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Von 1910 bis 1934 war der in Ostpommern geborene Dermatologe Erich Hoffmann an der Universität Bonn tätig, seit 1918 als Ordinarius. Er entdeckte mit Fritz Schaudinn (1871–1906) den Syphilis-Erreger. Als Deutschnationaler stand er trotz Führersehnsucht dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber und unterstützte mit Eva Glees (1909-2006) eine als Jüdin verfolgte Doktorandin. In der frühen Bundesrepublik schlug der oft wunderliche und sich als Poet empfindende Hoffmann den Text für eine neue Nationalhymne vor.
Am 25.4.1868 im ostpommerschen Witzmitz als Sohn von Paul Hoffmann und seiner Ehefrau Marie Wagenknecht geboren, lernte Hoffmann mit der Familie früh andere Teile Deutschlands kennen. Der Vater hatte als evangelischer Theologe seiner frommen Frau „viel Herzeleid“ bereitet und schließlich das Pfarrhaus verlassen, um an das Lehrerseminar in Neuwied zu wechseln. Weitere Stationen der Familie waren Altdöbern bei Cottbus und schließlich Berlin. So konnte der junge Erich wie sein Großvater und Vater ab der Obertertia das Joachimsthalsche Gymnasium besuchen, schloss es 1887 sehr gut, aber nicht wie seine unmittelbaren Vorfahren väterlicherseits als Primus omnium ab. Das Studium nahm er an der Militärärztlichen Akademie zu Berlin auf. Dabei wären Vorstellungen von strengem Drill verfehlt. Man studierte gemeinsam mit den zivilen Kommilitonen an der Universität, erhielt aber zusätzliche Repetitorien durch Stabsärzte. Hoffmann genoss das freie Studentenleben. Als Mitglied des Vertreter-Convents der Turnerschaften (V.C. Borussia) hielt Hoffmann mehr von sportlicher, insbesondere turnerischer Betätigung als von Mensuren und politisch dumpfen Bierabenden.
Hoffmann, der in Berlin die Koryphäen seiner Zeit, namentlich Rudolf Virchow (1821–1902), Robert Koch (1843–1910), Hermann von Helmholtz (1821–1894) und Emil Heinrich du Bois-Reymond (1818–1896) erlebte, wurde 1892 Unterarzt an der Charité und musste als Absolvent der Militärärztlichen Akademie im Jahr darauf seinen Dienst als Militärarzt antreten. So hatte er sich bis zur Jahrhundertwende mit durchaus unterschiedlichen Milieus und Landschaften vertraut machen können: Pommern und das Rheinland, Posen und Berlin, Wissenschaft und Militär; selbst die Hofgesellschaft war ihm nicht gänzlich fremd geblieben.
Um die Jahrhundertwende entschied sich Hoffmann für die Dermatologie. Er ließ sich zur Hautklinik der Charité abkommandieren und widmete sich der Suche nach den Syphiliserregern, die mit der Entdeckung blasser Spirochäten am 3.3.1905 zu ihrem erfolgreichen Ende kam. Hoffmann hatte bald einen großen Namen, widmete sich neuen Therapiemöglichkeiten bei Syphilis und konnte seinen frischen Ruhm auch international genießen – so auf einer Reise durch die USA 1907. Hier habe er seine Vorstellung von militärisch unbedeutenden Vereinigten Staaten korrigiert, schreibt Hoffmann vier Jahrzehnte später.
Hoffmanns weitere Karriere führte ihn zunächst nach Halle, bevor er 1910 die Bonner dermatologische Professur übernahm, die bislang der renommierte Josef Doutrelepont (1834–1918) eingenommen hatte. Hier entschloss er sich 1913 zur Ehe mit Antonie Brüggemann (1885-1963), der Tochter eines Gymnasialdirektors; die Ehe blieb kinderlos. An der nach seiner Einschätzung „ größten und besteingerichteten Hautkliniken Preußens“ setzte Hoffmann seinen wissenschaftlichen Erfolgsweg fort. In Kooperation mit Paul Ehrlich (1854-1915) trat er bei der Entwicklung von Chemotherapeutika gegen die Syphilis hervor, baute eine der bedeutendsten Sammlungen von Hauterkrankungen abbildenden Wachsmodellen (Moulagen) auf und erreichte 1918, dass die Hautklinik ein Ordinariat erhielt, das fortan von ihm bekleidet wurde. Auch die 1927 in Bonn abgehaltene Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft demonstrierte den Rang Hoffmanns.
Mit seinem in der Weimarer Republik erreichten wissenschaftlichen Ruhm ging eine charakterliche und politische Entwicklung einher, die spätestens nach 1945 dazu führte, dass Hoffmann als wunderlich belächelt wurde. Zeitweilig erfüllte Hoffmann die Klischeevorstellungen eines gegenüber dem Nationalsozialismus aufgeschlossen Deutschnationalen, etwa als „eifriger Förderer körperlicher Ertüchtigung im Sinne des Turnvaters Jahn“ (Hans-Paul Höpfner). Standesbewusst wies er darauf hin, dass nach seinen Erfahrungen „unter den Medizinern oft solche waren, die auch im Sport und Kriegsdienst Aussergewöhnliches geleistet haben“. Auf der Ehrentafel der Universität für die neun Toten des Krieges von 1870/1871 befänden sich drei Mediziner.
Schon als 1932 das 50-jährige Bestehen der Bonner Hautklinik gefeiert wurde, erreichte Hoffmanns Pathos einen ersten Höhepunkt. Er stellte die Gründung der Klinik in den Zusammenhang des 50-jährigen Jubiläums der Entdeckung des Tuberkelbazillus durch Robert Koch sowie den 100. Todestag Goethes (1749-1832). Beide erklärte er zu „Führern“: „Mögen Genien, wie Wolfgang von Goethe und Robert Koch, nicht nur aus zeitlicher Zufälligkeit, sondern auch aus geistiger Verwandtschaft den Aerzten und Forschern, die an unserer Klinik künftig arbeiten, Führer und Ansporner sein und bleiben in nimmer ruhendem Kampfe für die Gesundung der Menschheit und die Erhebung unseres jetzt noch so tief gebeugten Vaterlandes.“ Seine Festrede nutzte Hoffmann, um den Appell an den Nationalstolz international einzubetten. Zugleich verkündete er, dass Deutschland geniale Vorbilder brauche. Dazu zählte er Ludwig van Beethoven: „Gerade hier in Bonn haben wir ein leuchtendes Beispiel im größten Sohn unserer Stadt, Ludwig van Beethoven, der, obwohl aus der Enge geboren […] sich doch immer wieder emporrang zu höchsten unerreichten Kunstschöpfungen […]. Lassen Sie uns unserem großen genius darin folgen und, geduldig und voll Hoffnung auf eine bessere Zukunft, dem Druck und dem Grimme der Zeit trotzend, am Wiederaufstieg unseres Vaterlandes nicht verzweifeln und mutig voranschreiten.“
In einem heute nur mehr schwülstig anmutenden Tonfall, oft redundant, nicht selten dieselben Worte innerhalb weniger Sätze repetierend, legte Hoffmann seine Weltsicht dar. Emotionen, Lagebeurteilungen und politische Rezepte standen nebeneinander: die heiße Liebe zu Deutschland, die Not in Deutschland, das Ziel des Wiederaufstiegs, die Bedeutung der Einigkeit, der Vorbildcharakter von Genies, die Orientierung an der Wissenschaft mit ihren grenzüberschreitenden Kooperationen.
Hoffmann blickte auf zu weithin akzeptierten Autoritäten wie Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847–1934, Amtzeit als Reichspräsident 1925-1934), ohne dessen antidemokratische Wirkung seit 1930 wahrzunehmen. Ob Hoffmanns spätere Bekenntnisse, er habe zur Nationalliberalen Partei tendiert, glaubwürdig erscheinen, muss offen bleiben.
1931 veröffentlichte Hoffmann einen Gedichtband „Bunter Lieder loser Strauß“, der in schwachen lyrischen Versuchen einen naiven Nationalismus belegt, der mit seiner Führersehnsucht und Heilshoffnung bemerkenswert im Einklang steht mit vielen zeitgenössischen bürgerlichen Publikationen dieser Jahre: „Fremdlinge schalten am deutschen Rheine, / Und den Bürger regiert der Prolet, / O, Du Held meiner Träume, erscheine, / Daß Großdeutschland von neuem ersteht!“ Immer wieder preist er den individuellen Genius, wobei ihm Goethe genauso recht ist wie Gustav Stresemann (1878–1929). In Hoffmanns Lyrik finden sich auch Anklänge einer verbindenden Internationalität. In einem Aphorismus „Zur Internationalität der Wissenschaft“ erklärt er, Wissenschaft kennte keine Grenzen und dürfe sich „um der Vaterlandsliebe der Gelehrten willen nicht mit Stacheldrahtzäunen des Hasses abschließen“.
Sein literarisches Sendungsbewusstsein reicht so weit, dass er einigen seiner medizinischen Fachbücher eigene lyrische Versuche voranstellt, die den ärztlichen Beruf verherrlichen. Auf der Basis der in diesen Poemen zum Ausdruck gebrachten Überzeugungen und von Hoffmanns Neigung zur Personalisierung der Politik überrascht es nicht, dass er in Adolf Hitler zwar keinen Genius, aber doch einen unterstützenswerten Mann zu erkennen glaubte. Die Machtübertragung an Hitler sah er, wie die Mehrzahl seiner Zeitgenossen, nicht als Katastrophe an, sondern suchte sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren. In der Öffentlichkeit musste sogar der Eindruck entstehen, Hoffmann habe sich zum Nationalsozialisten gewandelt.
Am 4.3.1933 publizierte der Bonner General-Anzeiger unter der Überschrift „Für Adolf Hitler“ eine „Erklärung von Bonner Hochschullehrern“: „Wir unterzeichneten deutschen Universitäts- und Hochschullehrer erklären heute in aller Oeffentlichkeit, daß wir in der Machtübernahme Adolf Hitlers und dem Zusammenschluß der nationalen Kräfte, die am Wiederaufbau des deutschen Volkes mit tätig sein wollen, den richtigen Weg sehen, der ungeheuren Not und Verelendung des deutschen Volkes Einhalt zu gebieten. […] Wir erwarten zuversichtlich von der derzeitigen Reichsregierung unter Führung Adolf Hitlers die Gesundung unseres gesamten öffentlichen Lebens und damit die Rettung und den Wiederaufstieg Deutschlands und sind fest entschlossen, jeder an seinem Teil dafür zu wirken.“ Unter dem Datum des 20.2.1933 unterschrieben neben Erich Hoffmann 13 weitere Männer, wovon die Hälfte der Medizinischen Fakultät angehörte.
In seinen Memoiren von 1949 hat Hoffmann die Unterschrift mit Unbedachtheit und Eile zu erklären versucht. Doch das Signal von 1933 war nach außen mehr als deutlich. Die Unterzeichner waren fast ausschließlich Nationalsozialisten und eben nicht die tendenziell oppositionellen Bonner Instituts- und Klinikdirektoren wie Wilhelm Ceelen (1883–1964), Erich von Redwitz (1883–1964) oder Paul Martini. Zu Hoffmanns Erklärungsversuch passt, dass er selbst nie einer NSDAP-Formation beitrat. In den Akten ist lediglich verzeichnet, dass er der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt spendete. Hoffmann zog sich freilich auch nicht in die innere Emigration zurück. So ließ er sich im April 1933 zum Senator der Leopoldina bestimmen und blieb Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft. Im Juli 1933 warb er für die Hapag „arische“ Ärzte für Schiffsreisen.
Hoffmanns Grenzen der Anpassung waren erreicht, als er mit dem Nationalsozialismus den Weg für wissenschaftliche Inkompetenz geebnet sah. Er erhielt kaum verhüllte Drohungen, als er mit einem wissenschaftlichen Gutachten die Versorgungswünsche eines Syphilitikers konterkarierte, der offensichtlich meinte, über seine NSDAP-Parteifreunde Druck ausüben zu können. Zugleich nahm er mit Eva Glees eine jüdische Doktorandin auf, die zuvor vergeblich nach einem Doktorvater gesucht hatte.
Spätestens 1934 äußerte sich Hoffmann in seiner Klinik offen gegen die nationalsozialistische Politik. Nach Aussage des später mit Hoffmann verfeindeten Privatdozenten Carl Ludwig Karrenberg (1898-1950), riet Hoffmann jungen Ärzten immer wieder, sich „nicht allzu sehr zur NSDAP zu bekennen“. Hoffmann wurde zum Opfer seiner ungeschminkten Äußerungen. Der Vertrauensmann der NSDAP in der Medizinischen Fakultät und Mitinitiator des Aufrufs „Für Adolf Hitler“, Walter Blumenberg (1895-1968), erstellte mit Hoffmans Mitarbeitern, seinem Oberarzt Professor Rudolf Strempel (1893-1981) sowie den Privatdozenten Heinrich Klövekorn (geboren 1897) und dem erwähnten Karrenberg, ein Papier, in dem entsprechende Äußerungen Hoffmanns in direkter und indirekter Rede bezeugt wurden. Demnach habe Hoffmann „die Tüchtigkeit und die Fähigkeiten der Juden“ gelobt und „besonders auch ihren sportlichen Schneid“ hervorgehoben: „‚Dass sich doch kein Jude findet, der den Hitler mal abknallt; es gibt doch auch noch schneidige Juden‘!“ Die NS-Tracht herabsetzend habe Hoffmann gesagt: „Weisse Weste und Braunhemd stehen sich nun einmal gegenüber“. Als das Fahrzeug des Klinikdirektors „für die Fahrt der Kriegsbeschädigten“ angefordert worden sei, habe er an die Überlassung des Wagens die Bedingung geknüpft, keinen „Hakenkreuzwimpel“ anzubringen. „Vielfach“ hat sich dem Pamphlet zufolge Hoffmann „gegen die Massnahmen der Regierung betr. der Juden“ gerichtet. „Am Tage des Judenboykotts“, also am 1.4.1933, habe er „wüstes Geschimpfe“ vernehmen lassen und „häufig betont, wie tüchtig die Juden im Vergleich zu seinen Mitarbeitern wären“. Hoffmann zeige offen seine Abneigung gegen den Gruß „Heil Hitler“, das Tragen des Parteiabzeichens und der als „unhygienisch“ bezeichneten SA-Uniform.
Bereits bevor das Blumenberg-Papier kursierte, hatte sich Hoffmanns Position dramatisch verschlechtert. Dem Wissenschaftsminister war aus der Universitätsverwaltung Ende November 1933 mitgeteilt worden, dass eine weitere Zusammenarbeit von Hoffmann und seinen Mitarbeitern „schwer möglich“ sei. Hoffmann seinerseits agierte nicht geschickt, weil er in seinen Schreiben an das Ministerium immer wieder verletzte Eitelkeit erkennen ließ. Der Nationalsozialist Blumenberg setzte sich schließlich auf ganzer Linie durch und Hoffmann verlor den Glauben an die Universität. Am 22.8.1934 wurde er, zwei Jahre vor dem Erreichen des damals üblichen Emeritierungsalters, von seinen amtlichen Verpflichtungen entbunden. Immerhin dankte ihm der Vertreter des Ministers wie üblich für die „verdienstvolle akademische Wirksamkeit“.
Die Nationalsozialisten hatten ihr Ziel erreicht. Hoffmann war aus dem Lehrbetrieb entfernt, forschen konnte er nun „zum Wohle des Deutschen Reiches“ im Stillen. Der Vorstand der Stiftung Georg-Speyer-Haus in Frankfurt am Main berief ihn als auswärtiges Mitglied an das durch Paul Ehrlich berühmt gewordene Institut.
Nach der faktischen Entlassung Hoffmanns verschwand seine Person nicht aus dem Blickfeld von Partei, Ministerium, Universität und Fakultät. Letztere lehnte die Aufstellung einer von Hoffmanns Schülern zu stiftende Büste ab. Weitere von Hoffmann als Demütigungen empfundene Maßnahmen folgten: Ab 1938 durfte er nicht mehr ins Ausland reisen, die I.G. Farben stellte die Zusammenarbeit mit ihm ein.
Im selben Jahr sah sich Hoffmann gezwungen, die Herausgeberschaft der „Dermatologischen Zeitschrift“ abzugeben, da deren Verlag S. Karger in die Schweiz übergesiedelt war. Seine Kontakte zur Bonner Fakultät brach Hoffmann freilich nicht ab – zumal er kaum ahnen konnte, dass seine einstigen Kollegen auf jeden Hilfsversuch zu seinen Gunsten verzichteten. Er erhielt nach wie vor Geburtstagsglückwünsche, die er mit Dankgedichten beantwortete. Noch 1940, als er gegen den Entzug seines Reisepasses stritt, engagierte er sich für die Einrichtung einer Professur für Medizingeschichte, nicht ohne eigene Ambitionen. Der Pharmakologe Werner Schulemann (1888–1975) intervenierte als Dekan energisch und wies an, dass Erich Hoffmann „unter keinen Umständen […] jetzt oder später in irgendeiner Weise in Kontakt mit den Fragen der Geschichte der Medizin in der Universität Bonn kommt“. Hoffmann war isoliert.
Nach dem Ende des NS-Regimes stellte sich Hoffmann wie selbstverständlich als Opfer des „Dritten Reichs“ dar. Dieses Vorgehen fand keine Akzeptanz. Zwar waren jene früheren Mitarbeiter, die gegen ihn intrigiert hatten, von der Universität entfernt. Aber kaum Belastete wie Dekan Erich von Redwitz ließen ihn wissen, dass seine Unterstützung für die NSDAP nicht vergessen sei. Redwitz konnte sich der Zustimmung seiner Kollegen sicher sein, auch der von Hoffmanns Nachfolger auf dem Bonner Lehrstuhl für Dermatologie Otto Grütz (1886–1963). Daran änderte auch die Entnazifizierung Hoffmanns (Kategorie V) nichts. Die gespannte Situation wirkte über Jahre fort. Der Pharmakologe Werner Schulemann, selbst aufgrund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit gerade erst wieder für die Lehre zugelassen, weigerte sich im November 1950, an einer Sitzung Bonner Krebsforscher teilzunehmen, falls der auf Einladung drängende Hoffmann erscheine.
Außerhalb der Medizin demonstrierte Hoffmann unverdrossen sein Selbstbewusstsein. Offiziell ließ er den Rektor von seinem Textentwurf für die deutsche Nationalhymne wissen, in dem er „schweres Schicksal“, Zerrissenheit und Schmerz beklagte, während er zugleich kühne Väter, großes Erbe und vorbildliche Ahnen pries. Der zweite Band seiner Erinnerungen erschien 1949 und bot ihm das Forum, auf seine Erfahrungen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit zu reagieren. Sie zeigen neuerlich einen eitlen, immer wieder die Nation beschwörenden Autor, dessen Selbstbewusstsein sich nicht zuletzt in der regelmäßigen Verunglimpfung anderer ausdrückte. Den Tiefpunkt in der diffamierenden Abstrusität seines Weltbildes bietet zweifellos seine „Erklärung“ für die „abgründigen Massenmorde und infernalischen Quälereien“ der NS-Zeit: „Der Gedanke, daß solche perversen Verbrechen auf die widernatürliche homosexuelle Anlage, die im ursprünglichen Münchener Naziklub eine unselige Rolle spielte, zurückzuführen seien, hat sich mir aufgedrängt, da normal veranlagte Menschen doch kaum so unerhört entarten können.“
Am eigenen Berufsstand, der doch so vielfältig an den Verbrechen der NS-Zeit beteiligt war („Euthanasie“, Zwangssterilisationen und -abtreibungen, Zwangsarbeit, Menschenversuche, Selektion in den Vernichtungslagern), hegte Hoffmann auch 1949 keinerlei Zweifel. Zwischen seinen Klagen über den vergangenen Krieg findet sich nach einer Würdigung von Hippokrates, Herophilos und Paracelsus ein Loblied auf „die Hilfe, welche der Arzt tagtäglich leistet“ und die „Heilerfolge, die sein unermüdliches Streben hinterläßt“.
Hoffmann erhielt 1953 das Große Bundesverdienstkreuz. Als er am 8.5.1959 in Bonn 91-jährig starb, stand er exemplarisch für den Typus eines im Kaiserreich erzogenen Mitglieds der medizinischen Funktionselite, bei dem sich wissenschaftliche Exzellenz mit einem naiven politischen Nationalismus verbanden. Sie suchte ihr Heil im Geniekult mit latentem Führerverlangen. Es war die Tradition und Kontinuität dieses Eliten-Nationalismus, die entscheidend zur Machteroberung und Stabilisierung des Nationalsozialismus beitrug, von dessen Dynamik sie oft gleichermaßen fasziniert wie erschreckt waren.
Im Bonner Stadtteil Endenich erinnert heute eine Straße an Erich Hoffmann. Seine 1910 begründete Moulagensammlung ist erhalten und kann in der Bonner Hautklinik besichtigt werden.
Werke (Auswahl)
Ätiologie der Syphilis, Berlin 1906.
Atlas der ätiologischen und experimentellen Syphilisforschung, Berlin 1908.
Fortschritte in der Erkennung und Behandlung der Syphilis: Dauererfolge d. kombinierten Quecksilber-Salvarsanbehandlung, Bonn 1913.
Die Behandlung der Haut- und Geschlechts-Krankheiten mit kurzer Diagnostik, Berlin 1917, 10. Auflage Berlin 1948.
Joseph Doutrelepont †, in: Dermatologische Zeitschrift 25 (1918), S. 397–300.
Vorträge und Urkunden zur 25jährigen Wiederkehr der Entdeckung des Syphiliserregers (Spirochaeta pallida), Berlin 1930.
Bunter Lieder loser Strauß, Bonn 1931.
Zum 50-jährigen Bestehen der Hautklinik der Universität Bonn. Gedenkvorlesung zur Erinnerung an ihre Begründer, die Professoren Wilhelm Busch und Joseph Doutrelepont, Bonn 1932.
Die angeborene Syphilis im Lichte 30jähriger Spirochäten- und 25jährigen Salvarsanforschung, Berlin/Leipzig 1936.
Lebenserinnerungen aus einer Wendezeit der Heilkunde, 2 Bände, Hannover 1948-1949.
Zur Geschichte der Behandlung der Syphilis, in: Neue medizinische Welt 1 (1950), S. 137–140.
Literatur
Forsbach, Ralf, Die Medizinische Universität Bonn im „Dritten Reich“, München 2006.
Forsbach, Ralf, Erich Hoffmann. Ein arrivierter Dermatologie und dilettierender Dichter als Repräsentant medizinischer Funktionseliten vom Kaiserreich zur Bundesrepublik, in: Brechtken, Magnus (Hg.), Life Writing an Political Memoir –Lebenszeugnisse und Politische Memoiren, Göttingen 2012, S. 107-125.
Höpfner, Hans-Paul, Die Universität Bonn im Dritten Reich. Akademische Biographien unter nationalsozialistischer Herrschaft, Bonn 1999.
Schreus, Hans Theodor, Erich Hoffmann 1868–1959, in: Steudel, Johannes /Mani, Nikolaus (Hg.), Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Medizin, Bonn 1992, S. 369–374.
Online
Zoske, Horst, „Hoffmann, Erich“, in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 406-407 [Onlinefassung].
Zur Moulagensammlung.
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Forsbach, Ralf, Erich Hoffmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/erich-hoffmann/DE-2086/lido/57c83127431d44.43195770 (abgerufen am 19.08.2024)