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1. Einleitung
Die Nationalsozialisten benutzten den Begriff “Arisierung” als rassenideologisches Schlagwort, um die zwangsweise Inbesitznahme jüdischen Vermögens und die Ausschaltung der Juden aus Wirtschaft und Erwerbsleben verharmlosend zu umschreiben. Bot der negativ klingende Begriff „Entjudung“ keinerlei Raum für positive Assoziationen, so suggerierte “Arisierung” nicht nur die Schaffung neuer Werte, sondern spiegelte zudem das ganze ideologische Weltbild der Nationalsozialisten. Im weiteren Sinne umfasst der Begriff auch die Verdrängung jüdischer Kulturschaffender oder Wissenschaftler.
Bedeutsam ist, dass die “Arisierung” nicht ein von bürokratischen Stellen durchgeführter Verwaltungsakt war. Vielmehr handelt es sich um einen vielschichtigen, kontinuierlichen und öffentlichen Vorgang, an dem große Teile der Bevölkerung direkt oder indirekt Anteil hatten und von dem sie profitierten. Um diese einträglichste und am häufigste Form des Antisemitismus zu praktizieren, bedurfte es weder einer nationalsozialistischen Überzeugung noch einer exponierten Stellung.
Die unter dem sterilen Begriff “Arisierung” vollzogenen Vorgänge spiegeln in ihrer Vielschichtigkeit die gesamte Entrechtung und Vernichtung der Juden wider. Beginnend mit der Verdrängung aus dem Berufsleben setzte sich die Ausschaltung der Juden in der freien Wirtschaft durch die Übernahme ihrer Unternehmen und zeitverzögert ihrer städtischen Immobilien fort. Gesetzliche Maßnahmen führten seit 1938 schrittweise zur Einziehung jüdischen Geldvermögens, der Renten- und Versicherungsansprüche und des Hausrates und der privaten Habe. Die aktuellen Bemühungen namhafter Museen in aller Welt mittels Internet und anderen öffentlichen Anzeigen, Kunstgegenstände aus ihren Beständen den Erben der jüdischen Besitzer zurück zu geben, beleuchten nur eine Facette der “Arisierung”, die die Deutschen in den von ihnen besetzten Teilen Europas mit Systematik und Brutalität durchführten. Der letzte Akt vollzog sich in den Vernichtungslagern, in denen Leichen der Ermordeten geschändet wurden, um Zahngold, Haare oder Seife für „arischen” Besitz zu gewinnen.
Bei der “Arisierung” in Deutschland lassen sich grob zwei Phasen vor und nach 1938 unterscheiden. In den Anfangsjahren waren die Nationalsozialisten im Zuge ihrer Machtkonsolidierung gezwungen, wirtschaftliche und außenpolitische Rücksichten zu nehmen, so dass sie kaum gesetzliche Maßnahmen zur Ausgrenzung der Juden aus der freien Wirtschaft ergriffen. Stattdessen fungierten die lokalen Parteiinstanzen, die unteren Verwaltungsbehörden und die regionalen Wirtschaftsverbände durch kontinuierliche Diskriminierung jüdischer Bürger in Verwaltung und Rechtsprechung, durch organisierte Boykotte als Motor der „Arisierung” vor Ort. Angesichts der Ende des Jahres 1936 erreichten Vollbeschäftigung und der internationalen Bestätigung durch die Olympischen Spiele in Berlin sah sich das Regime seit 1937 der Hemmschuhe entledigt. Erstmals tauchte nun auch in der offiziellen Regierungspropaganda das Ziel der „völligen Entjudung” auf, dessen gesetzliche Umsetzung ab 1937 systematischer geplant und 1938 verwirklicht wurde.
n Köln betrug der Anteil der Juden im Jahr 1933 an der Bevölkerung rund 2 Prozent. Mit ihren 14.816 Mitgliedern stellte die Rheinmetropole zahlenmäßig die fünftgrößte jüdische Gemeinde im Deutschen Reich. Rund 15-20 Prozent der ansässigen jüdischen Bevölkerung waren aus Osteuropa eingewanderte, meist orthodox geprägte Juden.
Für die 1933 einsetzende Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben spielte die Berufsstruktur, insbesondere die hohe Selbstständigenquote (von 44,8 Prozent im Vergleich zu 13,7 Prozent bei der Kölner Gesamtbevölkerung) eine Rolle. Die Kölner Juden in der Weimarer Republik betätigten sich zu mehr als der Hälfte im Bereich Handel (und Verkehr), nur rund 22 Prozent arbeiteten im Bereich Industrie und Handwerk. Der Anteil aller Kölner, die sich in Industrie und Handwerk betätigten, war mit 47,5 Prozent mehr als doppelt so hoch. Die besondere Berufsstruktur der jüdischen Bevölkerung, die in Köln gleichwohl noch weniger einseitig als im Reichsdurchschnitt war, hatte ihren Ursprung in der traditionellen Reaktion auf die jahrhundertealten Berufsbeschränkungen. Die Ausweichen in die Selbstständigkeit sollte auch in den Jahren des Nationalsozialismus für viele die einzige Chance zum Überleben werden.
2. Die schleichende Ausschaltung der Juden (1933-1937)
Der Einzug der NSDAP als stärkste politische Kraft ins Kölner Rathaus bei den Kommunalwahlen am 12.3.1933 markierte den Beginn einer vergleichsweise umfangreichen personellen Gleichschaltung, mit der die NSDAP-Mitglieder Fuß in der Stadtverwaltung, den öffentlichen Einrichtungen und in den Wirtschaftsvertretungen fassten. Der antisemitische “Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes“ gewann unter anderem durch seinen Kölner Mitbegründer Karl Georg Schmidt (1904-1940), der 1933 Gauwirtschaftsberater und IHK-Geschäftsführer wurde, an Einfluss. Diese personelle Präsenz der NSDAP-Mitglieder schuf die Voraussetzungen, um die Verdrängung der Kölner Juden aus Wirtschaft und Gesellschaft auch auf dem Verwaltungswege voranzutreiben.
Bereits in der zweiten Märzwoche 1933 kam es in Köln zu umfangreichen Aktionen gegen jüdische Selbstständige. SA- und SS-Mitglieder behinderten gewaltsam den Geschäftsbetrieb von jüdischen Unternehmern, schikanierten jüdische Metzger am Schlachthof und misshandelten jüdische Kleingewerbetreibende.
Den offiziellen Auftakt zur “Arisierung” bildete jedoch der von der NSDAP reichsweit proklamierte Boykott am 1.4.1933, dessen Umsetzung lokal unterschiedlich ausfiel. Von einem nationalsozialistischen “Aktionskomitee” vor Ort organisiert, erprobten die verschiedenen Parteigliederungen in Köln erstmals einen Großteil ihrer illegalen, später ausgeweiteten Repressionen gegen jüdische Wirtschaftstreibende. Neben publizistischen Verleumdungen und Boykottwachen vor jüdischen Geschäften, Arztpraxen, Apotheken und Kanzleien griffen insbesondere SS- und SA-Mitglieder gegenüber Kölner Juden zur Gewalt. Sie fuhren Juristen auf offenen Müllwagen durch die Stadt und trieben jüdische Gewerbetreibende durch die Straßen. Die örtliche Polizei verhaftete im Gefolge des Boykotts gezielt einzelne Unternehmer. Die Kölner Bevölkerung regierte auf den Boykott größtenteils indifferent, Kölner IHK-Repräsentanten äußerten sich zustimmend. Die Aussetzung antijüdischen Aktionen erfolgte schließlich durch die Reichsregierung, die nach kritischen Reaktionen im Ausland weitergehende außenpolitische Komplikationen vermeiden wollte.
Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” (BBG), das eine Woche nach dem Boykott verabschiedet wurde, leitete die nationalsozialistische Regierung in Berlin die Verdrängung jüdischer Arbeitnehmer aus dem öffentlichen Dienst ein. In Köln begann Oberbürgermeister Günter Riesen (1892-1951, Oberbürgermeister 1933-1936) mit der Ausschaltung städtischer Bediensteter jüdischer Herkunft, bevor das BBG die gesetzliche Grundlage dafür bot. Zusätzlich dehnte er den Kreis der Betroffenen auf die „arischen” Ehepartner von Juden aus. Auch handhabten die städtischen Beamten in Köln die Durchführung des BBG, zumindest im Vergleich mit Hamburg, strikt. Da zahlreiche Firmen, Organisationen, Verbände und einzelne Einrichtungen, wie das evangelische Krankenhaus in Köln, den “Arierparagraphen” übernahmen, vergrößerte sich der Kreis der Juden, die bereits im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft ihrem Beruf nicht mehr nachgehen konnten.
In der Phase vom Sommer 1933 bis zum Ende des Jahres 1934 wählte die nationalsozialistische Regierung in Berlin statt offensichtlicher legislativer Beschränkung den Weg der partiellen Verdrängung durch die Entscheidungsträger vor Ort. Diese nutzten diesen Spielraum je nach Region variierend auf vielfache Art. Obwohl Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht (1877-1970) in den Jahren bis 1937 wiederholt anmahnte, dass Juden keinerlei Beschränkungen in der Wirtschaft unterworfen seien, bestimmten illegale antisemitische Anordnungen der Städte und Gemeinden in den folgenden Jahren den Alltag der jüdischen Bürger. Die Stadtverwaltung Köln benachteiligte jüdische Firmen, indem sie bei ihren Bedarfsscheinen frühzeitig zur Auflage machte, dass die Gutscheine nicht für den Einkauf in jüdischen Geschäften gültig seien. Auf diesem bürokratischen Weg wurden auch jüdische Arzneimittelhersteller und Ärzte ausgeschlossen. Der Runderlass der Stadtverwaltung Köln vom 27.3.1933, „jüdische Firmen in Zukunft weder zur Abgabe von Angeboten heranzuziehen, noch bei der Erteilung von Aufträgen usw. zu berücksichtigen”, blieb unverändert in Kraft, obgleich er im dezidierten Widerspruch zu offiziellen Regierungsverlautbarungen stand.
Ähnlich verhielt es sich mit der eigenmächtigen Verordnung des Kölner Polizeipräsidenten im April 1934, die den Ausschluss der Juden vom Kölner Viehmarkt wegen ihrer angeblichen politischen “Unzuverlässigkeit” erlaubte. Obwohl das Oberverwaltungsgericht in Berlin entschied, dass die Kölner Polizeiverordnung als nicht rechtsgültig anzusehen sei und anders lautende Urteile des Kölner Bezirksgerichtes aufhob, fanden die ausgeschlossenen jüdischen Viehhändler keinen Schutz vor Drangsalierung. Entweder wurden die Beschlüsse oder Mahnungen von den zuständigen Stellen vor Ort ignoriert oder ihre Umgehung mit anderen Mitteln erreicht.
Die antisemitische Abdrängung auf regionaler Ebene und lokale Initiativen ergänzten sich. So berücksichtigte die für das Rheinland zuständige Schlachtviehverwertungsstelle in Essen jüdische Fleischer im Verlauf des Jahres 1936 bei der Zuteilung nur noch sehr mangelhaft oder gar nicht mehr. Eingehende Beschwerden ließ der zuständige Viehwirtschaftsverband unbeantwortet. Parallel dazu wirkte die Fleischwaren-Kontingentierungspolitik der Kölner Marktvereinigung. Die unvorhersehbaren, oft wöchentlich erfolgenden Kürzungen der Zuteilungen am Verkaufsort verringerten den Umsatz und machten das Geschäft für jüdische Großhändler zunehmend unkalkulierbar. Parallelen hierzu wies das Vorgehen der Kölner Landesbauernschaft auf, die, wie das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft nach einer von ihr durchgeführten Untersuchung ausdrücklich feststellte, auch nach dem Herbst 1935 “mit allen Mitteln” bestrebt war, den Handel mit Juden zu unterbinden. Unter den vielfältigen Boykottarten erwies sich die “Schwarze Liste”, die sowohl jüdische Händler als auch ihre Kunden von der Futtermittelzuteilung ausschloss, als sehr wirksam. Auf Druck der Verbände weigerten Fachzeitschriften sich, Anzeigen jüdischer Firmen zu veröffentlichen.
Besonders hartnäckig in seinem Bemühen, sich der jüdischen Konkurrenz zu entledigen, war auch der “Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes”, dessen Vorgehen zumeist mit dem städtischen NSDAP-Propagandaamt abgestimmt war. Auch die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die einzige im Nationalsozialismus zugelassenen Arbeitnehmervertretung, arbeitete in den Betrieben systematisch auf die Kündigung jüdischer Mitarbeiter und auf die Diskreditierung der jüdischen Arbeitgeber hin.
Der Teufelskreis aus gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und behördlicher Diskriminierung trieb auch jüdische Immobilienbesitzer in die Verschuldung und zwang sie oftmals noch vor 1938 zur unvorteilhaften Abgabe ihres Besitzes. Anträgen auf Mietsenkung, die mit dem Hinweis auf den “jüdischen Hausbesitzer” gestellt wurden, gab die Kölner Behörde für Preise und Mieten meist statt. Die Weigerung mancher Bewohner, die Miete zu entrichten, verringerten die Einnahmen jüdischer Hausbesitzer. Da die örtlichen Steuerbehörden Juden häufig die bei Mietausfall gesetzlich vorgesehene Steuersenkung verweigerten, vergrößerte sich die Schere zwischen Einnahmen und Belastung. Eine Zwischenfinanzierung scheiterte oftmals an den Kreditinstituten, die an Juden nach 1934 selten oder nur zu schlechten Konditionen Kredite vergaben. Auch private Gläubiger kündigten Juden zunehmend – häufig ohne Einhaltung der gesetzlichen Frist – Kreditverträge. Zahlte der finanziell geschwächte jüdische Hauseigentümer seine Steuern nicht pünktlich, musste er damit rechnen, dass das städtische Steueramt wegen geringer Rückstände die Pfändung der Mieten beantragte oder die Zwangsversteigerung beim Amtsgericht vorantrieb. Dieses verwehrte jüdischen Hausbesitzern häufig den für konjunkturbedingte Verschuldung vorgesehenen Vollstreckungsschutz, so dass Juden ihre durchaus sanierungsfähigen Häuser zwangsverkaufen mussten. Die “arischen” Käufer erwarben die Immobilien meist zu einem sehr günstigen Preis. Sie konnten im Gegensatz zu den jüdischen Vorbesitzern die Hausbewohner zur Mietzahlung zwingen, die Behörden zur Steuersenkungen veranlassen und bei Banken einen günstigen Kredit aufnehmen.
Wenn auch die Zahl der “Immobilien-Arisierungen” in den Jahren vor 1938 im Vergleich zu den Jahren danach vergleichsweise gering blieb, kann die Zeit bis 1938 als Phase der “Reifmachung” bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund erstaunt es auch nicht, dass 1938 die durchschnittliche Verpfändung der jüdischen Immobilien bei rund 75 Prozent des Einheitswertes lag. Als die nationalsozialistische Regierung 1938 erstmals auf gesetzlicher Basis jüdische Grundbesitzer benachteiligte und umfassende Maßnahmen zur wirtschaftlichen Ausschaltung und Enteignung der Juden einleitete, versetzte sie den finanziell ausgebluteten oftmals nur den letzten Schlag.
Die Kooperation von Partei, Wirtschaftsverbänden und städtischen Behörden zur “Arisierung” nahm im Laufe der Jahre an Intensität und Vielfalt zu. Die Gauwirtschaftsberater, die auf lokaler Parteiebene für die Durchsetzung der wirtschaftlichen Judenpolitik zuständig waren, legten seit dem Jahreswechsel 1935/1936 umfangreiche Akten über Firmen und Geschäfte, von denen sie mutmaßten, dass sie in jüdischem Besitz waren oder mit jüdischem Kapital arbeiteten, an. Diese umfassenden Erhebungen bildeten für die lokalen Parteieinheiten eine solide Informationsgrundlage, um Boykott und “Arisierung” zu intensivieren. Eingeschleuste “V-Männer” und Konkurrenten, aber auch die Industrie- und Handelskammern und die Finanzämter lieferten den Gauwirtschaftsberatern bereitwillig die nötigen Informationen. Immer häufiger gesellten sich Erpressung und Drangsalierung durch “einfache” Bürger hinzu, die begriffen hatten, dass die Ausschaltung der Juden ihnen nicht nur “völkische Visionen”, sondern auch handfeste individuelle Gewinnmöglichkeiten bot.
Die Reichsbehörden traten dem Antisemitismus im Wirtschaftsleben, abgesehen von seinen allzu offensichtlichen Auswüchsen, nicht effektiv entgegen. Vielmehr tolerierten sie trotz gegenteiliger Beteuerungen mit ihren widersprüchlichen und oftmals unklaren Anordnungen die lokale Verdrängungspraxis. Dieser Dualismus in der Judenpolitik bewirkte in den ersten beiden Jahren des NS-Regimes besonders erste Ausschaltungen von jüdischen Selbstständigen, die sich wirtschaftlich oder gesellschaftlich in einer prekären Lage befanden. Zu diesen Risikogruppen zählten Vertreter des finanziell geschwächten Kleingewerbes, Wirtschaftstreibende osteuropäischer Herkunft sowie Unternehmer in exponierter Stellung, wie Warenhausbetreiber.
Seit dem Sommer 1935 kam es zunehmend auch zu Geschäftsaufgaben und -verkleinerungen bei größeren Betrieben. Da der Staat verstärkt wieder als Nachfrager auftrat, um die Konjunktur anzukurbeln, machte sich besonders im industriellen Bereich der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen bemerkbar. Der “Westdeutsche Beobachter” berichtete Ende Juni 1935, dass aufgrund der “Aufklärung” der Umsatz der “arischen” Kaufleute im Gau Köln-Aachen in verschiedenen Branchen gestiegen sei. Eine Reihe jüdischer Geschäfte sei bereits geschlossen worden oder stehe kurz vor der Schließung. Besonders bei den Kleinhändlern, unter denen der jüdische Anteil überproportional hoch war, führten die antisemitischen Aktionen zu einem drastischen Rückgang. Ihre Zahl nahm 1935 trotz des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs in Köln um 15 Prozent ab.
Eine beschleunigte Verdrängung des jüdischen Einzelhandels war auch im Kölner Umland festzustellen. Dies lag nicht zuletzt daran, dass, wie der folgende Vorfall zeigt, die soziale Kontrolle und die Abhängigkeiten hier ausgeprägter als in der Stadt waren. In Ensen (heute Stadt Köln) hing am 11.8.1935 frühmorgens am Haus Gilgaustraße 39 ein Plakat mit der Aufschrift: “Ehepaar Bender kaufte den Hochzeitsbraten beim Juden”. Wie die NSDAP-Ortsgruppe dem Porzer Bürgermeister mitteilte, habe Bender nicht nur den Braten beim ansässigen jüdischen Metzger Tobias gekauft. Letzterer habe außerdem den Hochzeitszug beim Verlassen der katholischen Kirche in Ensen fotografiert, was unter der Bevölkerung eine große Erregung hervorgerufen habe. Die eigentliche Zielrichtung der Beschwerde über den “judenfreundlichen” Bürger Bender offenbart die abschließende Aufforderung, dass die Gemeinde diese Tatsache bei der Vergabe der Arbeiten am Bau der Pionierkasernen in Porz-Westhoven entsprechend berücksichtigen möge.
Die antisemitische Kontrolle im Kölner Umland ging im März 1937 so weit, dass sich die Bürgermeister mehrerer Orte aus dem Gau Köln-Aachen entschlossen, denjenigen Bürgern, die weiterhin mit Juden verkehrten oder mit ihnen Handel trieben, das Gemeindenutzungsrecht zu entziehen. Derartige Sanktionen lösten einen verstärkten Exodus der geächteten jüdischen Gewerbetreibenden in die Rheinmetropole aus, da sie hofften, dort ungehinderter ihrem Erwerb nachgehen zu können.
Die Eingliederung der zugezogenen Juden in die Großstadt gestaltete sich jedoch problematisch. Die Stadt Köln hatte bereits 1935 bei der ersten starken Landfluchtwelle auf den unerwünschten Zuwachs mit einer Kürzung der Unterstützungsleistungen für Zugezogene auf 60 Prozent des üblichen Satzes reagiert. Zudem stigmatisierte die nationalsozialistische Presse in Köln die Neuankömmlinge als arbeitsscheu und als zusätzliche Belastung für die angespannte Wohnraumsituation. Die Chancen, als zugezogener Jude eine Anstellung zu finden, sanken wegen der abnehmenden Zahl jüdischer Unternehmen stetig. Angesichts dieser Arbeitsmarktsituation vergrößerte sich das Heer der jüdischen Hausierer. Aber auch in diesem Bereich der Selbstständigkeit konnten sich im Verlauf des Jahres 1935 wegen der im März 1934 vom Kölner Regierungspräsidenten eingeführten Zulassungskontrolle immer weniger Juden betätigen. Überproportional betroffen von dieser Maßnahme waren die Juden osteuropäischer Herkunft, die damit verstärkt vom sozialen und beruflichen Abstieg bedroht waren.
Seit September 1935 sahen sich die immer zahlreicher werdenden Kräfte zur wirtschaftlichen Abdrängung der Juden zudem durch die “Nürnberger Gesetze” bestätigt. Obwohl diese nicht grundsätzlich die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Juden beschränkte, bedeuteten sie doch den “legalen” Ausschluss der Juden aus der “deutschen Volksgemeinschaft” und degradierten Juden zu Menschen zweiter Klasse. Die Verdrängung aus der Wirtschaft und sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens wurde nun durch das “gesunde Volksempfinden” sanktioniert. Zugleich lieferte die unter Strafe gestellte “Rassenschande” einen Verleumdungsvorwand, der sich gegen Juden instrumentalisieren ließ, um Konditionen und Tempo der “Arisierung” zu beeinflussen. Neben der materiellen Not, die sich in der Gemeinde durch die antisemitische Ausschaltungswelle des Jahres 1935 erneut vergrößert hatte, war die offene gesellschaftliche Deklassierung mittels der “Nürnberger Gesetze” sicherlich ein Grund dafür, dass sich die Selbstmordrate innerhalb der jüdischen Gemeinde in Köln bei abnehmender Mitgliederzahl 1935 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelte.
Nach Verabschiedung der “Nürnberger Gesetze” verstärkte sich die Tendenz der Kölner Justiz, die vielschichtigen Diskriminierungen, denen Juden in Wirtschafts- und Eigentumsfragen ausgesetzt waren, als mit geltendem Recht vereinbar abzusegnen. Im April 1936 musste der Reichsjustizminister den Präsidenten des Oberlandesgerichts in Köln explizit darauf hinweisen, dass noch keine gesetzlichen Regelungen für das “Wirtschaftsrecht der Juden” existierten, und diese deshalb keinerlei Beschränkungen unterlägen. In deutlicher Form mahnte der Reichsminister an, dass es nicht Aufgabe einzelner Stellen im Lande sei, durch eigene Entscheidungen die “Lösung der Judenfrage” den politischen Instanzen vorwegzunehmen. Letzteres versuchten auch die städtischen Behörden, die sich weigerten, Juden Steuernachlässe und Stundungen jeglicher Art zu gewähren und deren willkürliche Entscheidungen zunahmen. Auch Kölner Finanzämter und Devisenstellen gingen 1936 verstärkt dazu über, zukünftige Reichsfluchtsteuerforderungen und die angebliche Gefahr der Kapitalverschiebung als Vorwand zur Sperrung und Einziehung jüdischen Vermögens zu nutzen.
Spätestens seit 1935 wurde “Arisierung” allmählich zum feststehenden Begriff und etablierte sich in den folgenden zwei Jahren unter wieder zunehmenden Boykotten und Repressalien als öffentlicher Vorgang. Angebote jüdischer Unternehmen und Kaufgesuche, die ungeniert “rassische” Gründe angaben, mehrten sich ebenso wie Werbeanzeigen “erfolgreich arisierter” Geschäfte. Ende Oktober vermerkte der “Westdeutsche Beobachter”, dass seit einigen Wochen “in größerem Umfang von Nichtariern Käufer für Einzel-, Großhandels- und, allerdings nur vereinzelt, auch für Fabrikbetriebe und Haus- und Grundbesitz gesucht” würden. Auch Aktienpakete, die die Kontrolle über das betreffende Unternehmen sicherten, wurden nun vermehrt von jüdischen Inhabern und Geschäftsführern angeboten.
Den Ablauf der “Arisierung” beeinflusste spätestens ab 1935 eine sehr heterogene Gruppe, die als “Arisierungsmakler” im weiteren Sinne verstanden werden. Einen Schwerpunkt bei diesen Nutznießern der zweiten Kategorie stellten die Kredit- und Versicherungsinstitute dar. Während bei der “Arisierung” des Grundbesitzes häufig die Sparkassen und die Versicherungen über ihre Hypothekengewährung stärker involviert waren, so machten die Großbanken bevorzugt beim Verkauf jüdischer Großunternehmen ihren Einfluss geltend. Dabei übernahmen sie, abgesehen von jüdischen Privatbanken, seltener direkt jüdische Unternehmen, wie bei der Leonhard Tietz AG geschehen. Häufiger traten sie als Finanziers und Vermittler von “Arisierungen” in Erscheinung und verdienten so mehrfach an der Ausschaltung der Juden.
Schätzungen gehen davon aus, dass bis Mitte 1935 reichsweit bereits 20 bis 25 Prozent aller jüdischen Betriebe entweder liquidiert oder verkauft waren. Bereits Ende 1937 war der größere Teil der jüdischen Unternehmen nicht mehr in jüdischen Händen oder befand sich in der Auflösung. Unter welchen Umständen und zu welchen Preisen dieser Prozess vor sich ging, wird aus einer Meldung des “Westdeutschen Beobachters” ersichtlich, der zufolge wegen des großen Angebots zahlreiche Juden keine Käufer für ihre Besitztümer finden könnten. Das Überangebot und die politische und wirtschaftliche Zwangssituation, in der sich auswanderungswillige oder verschuldete Juden befanden, machten sie zu idealen Opfern der Übervorteilung durch die Käufer.
Ebenso verloren immer mehr jüdische Arbeitnehmer ihre Arbeit ohne Aussicht auf eine andere Verdienstmöglichkeit. Bereits 1935 musste fast ein Drittel der deutschen Juden dauernd oder zeitweise, zum Beispiel im Winter, auf irgendeine Weise unterstützt werden. Dabei gewannen in Köln die Selbsthilfeorganisationen der jüdischen Gemeinde immer größere Bedeutung. Die Jüdische Wohlfahrt, die 1933 begründete Jüdische Winterhilfe und die zahlreichen Einrichtungen, wie Alters- und Kinderheime, Waisen- und Krankenhäuser, Ausbildungs- beziehungsweise Umschulungszentren, Suppenküchen und Initiativen wie die “Jüdische Nachbarschaftshilfe” mussten trotz der sich ständig verschlechternden finanziellen Lage der Kölner Gemeinde zügig ausgebaut werden.
Seit den “Nürnberger Gesetzen” bildete die Förderung der Auswanderung einen neuen Schwerpunkt in der Gemeindearbeit. 1936 wurde in Köln die Auswanderungsberatungsstelle eingerichtet, die neben Beratung und Organisation circa 40 Prozent der jüdischen Emigranten ganz oder teilweise die Auswanderung finanzierte.
Eine große Hemmschwelle, Deutschland zu verlassen, bildete für viele Juden neben der restriktiven Einwanderungspolitik des Auslandes die “Reichsfluchtsteuer”, gemäß der 25 Prozent des Auswanderervermögens an das Reich abgeführt werden mussten. Als Berechnungsgrundlage diente der zuletzt geschätzte Steuerwert der Vermögensobjekte, unabhängig vom meist wesentlich geringeren tatsächlich erzielten Verkaufserlös. Hinzu kam, dass der Emigrant verpflichtet war, sein Geld auf ein “Auswanderersperrmark-Konto” zu überweisen und es dort zu erheblichen Kursverlusten in Devisen umzutauschen. Bis zu Beginn des Jahres 1935 zahlte die Reichsbank die Hälfte des offiziellen Markkurses aus, danach wurde die Quote auf 30 Prozent herabgesenkt, um schließlich stetig bis auf 4 Prozent im September 1939 zu sinken. Bei Kriegsausbruch wurde jeder Kapitaltransfer unterbunden.
Die Gewissheit, bei der Emigration zwangsläufig dem ausgefeilten nationalsozialistischen Ausbeutungsinstrumentarium unterworfen zu sein und sich schließlich mit nur geringen Mitteln in einem fremden Land eine neue Existenz aufbauen zu müssen, ließ viele, besonders ältere Juden, vor diesem Schritt zurückschrecken. Deshalb wanderten anfangs aus Köln in erster Linie jüngere und oftmals vermögende Juden, die Geschäfts- oder Familienverbindungen ins Ausland hatten, ab. Dem stand der Zuzug zahlreicher, oft unbemittelter Juden aus ländlichen Gebieten nach Köln gegenüber, die in der Anonymität der Großstadt Zuflucht und Arbeit suchten. Deren Aussicht auf eine Erwerbsmöglichkeit schwand jedoch zusehends, insbesondere als der jüdische Arbeitsnachweis, der sich in Köln als ein wichtiges Standbein der jüdischen Selbsthilfe bewährt hatte, zum Jahresbeginn 1937 schließen musste, und sich erwerbslose Juden nun den Diskriminierungen an öffentlichen Arbeitsämtern ausgesetzt sahen. 1938 war bereits die Hälfte aller jüdischen Arbeiter und Angestellten arbeitslos.
Die fortschreitende Verarmung der Kölner Juden führte dazu, dass 1936 über ein Drittel des Gemeindeetats für Leistungen des jüdischen Wohlfahrtsamtes ausgegeben werden musste, eines Etats, der insgesamt nur ein Drittel der Höhe von 1928 erreichte. Im Winter 1936/1937 unterstützte die karitative Einrichtung in Köln rund 2.500 Personen beziehungsweise 900 Familien. Diese Zahl blieb trotz abnehmender Gemeindegröße und sinkender Einnahmen im folgenden Jahr konstant. Rund ein Fünftel der Gemeindemitglieder wurde 1937/1938 mit Grundnahrungsmitteln, Kleidung und Brennmaterial versorgt. Bereits Ende 1937, noch bevor der Staat offiziell ihre wirtschaftliche Ausschaltung legalisierte hatte, stellten die Juden in demographischer und wirtschaftlicher Hinsicht eine zermürbte und geschwächte Gruppe dar.
3. Die systematisierte “Arisierung” (1938-1945)
Nachdem 1937 die endgültige Stabilisierung der Wirtschaft und die außenpolitische Anerkennung des NS-Regimes erreicht waren, leitete die Regierung die offizielle gesetzliche Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft ein. Göring erklärte im Oktober 1938 in geheimer Sitzung: "Die Juden müssen jetzt aus der Wirtschaft raus". Im Wissen um Korruption und Bereicherung der NSDAP-Mitglieder vor Ort forderte Göring, dass das Vermögen der Juden nicht weiter "als ein Versorgungssystem untüchtiger Parteigenossen" verschleudert werden dürfe. Damit der Staat selbst sich systematisch das jüdische Vermögen einverleiben konnte, wurde im April 1938 dessen genaue Registrierung angeordnet. Die offizielle “Arisierungskontrolle” des Gauwirtschaftsberaters, wenn auch bemäntelt durch den bürokratischen Formalismus des genehmigten Verkaufsaktes, leitete die Ära der offenen Entmündigung der Juden und der faktischen Beschlagnahme ihres Besitzes ein, deren Natur nach dem Novemberpogrom 1938 erstmals offen zu Tage trat.
Vor 1938 war die Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung aus dem Erwerbsleben in erster Linie inoffiziell mittels Repressionen oder auf bürokratischem Wege erfolgt. Mit der Änderung der Gewerbeordnung wurde im Juni 1938 erstmals die Ausübung ganzer Erwerbszweige untersagt. Im Verlauf des Jahres 1938 trat eine Flut von neuen Gesetzen in Kraft, die Juden die Betätigung in noch offenen Erwerbsbereichen endgültig verbot. Offene rassistische Aktionen im ganzen Reich im Sommer 1938 begleiten diese Entrechtung.
Die Zahl der jüdischen Firmenaufgaben war bereits seit dem Frühjahr 1938 drastisch angestiegen. Die „Westdeutsche Wirtschafts-Zeitung“ in Köln diagnostizierte im Juni eine “förmliche Arisierungswelle”. Auch Bastionen jüdischer Wirtschaftstätigkeit, wie renommierte Privatbanken oder größere Unternehmen mit Auslandskontakten, wurden nun in Köln unter dem neuen Druck vermehrt von ihren Gründern verkauft. Anfang Oktober 1938 meldete der “Westdeutsche Beobachter” eine starke Verkaufstendenz bei jüdischen Immobilien.
Im Juli 1938 registrierte der Kölner Regierungspräsident “unerfreuliche Konkurrenzerscheinungen” bei den Erwerbern der “zu Schleuderpreisen” angebotenen jüdischen Geschäfte. Erpressung und andere Repressalien jedweder Art gegen die Kölner Juden verstärkten sich. Aufmerksame Beobachter konstatierten, dass das Denunziantenwesen in Köln solche Formen annehme, dass sich “die Parteidienststellen vor Angebern nicht mehr retten können”.
Eine Typologie der Erwerber, die die “Arisierung” offensiv durch Repressionen vorantrieben, ist aus den untersuchten Fällen nicht ersichtlich. Es handelte sich bei ihnen nicht nur um exponierte Funktionäre, sondern häufig um so genannte kleine Parteimitglieder und Volksgenossen, die als ehemalige Angestellte oder Geschäftspartner mit ihren Fach- und Unternehmenskenntnissen und informellen Beziehungen als Käufer eine günstige Ausgangsposition hatten. Oftmals war ein politischer Hintergrund vorhanden, der es leicht machte, das Vorgehen weltanschaulich zu verklären. Trotzdem zeichneten sich die meisten Erwerber nicht durch fanatische antisemitische Gesinnung, sondern einfach durch Skrupellosigkeit aus, die Rechtlosigkeit des Verkäufers so weit wie möglich auszunutzen. Nachkriegsaussagen der Beteiligten in den Restitutionsprozessen zeigen jedoch, dass antisemitische Vorurteile beim Großteil der Käufer zumindest unterschwellig eine Rolle spielten. Das Stereotyp vom listigen und schachernden Juden, das die Nationalsozialisten ständig propagierten, hatte bereits seit langem innerhalb der deutschen Gesellschaft seinen festen Platz.
Ihren gewaltsamen Höhepunkt erreichte die antisemitische Welle am 9. und 10.11.1938 mit der im Volksmund betitelten “Reichskristallnacht”. Bürger nutzten die von der Partei organisierten Zerstörungen jüdischer Geschäfte und Wohnungen, um zu plündern und zu erpressen. In den frühen Morgenstunden beschlagnahmten Gestapo-Beamte Wertgegenstände und Unterlagen der Synagogen in der Roonstraße und Glockengasse, bevor sie später in Brand gesetzt wurden.
Die Aggression beschränkte sich keineswegs wie angeordnet auf jüdischen Besitz. Zahlreich sind die Berichte von gewalttätigen Übergriffen auf Juden, die in Köln neben vielen Verletzten mindestens ein Todesopfer forderten. Die Folgen des Rechtsvakuums erlebten rund 400 in “Schutzhaft” genommene Kölner Juden, die schließlich ins Konzentrationslager Dachau abtransportiert wurden. Die reichsweit stattfindenden Massenverhaftungen sollten gezielten “Arisierungsdruck” ausüben. Dies zeigt die Anweisung der Gestapo Berlin, “vor allem vermögende Juden” festzunehmen, deren “Schutzhaft” eventuelle “Arisierungsverhandlungen” jedoch nicht stören dürfe. Gleiches galt für Auswanderungen. Die Chance, durch schnellen Verkauf des Besitzes weiterem Terror in den überfüllten Lagern zu entgehen, bewog viele Inhaftierte, ihren Firmen- oder Hausbesitz zu unvorteilhaften Konditionen zu veräußern.
Am 18. November ordnete die Reichsregierung reichsweit die Schließung der noch existierenden jüdischen Betriebe und am 3. Dezember ihre “Zwangsveräußerung” oder “Liquidation” an. Repressionen der Erwerber und restriktive Praktiken der lokalen Entscheidungsträger, wie die Kaufpreissenkung, bestimmten zu diesem Zeitpunkt immer deutlicher die Modalitäten der Vermögensabgabe. Für das Jahr 1938 kann für Köln auch die These Raul Hilbergs bestätigt werden, dass die Käufer jüdischer Unternehmen kaum mehr als 75 Prozent und häufig weniger als 50 Prozent des realen Wertes zahlen mussten.
Waren im November 1938 in Köln noch schätzungsweise 1.100 jüdische Betriebe registriert, so vermeldete der IHK-Geschäftsführer Paul Heinen im Februar 1939, dass die “Entjudung im Gau Köln-Aachen mit wenigen Ausnahmen in verhältnismäßig kurzer Zeit soweit durchgeführt [wurde], dass heute die gesamte Wirtschaft des Gaues [...] dem Führer für seine großen Aufgaben zur Verfügung steht”.
Anfang 1939 hatten bis auf wenige Ausländer alle Juden ihre Unternehmen abgeben müssen, der Großteil ihrer Immobilien stand zum Verkauf. Wer hatte von dieser Entwicklung maßgeblich profitiert? Die kleinen und mittleren jüdischen Firmen, besonders im Einzelhandel, waren häufig auf Drängen der Wirtschaftsverbände liquidiert worden. Die Marktanteile der “arischen” Konkurrenz hatten sich dadurch im Einzelhandel, im Landwarengroßhandel, in der Konfektion und anderen Einzelbranchen maßgeblich vergrößert. Die großen Unternehmen, wie auch die Kaufhäuser, wurden meist von etablierten, kapitalstarken Branchenvertretern und von einflussreichen Persönlichkeiten übernommen. Beim Grundbesitz hatten häufig die Kreditgeber von der Gelegenheit eines günstigen Kaufes profitiert. Neben Sparkassen und Hypothekenbanken waren dies Versicherungen oder auch private Geldgeber. Die Stadt Köln, die bei rückständigen Steuerzahlungen die Zwangsversteigerung betrieb, konnte ihren Grundbesitz abrunden. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich auch heute noch eine unbekannte Zahl nicht rückerstatteter Immobilien aus jüdischem Besitz in der Hand zahlreicher deutscher Städte und Gemeinden befindet.
Den direkten Zugriff auf das Vermögen aller deutschen Juden sicherte sich der nationalsozialistische Staat durch die nach dem Pogrom verhängte so genannte Sühnekontribution, bei der 20 Prozent, später 25 Prozent des im April 1938 angemeldeten Vermögens eingezogen wurden. Da die meisten Juden über kein Einkommen und keine Ersparnisse mehr verfügten, waren sie gezwungen, massenweise ihre Habe, nun auch verstärkt Haus- und Grundbesitz, zu Niedrigpreisen zu verkaufen.
Die Entwicklungen des Jahres 1938 ließen die Zahl der Ausreisewilligen rapide ansteigen. Bereits im Februar, noch bevor im Sommer die antisemitischen Übergriffe wieder zunahmen, hatte die Kölner Gemeindezeitung deutlich angemahnt, dass für Juden in Deutschland keinerlei Alternative zur Auswanderung mehr bestehe. In den Jahren nationalsozialistischer Herrschaft 1933 bis 1937 hatte sich die Mitgliederzahl der Kölner Synagogengemeinde aufgrund des starken Zuzugs in die Großstadt nur um insgesamt 27 Prozent verringert. Innerhalb eines Jahres von August 1937 bis Juli 1938 sank die Zahl der in Köln lebenden Juden um rund ein Viertel - obgleich, wie der Kölner Regierungspräsident für seinen Bezirk berichtete, die Zuwanderung der Juden insbesondere durch den Anschluss Österreichs offenbar wieder in großem Umfang zugenommen habe. In Folgejahr der verstärkten Repression von Juli 1938 bis zum Mai 1939 sank die Zahl der offiziell als Juden eingestuften Kölner erneut um mehr als ein Viertel auf 8.406 Personen. Trotzdem sprachen Kölner Gemeinderepräsentanten bereits einen Monat vor dem Novemberpogrom 1938 im Gemeindeblatt offen aus, dass die erhoffte Emigration vielen verwehrt bleiben würde.
Neben der fortgeschrittenen Ausplünderung bestimmten nun Isolierung und umfassende Entrechtung das Leben der zurückgebliebenen Juden. Die immer zahlreicheren, auch die letzte Privatsphäre betreffenden Verordnungen nahmen neben ihren räuberischen Zügen einen gängelnden und schließlich geißelnden Charakter an. Bereits im Dezember 1938 hatten die Machthaber die Deponierung von Bargeld, Wertpapieren und anderen Wertgegenständen auf Sperrkonten angeordnet; jegliche Verfügung darüber war genehmigungspflichtig und wurde nur in sehr eingeschränktem Maße gewährt. Sondersteuern und Abgaben schmälerten den ohnehin schon gering bemessenen Auszahlungssatz. Das tägliche Überleben wurde seit Dezember 1939 durch regelmäßige Kürzungen und Streichungen der jüdischen Rationen zur Mühsal. 1940/1941 konnte nur noch ein Viertel bis ein Drittel der deutschen Juden von den Resten ihres eigenen Vermögens oder den immer häufiger aus Arbeitseinsätzen stammenden kärglichen Bezügen leben. Die anderen waren in erster Linie auf die Unterstützung der jüdischen Kultusgemeinden angewiesen.
Die einsetzende Welle von gesetzlichen Anordnungen raubte den deutschen Juden schrittweise nun auch jegliche persönliche Habe. Schmuck und andere Edelmetallgegenstände mussten seit dem Februar 1939 gegen eine minimale Entschädigung bei den städtischen Pfandanstalten abgegeben werden. Im September 1939 wurden Radios, im Juli 1940 Telefonanschlüsse, im November 1941 Fahrräder, im Februar 1942 Haustiere, im Januar 1942 die warme Kleidung der jüdischen Bevölkerung bis hin zu Handschuhen und Schals beschlagnahmt. Schikanen, wie das Verbot, Bücher aus den Leihbüchereien zu beziehen, öffentliche Fernsprechzellen, Verkehrsmittel oder Bänke zu benutzen und schließlich sogar Zeitungen und Zeitschriften zu kaufen, waren systematische Schritte, um der jüdischen Bevölkerung ihr Leben so unerträglich wie möglich zu machen.
Die Ausbeutung jeder jüdischen Arbeitskraft ab März 1941 und die parallel forcierte Konzentration im Barackenlager “Fort V” in Köln-Müngersdorf diente zugleich als organisatorische Vorbereitung für die “Gesamtlösung der Judenfrage” und kennzeichneten den Übergang von der Enteignung der Kölner Juden zu ihrer Vernichtung.
Der erste Transport nach Osten verließ den Bahnhof Deutz-Tief am 21.10.1941 mit 1.018 Juden. Einen Monat später legten die Nationalsozialisten fest, dass jegliches noch existentes jüdisches Vermögen, wie beispielsweise Versicherungs- oder Rentenansprüche, automatisch dem Staat zufiel, sobald die Besitzer die ehemalige Reichsgrenze überschritten.
Mit Beginn der Deportation vergrößerte sich die Verwaltungsmaschinerie zur Aufdeckung, Erfassung und Verwertung der jüdischen Habe in Köln, die eine große Zahl von Menschen bei Gestapo, Finanzverwaltung, Banken und Versicherungen und verschiedensten städtischen Stellen bis hin zu Speditionen beschäftigte. Auffällig ist der fast schon schizophren wirkende Gegensatz zwischen der Aufmerksamkeit, mit der die Bürokraten das Material einerseits und die Menschen andererseits verwalteten. Wurde beim Vermögen jedes Taschentuch genauestens in mehrfacher Ausführung registriert und seine Verwendung dokumentiert, so findet sich über den Verbleib seines jüdischen Besitzers in den Akten nur der lapidare Vermerk “nach dem Osten ausgewandert” oder “unbekannt verzogen”. Mit dieser unbestimmten Aussage wurde bei der finanztechnischen Abwicklung des Vermögens durch einen kurzen Federstrich nebenbei die Existenz des enteigneten Menschen bürokratisch abgewickelt.
Mindestens in die Zehntausende ging die Zahl der Menschen in Köln, die auf den fast täglich stattfindenden Versteigerungen und Verkäufen wissentlich den Hausrat deportierter Juden zu Niedrigstpreisen erwarben. Verkauft wurde in der Kölner Messe, in einzelnen Gastronomiebetrieben oder direkt in den von ihren jüdischen Bewohnern verlassenen Wohnungen. Als Kompensation der Bombenschäden und zur “Befriedung” der zunehmend unter den Angriffen leidenden Bevölkerung wurden im großem Umfang auch Güter deportierter Juden aus Prag, Holland, Belgien und Frankreich mit der Eisenbahn und per Schiff auf dem Rhein nach Köln, Mannheim, Hamburg und in andere deutsche Städte gebracht.
Vordergründig diente die Umverteilung der Beute der moralischen Unterstützung der Bomben geschädigten “Heimatfront”. Tatsächlich trat hier erneut die stärkste Triebfeder der “Arisierung” und der Ausschaltungspolitik zu Tage: das materielle Interesse des Einzelnen. An diesem letzten großen antisemitischen Enteignungsfeldzug ließen die Nationalsozialisten bewusst möglichst große Teile der Bevölkerung partizipieren, um das System zu stabilisieren. Die Begünstigten wurden zu Mitverschworenen, die die immer menschenverachtendere, brutale Judenpolitik und den auch für sie täglich sichtbaren Repressionsapparat nicht in Frage stellten.
Noch ausgeprägter war diese moralische Korrumpierung unter den Partei- und Finanzverwaltungsmitarbeitern, die die Verwertung der jüdischen Habe vor Ort organisierten. Die systematische Bereicherung, Vetternwirtschaft und Korruption auf allen Ebenen waren die regimeimmanenten Elemente, die die reibungsfreie Realisierung des Rassenwahns erst ermöglichten. Von der vollendeten Enteignung, Entmenschlichung und Konzentrierung der Juden in ihrer Heimatstadt bis zu ihrer physischen Vernichtung in den Lagern und Ghettos des Ostens war es nur noch ein kleiner Schritt.
Im November 1942, als die Synagogengemeinde Köln offiziell aus dem Vereinsregister gestrichen wurde, war der Großteil der Juden aus dem Rheinland bereits deportiert worden. In Köln wohnten nun fast ausschließlich noch Juden mit nichtjüdischen Ehepartnern und “Mischlinge”. Der letzte bekannte Deportationszug verließ Köln am 1.10.1944. Insgesamt wurden etwa 11.000 Juden von Köln aus in die osteuropäischen Ghettos und Vernichtungslager transportiert. Ende 1944 lebten in der Stadt mit der ältesten jüdischen Gemeinde in Deutschland, abgesehen von den ungefähr 30-40 Untergetauchten, keine Juden mehr.
Quellen
Die Quellen zum umfassenden Thema 'Arisierung' in Köln sind weit gestreut, deshalb sei hier nur eine Auswahl angeführt. Überlieferungen aus den Jahren 1933-1945 existieren nur vereinzelt. Zu nennen sind hier vornehmlich die Bestände des Kölner Liegenschaftsamtes und der Preisbehörde im Historischen Archiv der Stadt Köln. Die Akten der Oberfinanzdirektion Köln, die nach 1945 im Zusammenhang mit Restitutionsforderungen anlegt wurden, sind sehr aufschlussreich, da sie meist auch während der NS-Zeit entstandene Dokumente beinhalten. Eine der vielseitigsten Informationsquellen sind die umfangreichen Aktenbestände der Wiedergutmachungsverfahren aus den 1950er und 1960er Jahren im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland in Düsseldorf.
Literatur
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Bajohr, Frank, „Arisierung“ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, Hamburg 1997.
Barkai, Avraham, Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933–1943, Frankfurt am Main 1988.
Bopf, Britta, „Arisierung“ in Köln. Die wirtschaftliche Existenzvernichtung der Juden in Köln 1933-1945, Köln 2004.
Bopf, Britta, „Arisierung“ in Köln im Dritten Reich, in: Grübel, Monika /Mölich, Georg (Hg.), Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2005, S. 214-237.
Genschel, Helmut, Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich, Göttingen u. a. 1966.
Hilberg, Raul, Die Vernichtung der europäischen Juden, 3 Bände, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1990 (deutsche Erstausgabe 1982).
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Bopf, Britta, "Arisierung“ in Köln, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/%2522arisierung-in-koeln/DE-2086/lido/57d129227d9f66.00219403 (abgerufen am 20.08.2024)