hilfreich bezeichnet. Gerade in schwierigen oder unklaren Fällen konnte auf ihre Kompetenz und Erfahrung zurückgegriffen werden.
Die Mitarbeiterinnen bezeichneten die inhaltlichen Angebote, die sie während des Notrufes und vorab in der Schulung erhielten als gut und hilfreich. Besonders der Austausch und die Besprechung mit Fachkräften und die SOLWODI-Bücher und weitere Fachliteratur.
Die meisten der Mitarbeiterinnen sehen Möglichkeiten durch Information auch in ihrer Heimat weiterhin Präventiv tätig zu sein. Zwei Mitarbeiterinnen können ihre Erfahrungen direkt in ihrer Arbeit im Frauenhaus umsetzen.
Insgesamt kann ein positives Fazit der WM-Kampagne gezogen werden. Es hat sowohl in den Herkunftsländern, wie auch in Deutschland zu einer Sensibilisierung und Information der Bevölkerung beigetragen. Mit dem Notruf konnte einigen Frauen in Not, darunter auch Opfern von Menschenhandel Unterstützung und Hilfe angeboten werden.
Für die Bekämpfung des Menschenhandels bleibt jedoch noch viel zu tun. In den Diskussionen, die während der verschiedenen Aktionen in der Öffentlichkeitsarbeit entstanden, kamen viele Menschen zum Nachdenken, für die Prostitution selbstverständlich oder ein Beruf wie jeder andere war oder ist.