Liturgisches Jahrbuch 4/2022
Inhalt der Ausgabe 4/2022
Editorial
Alexander Zerfaß
75 Jahre organisierte Liturgiewissenschaft. Die deutschsprachige Liturgiewissenschaft im Studienjahr 2021/22
Wolfgang Meurer
Nicht »sacrum exercitium«, sondern »sacra celebratio«. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte die Wort-Gottes-Feier nicht als »heilige Übung«, sondern generell als zusätzliche Feierform der Liturgie
Marco Benini
Die dritte Auflage des römischen Messbuchs in italienischer Sprache. Mit Beobachtungen und Überlegungen im Hinblick auf ein zukünftiges deutsches Messbuch
Martin Lüstraeten
»Cultus Publicus & Mass Media. Liturgie durch, mit und in Medien«. Bericht von der Jahrestagung der AKL-Junior vom 3. bis 6. März 2022
Sven Gröger & Andreas Odenthal
Liturgien im interkonfessionellen Dialog. Zwei Tagungen zur Erkundung der Geschichte und Gegenwart des christlichen Gottesdienstes
Inhalt 2022
Editorial 4/2022: ÜBER DIE LITURGIE IM GESPRÄCH BLEIBEN
Zu Jahresbeginn 2023 haben drei schweizerische Bischöfe, Joseph Bonnemain (Chur), Markus Büchel (St. Gallen) und Felix Gmür (Basel) ihren Seelsorgerinnen und Seelsorgern einen zweiseitigen Brief geschrieben, in dem sie anmahnen, die Gläubigen hätten das Recht auf gottesdienstliche Feiern, die den Regeln und Formen der Kirche folgen. Wie aus einem Begleitschreiben des St. Gallener Bischofs Büchel hervorgeht, steht das Schreiben im Zusammenhang mit der Diskussion um die inzwischen pensionierte Gemeindeleiterin Monika Schmid, die im vergangenen Jahr bei einer Eucharistiefeier mit am Altar stand und als »Konzelebrantin« das Eucharistische Hochgebet mit den Einsetzungsworten vortrug.
Die Bischöfe erinnerten in ihrem Brief an die römisch-katholische Glaubensregel, wonach nur Priester gültig der Eucharistie vorstehen und die Sakramente der Versöhnung und der Krankensalbung feiern können. Sie unterstrichen dabei, dass es keineswegs um uneingeschränkten Gehorsam oder gar »um Förderung eines patriarchalen Klerikalismus« gehe, sondern darum, die Überzeugung sichtbar zu machen, dass der ordinierte Priester in der Feier der Sakramente auf den eigentlich Handelnden verweise, auf Jesus Christus. Zugleich baten sie darum, »das Zeichen der Einheit, die Liturgie, nicht zum Experimentierfeld persönlicher Vorhaben zu machen. Gerade in der weltweiten Feier der gleichen Liturgie sind wir katholisch und miteinander solidarisch.«
Der Brief löste in den folgenden Tagen und Wochen heftige Reaktionen aus. Aus verschiedenen Kreisen der hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger, auch der Laienorganisationen in der Schweiz und sogar aus der Ökumene kam zum Teil vernichtende Kritik. Das Schreiben wurde als »grotesk « bezeichnet, manche vermuteten, der Brief sei den Bischöfen »von Rom diktiert« worden. Andererseits fand etwa Kurienkardinal Kurt Koch, früher selbst Bischof von Basel, lobende Worte für das Anliegen der Bischöfe.
Die massiven Reaktionen zeigen – auch wenn man von der besonderen Situation der Kirche in der Schweiz einmal absieht – wie sehr die Liturgie, ihr Gehalt und ihre Gestalt, Gegenstand innerkirchlicher Konflikte und Polarisierungen geworden ist. Die Auseinandersetzungen entzünden sich inzwischen nicht mehr allein an gottesdienstlichen Details, die gegebenenfalls fragwürdig erscheinen und unter der gewandelten Sensibilität für subtile Machtansprüche und klerikales Gehabe heute als oft schwer erträglich empfunden werden. Vielmehr stehen mehr und mehr die »Basics« zur Diskussion und manchmal auch zur Disposition: Kirchenbild, Sakramentalität, Priesteramt und dessen Zulassungsbedingungen … Die Punkte sind hinlänglich bekannt, und sie werden nicht zuletzt in der Liturgie kontrovers diskutiert. Soll es aber weiterhin eine zumindest weitgehende Übereinstimmung über das grundlegende Verständnis in Theologie und Praxis des Gottesdienstes geben, wird es wohl nötig sein, offen und ehrlich die Reizthemen anzusprechen und sich über die verschiedenen Positionen zu verständigen.
In den hitzigen Debatten um die »Konzelebration« von Frau Schmid und um den Schweizer Bischofsbrief kann der außenstehende Beobachter sich des Eindrucks nicht erwehren, die Standpunkte seien so sehr verhärtet und das Gesprächsklima so beeinträchtigt, dass eine sachliche Auseinandersetzung über die zweifellos wichtigen Themen nur schwer möglich sein wird. Es wäre aber tragisch, wenn das Gespräch über die Liturgie verstummte, weil die Meinungen und Ansichten völlig auseinanderdriften und Verdächtigungen hüben wie drüben die Atmosphäre bestimmten. Die Bedeutung der Liturgie für das Leben der Christinnen und Christen, für die kirchliche Gemeinschaft und für das Zeugnis des Glaubens braucht aber das Gespräch, die Auseinandersetzung und die gemeinsame Suche nach einer zukünftig tragfähigen, lebendigen und versöhnenden Feier des Gottesdienstes. Deshalb der dringende Appell: Wir müssen über die Liturgie im Gespräch bleiben!