»Geist der Zuversicht, Quelle des Trostes«
(GL 350)
Text Herkunft unbekannt; Melodie von Jacques Berthier
Liedportrait von Meinrad Walter
Seit den 1940er Jahren, als Frère Roger (1915–2005) dort Brüder um sich scharte und ihnen eine Ordensregel gab, ist das kleine burgundische Dorf Taizé zu einem spirituellen Zentrum mit großer Ausstrahlung geworden. Grundsätze der Spiritualität von Taizé heißen: Vertrauen zum liebenden Gott, praktizierte Nächstenliebe, ökumenische Gesinnung, persönliche Bescheidenheit und Konzentration auf das Wesentliche.
Vieles davon wird in den Gesängen dieser Gemeinschaft hörbar. Sie sind textlich auf das Wesentliche konzentriert, melodisch schlicht und harmonisch eingängig. Der zweistimmige Kanon „Geist der Zuversicht, Quelle des Trostes“ wird in Taizé auf Italienisch und in sieben weiteren Sprachen gesungen – ein geradezu pfingstliches Klangbild der vielen Gaben des Heiligen Geistes!
Die Worte greifen den berühmten Beginn des lateinischen „Veni creator Spiritus“ (9. Jahrhundert) auf. Jener Pfingsthymnus (GL 341 und 342) wird Hrabanus Maurus zugeschrieben, der Abt des Klosters Fulda und später Erzbischof von Mainz war. Sein wahrhaft geistlicher Gesang zählt zu den kostbarsten geistlichen Texten des Christentums.
Die deutsche Übertragung des italienischen Taizé-Gesangs „Vieni Spirito creatore“ kann das zweisilbige „Vie-ni“, das die Takte 2 und 4 sowie 7 und 8, also die Hälfte des Kanons prägt, nicht wörtlich übersetzen, weil „Komm“ ja nur aus einer Silbe besteht. Auch deshalb kommen in der deutschen Fassung noch weitere Facetten des Heiligen Geistes ins Spiel: der Geist schenkt „Zuversicht“ und „Trost“, zudem „Heiligkeit“ und „Freiheit“ – alles biblische Gedanken. „Herr, mein Gott, du bist ja meine Zuversicht“ heißt es in Psalm 71,5. Den „Tröster-Geist“ (Paraklet) verheißt Jesus in seinen Abschiedsreden des Johannesevangeliums: „Der Beistand [Tröster] aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Johannes 14,26) Die zweite Strophe des lateinischen „Veni creator Spiritus“ beginnt mit den Worten „Qui diceris Paraclitus“: Der du der Tröster wirst genannt (GL 351).
Mit „komm und stärke uns“ wird das originale „Vieni!“ poetisch nachgeholt und in Verbindung mit einer der sieben Gaben des Heiligen Geistes (GL 29,4) gebracht. Er ist der Geist der Stärke, an dessen Heiligkeit jeder Christ und auch die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ (Credo) teilhat. Warum aber ist er der „Geist der Freiheit“? Dazu schlagen wir nochmals das Johannesevangelium auf. Dort kündigt Jesus den „Geist der Wahrheit“ (Johannes 15,26) an, was sich verbinden lässt mit Jesu Wort beim vierten Evangelisten 8,32: „Die Wahrheit wird euch frei machen“.
Die Musik aus Taizé ist ein einziges komponiertes Gebet. Die meisten Stücke stammen aus der Feder des Organisten und Kirchenmusikers Jacques Berthier (1923–1994). Sein Grundsatz hieß, dass solche Gesänge für professionelle Musiker wie für einfache Sängerinnen und Sänger verständlich und reizvoll sein müssen. Die musikalische Erfolgsgeschichte von Taizé beweist, wie sehr ihm das gelungen ist! Wichtig ist die Haltung der Offenheit und des Sich-Zeit-Nehmens für das Singen: „Mit Gesängen beten ist eine wesentliche Form der Suche nach Gott. Kurze, stets wiederholte Gesänge schaffen eine Atmosphäre, in der man gesammelt beten kann. Der oftmals wiederholte, aus wenigen Wörtern bestehende und schnell erfasste Grundgedanke prägt sich allmählich tief ein. Meditatives Singen ohne jede Ablenkung macht bereit, auf Gott zu hören.“ (Gemeinschaft von Taizé)