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In der Renaissance begann sich nicht nur die akademische Lehre radikal zu wandeln; es entwickelte sich erstmals auch eine Form der Selbstwahrnehmung und Reflexion des Gelehrtentums, die man viel später als Wissenschaftsgeschichte bezeichnen kann und die jenseits der fachlichen Inhalte die Rolle der Wissenschaft in Politik, Wirtschaft Kultur und Gesellschaft beschreibt. Ein frühes Werk, „De celebrioribus universi ordinis academiis”, stammt von dem niederländischen Gelehrten Jakob Middendorp, der es in Köln zweimal zu höchsten politischen wie auch wissenschaftlichen Ehren brachte, als vermeintlicher Gefolgsmann des reformatorischen Umstürzlers Gebhard von Waldburg (1547-1601) jedoch lange Zeit verfemt und vergessen wurde.
Obwohl Middendorp sich als Verfasser seines akademischen Werks den Beinamen „Otmersensis“ gab und die ältere Forschung daher seinen Geburtsort in Ootmarsum sah, ist es wahrscheinlicher, dass er 1537 im weiter südlich gelegenen Oldenzaal geboren wurde. Über seine Familie ist nichts weiter bekannt, sie muss allerdings in der Lage gewesen sein, ihm eine klassische universitäre Ausbildung zu ermöglichen, die er an der Lateinschule der Brüder vom gemeinsamen Leben in Zwolle begann.
Die Region Twente und insbesondere Oldenzaal gehörten zu den wenigen Gegenden im heutigen deutsch-niederländischen Grenzgebiet, die nach der Reformation katholisch geblieben waren und erst zu Anfang des 17. Jahrhunderts durch die Truppen der Vereinigten Niederlande unterworfen und reformiert wurden. Gerade Oldenzaal, das es als Hansestadt zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte, zählte mit seinen vielen Klöstern und Kirchen zu einem religiösen Zentrum der Region. Auch Zwolle, Middendorps Studienort, galt bis zu seiner Eroberung durch Wilhelm IV. von Berg (1537-1586) im Jahr 1572 neben Deventer als kulturell-intellektueller Nukleus der Niederlande mit starker Affinität zur humanistischen Lehre. Man darf annehmen, dass diese Mischung aus eindeutig altgläubiger Verwurzelung, praktischer Frömmigkeit und geistiger Libertät Middendorp, der in Zwolle das philosophische Grundstudium durchlief, geprägt haben wird.
Wann und warum er – wie übrigens nicht wenige seiner Landsleute – seine Heimat Richtung Köln verließ, ist unbekannt; möglicherweise gab es einen zumindest zeitlichen Zusammenhang mit der Eroberung Zwolles. Die Kölner Universität war jedenfalls im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts nicht die erste Wahl für junge Gelehrte und musste in dieser Zeit nach den vorangegangenen Affären etwa um die Dunkelmännerbriefe und die konfessionelle Auseinandersetzung mit dem Erzbischof Hermann von Wied den Tiefstand ihrer Studentenzahlen verzeichnen. Middendorp führte sein Studium in Köln zu Ende und promovierte sich 1582 sowohl in der Philosophie als auch in beiden Rechten, nachdem er bereits im Jahr 1571 das theologische Lizenziat erworben hatte.
Im Anschluss daran war Middendorp an der Montanerburse, einem der drei Gymnasien der Kölner Artistenfakultät, tätig und lehrte dort vorwiegend antike Philosophie. Außerdem war er als Justiziar für einige Stiftskapitel tätig, die er in mehreren Gerichtsprozessen anwaltlich vertrat. Zur finanziellen Absicherung hatte er ein Kanonikat an der Stiftskirche St. Maria ad gradus, deren Kapitel er bereits seit 1580 in der Nachfolge Gottfried Groppers seit 1580 vorstand. Im gleichen Jahr übernahm er erstmals das Rektorat der Universität und erreichte damit den ersten Höhepunkt seiner Karriere, die durch seine enge Verbindung zum Erzbischof Gebhard Truchsess von Waldburg jäh unterbrochen wurde.
Gebhard war als Nachfolger Salentins von Isenburg gleichermaßen als Garant der zumindest formalen Katholizität des Domkapitels und als Kompromisskandidat gegen Ernst von Bayern (1554-1612) gewählt worden, der das Wittelsbachische Herrschaftsstreben im Nordwesten des Reiches festigen sollte. Noch als Gebhard einfacher Domherr in Köln gewesen war, muss zwischen ihm und dem zehn Jahre älteren Gelehrten ein freundschaftliches Verhältnis bestanden haben; so widmete Middendorp Gebhard schon im Jahr 1567 die erste Ausgabe seines später vielfach erweiterten und berühmten Werks über die Geschichte der Universitäten der Welt. Später war Middendorp in Gebhards Gefolgschaft zum kurfürstlichen Rat aufgestiegen und hatte auch eines der begehrten Priesterkanonikate am Dom erhalten, wobei ein Sohn des Bürgermeisters Konstantin Lyskirchen (gest. 1581) zurückstehen musste. Das einst gute Verhältnis zum Rat, den Middendorp unter anderem bei einer diplomatischen Mission zum Herzog von Alba (1507-1582), dem spanischen Statthalter in den Niederlanden, vertreten hatte, war damit nachhaltig gestört.
Anders als die anderen Priesterkanoniker, die als Pfarrer oder Universitätsgelehrte einen starken Rückhalt in der Stadt hatten, war Middendorp damit ganz vom Erzbischof abhängig. Als Gebhard die Konfession wechselte, um heiraten zu können, und das Erzstift damit in den so genannten Truchsessischen Krieg stürzte, musste deshalb auch Middendorp Köln verlassen und ging dabei den meisten seiner Pfründen verlustig. Die ausgesprochene Exkommunikation ließ sich allerdings nicht aufrechterhalten, da die theologische Kompetenz Middendorps und auch seine Altgläubigkeit letztlich unstrittig waren.
Dennoch benötigte er für seine Rehabilitation, um die er sich an der Rota romana intensiv bemühte, mehr als ein Jahrzehnt, das er überwiegend in Westfalen verbracht zu haben scheint, insbesondere wohl in Soest, wo er Dekan des St.-Patroklus-Stiftes wurde. Dass er in der protestantischen Stadt einen akademischen Lehrauftrag gehabt hätte, erscheint indes höchst zweifelhaft, auch wenn die ältere Forschung es andeutet.
Offenbar seit dem Jahreswechsel 1596/97 hielt Middendorp sich wieder ständig in Köln auf. Das Stiftskapitel von St. Andreas wählte ihn zum Dekan, im Jahr 1601 kehrte er in den Kreis der Domkapitulare zurück. Schließlich nahm er auch seine Tätigkeit an der Universität zu Köln wieder auf, deren Rektorat er von 1602 bis 1604 erneut übernahm. Während seiner zweiten Karriere achtete Middendorp jedoch streng darauf, sich nicht mehr für politische Zwecke vereinnahmen zu lassen. Dementsprechend weigerte er sich, im vom Koadjutor Ferdinand von Bayern (1577-1650) eingerichteten Kirchenrat mitzuarbeiten, in dem er – berechtigterweise – den Versuch der obrigkeitlichen Beeinflussung kircheninterner Abläufe sah, ein für das Zeitalter der konfessionellen Durchdringung der Lebenswelten typischer Prozess. Dementsprechend unwahrscheinlich ist auch eine Berufung zum kurkölnischen Vizekanzler, die sich in der Literatur hartnäckig findet, tatsächlich allerdings auf eine Verwechslung mit der Prokanzlerschaft an der Universität zurückzugehen scheint.
Jakob Middendorp starb am 13. Januar 1611. Für Mitglieder seiner Familie hinterließ er der Montanerburse, der er zeitlebens verbunden geblieben war, eine Stiftung. Bestattet wurde er in St. Andreas; sein Grabdenkmal soll monumental gewesen und ihn als einen der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit ausgewiesen haben. Sicherlich darf Middendorp als Vertreter, wenn nicht Prototyp des barocken Universalgelehrtentums gelten, das die Wissenschaft auch immer im gesamtgesellschaftlichen Kontext sah und damit der Aufklärung den Weg zu bereiten half.
Werke (Auswahl)
De celebrioribus universi ordinis academiis libri duo, Köln 1567-1572.
De officiis scholasticis, libri duo: prior de magistrorum, alter de auditorum officiis, Köln 1570.
Academiarum celebrium universi terrarum orbis libri trez, nunc recens per ipsum authorem quarti libri accessione locupletati, Köln 1574.
Aristeae Historia versae per LXX Interpretes Scripturae Sacrae, ex mss. codicibus Graecis et Latinis restituta, et commentario illustrate, Köln 1578.
Academiarum celebrium Universi Terrarum orbis libri octo locupletati, Köln 1602.
Imperatorum, Regum et Principum, clarissimorumque virorum Quaestiones Theologicae, Juridicae et Politicae, cum pulcherrimis Responsionibus: selectae, et ex mss. Codicibus emendatae, atque commentariis sic illustratae, ut non modo ad besne jucunde, prudenter, beateque nondum, sed ad capissendam et feliciter administrandam Rempublicam, omnibus haud medioriter sint profnturae, Köln 1603.
Historia Monastica, quae religiosae et solitariae vitae originem, progressiones, inerementa et naturam ex scripturâ sacrâ, ex Pontificio et Caesareo jure, ex antiquissimis historiis, ex veterum Patrum, atque Jurisconsultorum scriplis demonstrate, Köln 1603.
Literatur
Benz, Stefan, Jakob Middendorp und die Anfänge der Wissenschaftsgeschichte in Köln, in: Geschichte in Köln 49 (2002), S. 105-130.
Fellmann, Dorothea, Das Gymnasium Montanum in Köln 1550-1798, Köln 1999.
Werhahn, Franz, Jacob Middendorp als Pädagoge (1537-1611). Ein Beitrag zur Geschichte der Pädagogik des 16. Jahrhunderts, Diss. Würzburg 1919.
Online
Merlo, Johann Jakob, Artikel „Jacob Middendorp”, in: ADB 21 (1885), 711. [Online]
Van der Aa, A. J., Jacob van Middendorp, in: Biographisch woordenboek der Nederlanden. Deel 12. Tweede stuk. J.J. van Brederode, Haarlem 1869. [Online]
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Bock, Martin, Jakob Middendorp, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/jakob-middendorp/DE-2086/lido/61ee5d0519ad04.90660063 (abgerufen am 19.08.2024)