Zu den Kapiteln
Die Ernennung Johannes Joseph van der Veldens zum Bischof von Aachen durch Papst Pius XII. (Pontifikat 1939-1958) am 7.9.1943 wurde in der Öffentlichkeit als Überraschung empfunden. Sechs Jahre zuvor war der vom Aachener Domkapitel gewählte Kevelaerer Dechant Wilhelm Holtmann (1882-1949) vom nationalsozialistischen Reichskirchenminister abgelehnt worden. Rom hatte stattdessen nach dem Tod des Bischofs Joseph Vogt Weihbischof Hermann-Joseph Sträter zum Apostolischen Administrator mit allen Rechten eines Diözesanbischofs ernannt. Diesmal blieben Komplikationen aus. Dabei war Johannes Joseph van der Velden 1933 von der Gestapo zeitweise unter Hausarrest gestellt und danach überwacht worden. Ferner hatte ihm bis 1935 ein politischer Prozess gedroht.
Nach seiner Bischofweihe durch den Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings am 10.10.1943 stand er an der Spitze einer Diözese, deren große Städte wie Mönchengladbach, Krefeld und Aachen bereits erhebliche Kriegszerstörungen aufwiesen. Kaum mehr als ein Jahr später besetzten US-amerikanische Truppen seine Bischofsstadt. Seine Hauptaufgabe bestand nun darin, in seiner Diözese, die von starken Kriegszerstörungen gezeichnet war, das innere religiöse Leben angesichts einer ebenso materiellen wie geistlichen Not zu beleben und zu stärken. Diese Aufgabe übernahm er mit der ihm eigenen Schaffenskraft und verstand es, die Herzen der Menschen zu gewinnen. Im Gedächtnis vieler blieb er als eine „großzügige Gestalt, um die sich viele beinahe ans Despektierliche grenzende Anekdoten ranken" (Josef Schreier).
Geboren wurde Johannes Joseph van der Velden, der erst als Aachener Bischof den weiteren Vornamen Johannes führte, am 7.8.1891 in Übach (heute Stadt Übach-Palenberg) als ältestes von acht Kindern. Sein Vater Leonhard war Zollbeamter und stammte aus dem Geldrischen, seine Mutter Anna Katharina geborene Stürtz aus Übach. Bedingt durch den Beruf des Vaters musste er oft die Schule wechseln, was aber dem begabten Jungen nicht weiter schadete, sodass er 1911 als bester seiner Klasse das Abitur in Euskirchen bestand. Er studierte Theologie in Bonn, bezog das Priesterseminar in Köln und wurde 1915 zum Priester geweiht. Es folgten Kaplansjahre in Frielingsdorf (Gemeinde Lindlar) und an St. Bonifatius in Mönchengladbach. 1920 wurde er zum ersten Rektor der Franziskusgemeinde in Geneicken-Bonnenbroich (heute Stadt Mönchengladbach) berufen. 1926 übernahm er die Stelle des Generalsekretärs des Franziskus-Xaverius-Vereins in Aachen. Er verstand es, die finanziellen Probleme dieses Missionsvereins zu lösen, richtete erstmals ein Pressereferat ein und stellte eine Missionsausstellung zusammen, die in vielen deutschen Städten gezeigt wurde. Ein eurozentrisches Denken in der Mission lehnte er ab und schloss sich Papst Pius XI. (Pontifikat 1922-1939) an, der „ein Vorrecht der weißen Rasse" in der Kirche verwarf. Außerdem wandte er sich gegen das Zerrbild der Mission, das durch die „Opferbüchse mit dem nickenden Negerknaben" Gestalt annahm.
Ebenso zeigte er sich seiner Zeit voraus, als er 1928 bemerkte, die Kirche sei keine „Klerikerkirche, sondern eine Volkskirche". Darunter verstand er „eine Gemeinschaft von Gliedern, die sich jeder für sich und alle für alle ihres Lebens erfreuen dürften." Damit klingt hier bereits die spätere Communio-Theologie des Zweiten Vatikanums an.
Als guter Organisator und ausgerüstet mit natürlicher Autorität sowie dem Gespür für das augenblicklich Richtige, erwarb er sich einen ausgezeichneten Ruf im deutschen Katholizismus. So wurde der „Volksverein für das katholische Deutschland" auf ihn aufmerksam, der in einer tiefen ideellen wie finanziellen Krise steckte und ihn zum Generaldirektor berief. Eigentlich wollte van der Velden ablehnen, da er sich außerstande sah, „jahrelang diese ungeheure Last" zu tragen. Der ehemalige Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns scheint ihn überredet zu haben, dennoch ja zu sagen.
Als Generaldirektor sah sich Johannes Joseph van der Velden herausgefordert, „zur Klärung der Geister" beizutragen und aktuelle religiöse, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Fragen zu beantworten. Dazu wollte er die staatsbürgerliche Bildungsarbeit des Volksvereins verstärken und „die Auseinandersetzung mit den Gegnern von Religion und Kirche" aufnehmen. Viel konnte er nicht mehr bewirken. Aber immerhin erlangte der zu seiner Zeit 1930 zusammengerufene „Königswinterer Kreis", in dem sich herausragende Köpfe der Christlichen Soziallehre trafen, besondere Bedeutung. Er beeinflusste, ohne es zu wissen, das päpstliche Sozialenzyklika „Quadragesimo anno" aus dem Jahr 1931.
Von seiner Ablehnung der Nationalsozialisten hat van der Velden nie einen Hehl gemacht. In einem Flugblatt des Volksvereins von September 1930 hieß es unmissverständlich: „Nur wer den Verstand verloren hat, kann als Katholik Nationalsozialist sein!" Ein anderes Flugblatt erwähnte den Hass, den die Nationalsozialisten gegen die Juden schürten und geißelte den „Rassengedanken". Mit Vertretern anderer katholischer Verbände unterschrieb Johannes Joseph van der Velden vor den Märzwahlen 1933 einen Aufruf, den die Nationalsozialisten als Kampfansage deuteten. Die Antwort kam am 1. Juli des Jahres: Das Haus des Volksvereins in Mönchengladbach wurde durch Polizei besetzt, van der Velden und weitere sieben Personen unter Hausarrest gestellt. Da er kurz vor der Hausdurchsuchung Schriftgut des Volksvereins hatte verstecken lassen, wurde er nach dessen Verbleib gefragt und als er nicht antworten wollte, geschlagen, wodurch seitdem seine Sehkraft auf dem linken Auge beeinträchtigt war. Am 21.7.1933 löste sich der Volksverein auf. Die Anklage in einem gegen van der Velden und andere geplanten Schauprozess wurde am 2.1.1935 fallen gelassen.
Van der Velden wirkte nach dem Untergang des Volksvereins bis 1938 als Vizepräsident des Geistlichen Werks der Glaubensverbreitung und wurde danach Regens des Aachener Priesterseminars. Dann erfolgte 1943 die Übernahme des Bischofsamts. Als Wahlspruch wählte er: „In cruce salus est" (Im Kreuz ist Heil). Damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass die Last des Kreuzes zum Segen werde. In seinem Wappen führte er außer dem Kreuz einen Pflug, der an seinen Familiennamen erinnerte (= von dem Felde), ferner an seine bäuerlichen Vorfahren und seine Berufung zum „Pflüger Gottes".
Als am 12.9.1944 Aachen geräumt werden sollte, ignorierte der Bischof aus Sorge um die Alten, Kranken und Krankenschwestern, die in der Stadt geblieben waren, den Räumungsbefehl und versteckte sich. Außerdem hatten Leute aus dem Widerstand ihn gebeten zu bleiben, und die deutschen Bischöfe waren übereingekommen, ihre Bischofstädte nicht zu verlassen.
Bei dem ersten Gespräch, das er am 20.10.1944 mit einem amerikanischen Sergeanten nach der Besetzung Aachens führte, ließ der Bischof ihn wissen, dass es seine Aufgabe sei „seinen Leuten zu helfen." In der Unterredung wogte „Rationales und Emotionales streckenweise heftig durcheinander" (Ludwig Volk). Ob van der Velden etwas über die Schuld und Mitschuld der Deutschen an der Entstehung des verbrecherischen nationalsozialistischen Systems geäußert hat, erfahren wir nicht. Konkreter wurde der Bischof in einem Interview, das Saul K. Padover (1905-1981) von der Psychological Warfare Division im Januar 1945 mit ihm führte. Darin gab er zu, dass die Kirche versagt habe. Auf die Frage, warum es in Deutschland an mutigen Menschen gefehlt habe, antwortete er: "Die Kirche wollte keine Märtyrer." Das hatten die deutschen Bischöfe so miteinander abgesprochen. Für van der Velden stand fest: „Wir sind weithin schuld an unserem Elend." So formulierte er es 1947 in seinem Fastenhirtenbrief.
Beim Wiederaufbau hat van der Velden die Kirchengemeinden ermuntert, ihre zerstörten Kirchen wieder zu errichten und dabei auch moderne Lösungen zu wählen. Kühne Vorschläge hat er mit Heiterkeit und Schalkhaftigkeit durchzusetzen gewusst. Seine musische Begabung leitete ihn, Gutes von weniger Gutem zu unterscheiden. Neben dem äußeren Wiederaufbau widmete er sich ebenso intensiv dem inneren beziehungsweise geistlichen. In einer einfachen Sprache nannte er in den ersten Nachkriegsjahren ganz konkret seine Sorgen und verurteilte Schwarzhandel, Schiebergeschäfte, Preistreiberei, Lieblosigkeit und Selbstsucht. Er wies auf das Schicksal der Kriegsgefangenen, der Flüchtlinge und hungernden Städter hin. Er setzte sich für den Erhalt der christlichen Familie und der Konfessionsschule ein. Besonders förderte er den Siedlungsbau. Aus der Tagespolitik hielt er sich bewusst heraus. Nur einmal wich er davon ab und wandte sich gegen Gebietsabtretungen an die Niederlande.
Mit Elan förderte er in Tradition des Volksvereins für das katholische Deutschland die Erwachsenenbildung und gründete 1953 das „August-Pieper-Haus".
Johannes Joseph van der Velden, der an Diabetes litt, starb auf einer seiner zahlreichen Visitationsreisen am 19.5.1954 in Krefeld. Kurz zuvor hatte er die erste Aachener Synode einberufen, die sich im Hinblick auf den wirtschaftlich-sozialen Wandel mit neuen Seelsorgemethoden befassen sollte. Als „guter Hirt" bliebt er in Erinnerung.
Quellen
Ein größerer schriftlicher Nachlass ist nicht vorhanden. Seine bischöflichen Verlautbarungen sind im Kirchlichen Anzeiger für das Bistum Aachen und teilweise in der Kirchenzeitung für das Bistum Aachen veröffentlicht (Schoelen, Georg, Bibliographisch-historisches Handbuch des Volksvereins für das Bistum Aachen, Mainz 1982, S. 543-545).
Literatur
Brecher, August, Bischof mitten im Volk, Aachen 1992.
Gatz, Erwin, Velden, Johannes Joseph van der (1891-1954), in: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder, Band 1, Berlin 1983, S. 771-774.
Henke, Klaus-Dietmar, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1996, S. 271-273.
Jörissen, Regina, Johannes Joseph van der Velden, Essen 1962.
Klein, Gotthard, Der Volksverein für das katholische Deutschland 1890-1933. Geschichte, Bedeutung, Untergang, Paderborn u.a. 1996, insbesondere S. 297-386.
Lingen, Markus, „Velden, Johannes van der", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 17 (200), Sp. 1457-1464.
Löhr, Wolfgang, Bischof Johannes Joseph van der Velden und die Schulfrage nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Geschichte im Bistum Aachen 7 (2004), S. 247-257.
Löhr, Wolfgang, Der Volksverein für das katholische Deutschland, Mönchengladbach 2009.
Löhr, Wolfgang, Johannes Joseph van der Velden, in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, Band 6, Mainz 1984, S. 76-87, 269.
Schreier, Josef, Johannes Joseph van der Velden, in: Schein, Karl (Hg.), Christen zwischen Niederrhein und Eifel, Band 3, Aachen/Mönchengladbach 1993, S. 157-170.
Volk, Ludwig, Ausblick auf Trümmern. US-Protokoll über eine Befragung des Bischofs Johannes Joseph van der Velden nach der Einnahme Aachens im Oktober 1944, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 88/89 (1982), S. 205-214.
Wolff, Wolfgang (Hg.), Johannes Joseph van der Velden, Mönchengladbach 1991.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Löhr, Wolfgang, Johannes Joseph van der Velden, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johannes-joseph-van-der-velden/DE-2086/lido/57c937dc8d06b7.19581415 (abgerufen am 19.08.2024)