»Zum Mahl des Lammes schreiten wir«
(GL 642)
Text nach „Ad cenam Agni providi“, 5./6. Jh., Übersetzung Abtei Münsterschwarzach 1972, Stundenbuch 1978; Melodie nach Hamburg 1690
Liedportrait von Meinrad Walter
Die sieben Strophen sind eine Übertragung des anonym überlieferten lateinischen Gesangs „Ad cenam Agni providi“, der im 5./6. Jahrhundert in Gallien entstanden ist. Auch die liturgische Zuordnung zur Ostervesper ist schon seit dem frühen Mittelalter bezeugt. Am jüngsten sind die in Halbenoten feierlich einher schreitende liedhafte Melodie (1690) aus barocker Zeit sowie die aus der Benediktinerabtei Münsterschwarzach stammende deutsche Übertragung (1972), die das Gebet- und Gesangbuch Gotteslob aus dem Benediktinischen Antiphonale übernimmt.
„Zum Mahl des Lammes schreiten wir“ – das „Wir“ dieses Singens sind ursprünglich die Neugetauften, die in der Osternacht „mit weißen Kleidern“ erstmals zum Tisch des Herrn treten. Dabei treten sie zugleich in die Heilsgeschichte ein, wie die Lesungen der Osternacht sie ausbreitet. Im Zentrum der alttestamentlichen Texte steht die Rettung des Volkes Israel. Jene Tat Gottes spiegelt sich gleichsam im Sieg Christi über den Tod, so dass über die historischen Zeitabläufe hinweg gejubelt werden darf: „Christus, dem Sieger, singen wir, der uns durchs Rote Meer geführt.“
Aus den beiden poetisch-theologischen Brennpunkten „Exodus mit Paschamahl“ sowie „Passion und Ostern“ lebt der gesamte Hymnus. Wie musikalische Obertöne werden Themen der Ostertheologie vernehmbar: das Opfer Jesu und die Kreuzestheologie (Strophe 2), die Befreiung aus der Knechtschaft als Zentrum der Erlösungslehre (Strophe 3), das Brot des Lebens in der Theologie des Mahles (Strophe 4), Christi Abstieg in die Unterwelt als Thema des Credo (Strophe 5) sowie Auferstehung und Versöhnung im Bild vom offenen Paradies (Strophe 6), das uns ja auch in Weihnachtsliedern begegnet, wenn wir Worte wie „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“ („Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich“) singen.
Alle Facetten der österlichen Theologie münden in den trinitarischen Lobpreis der siebten Strophe. Nun klingen sogar „Zeit und Ewigkeit“ zusammen, weil alles menschliche Singen am ewigen Lobpreis des „Neuen Liedes“ um Gottes Thron teilnimmt. So klangvoll beschreibt das letzte Buch des Neuen Testaments, die Offenbarung des Johannes, die himmlische Stadt. In diesem biblischen Buch begegnen uns die meisten Motive des Hymnus, die im Übrigen auch oftmals bildlich dargestellt wurden: das siegreiche Lamm auf dem göttlichen Thron sowie sein „Gegenspieler“, der entmachtete, im Lied gefesselte „Fürst der Welt“ (vgl. Johannes 16,11).
Warum aber sind die Gewänder der Erlösten weiß? Bereits die Offenbarung des Johannes beschreibt die Vollendung in paradoxen Worten: „Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht“ (Offenbarung 7,14). Selbst das Taufkleid vollzieht in seiner Farbe den österlichen Wechsel mit, der das Blut der Passion in hellem Licht erstrahlen lässt.
Dieser Hymnus zählt zu den theologisch komplexen Stücken des Gotteslob. Wir singen von „Paschaabend“ und „Würgeengel“ (Exodus 12,23), von der „Knechtschaft Pharaos“ und dem „Fürsten der Welt“. Manches davon kann in einer Ansprache aufgegriffen werden. Besonders wichtig ist aber, dass dieses Lied in seinen liturgischen, biblischen und bildlichen Kontexten zur Geltung kommt. Bestenfalls erklingen dann alle vielstimmig zusammen – wie ein Orchesterstück zum christlichen Grundthema Ostern.