Zu den Kapiteln
Schlagworte
1. Einleitung
Cöln rief, und Alle kamen (Amtlicher Führer der Deutschen Werkbund-Ausstellung 1914). Im Kölner Karneval ironisch kommentiert, aber doch eine Aussage mit einem wahren Kern: 1914 hat in Köln eine kleine Weltausstellung stattgefunden. Die Leistungsschau des Deutschen Werkbundes unter Beteiligung vieler Kölner Unternehmen war mit fast 1 Million Besuchern aus der Region, dem Reich und den Nachbarländern eine bedeutende und folgenreiche Veranstaltung. Doch bis auf wenige Ausnahmen wird die Kölner Werkbundausstellung in der Forschung noch immer primär auf das Fabrikgebäude von Walter Gropius (1883-1969), das Theater Henry van de Veldes (1863-1957) und das Glashaus Bruno Tauts (1880-1938) sowie auf Details des sogenannten Typenstreits - die kontroverse Diskussion um gemeinsame Entwurfsstandards für die moderne Gestaltung - reduziert. Stimmt der Vorwurf, die Leistungsschau des Deutschen Werkbundes sei durch die Beteiligung vieler (lokaler) Nicht-Mitglieder hinter den hochgesteckten Erwartungen zurückgeblieben und habe größtenteils Produkte und Bauten mittelmäßiger Qualität präsentiert? Das mag zum Teil zutreffen, allerdings reiht sie sich damit nahtlos in die Geschichte anderer historischer Großausstellungen beziehungsweise Weltausstellungen ein. Und - war die Ermittlung eines gemeinsamen Nenners nicht ein Grundproblem des Deutschen Werkbundes?
Diese Einwände können dennoch nicht als Entschuldigung gelten, warum auf dem ehemaligen Ausstellungsgelände, dem Kölner rechten Rheinufer zwischen Hohenzollernbrücke und Zoobrücke, wo sich heute die Rheinhallen der Messe und der Rheinpark befinden, nichts mehr an das Großereignis erinnert. Denn die Werkbundausstellung von 1914 bildete den Höhepunkt von Aktivitäten vieler unterschiedlicher Kräfte, die von dem Ideal durchdrungen waren, dass künstlerische und industrielle Gestaltung als nationale Aufgabe zur Modernisierung der Gesellschaft beitragen sollten. Zwischen dieser Utopie und ihrer Wiederbelebung in der Weimarer Republik liegen die blutigen Jahre des Ersten Weltkrieges, der am 1.8.1914 auch über Köln hereingebrochen war und die umgehende Schließung der Ausstellung mit der Überführung des Geländes und seiner Bauten in eine militärische Nutzung zur Folge gehabt hatte.
Unter besonderer Berücksichtigung der Vorkriegs-Ausstellungen des Deutschen Werkbundes soll hier ein kulturhistorischer Blick auf die Kölner Leistungsschau geworfen werden, wobei dem Verhältnis zu den Weltausstellungen ein besonderes Interesse gelten soll.
2. Der Deutsche Werkbund vor 1914
Einem Aufruf von zwölf Künstlern und zwölf Industriellen folgend, kamen am 5.10.1907 rund 100 angesehene Künstler, Industrielle und Kulturschaffende in München zusammen, um eine neuartige Koalition zu bilden: Laut Gründungsmanifest wurde der Deutsche Werkbund mit dem Ziel der Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk ins Leben gerufen. Seine Gründer wollten beweisen, dass die Zusammenarbeit zwischen modernen Künstlern und fortschrittlichen Unternehmern nicht nur das Niveau deutscher gewerblicher Produkte erhöhen, sondern auch den Herstellungsprozess menschenwürdiger gestalten würde. Nur so könne sich eine nationale Kultur herausbilden, die das moderne Deutschland zu repräsentieren vermöge.
Unter den Initiatoren waren renommierte, aber auch bis dahin weniger bekannte Persönlichkeiten. Von Seiten der Architekten und Künstler waren darunter Peter Behrens (1868-1940), Theodor Fischer (1862-1938), Josef Hoffmann (1870-1956), Wilhelm Kreis, Josef Olbrich (1867-1968), Bruno Paul (1874-1968), Richard Riemerschmid (1868-1957), Fritz Schumacher (1869-1947), von Seiten der Industrie unter anderem die Besteckfabrik Peter Bruckmann in Heilbronn, die Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst in Dresden (später Deutsche Werkstätten Hellerau), der Verlag Eugen Diederichs in Jena, die Schriftgießerei Gebr. Klingspor in Offenbach, die Buchdruckerei Poeschel & Trepte in Leipzig und die Wiener Werkstätten. Kölner Politiker, Bürger oder Firmen waren nicht darunter.
Das Engagement seiner Künstlermitglieder, der vielfältige politische Einfluss einiger der Gründungsväter sowie das gemeinschaftliche Bestreben, die Heterogenität der ästhetischen, politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen, sollten dazu beigetragen, sich dem genannten Ziel, eine nationale Kultur zur Repräsentation eines modernen Deutschland herauszubilden, zu nähern. Gerade Ausstellungen wurden als probates Mittel für die Durchsetzung und Verbreitung dieser Idee im In- wie Ausland angesehen, wie es Hermann Muthesius (1861-1927) bereits im Gründungsjahr formulierte: Zur Durchführung dieses Grundsatzes muß eine scharfe Überwachung des Ausstellungswesens Platz greifen und die Leitung in die Hand von weitblickenden, künstlerisch und technisch auf der Höhe stehenden Persönlichkeiten gelegt werden.[1]
Der Werkbund wuchs in der Vorkriegszeit schnell, im Sommer 1913 zählte er laut Jahresbericht bereits 1.440 Mitglieder. Dies ist bemerkenswert, da eine Mitgliedschaft nur auf Einladung möglich war. Seinen Einfluss breitete er auch durch die Aufnahme regionaler Handelskammern und Gewerbevereine und den Aufbau eines Netzes von Ortsgruppen aus. Außerdem beteiligte er sich an bedeutenden nationalen Handelsvereinigungen und Reichsverbänden wie dem der deutscher Architekten und Ingenieure.
Die Verfechter der Kunstgewerbereform stimulierten nachdrücklich die gesellschaftliche Debatte über Leitbilder der nationalen Identität. Sie versuchten, wirtschaftliche und politische Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass die Ästhetik die entscheidende Rolle für den Status Deutschlands als moderne Nation bilde, da es sich um den einzigen Bereich handele, in dem sich die Interessen der Kultur, des täglichen Lebens, der Industrie und der Innen- und Außenpolitik verbänden.[2] Dank dieser Propaganda stieg in Deutschland das allgemeine Interesse an ästhetischen Fragestellungen und das Vertrauen in die gesellschaftliche Funktion von Kunst und Kunstgewerbe. Die Werkbundmitglieder waren sich zwar in ihrem Wunsch nach einem deutschen modernen Stil und der Vorstellung von der heilsamen Wirkung der Kunst auf die Gesellschaft einig. Ihre politischen Überzeugungen divergierten jedoch und selbst einige Mitglieder vereinten in der eigenen Person scheinbar widersprüchlichste Positionen.
Karl Ernst Osthaus (1874-1921), der westfälische Millionär und einflussreicher Fürsprecher der Kunstgewerbebewegung, wurde von einem radikal-künstlerischen Anspruch getrieben, der auf internationalen Austausch gerichtet war. Als treibende Kraft hinter den Sonderbundausstellungen der Jahre 1911 und 1912, verhalf er Fauvismus und Expressionismus zu öffentlicher Wahrnehmung. Gleichzeitig war er über Jahre Mitglied im Alldeutschen Verband, der lautstärksten und einflussreichsten Organisationen des völkischen Spektrums. Dessen Programm war pangermanisch, militaristisch, antisemitisch und nationalistisch. Osthaus glaubte daran, dass das Kunstgewerbe als nationales Identifikationsmedium wirken und damit eine neue und glückliche Epoche der deutschen Geschichte einleiten könne.
Anders als der Privatier Osthaus dachte Hermann Muthesius (1861-1927), Architekt, Kunsthistoriker, Baubeamter und Geheimrat im Preußischen Handelsministerium, wirtschaftspolitisch. Auch er war Vorstandsmitglied des Deutschen Werkbundes. Seine kulturreformerischen Ambitionen wurden von einem expliziten wirtschaftlichen Hegemonialstreben begleitet. Muthesius, 1904 als offizieller Beobachter der deutschen Regierung zur Weltausstellung in St. Louis abgesandt, formulierte bereits im Vorlauf der Werkbund-Gründung die Hoffnung, dass eine gemeinsame deutsche Ästhetik auf Dauer beweisen würde, dass der gute Geschmack der Deutschen gleichzeitig der Geschmack sei, den eigentlich alle Industrienationen anstrebten: Bei großen künstlerischen Qualitäten wird es einem Lande leicht, im Kunstgewerbe als Führer aufzutreten, in Freiheit sein Bestes zu entwickeln und es der Welt gleichsam aufzuzwingen.[3] Osthaus und Muthesius zielten damit in einer Zeit nationaler Konsolidierung auf eine breite Resonanz in der Bevölkerung und die Unterstützung des deutschen Handels und der Industrie, die ihre Produkte auf dem Weltmarkt positionieren wollten.
Bis 1914 sollten sich allerdings die unterschiedlichen ästhetischen und politischen Positionen dieser beiden Protagonisten ausdifferenzieren. Unterstützt von jeweils Gleichgesinnten wurde spätestens auf der Jahresversammlung anlässlich der Kölner Werkbundausstellung anhand von Leitsätzen und Gegenleitsätzen über den zukünftigen Kurs des Deutschen Werkbundes öffentlich gestritten. Diese Polarisierung der Mitglieder ist als sogenannter Typenstreit in die Geschichte eingegangen.
Das pluralistische Fundament und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderten zwar ein Auseinanderfallen des Werkbundes, langfristig zeichnete sich aber die Fruchtbarkeit von Muthesius´ Leitsätzen ab. Mitglieder, die eine eher organische Formensprache vertraten und sich gegen massentaugliche Entwürfe entschieden, hatten nach 1918 im Werkbund einen zunehmend schweren Stand. Denn in der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit sollten die Interessen der Architekten und der Industrie noch stärker Berücksichtigung finden.
3. Der Deutsche Werkbund und seine Vorkriegs-Ausstellungen
Das Reformprogramm des Deutschen Werkbunds wurde ab 1907 sowohl innerhalb als auch außerhalb des Kaiserreiches propagiert. Neben nationalen Probeläufen, wie der viel beachteten Ausstellung der Münchner Gruppe des Deutschen Werkbundes zur Wohnkunst und Kunstgewerbe 1908, gab es eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Ausstellungen. Sie folgten in ihrer abgewogenen Balance zwischen Kunst- und Gewerbeausstellung weitgehend dem Vorbild der III. Deutschen Kunstgewerbeschau in Dresden 1906.
Über die dezentrale Organisation und die Arbeit der Mitglieder vor Ort war der Werkbund im gesamten deutschsprachigen Raum präsent. Die Jahresversammlungen fanden immer in unterschiedlichen Städten statt, zum Beispiel 1913 anlässlich der internationalen Baufach-Ausstellung in Leipzig. Einige Mitglieder beteiligten sich eigenständig, wie Peter Behrens an der Ton-, Zement, und Kalkindustrie-Ausstellung in Berlin 1910. Selten trat der ganze Werkbund dabei geschlossen in einer eigenen Abteilung auf. Durch lokale Aktivitäten und kleinere Ausstellungen erreichte der Werkbund aber auch ansässige Handwerker, Gewerbetreibende und die Konsumenten fernab der Großstädte. Als Beispiel seien die umtriebigen Mitglieder im Bezirk Krefeld genannt, die 1911 gemeinsam mit der Kunstgewerbeschule und der ansässigen Textil- und Möbelindustrie eine erfolgreiche regionale Werkbundausstellung im Kaiser Wilhelm Museum organisierten.
Um die Unterstützung der Reichsregierung und der deutschen Gewerbe bei internationalen Ausstellungen zu erreichen, warb der Werkbund den Dienst der Kulturgemeinschaft ein. Auf den Versammlungen bezeichnete der Werkbund die Produktreform und ihre internationale Vermarktung als Beitrag zum Weltfrieden.[4] Das Gründungsmitglied Friedrich Naumann (1860-1919) formulierte hingegen sehr explizit: Wir wollen den Weltmarkt erobern … Zur kunstgewerblichen Markteroberung gehört originale Leistung, deutscher Stil.[5]
Zu Recht werden die Aktivitäten des Werkbundes daher nicht nur als idealistischer Versuch einer breiten Geschmacksbildung oder als reine Verkaufsstrategie interpretiert, sondern auch als patriotisch motivierter Versuch, einen neuen Nationalstil zu etablieren und eine kulturelle Hegemonie in Europa durchzusetzen.[6]
Die erste Gelegenheit für einen internationalen Großauftritt des Deutschen Werkbundes bot die Weltausstellung in Brüssel im Jahr 1910. Sie war - auch dank der positiven Resonanz in anderen Ländern - für die deutschen Aussteller und das Deutsche Reich ein großer Erfolg. Der Werkbund, der die Bereiche Kunstgewerbe und Raumkunst verantwortete, trug dazu maßgeblich bei. Bereits dort zeigte sich allerdings das Dilemma, das auch die Kölner Ausstellung von 1914 kennzeichnen sollte. Der Münchner Architekt Emanuel von Seidl (1856-1919) hatte für Brüssel einen historisierenden Pavillon entworfen, der sich formal an den Jugendstil anlehnte. Das deutsche Haus entfernte sich damit im Außenbau nur wenig von internationalen Entwicklungen in der Ausstellungsarchitektur. Denn die meisten Nationen fielen auf der Suche nach einem eigenen Nationalstil nach der kurzen Phase des Art Nouveau wieder in eine traditionellere, bereits anerkannte Formensprache zurück. Stilistische Orientierung boten Mittelalter, Barock und vor allem die Antike.
In Brüssel inszenierte Bruno Paul (1874-1968) als Leiter der deutschen Kunstgewerbeabteilung die Exponate der Werkbundmitglieder, darunter Peter Behrens und Richard Riemerschmid. Die Aussteller der anderen Abteilungen bedienten hingegen mit ihren Waren die eher traditionellen Erwartungen der Industrie und der Konsumenten. Dadurch präsentierte sich die deutsche Produktpalette in einer heterogenen Gestaltungsqualität. Der "moralische Sieg" über Frankreich glückte dennoch: Deutschland definierte und präsentierte den eigenen nationalen Stil unter Federführung des Werkbundes als einen ausdrücklich modernen.
Obwohl sich das deutsche Ausstellungskommittee gegen eine Beteiligung an der Weltausstellung im Jahr 1913 aussprach, formierte sich auf maßgebliches Betreiben der Friedrich Krupp-AG, ebenfalls Mitglied im Deutschen Werkbund, ein privates Komitee Deutscher Aussteller für Gent. Mit Ausnahme der Eingangshalle, der Maschinenhalle und des Restaurants wurden alle Abteilungen für Handwerk, Kleinindustrie und Kunstgewerbe in die Hände des Werkbundes unter Leitung von Karl Ernst Osthaus gelegt.[7] Es gelang, trotz des neoklassizistischen monumentalen Pavillons von Carl Leschnitzer, im Innern eine stilistisch einheitliche Werkbundpräsentation einzurichten. Sie umfasste vollständig eingerichtete Musterräume – unter anderem von Walter Gropius - und die von Mathieu Lauweriks (1864-1932) gestaltete Kunstgewerbehalle. Dort wurde - getrennt nach Materialgattungen beziehungsweise Gestaltungsaufgaben - ein Querschnitt industrieller und handwerklich gefertigter Produkte der Werkbundmitglieder ausgestellt.
Auf der Genter Weltausstellung manifestierte sich demnach schon die ambivalente Haltung des Deutschen Werkbundes: Durch einige seiner Mitglieder stand er in Kontakt mit der Reichsregierung und verfolgte als nationaler Verband mit seiner Teilnahme politische Ziele. Er nutzte zum einen die internationale Großausstellung, um seine eigenen Reformideen zu propagieren, zum anderen stellte er sich in den Dienst eines Nationalismus, der mit einem eigenen deutschen Stil die Hegemonie in Europa beanspruchen wollte. Diese Doppelstrategie zeigte dauerhaft Folgen.
Werkbundgedanke und nationales Repräsentationsbedürfnis fügten sich auf den beiden Weltausstellungen zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Überspitzt, aber nicht zu Unrecht bezeichnete Chup Friemert den Werkbund aus diesem Grund auch als "nützlichen Propagandaverein für den deutschen Imperialismus".[8] Osthaus, der Leiter der Genter Werkbundpräsentation, wurde auch zur treibenden Kraft hinter der Kölner Werkbundausstellung. Die Weltausstellung kann als Probelauf für Köln verstanden werden.
4. Karl Ernst Osthaus und das Werkbundmuseum
Für Karl Ernst Osthaus, den Gründer des Hagener Folkwangmuseums, konnte in der modernen deutschen Gesellschaft nur der Künstler zum geeigneten "Lehrer" für Handel und Gewerbe werden. Dieses Leitprogramm verkündete auch das von ihm initiierte monumentalen Glasfenster im Bahnhof seiner Heimatstadt Hagen. Als Sammler, Bauherr und Vermittler der Werke progressiver Künstler wie Henry van de Velde, Christian Rohlfs (1849-1938) oder Peter Behrens waren Osthaus' Aktivitäten beispielhaft. Sie sind als sogenannter Hagener Impuls in die Kulturgeschichte eingegangen.
Bereits 1909 hatte Osthaus mit dem Aufbau eines Musterlagers von künstlerisch wertvollen Erzeugnissen, vom Alltags- bis zum Luxusobjekt der im Werkbund vertretenen Künstler und Firmen begonnen. Neben allen das kaufmännische Leben berührenden Gegenständen dokumentierte das neue Museum Zeichnungen und Fotos moderner Inneneinrichtung, Architektur und Städtebau.[9]
Unter kaufmännischen Erzeugnissen verstand Osthaus Drucksachen, Reklameartikel und Verpackungen, kunstgewerblich verwertbare Materialien, wie Hölzer, Stein- und Lederarten, Metalle und ihre Legierungen in allen erreichbaren Nuancen, Marmorarten und Glasproben, Gewebe, Fliesen und Geräte, Tapeten, Spann- und Möbelstoffe, Linoleum und Teppichbeläge, Fenster-, Tür- und Möbelbeschläge, Möbel und Beleuchtungskörper, Schaufenster, Läden, Ausstellungshallen, Kontore, Werkstätten, Maschinenhäuser und Fabriken, unter Umständen auch Schiffe, Fest- und Tafeldekorationen, Reklamewagen und Theaterszenerien. Das 1910 gegründete Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe sollte Werkbundinstitution für die Entwicklung und Verbreitung der nationalen Kunstgewerbereform von höchster Bedeutung werden. Die Sammlung sollte zudem ständig auf Reisen sein. Durch Ausstellungen in Handelskammern, Kaufmannsschulen, Handelshochschulen und Museen stellte sie Handwerkern und Künstlern geeignete Vorbilder und Studienobjekte zur Verfügung, um die Herstellung qualitätvoller Produkte anzuregen. Der deutschen Bevölkerung sollte ein Bewusstsein für moderne Formgebung vermittelt und ihr Geschmack geschult werden.[10]
Mit diesen dezentralen und dadurch breitenwirksamen Ausstellungen übernahm das Deutsche Museum wichtige Erziehungs- und Bildungsaufgaben, außerdem die Propaganda des Werkbundes und die Vermarktung seiner Produkte. Gleichzeitig sollte der Aufwand an Geld, Zeit und Energie, die Museen in die hohe Zahl kunstgewerblicher Ausstellungen investieren, durch eine Zentralstelle für gewerbliche Ausstellungen gebündelt und dadurch reduziert werden. Das Deutsche Museum kam damit von Anfang an die Funktion einer ständigen Ausstellungskommission des Werkbundes gleich. Jedoch war es in erster Linie Osthaus selbst, der es zur Mustersammlung des Werkbundes erklärte. In den Kreisen um Hermann Muthesius musste dies als Selbstermächtigung angesehen werden. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt setzte eine Fraktionenbildung innerhalb des Werkbundes ein.
In den Jahren 1911-1914 erreichten die Ausstellungsaktivitäten des Museums ihren Höhepunkt. Die erfolgreiche Wanderausstellung „German Applied Art“ war mit über 1.000 Exponaten die erste amerikanische Museumspräsentation des Werkbundes, die Industriedesign zusammen mit moderner deutscher Kunst präsentierte und die 1912/1913 in sieben amerikanischen Städten gezeigt wurde. Alle Exponate, die am Ende der Reise nicht verkauft waren, wurden zur Genter Weltausstellung weitergeschickt und einige gelangten 1914 auch nach Köln. Diese drei Ausstellungen hätten für die internationale wie nationale Anerkennung des Deutschen Werkbundes bereits den Durchbruch bedeuten können, wäre es nicht zum Krieg gekommen.
5. Der Deutsche Werkbund in Köln
Auch wenn Köln keine aktive Werkbundgruppe vorweisen konnte und zunächst nicht in den Fachausschüssen vertreten war, so hatte sich doch das Rheinland seit der Gründung mit starken Ortsgruppen in Krefeld, Aachen, Barmen-Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) und Mitgliedern in Düsseldorf und Bonn als wichtiger Werkbundstandort neben den Großstädten München, Berlin, Wien, Dresden, Hannover oder Stuttgart profiliert. Selbst drei große Industrieunternehmen an der Rheinschiene - Krupp, Mannesmann und Bayer - wurden Werkbundmitglieder und hatten verständlicherweise generelles Interesse an einer Großveranstaltung in der Region.
Langjährige Kölner Mitglieder waren auch die Handelskammer Köln, die Humboldt-Werke in Kalk (1910 nach Köln eingemeindet), der Verleger der Kölnischen Volkszeitung Franz Bachem und die Druckerei Du Mont Schauberg, der Zigarettenhersteller Joseph Feinhals (1867-1947), der Maschinenbauzulieferer Max Meirowski (1866-1949), der Königlichen Hofmöbelfabrik Valentin Witt, und der Hofgoldschmied Josef Kleefisch (Firma Hermeling). Hinzukamen die Künstler Paul Bernadelli, Alexe Altenkirch (1871-1943), Paul Meinke, Willi Ohly, Ernst Riegel (1871-1939), aber auch einflussreiche Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, wie der Kölner Regierungsrat Heinrich Stinnes (1867-1932) aus der gleichnamigen Mülheimer Industriellenfamilie. Auch wenn sich bisher keiner in der Werkbundarbeit exponiert hatte, dürfte jeder von ihnen die geplante Leistungsschau des Verbandes in Köln begrüßt haben.
Seit Planungsbeginn im Jahr 1912 zählten zudem auffällig viele Architekten zur örtlichen Werkbundsektion: namentlich Paul Bachmann, Jakob Berns, Albrecht Doering, Fritz Encke (1861-1931), Hans Erberich (1873-1951), Joseph Frank (1885-1967), Camillo Friedrich, Wilhelm Kamper, Carl Moritz (1863-1944), Ludwig Paffendorf (1872-1949), Hermann Pflaume (1869-1921), Hans Pieper (1882-1946), Paul Pott (1882-1966), Karl Reinhard, Josef Rings (1878-1957), Max Stirn (1880-1916), Alfred Stooß und Emil Thormählen (1859-1941).[11] Ihr Interesse am Deutschen Werkbund dürfte in Erwartung möglicher Bauaufträge bei der Kölner Großveranstaltung noch zugenommen haben.
Die Beteiligung Kölner Unternehmen, Architekten und Künstler an der Ausstellung überstieg schließlich deutlich die reine Mitgliederzahl der dortigen Ortsgruppe. Dies war möglich geworden, nachdem die Festlegung auf Werkbundmitglieder gelockert und auf eine recht allgemeine Forderung an die Qualität der Produkte reduziert worden war. Neben den Vertretern aus dem Baugewerbe, die insbesondere beim Ausstellungsaufbau tätig wurden, erhielten Kölner Firmen, darunter Stollwerck und Farina, dadurch die Möglichkeit zur Teilnahme. Die Architekten Bernhard Below (1854-1931), Franz Brantzky (1871-1945), Eduard Endler (1860-1932), Stephan Mattar (1875-1943), Emil Schreiterer (1852-1923) und Heinrich Renard (1868-1928), die Künstler und Künstlerinnen Grete Alsberg, Georg Grasegger (1873-1927), Alexander Iven (1854-1934), Franz M. Jansen (1885-1958), Fifi Kreutzer (1893-1977), Wilhelm Putz, Robert Seuffert (1874-1946) konnten sich mit kleineren und größeren Arbeiten präsentieren. Gemeinsam mit den Werkbundmitgliedern wurde ihnen in der Abteilung für sakrale Kunst, im niederrheinischen Dorf, im Haus der Frau und dem Kölner Haus Platz eingeräumt.
Einen Monat vor Ausstellungseröffnung forderte die in Köln erscheinende Preußische Gemeinde-Zeitung von den Werkbundmitgliedern und denübrigen Ausstellern eine Gegenposition zu Stilverwirrung und Materialverschandelung. Sie sei vorrangig auf die Bevorzugung fremdländischer Erzeugnisse durch den deutschen Konsumenten zurückzuführen. Die Kölner Werkbundausstellung solle dem entgegenwirken.[12]
6. Die Kölner Werkbundausstellung
Ende 1911 wurden im Deutschen Werkbund Wünsche nach einer eigenen, repräsentativen Ausstellung laut. Der Verband selbst, das war schnell klar, konnte das Vorhaben mit Rücksicht auf das finanzielle Risiko nicht allein stemmen. Der Kölner Werkbundvorstand, der einflussreiche Kommunalpolitiker und Landesbaurat a.D. Carl Rehorst (1866-1919), wollte die Ausstellung unbedingt für seine Stadt gewinnen und warb ebenso engagiert wie erfolgreich bei der lokalen Politik und Wirtschaft für das Projekt. Schon auf der Jahresversammlung in Wien 1912 wurde die Wahl Kölns als Ausstellungsort bestätigt.
Alle Beteiligten hatten Interesse daran, die Stadt als modern zu profilieren und favorisierten die günstige Lage der Handelsstadt am Rhein. Die Vorstandsmitglieder des Werkbundes hatten dabei auch die Konkurrenten Frankreich, England und die USA im Blick. Zudem versprach die Stadt, sich mit dem Baugrundstück und 5 Millionen Mark an den Kosten zu beteiligen. Peter Behrens entwarf ein erstes Programm. Carl Rehorst leitete unverzüglich die Gründung eines Vereins in die Wege, mit Oberbürgermeister Max Wallraf (1859-1941, Oberbürgermeister 1907-1917), dem Vorsitzenden des Deutschen Werkbundes Peter Bruckmann an der Spitze und ihm selbst als geschäftsführendem Vorsitzenden. Beteiligt waren von Seiten des Werkbundes zunächst nur Karl Ernst Osthaus und Max Creutz (1876-1932), Leiter des Kölner Kunstgewerbemuseums als "Ortsvertrauensmann". Im Herbst 1912 wurden die verschiedenen notwendigen Ausschüsse besetzt und auch Hermann Muthesius und Ernst Jäckh berufen. Die Abweisung Henry van de Veldes lässt vermuten, dass die Position von Osthaus und Behrens geschwächt werden sollte. Denn auch das Deutsche Museum blieb zunächst völlig unberücksichtigt. Man strebt ganz systematisch den Einfluß derjenigen zu erschüttern, die das Künstlerische im Werkbund maßgeblich sein lassen wollen.[13]
Inzwischen war auch der von Behrens ausgearbeitete anspruchsvolle Plan fallengelassen worden, da er die materiellen Interessen und die Eigengesetzlichkeiten des Ausstellungswesens nicht berücksichtigte. Ein Großteil der Einnahmen sollte durch Platzmieten generiert werden. Man bemühte sich daher bereits im Vorfeld, den Wünschen der Einzelaussteller weitgehend nachzukommen. Gleichzeitig näherte man sich auch mit der Verlagerung des Geländes vom Aachener Tor an das Rheinufer dem Umfang einer internationalen Großausstellung an.[14]
Die Stadt stellte den großen baumbestandenen Streifen zwischen Deutz und Mülheim (Eingemeindung nach Köln 1914) - durch Auflassung der alten Festungswerke entstanden und bisher als Überflutungsgebiet von Bebauung freigeblieben - bereit. Diese zentrale Lage mit Domblick war attraktiv und über die Hohenzollernbrücke, Züge, Straßenbahnen und den Einsatz von Fähren auch gut erreichbar.
Schließlich erstellte Rehorst den immer wieder neu anzupassenden Gesamtplan und organisierte die Durchführung mit einem riesigen Stab an städtischen Beamten. Muthesius und Osthaus versuchten mit unterschiedlichem Erfolg auf die Auftragsvergabe an von ihnen favorisierte Künstler und Architekten einzuwirken. Zuständig war Osthaus schließlich nur für den Hagener Raum, die Ladenstraße, die Abteilung Kunst im Handel und die Präsentation Auserlesene Einzelstücke alter und neuer Zeit.[15] Letztere wurden durch Mathieu Lauweriks und Johan Thorn Prikker als einheitliche Raumensembles gestaltet. Die Qualität der dort ausgestellten Produkte und Objekte war besser als in anderen Abteilungen, aber dennoch heterogen. Sie stammten aus dem Bestand des Deutschen Museums beziehungsweise wurden von den Künstlern und Gestaltern auf Anfrage bereitgestellt: Ein Gemüsegarten bleibt die Sache natürlich doch. Ich bin wenig erbaut davon, mich auf die Sache eingelassen zu haben, schrieb Osthaus am 24.4.1914 an Max Creutz.[16]
Da diese Bereiche zum Teil auch von ihm finanziert wurden, konnte Osthaus sie von Platzmieten befreien. Dass er seine finanziellen Möglichkeiten zu nutzen wusste, bewies auch der von ihm angemietete Sonderzug, der anlässlich der Jahresversammlung mehr als 400 Werkbundmitglieder von Köln nach Hagen brachte, um die dortigen Entwicklungen vorführen zu können.
Die feierliche Eröffnung der Werkbundausstellung am 16.5.1914 um 12 Uhr in Anwesenheit einiger preußischer Minister, vieler Politiker wie Honoratioren aus Köln, der Rheinprovinz und dem Reich, zeigt, welche Bedeutung man ihr in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht beimaß: Eine Ausstellung als Gewerbeförderung und touristische Attraktion wie in London, Paris, Chicago und Brüssel fand nun auch in Köln statt. Einige Ausstellungsbauten, wie die Musterfabrik und das Werkbundtheater waren zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht ganz fertig gestellt, aber auf einer Fläche von mehr als 350.000 Quadratmetern - laut Preußischer Gemeindezeitung- waren inzwischen mehr als 100 Einzelgebäude entstanden.
Der Vergnügungspark direkt an der Hohenzollernbrücke, vermutlich der größte Publikumsmagnet, und das Stadion nahmen mehr als ein Viertel dieser Fläche ein. Die Gesamtanlage mit der großen Haupthalle, den Pavillons der preußischen Länder Sachsen und Oldenburg-Bremen, dem österreichischen Haus, dem kolonialen Haus, dem Teehaus, Wein- und Bierrestaurants sowie dem niederrheinischen Dorf am anderen Ende des Geländes wies deutlich Übereinstimmung mit früheren Weltausstellungen auf. In Köln waren hingegen nur deutschsprachige Länder und keine internationalen Aussteller vertreten.
Ebenfalls in dieser Tradition stand die Hoffnung der Veranstalter, die Ausstellung könne Vorbilder für die Umgestaltung zu einer modernen Großstadt schaffen. Die Lage mit Blick auf den Dom und die historische Altstadt mit dem Neubau des Deutzer Bahnhofs als Gegengewicht versprach Impulse für eine moderne, rechtsrheinische Stadterweiterung.
Hinsichtlich der Flächenausdehnung und der Anzahl der Gebäude konnte es Köln schließlich mit der Exposition Universelle et Internationale in Lüttich 1905 aufnehmen. Auch die Erschließung des Geländes, die Anordnung der Bauten anhand von Achsen und Symmetrien, die Schaffung von Haupt- und Nebenplätzen und das geplante opulente Veranstaltungsprogramm entsprachen den internationalen Vorbildern. Die Laufzeit hingegen mit viereinhalb Monaten war von Anfang an kürzer angesetzt. Dennoch lagen die Besucherzahlen in den nur elf Wochen bis Kriegsausbruch laut Kölner Zeitungen zwischen 40.000 und 50.000 Personen täglich und überstiegen damit den Durchschnitt der Lütticher Ausstellung.
Theodor Fischers Haupthalle umfasste allein 242 Ausstellungsräume. Weitere Standflächen boten kleinere Hallen und Pavillons, die der optimalen Präsentation von Produkten einer Branche, einer Firma oder einer Region dienen sollten, wie die Verkehrshalle oder der Bahlsen-Pavillon.
Wie bereits bei den internationalen Großausstellungen in Brüssel und Gent bestachen jedoch selbst die meisten Ausstellungsgebäude der etablierten Werkbündler nicht durch eine avantgardistische Formensprache. Es wurde ein Stilquerschnitt der Zeit geboten: Die Haupthalle von Theodor Fischer, die Festhalle von Behrens oder das Gebäude der Farbenschau von Muthesius waren deutlich von der Antike inspiriert.
Einige Einzelgebäude stachen heraus: Josef Hoffmann demonstrierte mit seinem Österreichischen Haus eine massenfabrikationsfähige Gestaltung. Vorbildliche Lösungen einer Bauaufgabe zeigten die Musterfabrik von Walter Gropius, Henry van de Veldes Werkbundtheater und das Ensemble des niederrheinischen Dorfes, das unter Leitung von Georg Metzendorf (1874-1934) von rheinischen Architekten gestaltet worden war. Obwohl letzteres nicht mit den romantischen Dorfkulissen früherer Ausstellungen zu vergleichen war, wurde dort bewusst auf regionale Materialien und tradierte Formen zurückgegriffen.
Auch die Farbenschau und das Haus der Frau - als kunstpädagogische beziehungsweise gesellschaftspädagogische Schau weniger denn als Bauwerke - sowie Bruno Tauts einzigartiges Glashaus nahmen in der Thematik und Qualität eine Sonderstellung ein. Wegen ihres didaktischen und utopischen Charakters standen sie aber in der Tradition typischer ephemerer Ausstellungsphänomene. Taut selbst bemerkte dazu: Keinen anderen Zweck als schön zu sein. Es soll die Aufgabe eines reinen Ausstellungsbaus erfüllen und interessante Ideen in schöner Form zur Anregung für `dauernde` Architektur geben, nicht solche selbst.[17]
Die Kölner Schau stellte die erste nationale Soloausstellung des Werkbundes mit internationaler Ausstrahlung dar. Die Aussage des Vorstandes, man habe auch auf die zunehmende Ausstellungsmüdigkeit und den aufdringlichen Ausstellungszauber, der noch in Brüssel und Gent geherrscht habe, reagiert, muss hingegen relativiert werden - trotz eines Verzichts auf direkte Stilkopien, historische Ornamentauswüchse und Spektakel.[18]
Das Ausstellungskommitee zielte mit den klassischen Formen der Pavillons und den Interieurs in einem konservativen Neo-Stil auf die Zustimmung der Öffentlichkeit. Es galt zu vermeiden, dass potentielle neue Mitglieder aus den Reihen der Industrie abgeschreckt würden.[19] Dies stand in tiefem Widerspruch zu Osthaus ́ Ideal von der künstlerischen Integrität und Unabhängigkeit, wie er sie noch in der Kunstgewerbeabteilung in Gent und den Ausstellungen des Deutschen Museums hatte verwirklichen können. Denn dem hohen Qualitätsanspruch konnte nur in Teilen Genüge getan werden. In Gent hatte Osthaus als einzig Verantwortlicher noch diejenigen innerhalb des Werkbundes hinter sich geschart, die weniger die wirtschaftlichere Typisierung als den teureren, individuellen Künstlerentwurf im Auge hatten. In Köln gelang es ihm noch, mit Bruno Taut, Peter Behrens und Henry van de Velde einige der von ihm favorisierten Künstler und Architekten zu platzieren.
Seine ambitionierten und zukunftsweisenden Ideen für die Schaufenstergestaltung der Ladenstraße oder seine Anregungen für die Aufführung im Werkbundtheater versickerten jedoch in den zuständigen Ausschüssen. Auch in anderen Bereichen musste er sich den starken Interessen der ortsansässigen Initiatoren, Gewerben und großen Platzmietern beugen.
Muthesius war hingegen wie Rehorst vornehmlich an einer positiven Bilanz, einem spektakulären Ereignis von starker öffentlicher Resonanz interessiert. Um Skandale zu vermeiden, wurde daher auf kühne künstlerische Experimente weitgehend verzichtet. Und diese gemäßigten Kräfte definierten das Neue vorrangig als Abgrenzung zum Alten: Man wird keine Häuser in der Ausstellung errichten, die nur die kahle Bachsteinwand als Fassade bieten, aber auch keine mit von billigem, verschnörkelten Gipsverputz überladenen Fronten, keine Häuser, die lichtlos und ungesund sind, keine Wohnungen deren Räume und Größe mit Gefängniszellen konkurrieren können, keine Möbel die das Gegenteil von zweckmäßig und schön sind. Der Mensch soll wieder lernen, sich behaglich zu fühlen.[20]
Der liberale Abgeordnete Friedrich Naumann, Werkbundmitglied erster Stunde, glaubte trotz frühzeitiger Schließung bereits den Erfolg und eine internationale Wirkung der Ausstellung feststellen zu können. Zum ersten Mal haben die Vertreter aller germanischen Völker (Österreich-Ungarn, Schweiz, Holland...Dänemark Schweden und Norwegen) sich beim Deutschen Werkbund in Köln zusammengefunden um über den siegreichen Fortgang des Deutschen Werkbund-Gedankens zu berichten.[21]
An den Divergenzen lokaler und nationaler Wirtschaftsinteressen, avantgardistischer wie traditionsbewusster Stilpositionen, regionalpolitischer Kleingeistigkeit wider internationaler Weltoffenheit, die sich an der Kölner Werkbundausstellung auskristallisierten, drohte der Werkbund zeitweise zu zerbrechen.
7. Die Kölner Ausstellung als Kompass für die Werkbundarbeit der Zukunft
Muthesius ́ Eröffnungsrede Werkbundarbeit der Zukunft auf der Kölner Jahresversammlung, in der er die Typisierung im Entwurf anregte, und die Abschlussrede von Friedrich Naumann mit dem Titel Werkbund und Weltwirtschaft charakterisieren den Kurs, den die Führung des Deutschen Werkbundes in Zukunft einschlagen sollte. Beide erklärten den Werkbund zur wichtigsten Hoffnung der deutschen Exportindustrie, zum Garanten für die hohe Qualität der Produktion und wiesen den künstlerischen Individualismus in seine Schranken: Lasst uns Expansisten sein, d.h. lasst uns eine Ausdehnung des Gebiets machen, auf dem wir solche Talente brauchen können, und wenn Künstler sagen, dass ihre Freiheit darunter litte, so seien wir ehrlich und sagen uns, wer da mitmacht, muss einen gewissen Teil seiner Freiheit aufgeben...Jeder Mensch, der an einen anderen gern verkaufen will, ist schon nicht mehr ganz frei. Jeder Mensch der in einem geordneten Verbande im Ausland ausstellen und verkaufen will, der hat einen gewissen Zwang.[22]
Muthesius und Naumann favorisierten daher die Typisierung. Jedoch diktierte auch die deutsche Außenpolitik die Auffassung, dass nur die Bündelung aller Werkbundkräfte auf die Entwicklung von Standards in der Architektur, der angewandten Kunst und der industriellen Produktion die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft garantieren könne. Zu diesem Zweck musste ein konsequenter, wiedererkennbarer deutscher Stil geschaffen werden, der die deutsche Kultur in der Heimat und im Ausland angemessen repräsentieren konnte. Naumanns im Herbst 1915 erschienenes Buch Mitteleuropa, das einen liberalen Imperialismus für Deutschland fordere, wurde rasch zur meistgelesenen deutschen Kriegszielschrift überhaupt.
Muthesius, Naumann oder Ernst Jäckh sahen im Werkbund weniger eine freiwillige Vereinigung, denn eine Art halboffiziellen Qualitätswächter. Daher verstanden sie auch die deutsche Werkbundausstellung in Köln in erster Linie als allgemeine Gelegenheit, die Leistung der deutschen Industrie und des Gewerbes zur Schau zu stellen.
Der Widerstand gegen diese Entwicklung entzündete sich zwar am Loblied auf die Typisierung, gegen die Henry van de Velde umgehend seine Gegenthesen vorlegte, war aber eher grundsätzlich gegen den wachsenden Einfluss von Muthesius und den neuen wirtschaftspolitischen Kurs gerichtet. Van de Velde, Osthaus, August Endell (1871-1925), Walter Gropius und anderen zufolge wurde damit die gesamte künstlerische Seite des Werkbundes zu Grabe getragen.[23]
Ihre Befürchtungen bewahrheiten sich in Köln, da das Ausstellungskommitee nicht nur Werkbundmitglieder, sondern im Prinzip alle Hersteller, deren Produkte wirtschaftlich bedeutsam waren, als Aussteller zuließ. Zudem gab es Anstrengungen, Architekten zu berufen, die weniger außergewöhnliche und experimentelle Gebäude als konventionelle Ausstellungshallen errichteten. Fortschrittliche Architekten wie Taut, Gropius und van de Velde wurden hingegen behindert.
Auftreten und Rhetorik des Deutschen Werkbundes wurden seit der Gründung von einem nationalen Führungsanspruch getragen, der sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verschärfte und sich von einem friedlichen Wettbewerbsgedanken hin zu einem Ideal politischer Vorherrschaft entwickelte. Dieser explizite Nationalismus muss jedoch vor dem Hintergrund des langen 19. Jahrhunderts in Europa bewertet werden und insbesondere aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Die Kölner Ausstellung verdichtete mit ihrer facettenreichen Vielfalt die Vorkriegswelt zu einem Mikrokosmos. Für den Deutschen Werkbund im deutschen Kaiserreich markiert sie zugleich Höhe- wie Schlusspunkt.
8. Nach der Ausstellung
Nach der Ausrufung des Kriegszustands am 31.7.1914, der Kriegserklärung und der darauffolgenden Mobilmachung wurden auch in Köln alle Vergnügungslokale, Theater und Museen zeitweilig geschlossen. Der Verkehr auf den Rheinbrücken wurde eingeschränkt. Am 6. August erschien in der Kölnischen Zeitung ein letzter Bericht von der Werkbundausstellung, noch am gleichen Tag schloss sie für immer ihre Tore. Für den Deutschen Werkbund und die Aussteller bedeutete das vorzeitige Aus ein finanzielles Desaster wie auch ein logistisches Problem: Wie vertraglich vereinbart, sollten alle Exponate umgehend entfernt und sollte mit dem Rückbau der Gebäude begonnen werden. Durch die Übergabe an das Militär am 7.8.1914 wurde zumindest letzteres teilweise zurückgenommen.
Die Hohenzollernbrücke, die täglich rund 30.000 Soldaten passierten, wurde zum entscheidenden Nadelöhr für den Truppenaufmarsch im Westen. Das - Ausstellungsgelände neben dem Deutzer Bahnhof wurde daher ohne große Vorbereitung für deren Einquartierung bereitgestellt. Die Kölner Zeitungen berichteten davon, wie sich die Soldaten auf den Rasenflächen und Blumenbeeten niederließen und mangels Alternativen aus den Wasserbecken tranken. Es gab keine geregelte Verpflegung. Zeitweise wurde auch eine Sammelstelle für Leichtverwundete eingerichtet.
Wie Volker Standt jüngst herausgearbeitet hat, ging die Stadt Köln bereits in den ersten Kriegswochen die drängenden Aufgaben der militärische Befestigung und der Lebensmittelversorgung an.[24] Die Festhalle von Peter Behrens soll zeitweise für die Viehhaltung, das Werkbundtheater als Heu- und Strohmagazin genutzt worden sein. Bald habe das Gelände jedoch einen verlassenen Eindruck gemacht. Nur der gelegentliche Lärm an Tauts Glashaus, das zu Schießübungen missbraucht wurde, dürfte die Ruhe wohl gestört haben. Die Ausstellung wurde entgegen anfänglicher Hoffnungen nicht mehr zum Leben erweckt. Zwischen 1915 und 1920 wurden schließlich alle Ausstellungsgebäude bis auf das Teehaus gesprengt oder abgetragen.
Trotz der Bedeutung dieser kleinen Weltausstellung für die Moderne und obwohl mit ihr die städtebauliche Erschließung des rechtsrheinischen Geländes als Messezentrum begann, erinnert heute vor Ort nichts mehr an die größte Schau des Deutschen Werkbundes. "Bis heute ist sie dem Bewusstsein der Stadt auf tragische Weise entzogen" konstatiert Roland Dorn. Dessen Kölner Büro dorn architekten hat im Zuge stadträumlicher Untersuchungen zum 100-jährigen Jubiläum der Werkbundausstellung kongruente Überlagerungen der topographischen Karte des heutigen Rheinparkes mit dem Generalplan der Werkbundausstellung von 1914 erarbeitet. Mithilfe der dargestellten Überlagerungsschritte lassen sich Standorte und Proportionen der Einzelbauwerke exakt in die heutige Geländetopographie übertragen.[25] Ein erster Schritt zu einer Erinnerung vor Ort ist damit getan.
Literatur
Campbell, Joan, Der Deutsche Werkbund 1907-1934, München 1989.
Deutscher Werkbund (Hg.), Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit. Bericht über die dritte Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes vom 10. bis 12. Juni 1910, Jena 1911.
Deutscher Werkbund (Hg.), Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk. Verhandlungen des Deutschen Werkbundes zu München am 11. u. 12. Juli 1908, Leipzig 1908.
Heiser, Christiane, Der Deutsche Werkbund auf der Weltbühne oder wie Deutschland 1913 doch noch an der Weltausstellung teilnahm. Das deutsche Haus und die deutsche Abteilung für Raumkunst und Kunstgewerbe in Gent, in: Archiv für Kulturgeschichte 92 (2010), S. 364-398.
Herzogenrath, Wulf/Teuber, Dirk/Thiekötter, Angelika (Hg.), Der westdeutsche Impuls 1900-1914. Kunst und Umweltgestaltung im Industriegebiet. Die Deutsche Werkbund-Ausstellung Cöln 1914, Essen 1984.
Jarzombek Mark, The Kunstgewerbe, the Werkbund and the Aesthetics of Culture in the Wilhelmine Period", in: Journal of the Society of Architectural Historians 53 (1994), S. 7-19.
Jessen, Peter, Die Deutsche Werkbund-Ausstellung Köln 1914, in: Deutsche Form im Kriegsjahr. Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1915.
Kuth, D., Der Deutsche Werkbund und seine Ausstellung in Cöln 1914, in: Sonderabdruck der Preußischen Gemeinde-Zeitung. Zeitschrift für das gesamte Kommunalwesen 7. Jg. Nr. 11 v. 11.4.1914.
Maciuika, John, Before the Bauhaus. Architecture, Politics and the German State 1890-1920, Cambridge 2005.
Muthesius Hermann, Die Bedeutung des Kunstgewerbes, in: Dekorative Kunst 10 (1907), S. 177-192.
Muthesius, Hermann/Naumann, Friedrich, 7. Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes vom 2. bis 6. Juli 1914 in Köln, Jena 1914.
Naumann, Friedrich, Deutsche Gewerbekunst, Köln 1908.
Naumann, Friedrich, Mitteleuropa, Berlin 1915.
Naumann Friedrich, Werkbund und Weltwirtschaft. Vortrag in Köln in der Deutschen Werkbund-Ausstellung (1914), in: Naumann, Friedrich, Werke, Band 6, Köln 1964, S. 331-350.
Schwartz, Frederic, The Werkbund. Design Theory and Mass Culture before the First World War, New Haven [u.a.] 1996. [Deutsche Ausgabe] Der Werkbund. Ware und Zeichen. 1900-1914, Dresden 1999.
Stamm, Rainer, Karl Ernst Osthaus, Reden und Schriften. Folkwang, Werkbund, Arbeitsrat, Köln 2002.
Standt, Volker, Köln im Ersten Weltkrieg. Veränderungen in der Stadt und des Lebens der Bürger 1914-1918, Köln 2014.
Staroste, Ulrike, Cöln rief und alle kamen. Ein Streifzug über die Deutsche Werkbund-Ausstellung in Köln 1914, in: Hesse, Petra/Kramp, Mario (Hg.), Köln 1914. Metropole im Westen, Köln 2014, S. 149-156.
- 1: Hermann Muthesius im Gründungsmanifest des Deutschen Werkbundes: Programm - Denkschrift 1907.
- 2: Jarzombek 1994, S. 7-8.
- 3: Muthesius 1907, S. 192.
- 4: Deutscher Werkbund 1908, S. 17, 31; Deutscher Werkbund 1911, S. 3, 43-44.
- 5: Naumann 1908, S. 47.
- 6: Campbell 1989, S. 63.
- 7: vgl. Heiser 2010, S. 364-389.
- 8: Friemert 1975.
- 9: Karl Ernst Osthaus, "Gründung eines deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe in Hagen (1909)", in: Stamm 2002, S. 68 und Karl Ernst Osthaus "Das Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe in Hagen (1910)", in: Stamm 2002, S. 71.
- 10: vgl. Fehr 1997.
- 11: Vgl. Mitgliederlisten im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913.
- 12: D. Kuth in der Preußische Gemeindezeitung, Köln 11.4.1914, S. 171.
- 13: Osthaus in einem Brief an Peter Behrens vom 13.12.1912, zitiert nach Herzogenrath, S. 81.
- 14: Herzogenrath 1984, S. 74ff.
- 15: Herzogenrath 1984, S. 87ff.
- 16: Zitiert nach Herzogenrath, S. 89.
- 17: Zitiert nach Staroste, S. 150.
- 18: Jessen, S. 8.
- 19: Maciuika, S. 267.
- 20: Der Artikel stammt von dem ehemaligen Generalsekretär des Bürgermeisters D. Kuth anlässlich der Kölner Werkbundausstellung D. Kuth in der Preußischen Gemeindezeitung, Köln, 11.4.1914, S. 173.
- 21: Naumann (1914), S. 348.
- 22: Naumann 1914, S. 348.
- 23: vgl. Schwartz 1996.
- 24: Standt 2014, S. 49ff.
- 25: Roland Dorn: 100 Jahre "Deutsche Werkbund-Ausstellung Cöln 1914". Städtebauliche Rekonstruktionen (in Publikationsvorbereitung). - Herrn Dorn sei herzlich gedankt für die Einsicht in sein Archiv, in die Überlagerungspläne sowie Bildmaterial und Originalquellen, darunter die Preußische Gemeindezeitung, die er kollegial zur Verfügung stellte.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Heiser, Christiane, "Originale Leistung, deutscher Stil". Der Deutsche Werkbund und seine Ausstellungen. Versuch einer Neubewertung der Kölner Werkbundausstellung nach 100 Jahren, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/%2522originale-leistung-deutscher-stil%2522.-der-deutsche-werkbund-und-seine-ausstellungen.-versuch-einer-neubewertung-der-koelner-werkbundausstellung-nach-100-jahren/DE-2086/lido/57d12a92743ca5.32123110 (abgerufen am 19.08.2024)