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Joseph Maria Piel war ein deutscher Allgemeinromanist, mit dem Schwerpunkt Portugiesische Philologie und Sprachwissenschaft. Als Schüler von Wilhelm Meyer-Lübke (1861−1936) war er ein prominenter Vertreter der „klassischen“, historisch ausgerichteten deutschen Romanistik. Durch seine Verbundenheit mit Portugal und Forschungsschwerpunkten in der Namenforschung und den germanisch-romanischen Sprachbeziehungen galt er insbesondere in diesen Bereichen als international hoch angesehene Autorität.
Geboren am 8.6.1903 in Mörchingen (Elsass-Lothringen) verbrachte er nach dem Umzug der Familie nach Trier seine Kindheit und Jugend in Deutschland ältester Stadt. Hier besuchte er das angesehene klassische Friedrich-Wilhelm-Gymnasium (an dem schon Karl Marx studiert hatte), mit Schulkameraden wie dem späteren Trierer Bischof Bernhard Stein (1904−1993, Episkopat 1967−1980). An den Universitäten Freiburg, Berlin und Bonn studierte er Kunstgeschichte, Germanische und insbesondere Romanische Philologie. Am 10.11.1929 wurde er an der Universität Bonn unter Wilhelm Meyer-Lübke mit der Arbeit „Die Mundarten von Cortisols bei Chalon s. M.“ zum Dr. phil. promoviert. Seit 1926 lebte er bereits in der altehrwürdigen portugiesischen Universitätsstadt Coimbra, wohin er seinen Doktorvater begleitet hatte. Seinen Lebensunterhalt garantierte ihm ein Stipendium der damaligen Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft und verschiedene Lehrtätigkeiten (Latein, Französisch, Deutsch, Kurse am Colégio Camões und im Instituto Alemão). Am 14.2.1928 wurde er zum Assistenten der Abteilung Philologie der Faculdade de Letras der Universität Coimbra ernannt. Hier unterrichtete er verschiedene Disziplinen, von der Paläographie über die Vergleichende Grammatik der germanischen Sprachen bis zur Spanischen Literatur.
In dieser Phase entdeckte er Portugal. Von besonderer Bedeutung war seine große dialektologische und geographische Exkursion, zusammen mit Virgílio Taborda (1906-1936), in die Region Miranda. Sowohl seine erste Untersuchung über ein portugiesisches Thema („Observações acêrca do vocalismo mirandês“, 1930) wie seine letzte Publikation (1993) sind diesem Themenbereich gewidmet. Ein fernes Echo war auch der Preis der Alfred Toepfer FVS-Stiftung (Hamburg) an die mirandesischen „Pauliteiros“, die er seinerzeit als Juri-Mitglied vorgeschlagen hatte.
Ab 1936 vertrat er den Lehrstuhl für Romanische Philologie, der nach dem Tode von Carolina Michaëlis de Vasconcellos (1851−1925) vakant war. Vom 10.3.1939 bis zum 16.10.1954 versah er diese bedeutende Professur als Ordentlicher Professor. In der Kriegs- und ersten Nachkriegsphase war Coimbra Zufluchtsort zahlreicher deutscher Gelehrter. Inzwischen hatte Piel allerdings die Professur für Romanische Philologie (Sprachwissenschaft) an der Universität zu Köln übernommen. Hier wirkte er von 1953 bis zu seiner Emeritierung 1968 neben berühmten Kollegen von Fritz Schalk (1902−1980) bis Harald Weinrich (1927-2022).
In 60 Jahren Lehrtätigkeit prägte (oder beeinflusste) Piel Generationen von deutschen und portugiesischen Sprachwissenschaftlern. Praktisch alle Doktoranden des Romanischen Seminars der Universität zu Köln der Nachkriegszeit können sich auf ihn berufen. Zusammen mit Fritz Schalk bildete er die manchmal so genannte „Kölner Schule“, ohne dass von einer Doktrin zu sprechen wäre − dazu war Piel zu bescheiden.
Die Kontakte mit Portugal und der lusophonen Welt wurden daneben nie unterbrochen. Er war Gastprofessor in Salvador de Bahia und Brasília ebenso wie an der Faculdade de Letras der Universität Lissabon. Das Casal do Chafariz (Portugal) mit dem kleinen Arbeitsraum („Alfaqueque“) in Penedo de Colares dienten Piel als Rückzugsort, in Lissabon hatte er eine Zweitwohnung. Nach seiner Emeritierung kehrte er nach Portugal zurück, den Sommer verbrachte er in Penedo, den Winter in Lissabon, später dann in Trier.
1974 wurde er zum Professor mit Sonderstatus der Faculdade de Letras der Universität Lissabon ernannt; dieses Amt übte er bis 1979 aus. Am 15.6.1974 wurde er zum Honorarprofessor der jungen Universität Trier ernannt. Am 15.4.1951 wurde er mit dem Dr. honoris causa der Universität Coimbra geehrt. Er war Mitglied des Institvtvm Conimbrigense und des historischen Militärordens Santiago da Espada. Als Ehrenmitgied der Real Academia Galega erhielt er 1979 den Ehrendoktor der Universität Santiago de Compostela. Es folgte 1981 die Ehrenpromotion der Universität Lissabon. Bereits 1980 war er als Ehrenmitglied in die Academia Portuguesa da História aufgenommen worden, 1984 als Korrespondierendes Mitglied der Academia das Ciências Lisboa.
Am 28.5.1992 starb Piel in seinem Elternhaus in Trier und fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Sankt Paulin. Er hinterließ seine Witwe Traute Piel und die gemeinsamen Söhne Peter, Klaus und Stefan.
Das umfangreiche wissenschaftliche Werk von Joseph M. Piel wurde mehrfach gewürdigt, unter anderem in drei Festschriften. Kennzeichnend ist die „kurze Form“, große Abhandlungen hat er von Ausnahmen abgesehen nicht veröffentlicht. Hier ähnelt er ein wenig seinem Bonner Kollegen und wissenschaftlichen „Widersacher“ Harri Meier (1905−1990), mit dem er ursprünglich das grundlegende Werk „Romanisches etymologisches Wörterbuch“ (REW) von Wilhelm Meyer-Lübke neu herausgeben wollte.
Seine Buchpublikationen sind gesuchte philologische Editionen wichtiger mittelalterlicher literarischer Texte. Ebenfalls in Buchform wurden zahlreiche etymologische „Miszellen“ zusammengefasst, desgleichen seine Untersuchungen zu Personen- und Ortsnamen vor allem germanischer Herkunft der Iberischen Halbinsel. Hiermit sind die Schwerpunkte des umfangreichen wissenschaftlichen Schaffens bereits zusammengefasst. Das Werkverzeichnis umfasst über 220 Titel, im Nachlass fand sich noch eine Reihe von Entwürfen. Leider ist ein direkter Zugang zu den außerordentlich zahlreichen und wichtigen etymologischen Beiträgen wegen ihrer Streuung auf eine große Zahl von wissenschaftlichen Publikationen nicht möglich. Eine Gesamtedition mit entsprechenden Indizes ist seit längerem geplant, konnte bisher allerdings nicht realisiert werden. Dadurch ist eine Rezeption grundlegender Erkenntnisse zur romanischen, insbesondere portugiesischen Etymologie und Wortgeschichte ebenso wie zur Orts- und Personennamenforschung der Iberischen Halbinsel deutlich erschwert. Die Bedeutung des Nestors der deutsch-portugiesischen Wissenschaftsbeziehungen und detailbesessenen Gelehrten mit seinen Arbeitsschwerpunkten in Trier, Köln und Lissabon droht dadurch in Vergessenheit zu geraten.
Werke
Philologische Editionen
Leal Conselheiro o qual fez Dom Eduarte Rey de Portugal e do Algarve e Senhor de Cepta. Edição crítica e anotada, Lisboa 1942.
Livro da ensinança de bem cavalgar toda sela que fez el-Rey Dom Eduarte de Portugal e do Algarve e senhor de Ceuta. Edição crítica, acompanhada de notas e dum glossário, Lisboa 1944, ND Lisboa 1986.
Livro dos Oficios de Marco Tullio Ciceram, o qual tornou em linguagem o Ifante D. Pedro duque de Coimbra. Edição crítica segundo o ms. de Madrid, prefaciada, anotada e acompanhada de glossário, Coimbra 1948.
Editionen
Meyer-Lübke, Wilhelm, Historische Grammatik der französischen Sprache, Zweiter Teil: Wortbildungslehre, Zweite, durchgesehene u. ergänzte Auflage v. Joseph M. Piel, Heidelberg 1966.
Livros Velhos de Linhagens, edição crítica por Joseph Piel e José Mattoso, Lisboa 1980.
Sebastião Rodolfo Dalgado, Glossário luso-asiático. Com uma introdução de Joseph M. Piel, 2 vol., Hamburg 1982.
Etymologische Beiträge
Miscelânea de etimologia portuguesa e galega (primeira série) [Vermischte etymologische Beiträge zum Portugiesischen und Galicischen], Coimbra 1953.
Estudos de linguística histórica galego-portuguesa, Lisboa 1989.
Namenkundliche Arbeiten
Nomes de "possessores" latino-cristãos na toponímia asturo-galego-portuguesa [Lateinischchristliche Besitzerortsnamen in den Ortsnamen der Iberischen Halbinsel], in: Biblos 23 (1947), S. 143-202, 283-407 (auch als Separatum: Coimbra 1948).
Os nomes dos santos tradicionais hispânicos na toponímia peninsular [Die Namen der traditionellen Heiligen in den portugiesischen Ortsnamen], in: Biblos 25 (1949), S. 287-353; 26 (1950), S. 281-314 (auch als Separatum, Coimbra 1950).
Piel Joseph M. /Kremer, Dieter, Hispano-gotisches Namenbuch. Der Niederschlag des Westgotischen in den alten und heutigen Personen- und Ortsnamen der Iberischen Halbinsel, Heidelberg 1976.
Festschriften
Philologische Studien für Joseph M. Piel, hg. v. Wolf-Dieter Lange u. Heinz Jürgen Wolf, Heidelberg 1969.
Homenagem a Joseph M. Piel por ocasião do seu 85.º aniversário, editada com o apoio do Instituto de Cultura e Língua Portuguesa e do Consello da Cutura Galega, por Dieter Kremer, Tübingen 1988.
Würdigungen
Kremer, Dieter, Joseph M. Piel (8.6.1903 a 28.5.1992), in: Revista Portuguesa de Filologia 20 (1995), S. 267-280.
Lange, Wolf-Dieter, Joseph M. Piel, in: Anuario de Estudios Medievales 6 (1969), S. 645-650.
Lorenzo, Ramón, in: Gran Enciclopedia Gallega s.v. Piel, Joseph M., dazu auch Verba 7 (1980), S. 7-11.
Lorenzo, Ramón, in: Verba 19 (1992), S. 491-500.
Wolf, Heinz Jürgen, in: Revue de Linguistique Romane 225-226 (1993), S. 330-331.
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Kremer, Dieter, Joseph Maria Piel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-maria-piel/DE-2086/lido/6040e127656544.24729319 (abgerufen am 19.08.2024)