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Albert Hackenberg gehörte zu den bekanntesten Vertretern der rheinischen Kirche im Kaiserreich. Von 1905 bis 1912 war er Präses der evangelischen Kirche der Rheinprovinz und vermittelte im Richtungsstreit zwischen modernen und konservativen Kreisen. Als nationalliberaler Abgeordneter vertrat Hackenberg von 1898 bis 1912 den Wahlkreis Simmern-Kreuznach-Zell in Berlin. Als Führer des Evangelischen Bundes schärfte er das Profil des rheinischen Protestantismus.
Albert Peter Hackenberg wurde am 11.1.1852 in Lennep (heute Stadt Remscheid) geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann und Prokurist Albert Hackenberg (1822-1866) und Juliane geborene von Polheim (1823-1914). Vom Vater erbte Hackenberg das Pflichtbewusstsein, von der Mutter die freundliche Warmherzigkeit und den rheinischen Frohsinn. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde der Lenneper Pfarrer und spätere Präses Friedrich Evertsbusch (1813-1888) sein väterlicher Mentor. Auf Evertsbusch gehen Hackenbergs Liebe zur rheinischen Kirche und der Wunsch, Präses zu werden, zurück. Hackenberg besuchte die Schulen in Lennep, Lippstadt und – aus gesundheitlichen Gründen – Bad Kreuznach. Dort lernte er seine spätere Ehefrau Elisabeth Ost (1858-1910) kennen. 1881 heiratete das Ehepaar. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor: Juliana Elisabeth (1882), die im ersten Lebensjahr verstarb, und Frieda (1888-1938). Ab 1872 studierte Hackenberg Evangelische Theologie in Erlangen, Berlin und Bonn. An das erste theologische Examen 1876 und die Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger in Berlin schloss sich im April 1878 das Vikariat an. Hackenberg wurde in das kleine Hunsrückdorf Hottenbach geschickt, um den kranken Pfarrstelleninhaber zu unterstützen. Nach dessen Tod 1879 bestürmte ihn die Gemeinde, in Hottenbach zu bleiben. Hackenberg gab dem Drängen nach. Nach bestandenem zweitem Examen wurde er am 1.7.1879 in sein Amt eingeführt.
Der junge Pfarrer machte das Dorf schnell im Rheinland bekannt: Hackenberg übernahm die Leitung des Hottenbacher Gesangvereins und führte zahlreiche weltliche und geistliche Konzerte durch. Höhepunkt waren 1888 und 1889 die Aufführung der Matthäus-Passion von Heinrich Schütz (1585-1672). Die Zeitungen der Rheinprovinz feierten Hottenbach als „Oberammergau des Hochwalds“. Hackenberg setzte sich für den Fortschritt in der bäuerlichen Welt ein: Er holte 1880 die Post, 1884 das Telefon nach Hottenbach und gründete 1894 eine Ortsgruppe des Hunsrücker Bauernvereins. Hackenberg war ein glänzender Organisator. Er warb für die genossenschaftliche Idee, rief 1896 eine Spar- und Darlehenskasse und 1898 eine Molkerei ins Leben.
Der Theologe, der ursprünglich Pädagoge werden wollte, war ein großer Lehrerfreund. Für Hackenberg verfolgten Kirche und Schule das gleiche Ziel: die sittlich-religiöse Bildung der Menschheit. 1885 wurde Hackenberg zum Kreisschulinspektor berufen. Damit war er für rund 25 Volksschulen zuständig. Hackenberg ließ den Lehrern seiner Inspektion viel Freiraum, bildete sie weiter und empfahl begabte Pädagogen für höhere Lehrerstellen. Am 1.8.1904 wurde die neue Hottenbacher Kirche eingeweiht. Erbauer war der erste Leiter des provinzialkirchlichen Bauamtes August Senz (1862-1912). Hackenberg verwirklichte hier die Grundsätze des Wiesbadener Programms für den evangelischen Kirchenbau. Das Gotteshaus erinnert daran, dass er ein über die Grenzen des Rheinlands bedeutender Kanzelredner war.
Seit 1884 gehörte Hackenberg der rheinischen Provinzialsynode an. Er arbeitete dort an dem neuen Evangelischen Gesangbuch für Rheinland und Westfalen mit, das zu großen Teilen im Hottenbacher Pfarrhaus entstand. Dank Hackenbergs kaufmännischer Begabung wurde es ein enormer Verkaufserfolg: Von seiner Einführung 1893/1894 bis 1911 wurde ein Rekordgewinn von 1.120.000 Mark erzielt. Für die Arbeit am Gesangbuch verlieh die Universtät Bonn Hackenberg 1902 die Ehrendoktorwürde. Als fruchtbar erwies sich die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Max Bruch (1838-1920): 1897 schrieb Hackenberg den Text zu dessen Oratorium Gustav Adolf (Opus 73).
1887 wurde Hackenberg bei der Gründung des Evangelischen Bundes für die Rheinprovinz in den Vorstand gewählt. 1894 übernahm er den Vorsitz des mitgliederstärksten und einflussreichen rheinischen Hauptvereins. Darüber hinaus gehörte er dem Zentralvorstand des Gesamtbundes an. Der Evangelische Bund war die größte Interessenvertretung des Protestantismus im Kaiserreich. Der Bund setzte sich allem für die Wahrung der evangelischen Interessen gegenüber dem politischen Katholizismus ein. Als prominenter Redner des Vereins zog Hackenberg die Kritik ultramontaner Kreise auf sich. 1909 gab er das Amt als rheinischer Vorsitzender ab und wurde Ehrenvorsitzender. 1890 berief man Hackenberg in die Generalsynode der preußischen Landeskirche in Berlin. Schon bald gehörte er dem Vorstand an. Für seine Verdienste um die Reform der preußischen Agende wurde Hackenberg 1895 der Rote Adlerorden verliehen.
Die Wahl in den preußischen Landtag 1898 bedeutete für den rheinischen Pfarrer einen tiefen Einschnitt in seiner bisherigen Amtstätigkeit. Er war nun häufig zwischen Hottenbach und Berlin unterwegs. Die Gemeindearbeit musste er seinen Vikaren überlassen. Diese wurden als Hackenberg-Schule bezeichnet, weil sie tief von seiner Persönlichkeit und Lehrgabe geprägt waren. Hackenbergs Nominierung verlief jedoch alles andere als glatt: Der Wahlkreis Kreuznach-Simmern-Zell war eine Domäne der Nationalliberalen. Den Ton gab der Hunsrücker Bauernverein an, dem Hackenbergs Einsatz für die Interessen der Bauern aufgefallen war. Das stieß auf Widerstand der Kreuznacher Liberalen. Doch bei Hackenbergs Jungfernrede schlug das anfängliche Misstrauen in Begeisterung um.
Hackenberg wurde der Schulexperte und kulturpolitische Sprecher der Nationalliberalen Partei. Er setzte sich für die Verbesserung der Lehrergehälter ein. 1904 war er am Zustandekommen des Schulkompromisses zwischen Konservativen und Nationalliberalen beteiligt. Dadurch wurde die Schulunterhaltung neu geregelt, aber auch der Vorrang der Bekenntnisschule festgeschrieben, was manche liberale Parteifreunde Hackenberg übel nahmen. Auch zu kirchlichen Themen nahm er Stellung und trug mit einer viel beachteten Rede zur Freigabe der Feuerbestattung in Preußen bei. Schließlich trat er für die Erschließung des Hunsrücks durch den Bau von Eisenbahnen ein. Hackenbergs rhetorisch glänzende und humorvolle Reden gehörten zu den Höhepunkten im Reichstag. Seine vornehme Art und Menschlichkeit beeindruckten selbst den politischen Gegner: Hackenberg war der erste bürgerliche Politiker, dem der sozialdemokratische „Vorwärts“ einen ehrenden Nachruf widmete.
1905 wählte die rheinische Provinzialsynode Hackenberg zum Präses. Es war das höchste Wahlamt, das die rheinische Kirche zu vergeben hatte. Damit ging Hackenbergs Lebenswunsch in Erfüllung. Doch das Abstimmungsergebnis war enttäuschend. Der Fall des Kölner Pfarrers Carl Jatho (1851-1913) hatte seine Schatten vorausgeworfen. In der evangelischen Kirche standen sich Konservative und Liberale unversöhnlich gegenüber. Hackenberg gelang es zwar, die zerstrittenen Lager zu einen, doch bei der anschließenden Präseswahl kam es zum Eklat: Die Konservativen straften Hackenberg für seine vermittelnde Haltung im Fall Jatho ab. Der Fall Jatho überschattete Hackenbergs gesamte Amtszeit. 1911 wurde Jatho seines Amtes enthoben. Grundlage war das sogenannte Irrlehregesetz, an dem Hackenberg auf der Generalsynode selbst mitgearbeitet hatte. Hackenberg bedauerte diesen Schritt, hielt ihn aber zur Wahrung der kirchlichen Einheit für unumgänglich.
Hackenberg starb am Vorabend des Reformationstages, am 30.10.1912. Er wurde 60 Jahre alt. Die zahlreichen auswärtigen Verpflichtungen, die vielen Reisen und die schweren Zigarren verschlimmerten seine ererbte Herzschwäche. Seine Ehefrau war bereits 1910 gestorben. Für das kleine Hunsrückdorf war die Beerdigung des rheinischen Präses ein Jahrhundertereignis. Es wurden über 2.000 Trauergäste gezählt. Alles, was im Rheinland Rang und Namen hatte, war versammelt, um dem „Hochwaldkönig“, wie man Hackenberg ehrfurchtsvoll nannte, die letzte Ehre zu erweisen. Das schlichte Grab der Eheleute Hackenberg auf dem Dorffriedhof ist bis heute erhalten.
Auch Jahre nach Hackenbergs Tod war die Erinnerung an ihn ungebrochen. 1922 schrieb sein Nachfolger im Präsesamt, Walther Wolff (1870-1931), Hackenberg sei die bedeutendste Verkörperung des rheinischen Protestantismus gewesen, ein hervorragender Führer, umfassend gebildet, glänzend in Debatte und Verhandlungsführung. Wolff kam zu dem Schluss: Hackenberg „gehört zu den Namen, die im Rheinland nicht leicht vergessen werden und das Wesen des rheinischen Protestantismus in seinen Grundzügen und bestimmten Ausstrahlungen deutlich verkörpern.“
Nachlass
Hackenbergs Nachlass wird im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland aufbewahrt. Das dazu gehörige Findbuch ist online einsehbar. [Online]
Werke
Stellung und Bedeutung der Volksschule im Kulturleben der Gegenwart, Neuwied 1884.
Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch für Rheinland und Westfalen, Dortmund 1894.
Am heiligen Abend. Ein Weihnachtsspiel für große und kleine Kinder, Dortmund 1896.
Alte liebe Märchen und gute neue Mär. Noch ein Weihnachtsspiel, Dortmund 1909.
Literatur
Wolfes, Matthias, Hackenberg, Albert, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) 17 (2000), Sp. 551-553.
Zimmermann, Erik, Albert Hackenberg (1852-1912). Ein rheinischer Präses (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 170), Bonn 2006.
Zimmermann, Erik, Präses D. Albert Hackenberg (1852-1912) – Landpfarrer, Kirchenmann, Politiker, in: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 51 (2002), S. 273-296.
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Zimmermann, Erik, Albert Hackenberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/albert-hackenberg/DE-2086/lido/6124c0177a2764.73663455 (abgerufen am 19.08.2024)