Zu den Kapiteln
Wolfgang Stockmeier war nicht nur einer der profiliertesten Kirchenmusiker des Rheinlands im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert, sondern in der Personalunion von Komponist, Organist, Musikwissenschaftler und Hochschullehrer ein herausragender Musiker seiner Zeit.
Geboren wurde er am 13.12.1931 in Essen als Sohn des Bergbauingenieurs Julius Stockmeier (1894-1971) und seiner Ehefrau, der Musiklehrerin und Organistin Wilhelmine geborene Welsch (1900-1987). Zunächst Klavierschüler seiner Mutter, dann als Gymnasiast Orgelschüler von Rudolf Czach (1898-1980) und des Straube-Schülers Ernst Kaller (1898-1961), ging er nach dem Abitur am Essener Burggymnasium 1950 nach Köln, um an der Staatlichen Hochschule für Musik Schul- und Kirchenmusik sowie bei Rudolf Petzold (1908-1991) Komposition zu studieren. Daneben belegte er an der Universität zu Köln die Fächer Germanistik, Musikwissenschaft und Altphilologie. Er promovierte 1958 bei Willi Kahl (1893-1962) mit der Dissertation „Die deutsche Orgelsonate der Gegenwart“, unterrichtete im Anschluss daran ein Schuljahr lang Musik und Deutsch am Essener Helmholtz-Gymnasium und wechselte mit 28 Jahren an die Staatliche Hochschule für Musik Köln als Dozent für Theorie, Künstlerisches Orgelspiel und Orgelimprovisation in der Nachfolge Günter Raphaels (1903-1960).
1962 wurde Wolfgang Stockmeier an dieser Hochschule zum Professor am Institut für Evangelische Kirchenmusik ernannt. Ausgezeichnet 1970 mit dem Titel Kirchenmusikdirektor durch die Rheinische Landeskirche, übernahm er 1974 in der Nachfolge Michael Schneiders (1909-1994) die Leitung des genannten Hochschulinstituts. Daneben hielt er 1961-1975 Seminare am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Köln, unterrichtete 1968-1973 an der Landeskirchenmusikschule Düsseldorf und 1973/1974 an der Kirchenmusikschule Herford. 1990 als Prorektor in die Kölner Hochschulleitung berufen, wurde er vier Jahre später emeritiert, blieb jedoch seiner Hochschule weitere vier Jahre verbunden, um Studierende zum Kirchenmusikalischen A-Examen zu führen sowie im Fach Orgel zur Künstlerischen Reifeprüfung und zum Konzertexamen.
Bei allen hauptberuflichen Verpflichtungen blieb er Sonntag für Sonntag seiner Langenberger Gemeinde treu: seit 1962 als Organist an der von der Kölner Firma Willi Peter gebauten Orgel im Kirchsaal Bonsfeld zu Velbert-Langenberg unweit seines Domizils über mehr als drei Jahrzehnte bis zu seiner Verabschiedung Weihnachten 2014.
Wolfgang Stockmeier gab in gut sieben Jahrzehnten auf nationaler und internationaler Ebene mehr als 3.000 Konzerte. Er spielte fast 200 LPs/CDs ein, unter anderem das gesamte Orgelwerk von Johann Sebastian Bach (1685-1750) auf 30 LPs respektive 20 CDs sowie Werke von Johann Nepomuk David (1895-1977), Joseph Haydn (1732-1809), Sigfrid Karg-Elert (1877-1933), Johann Christian Kittel (1732-1809), Johann Erasmus Kindermann (1616-1655), Johann Ludwig Krebs (1713-1780), Franz Liszt (1811-1886), Max Reger (1873-1916), Johann Christian Heinrich Rinck (1770-1846), Julius Reubke (1834-1858), Joseph Gabriel Rheinberger (1839-1901), Camillo Schumann (1872-1942) und Johann Gottfried Walther (1684-1748). Die Einspielungen erfolgten vorwiegend beim Label Psallite, ferner bei aulos, Camerata und cpo/classic production osnabrück. 1982 wurde ihm der Preis der Deutschen Schallplattenkritik für seine Einspielung der 8. Symphonie H-Dur op. 43 Nr. 4 von Charles Marie Widor (1844-1937) zugesprochen, fünf Jahre später der Deutsche Schallplattenpreis für seine Karg-Elert-Einspielungen auf 6 LPs respektive 4 CDs. Aus seinem eigenen Orgelschaffen spielte er unter anderem die Sonaten III und V-VIII für cpo sowie die Orgelkonzerte I und II für aulos.
Die von ihm initiierte Sendereihe „Vergessene Orgelmusik der Romantik“ produzierte Wolfgang Stockmeier für den Westdeutschen Rundfunk Köln an verschiedenen Orgeln. Zugrunde legte er dafür seit 1975 zahlreiche Werke der auf 28 Hefte angewachsenen Reihe „Orgelmusik der Klassik und Romantik“ (Möseler), so unter anderem von Theophil Forchhammer (1847-1923), Adolph Hesse (1809-1863), Sigfrid Karg-Elert, Franz Lachner (1803-1890), Jacques-Nicolas Lemmens (1823-1881), Gustav Adolf Merkel (1827-1885), Camillo Schumann (1872-1946), Ludwig Thiele (1816-1848) und Johann Gottlob Töpfer (1791-1870). Wenn inzwischen Karg-Elerts Orgelwerke wieder häufiger gespielt werden, so ist dies vornehmlich Wolfgang Stockmeier zu verdanken, der 1984 eine Karg-Elert-Gesellschaft e.V. mit Sitz in Heidelberg gründete und zunächst als deren Vorsitzender, ab 2004 als deren Ehrenvorsitzender fungierte.
Als Musikwissenschaftler verfasste Wolfgang Stockmeier das Lehrbuch „Musikalische Formprinzipien“ sowie in der von Karl Gustav Fellerer (1902-1984) herausgegebenen Reihe „Das Musikwerk“ den Band „Programmusik“. Von ihm stammen darüber hinaus zahlreiche Artikel über rheinische Musikerpersönlichkeiten für die Erst- und die Neuausgabe der Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“. Beiträge und Rezensionen verfasste er für die Fachzeitschriften Ars organi, Der Kirchenmusiker, musica sacra, Musik im Unterricht, Musik und Kirche sowie Neues Rheinland.
Kaum überschaubar ist Wolfgang Stockmeiers kompositorisches Werk, das über 400 zumeist gedruckt vorliegende Werke umfasst. Es reicht von nahezu allen Gattungen und Besetzungen des Orgelrepertoires über Motetten, Kantaten und Oratorien bis zur Kammer- und Orchestermusik und sogar zur Oper. Exemplarisch zu nennen sind 13 Orgelsonaten, zwei Konzerte für Orgel und Orchester, eine Vielzahl Choralbearbeitungen und Werke für Orgel mit diversen Soloinstrumenten. Er schrieb drei Oratorien: „Jona“, 1972 von der Singgemeinde Oberhausen unter Karl Heinz Mertens uraufgeführt und allein von ihr weitere sieben Male geboten, ferner „Historien“ (1979) und „Jesus“ (1990).
Stilistisch war Stockmeier zunächst von der sogenannten Gemäßigten Moderne Ernst Peppings (1901-1981) und Paul Hindemiths (1895-1963) beeinflusst, ging aber bald, ohne sich an der Avantgarde etwa eines Karlheinz Stockhausen (1928-2007), Mauricio Kagel (1931-2008) oder György Ligeti (1923-2006) zu orientieren, konsequent seinen eigenen Weg. So setzte er sich seit 1957 zunehmend mit Arnold Schönbergs (1874-1951) „Lehre von der Komposition mit zwölf Tönen“, der Dodekaphonie, auseinander, deren Prinzipien er unter dem Gesetz organischen Wachstums und bei Textvertonungen stets in enger Beziehung zum Wort individuell abwandelte. Diese Prinzipien verknüpfte er, wenn es ihm logisch und sinnvoll erschien, durchaus gelegentlich mit avantgardistischen Techniken bis hin zur Aleatorik und zu graphischen Notationen. Dass er jedoch auch traditionelle Kompositionstechniken souverän beherrschte, bestätigt einerseits seine hohe Improvisationskunst und andererseits seine stilsicheren Vollendungen fragmentarisch hinterlassener Werke von Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn (1732-1809), Johann Ludwig Krebs, Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Johann Gottfried Walther (1684-1748). Darüber hinaus hat er Werke unter anderem von Johann Sebastian Bach, Dieterich Buxtehude (um 1637-1797), Percy Aldridge Grainger (1882-1961), Edvard Grieg (1843-1907), Georg Friedrich Händel (1685-1759), Franz Liszt, Charles Hubert Parry (1848-1918), Michael Praetorius (1569-1621), Max Reger, Antonio Soler (1729-1783) und Jean Sibelius (1865-1957) für die Orgel bearbeitet. An Editionen von ihm liegen Werke vor unter anderen von Händel, Haydn, Ignaz Pleyel (1757-1831), Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Johann Pachelbel (1653-1706) und Johann Gottfried Walther. Sein letztes vollendetes Werk ist ein „Magnificat“, dessen Uraufführung er am 24.1.2017 in der Münsteraner Kirche St. Petri durch den Universitätskammerchor „ensemble 22“ unter Leitung von Ulrich Haspel nicht mehr erleben sollte.
Wolfgang Stockmeier heiratete 1962 Ingrid geborene Pack (1936-2019), Lehrerin über 40 Jahre an der Grundschule Hüserstraße in Langenberg. Drei Kinder wurden in diese Ehe geboren: Uwe 1963, Elke 1966 und Detlev 1974. Wolfgang Stockmeier starb nach langer Krankheit zwei Tage vor seinem 84. Geburtstag am 11.12.2015 an seinem Wohnort Velbert-Langenberg. Matthias Spruck schrieb drei Tage später in der Niederberg-Ausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: „Seine Familie verliert den Ehemann, liebenden Vater und begeisterten Großvater, die Musikwelt einen bedeutenden Kirchenmusiker, Interpreten und Komponisten.“ Nach einem Trauergottesdienst in der Langenberger Alten Kirche wurde er am 19.12.2015 unter großem Geleit auf dem dortigen Friedhof zur letzten Ruhe gebettet.
Werke
Schriften (Auswahl)
Die deutsche Orgelsonate der Gegenwart. Dissertation, Köln 1958.
Musikalische Formprinzipien,1967, 6. Auflage, Lilienthal: Laaber 1996.
Die Programmmusik, Köln 1970. Englisch: Program Music, Köln 1970.
Kompositionen
Bis Werk 287 dokumentiert in: Frederichs, Henning, Werkverzeichnis Wolfgang Stockmeier. Inklusive Verzeichnis der Ergänzungen von Fragmenten, der Gelegenheitsarbeiten, der Ausgaben, ausgewählter Schriften, ausgewählte Schallplatten, CDs und MCs. 48 Seiten. Wolfenbüttel (Möseler) 1991.
Ein komplettes, von Wolfgang Stockmeier noch revidiertes und ergänztes Werkverzeichnis bereitet Antje Wissemann (Eutin) derzeit vor.
Literatur
Albus, Manfred, Das Orgelschaffen Wolfgang Stockmeiers und die avantgardistische Orgelmusik. Dissertation, Kassel 1994.
Dorfmüller, Joachim, Ein großer Repräsentant der evangelischen Kirchenmusik. Zum Heimgang von Kirchenmusikdirektor Prof. Dr. Wolfgang Stockmeier, in: Forum Kirchenmusik 67, 2 (2016), S. 42-43.
Dorfmüller, Joachim, Orgelmusik in der Auseinandersetzung mit der Dodekaphonie. Zu Wolfgang Stockmeiers Orgelsonaten I bis III, in: Musik und Kirche 44 (1974), S. 120-124.
Dorfmüller, Joachim, Plädoyer für einen organischen Wachstumsprozeß. Zum Schaffen des Bei-weitem-nicht-nur-Komponisten Wolfgang Stockmeier, in: Festschrift Zwei Tage für und mit Wolfgang Stockmeier, Münster 1992, S. 3-13.
Dorfmüller, Joachim, Stockmeier, Wolfgang, in: Musik in Geschichte und Gegenwart. Neue Ausgabe. Personenteil, Band 16, Kassel [u.a.] 2007, Spalten 1516-1518.
Heinemann, Michael/Wissemann, Antje (Hg.), „…in Himmelsnähe“. Buch der Freunde und Kollegen zum 75. Geburtstag Wolfgang Stockmeiers am 13.12.2006, München 2006.
Herchenröder, Martin, Ein Oratorium auf der Suche nach dem Urevangelium. Zu Wolfgang Stockmeiers „Jesus“, in: Musik und Kirche 5 (1991), S. 250-260.
Spruck, Matthias, Nachruf Wolfgang Stockmeier, in: Westdeutsche Zeitung, Ausgabe Niederberg am 14.12.2015.
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Dorfmüller, Joachim, Wolfgang Stockmeier, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wolfgang-stockmeier/DE-2086/lido/5f03396f269a72.59466543 (abgerufen am 19.08.2024)