Zu den Kapiteln
Arnold Heymerick ist der Frühhumanist am Niederrhein, von dem sich das umfangreichste literarische Oeuvre erhalten hat. Es lässt eine Persönlichkeit erkennen, die typisch war für Kleriker, die von der Kurie geprägt, am Rhein ihre Karriere zwischen Kirchenamt und Hofdienst machten. Unter seinem Dekanat erlebte das Stift Xanten - nicht zuletzt durch seine großen Inszenierungen der Viktortrachten - eine besondere Glanzzeit.
Arnold Heymerick, geboren wohl zwischen 1424 und 1430, stammte aus der in der Stadt Kleve ansässigen Dienstmannenfamilie der Heymerick, die als „Heymericksche Partei“ nach dem Tod des letzten Grafen aus dem klevischen Hauses 1368 dem Grafen von der Mark zur Nachfolge verhalf. Der junge Heymerick besuchte die berühmten Schulen der Fraterherren in Deventer, Zwolle und Zutphen. Die Schulzeit blieb für Arnold prägend, die Hochachtung vor den Fraterherren und die Vorliebe für Deventer verleugnete er sein ganzes Leben lang nicht. Er war 1434 in Köln immatrikuliert und ist seit 1437 auf dem Basler Reformkonzil nachweisbar, wo er später eine Stelle im Haushalt des Kaplans des vom Konzil 1439 gewählten (Gegen-)Papstes Felix V innehatte, des Papstes, der schon 1449 resignierte. Arnold ging vermutlich 1447 nach Rom und wechselte damit auf die Seite Papst Eugens IV. (Pontifikat 1431-1447). Das hatte fünf Jahre vorher bereits der Sekretär Felix V., Enea Silvio Piccolomini (1405-1464), der spätere Papst Pius II. (Pontifikat 1458-1464), getan. Die Bekanntschaft Arnolds mit dem späteren Papst könnte deshalb bis in Baseler Zeit zurückreichen. In Rom machte Arnold in der päpstlichen Kanzlei den Aufstieg bis zum Tischgenossen Pius II., ein Aufstieg, der mit jeder höheren Stufe auch seine Aussichten auf päpstliche Pfründenanweisungen verbesserte. Als Kurialer übernahm er auch Aufträge für Interessenten aus der Heimat, insbesondere für den Trierer Erzbischof Jakob von Sierck, dessen Gründung einer Universität in Trier er in Rom offensichtlich erfolgreich förderte. Ein Nebenergebnis dieses Einsatzes war die Anwartschaft auf eine Pfründe in Koblenz. Räumlicher Schwerpunkt seines Pfründenerwerbs blieben aber die niederrheinischen Lande. 1458 besaß er neben der Anweisung auf die Pfründe in Koblenz solche für Utrecht, Deventer und Xanten; 1459 kam die Dekanspfründe in Xanten hinzu. Das Dekanat in Xanten war von nun an die Bühne, auf der sich sein Leben bis zu seinem Tod abspielte. Im Sommer 1459 hielt er sich zum ersten Mal in Xanten auf, 1464 nahm er seinen endgültigen Abschied aus Rom. 29 Jahre seines Lebens hatte er bis dahin, wie er selbst sagt, außerhalb seines Heimatlandes verbracht.
Als Dekan war Arnold in seiner Amtszeit alleinige Leitungsfigur und Repräsentant der Xantener Kirche, denn das Amt des Propstes, des eigentlichen Vorstehers des Stiftes, der in Person auch Archidiakon des großen nördlichen Sprengels der Erdiözese Köln war, hatte seine Leitungsfunktion schon im 13. Jahrhundert an den Dekan verloren. Die Pröpste residierten nicht mehr in Xanten, sondern ließen sich vor Ort vertreten und die Erträge der Pfründe an ihren Aufenthaltsort überweisen. In der Amtszeit Arnolds gingen die Einkünfte der Pfründe an Pius II. und später an dessen Neffen, Francesco Todeschini Piccolomini (1439-1503), den späteren Papst Pius III. (Pontifikat 22.9.-18.10.1503) als Inhaber der Propstei nach Rom.
Arnold war sich seiner Rolle als Dekan sehr bewusst – in der Auseinandersetzung um seine Rechte als Dekan mit seinem Kapitel und in der Repräsentation seines Stifts nach außen. In zwei prunkvollen Viktortrachten 1464 und 1487, Prozessionen, in denen zu seltenen Anlässen der Schrein des heiligen Viktor als Stiftspatron umgetragen wurde, bewies er nicht nur Sinn für die große Inszenierung seines Stifts nach außen, sondern dokumentierte diese geistlichen Umzüge stolz in zwei eigenen Darstellungen mit Regieanweisungen für eventuelle Wiederholungen. Vorbild dieser Inszenierungen waren offensichtlich die großen Prozessionen, die „trionfi“, die er in Italien unter Pius II. kennen gelernt hatte. Noch einmal, 1489, sollte Arnold einen weiteren solchen Triumphzug, nicht den des heiligen Viktor, sondern den der Goldenen Rose, des päpstlichen Ehrengeschenks an Herzog Johann II., ihren Einzug und ihre Überreichung in Kleve miterleben und beschreiben.
Das Verhältnis zum Herzog scheint beim Amtsantritt Arnolds in Xanten gut gewesen zu sein, denn er gehörte offensichtlich zu dessen weiterem Ratgeberkreis und wurde von Johann I. mit Gesandtschaften zum Papst und später von Johann II., dem Nachfolger, mit einer Gesandtschaft zum Kaiser beauftragt. Als vor allem das erste diplomatische Unternehmen nur zu einem Teilerfolg führte, rückte Arnold offensichtlich in die zweite Reihe der Räte, wie er selbst beklagte, blieb aber mit dem Hof in Verbindung. Für Philipp von Kleve (146-1505), den jüngsten Sohn Herzog Johanns I., verfasste er das „Registrum sophologicum“, ein pädagogisch ausgerichtetes Handbuch in sechs Büchern, das systematisch geordnet Beispiele moralischen Handelns aus der antiken Literatur, aber auch exemplarische Sentenzen niederrheinischer Zeitgenossen für ein vorbildliches Leben bot.
Arnold legt dabei den Schwerpunkt auf antike Sentenzen, christliche dagegen lässt er ganz in den Hintergrund treten. Dasselbe gilt auch für andere seiner Traktate. Man hat in ihm zu Recht einen Vertreter des Frühhumanismus am Niederrhein gesehen. Und in der Tat stand er mit den Humanisten am klevischen Hof wie zeitweise dem berühmten Rudolf von Langen (um 1438-1519) aus Münster in Kontakt. Aber sein Humanismus ist kein theologischer oder schulreformerischer, es ist der der römischen Kurie seiner Zeit. Literarisch drückte sich das in der Beherrschung der klassischen Formen der lateinischen didaktischen Literatur aus: nicht nur der des Sentenzenkompendiums, sondern auch des Dialogs, vor allem aber des Briefs, der sich nicht selten zum umfangreichen Traktat erweiterte. Arnold schrieb viel und schnell, wie er selbst sagt, aufgrund seiner jahrelangen Schreiberfahrung an der Kurie. Sein Latein ist nicht ciceronianisch, sondern rhetorisch gewählt, wobei er darunter auch verstand, ungewöhnliche und seltene lateinische Worte und Wendungen zu gebrauchen, was schon Zeitgenossen nicht als elegant, sondern überflüssig geschraubt empfanden. Aber Arnold ließ sich von solcher Kritik nicht beeindrucken, sondern erwiderte, die Deutschen hätten eben nicht wie die Italiener gute Rhetoriker mit Selbstbewusstsein und das läge an ihrer traditionellen Unterwürfigkeit. Die Prägung durch den beweglichen, selbstbewussten, zu Satire und Invektive neigenden italienischen Humanismus ist in diesem Urteil nicht zu übersehen.
Außerdem sorgte er in humanistischem Autorenstolz dafür, dass alle seine Texte, selbst seine kürzesten, der Nachwelt überliefert wurden, indem er sie nicht nur sorgfältig zusammenstellte, sondern auch ebenso sorgfältig abschreiben und binden ließ. Es sind dies zwei umfangreiche Texte, das „Registrum sophologicum“ und das „Repertorium decani“ sowie 31 kleinere Abhandlungen und Briefe.
Das „Repertorium decani“, ein Handbuch, war sein letztes Werk, in dem er in hohem Alter noch alle Statuten des Stifts aus den verschiedenen Amtsbüchern des Xantener Archivs seiner Zeit zusammenstellte. Es bündelte in Form einer sorgfältig gegliederten Übersicht vor allem noch einmal alle jene Bestimmungen, welche die Rechtsstellung des Dekans gegenüber seinem Kapitel - ein Werk, das in seiner Anlage auch die Geschäftserfahrung eines kurialen Beamten widerspiegelt.
Mindestens ebenso sehr wie der literarische Humanismus prägte Arnold in seiner römischen Zeit der Lebensstil Italiens. Feiner Geschmack und Mäßigkeit - in Lebensart und Küche - der „göttlichen Italiener“, wie er sie einmal nannte, wurden sein Ideal, das nach seiner Rückkehr in die Heimat hart mit den Lebensgewohnheiten des Niederrheins zusammenstieß. Mit reichlichem fetten Essen und noch reichlicherem Trinken vermochte er sich nicht mehr zu befreunden. In der literarischen Figur des „Eberhard Bierschreck“ aus Kleve, der bei einem Besuch in Utrecht bei Bischof David von Burgund mit der feinen französischen Küche nichts anfangen kann und erst zufrieden ist, als ihm der bischöfliche Koch Würste und Bier vorsetzt, hat er seinem Unbehagen ein Denkmal gesetzt, ironisch und witzig wie Arnold durchaus sein konnte. Und dieser Witz kam nicht von ungefähr. Denn der internationalen päpstlichen Kanzlei seiner römischen Zeit gehörten auch so bedeutende Humanisten wie der Florentiner Gianfrancesco Poggio Bracciolini (1380.1454) und der Römer Lorenzo Valla (um 1407-1457) an, die neben ihren philologischen Werken auch noch giftige Invektiven gegeneinander verfassten, über die sich ganz Italien amüsierte. Vor allem Poggio hatte es Arnold angetan. Und er gesteht nach seinen langen Jahren unter einem französischen und italienischen Papst fast resignierend: „Latinus sum“, Lateiner oder Welscher bin ich.
In Xanten entfaltete er in seiner letzten Lebenszeit noch eine große Tätigkeit. Er führte eine umfangreiche Korrespondenz und verwaltete neben seinem Amt zeitweilig auch die Propsteipfründe der Piccolomini-Päpste und blieb mit ihnen in Kontakt. Dass er sich im Alter regelmäßig in Deventer aufhielt, dem Ort seiner prägenden Schuljahre, wo er an St. Lebuin eine Pfründe besaß, legt die Tatsache nahe, dass er eben dort seine Memorie stiftete.
Am 30.7.1491 starb Arnold Heymerick und wurde in Xanten in der Stiftskirche des heiligen Viktor, den er auch persönlich als seinen Schutzheiligen verehrte, begraben. Seine Grabplatte hat sich nicht erhalten.
Werke (Auswahl)
Oediger, Friedrich Wilhelm (Hg.), Schriften des Arnold Heymerick, Bonn 1939.
Scheler, Dieter (Ed.), Arnold Heymerick: Persuasio de cappata religione non ineunda ante puberes annos, in: De Boer, Dick/Kwiatkowski, Iris (Hg.), Die Devotio Moderna. Sozialer und kulturellen Transfer 1350-1580, Band 1, Münster 2013, S. 131-169.
Literatur
Dechant Arnold von Heimerick (um 1424-1491), in: Janssen, Heinrich/Grote, Udo (Hg.), Zwei Jahrtausende Geschichte der Kirche am Niederrhein, Münster 1998, S. 155-157.
Hülscher, Katharina, Das Xantener Statutenbuch. Normen und Regeln des Stiftslebens, in: Geuenich, Dieter/Lieven, Jens (Hg.), Das St.Viktor-Stift Xanten: Geschichte und Kultur im Mittelalter, Köln 2012, S. 201-219.
Scheler, Dieter, Die Goldene Rose des Herzogs Johann von Kleve: Der Bericht Arnold Heymericks von der Überreichung der Goldenen Rose im Jahr 1489, Kleve 1992.
Scheler, Dieter, Die "neuen Frommen" in der Sicht eines "alten Frommen". Der Xantener Dekan Arnold Heymerick und sein Traktat „Persuasio de cappata religio non ineunda ante puberes annos“, in: De Boer, Dick/Kwiatkowski, Iris (Hg.), Die Devotio Moderna. Sozialer und kultureller Transfer 1350-1580, Band 1, Münster 2013, S. 117-130.
Schröder, Ferdinand, Arnold Heymerick, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 100 (1917) ,S. 152-179.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Scheler, Dieter, Arnold Heymerick, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/arnold-heymerick/DE-2086/lido/57c83039c1a205.07412027 (abgerufen am 19.08.2024)