Hirzenach, 03. April 2013
Aufschrei in letzter Minute
In Deutschland vorerst keine Mindestrechte für Opfer von Menschenhandel
Mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt, wie eine Sklavin gehalten mitten in Deutschland, tagtäglich zum Sex gezwungen mit deutschen Freiern – dann endlich gelingt die Flucht. Durch Mut, der längst verloren schien, durch einen Zufall, durch eine erfolgreiche Razzia der Polizei, wie auch immer.
Und dann?
Dann müssen die Frauen, die das durchgemacht haben, weg – raus aus Deutschland, und zwar so schnell wie möglich.
Frauen, die Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung werden, haben in Deutschland keine Chance: Sie gelten als illegal eingereiste Ausländerinnen, haben sich rechtlich gesehen somit selbst strafbar gemacht. Und deshalb werden sie abgeschoben, sobald sie ihrem Martyrium entronnen sind. Auch dann, wenn sie das hohe Risiko für sich selbst und ihre Familie in der Heimat auf sich nehmen und gegen die Täter aussagen: Sobald der Prozess vorbei ist, müssen die Opferzeuginnen nach Hause, wo meist niemand sie vor der Rache der Täter schützt.
All das könnte jetzt ein Ende haben: Der Europarat hat schon 2008 das Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels auf den Weg gebracht. Es stellt Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung erstmals in einen menschenrechtlichen Kontext und stärkt vor allem die Rechte der Opfer: Sie erhalten so das Recht auf Entschädigung, auf die Auszahlung von entgangenem Lohn, ein Mindestaufenthaltsrecht u.a. Weit über 30 Länder haben das Abkommen inzwischen ratifiziert.
Deutschland nicht.
Die Frist für die Umsetzung der Konvention läuft am 6. April 2013 ab. Doch die Bundesregierung scheint keine Notwendigkeit zu sehen, dem Abkommen beizutreten und den Frauen, die in Deutschland ausgebeutet wurden, mehr Rechte einzuräumen.
SOLWODI, eine Menschenrechtsorganisation, die sich mit 15 Beratungsstellen und sieben Frauenschutzhäusern in Deutschland um die Opfer von sexueller Gewalt und Ausbeutung kümmert, fordert die Bundesregierung zur Ratifizierung der Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels auf. Allein 2012 haben sich 1709 Frauen aus 105 Ländern an SOLWODI in Deutschland gewandt. So weiß SOLWODI-Gründerin Sr. Dr. Lea Ackermann aus der täglichen Arbeit mit diesen Frauen von dem körperlichen und seelischen Leid, das sie oft ein Leben lang lähmt. Professionelle Betreuung, im Heimatland meist völlig unmöglich, ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Heilung – diese anzubieten, hält SOLWODI für die Pflicht der Bundesregierung.
"Frauen, denen in Deutschland so großes Leid widerfahren ist, sollten auch Hilfe in Deutschland bekommen", fordert Sr. Dr. Lea Ackermann. "Die Bundesregierung muss das Übereinkommen des Europarates in deutsches Recht übernehmen und auch das nationale Recht entsprechend ändern!"
Damit schließt sich SOLWODI den Forderungen aller großen Menschenrechtsorganisationen an.
"Auch hinsichtlich der Strafverfolgung wäre damit ein großer Schritt getan", sagt Sr. Lea. "Denn unsere Erfahrung zeigt, dass viele Frauen lange Zeit brauchen, um den Mut aufzubringen, gegen die Täter vor Gericht auszusagen – dann aber sind sie nach derzeitigem deutschen Recht schon längst nicht mehr hier. Unzählige Täter kommen so davon."
Für Interviews oder konkrete Fallbeispiele steht Ihnen SOLWODI gern zur Verfügung – bitte wenden Sie sich an Sr. Dr. Lea Ackermann (Tel: 06741-2232).