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Frau sein in ... Brasilien

Marcia Soraya Gonçalves

Marcia Soraya Gonçalves

Von Marcia Soraya Gonçalves

Für Fußballfans steht mit der Weltmeisterschaft in Brasilien ein großes Fest an – und dazu gehören für viele Bier, Chips und leider auch Frauen. Während das Land sich für die Touristenströme mit all ihren fragwürdigen Bedürfnissen rüstet, berichtet Marcia Soraya Conçalves aus dem Alltag der Frauen in Brasilien.

Wenn ich an meine Jugend in Brasilien denke, erinnere ich mich daran, dass ich nur zum Spielen vor unser Haus ging, wenn einer meiner Brüder oder meiner Cousins in Rufnähe blieb. Mit kaum zwölf Jahren wurde mir schlecht vor Nervosität, wenn meine Mutter mich allein zum Supermarkt schickte: Ich fühlte mich schmutzig, wenn ich das Pfeifen und die ordinären Rufe der Männer hinter mir hörte. Bis heute höre ich sexuelle Anzüglichkeiten, wenn ich ohne meinen Mann auf die Straße gehe.
In meiner Heimat sind Frauen Objekte, werden bewertet nach ihren Körpermaßen und ansonsten nicht ernst genommen. Egal wann man den Fernseher einschaltet, ob im Kinderprogramm, in einer Talkshow oder Telenovela – irgendwo ist immer eine fast nackte Frau. Selbst im Mittagsprogramm reichen Sterne auf den Brustwarzen und ein Schuhanzieher ähnliches Stück Plastik ("tapa-sexo" - "Geschlechtsbedeckung") bedeckt die Scham.
In den Medien wie im Leben: Der Mann hat alle sexuellen Freiheiten und das Recht am Körper der Frau. Wenn einer Frau Gewalt widerfährt, dann, so sagt man, hat sie das selbst provoziert, sich aufreizend bewegt, der Mann konnte gar nicht anders. Da verwundern die aktuellen Zahlen des Instituts für angewandte Ökonomie (IPEA) nicht: Ein Viertel der Bevölkerung meint, leicht bekleidete Frauen verdienen eine Vergewaltigung. 58 Prozent sind sich sicher, es würde weniger Vergewaltigungen geben, wenn die Frauen sich nur zu benehmen wüssten. Gewalt innerhalb einer Beziehung oder Ehe? Völlig ok, nur keine Polizei! Mehr als ein Viertel der Befragten ist überzeugt, dass die Ehefrau unabhängig von ihrem Zustand ihren Mann sexuell befriedigen muss.
Hinter diesen Zahlen stecken unendlich viele tragische Geschichten: Eine Freundin tauchte regelmäßig voller blauer Flecken auf. Auf meine erstaunte Frage nach der Ursache antwortete meine Schwägerin ganz unbefangen: "Ihr Mann schlägt sie." Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum macht keiner was? Warum macht sie nichts? Was soll ich jetzt machen?
Der Rat meiner Schwägerin war zu meinem Entsetzen wenig ermutigend: Wahrscheinlich fände es die Frau erregend, geschlagen zu werden. Außerdem verdiene sie die Schläge, da sie ihren Mann wohl zur Weißglut bringe und ihm den Sex versage. Ihr Rat: "Halt dich raus. Weder Du noch sonst wer hat sich in das Eheleben anderer einzumischen. Und basta!"
Ich war verzweifelt, sprach mit allen Freunden, doch Entsetzen – niemand regte sich mit mir auf. Schließlich bot ich meiner Freundin einfach meine Hilfe an. Sie lehnte sie vehement ab. Ich war fassungslos, rief bei der Hotline der nächsten Polizeistation für Gewalt gegen Frauen an. Dort hieß es: "Frau Gonçalves, stimmt die Betroffene ihren Beschuldigungen zu, wird sie aussagen? Wenn nicht, können wir da nichts machen." Mittlerweile hat der Mann sich von meiner Freundin getrennt, er hat eine jüngere Frau kennengelernt. Meine Freundin ist augenscheinlich frei, doch sie bleibt Gefangene ihrer eigenen Ohnmacht.
Ich wohne im zentralen Inland, im Bundesstaat Tocantins, in einer der besonders konservativen, ökonomisch sowie sozial unterentwickelten Gegend. Den Kampf der Frauen um Respekt und Anerkennung erlebe ich jeden Tag – zum Teil hat er Erfolg. Die Welt der Frauen in Brasilien ist heute ein freierer Ort. Es ist heute erwünscht, dass die Mädchen zum Studieren wegziehen, selbständig werden und ihre Träume leben. Subventionen seitens der Regierung ermöglichen selbst Frauen in extremer Armut die Universität zu besuchen.
Und doch: Explizite und implizite sexuelle Belästigungen und Gewalt sind in Brasilien omnipräsent. Vielleicht versuchen die brasilianischen Machos so, ihre schwindende Macht über die Frauen zumindest in einem Bereich weiterhin zu behaupten.
Seit bald vier Jahren ist eine Frau Präsidentin Brasiliens. Doch was fragen die Wähler? Sie fragen, wie sie in einem Bikini aussieht, und, ob sie lesbisch sei, weil sie nach ihrer letzten Scheidung nicht nochmal geheiratet hat. Das Gefängnis der Frau besteht hier seit Langem nicht mehr aus Eisenstäben, sondern aus fossilisierten Ansichten über das Frausein.

Artikel Nr. 4 von 9 in: Rundbrief Nr. 100 - Juni 2014
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