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Peter Schwingen wurde am 14.10.1813 im Winzerort Muffendorf (heute Stadt Bonn) als zweites Kind des Feldhüters Peter Joseph Schwingen (1786-1856) und seiner Frau Caroline Franziska Antoinette Nicolai (1791-1865) geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist kaum etwas bekannt.
Wie kam Schwingen nach Düsseldorf? Prinzessin Marianne von Preußen (1785-1846), eine geborene Prinzessin von Hessen-Homburg und Gattin des Prinzen Wilhelm (1783-1846), des jüngsten Bruders König Friedrich Wilhelms III.(Regentschaft 1797-1840), hatte nach einem Aufenthalt in Bonn den jungen Zeichner Peter Schwingen dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz zur Aufnahme in die Düsseldorfer Kunstakademie und zur finanziellen Unterstützung empfohlen. Dem herrschaftlichen Wunsch wurde entsprochen, ab 1832 führte ihn die Akademie in ihrer Schülerliste. Schwingen war zunächst ein Außenseiter im Kreis der Düsseldorfer Maler. Der des Lesens und Schreibens wohl nur sehr mäßig kundige und finanziell mittellose Künstler bedurfte eines Stipendiums, um in der ersten Zeit der Akademieausbildung überhaupt über Geld verfügen zu können. Hervorzuheben ist, dass er Meisterschüler beim Direktor der Akademie, Wilhelm von Schadow, war. Später wurde er Mitglied in der „Gesellschaft der Carnevalsfreunde" und im 1848 gegründeten Düsseldorfer Künstlerverein „Malkasten". Beides spricht dafür, dass er mit der Zeit vom Außenseiter zum integrierten Mitglied der Düsseldorfer Künstlergesellschaft wurde. Auch wenn er, wie die mündliche Überlieferung berichtet, zu Schnurren neigte. So soll er seine Kinder in einem von Ziegen gezogenen Wagen spazieren gefahren haben.
In Peter Schwingens Werk vereinen sich zwei große Themen: Zum einen sind es die Porträts von Zeitgenossen, vor allem Industrieller aus dem Wuppertal, zum anderen - und dies scheint das eigentlich Bedeutende zu sein - wandte sich Schwingen nicht dem oftmals falschen Pathos der akademischen Malerei seiner Zeit zu; sondern malte Szenen des einfachen bäuerlichen und kleinbürgerlichen Lebens, die so realistisch wirken, als ob sie aus seiner Erinnerung stammten.
Mit diesen Genrebildern, die zum Überzeugendsten gehören, was die Düsseldorfer Maler der Zeit hervorgebracht haben, reflektiert er liebevoll, bisweilen auch ironisch, das dörfliche Leben mit seinen deftigen Bräuchen. Das „Schießen um ein fettes Schwein" oder „Der Gewinn des großen Loses" schildern gleichermaßen ein harmlos-dörfliches Vergnügen wie auch die sicher oftmals herbeigesehnte Möglichkeit, durch den Wink des Schicksals reich zu werden – einmal nicht dank mühevoller Arbeit den verdienten Lohn zu erhalten, sondern reiche Gaben gleichsam von einer Schicksalsgöttin zugeworfen zu bekommen.
Die kritische Darstellung einer „Pfändung" - sein Bild war das erste im Rheinland mit diesem Thema -, zeigt die Verelendung der kleinen Handwerker zu Beginn der Industrialisierung. Es belegt die These, dass die Düsseldorfer Maler sehr genau die Strömungen ihrer Zeit aufnahmen und in Bildern verarbeiteten. Die fortschreitende Politisierung des Lebens in der Zeit zwischen 1830 und 1848 lässt sich auch an den Bildzeugnissen ablesen.
Zu Schwingens bescheidenem sozialen Aufstieg verhalfen ihm die Porträtaufträge, die ihn in das frühindustriell prosperierende Tal der Wupper führten. Die späten 1830er Jahre brachten ihm zahlreiche Aufträge. Schwingen gründete eine Familie: 1837 heiratete er Magdalena Philippine Schmitz (1816-1848), mit der er vier Kinder hatte. Auch aus Schwingens zweiter Ehe, die er 1849 nach dem Tod seiner ersten Frau mit Sophie Zecher (1824-1886) einging, gingen vier Kinder hervor. Im Jahr 1844 bekam er den Auftrag, die Wuppertaler Familie Keuchen-Werlé darzustellen. Schwingen blieb bei dem bisher so erfolgreich angewandten Bildaufbau, fügte einen kleinen Hund hinzu und charakterisierte die Familie durch drei Bilder an den Wänden des Zimmers als kunstsinnig. Die Familie scheint wie zur Kaffeestunde versammelt, doch nicht zufällig, sondern mit dem Bewusstsein, dem Künstler Modell für ein bedeutendes Familienbild zu sitzen. Schwingens Gemälde nahm schon einiges dessen voraus, was die frühe Porträtfotografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für uns heute so interessant macht. Maler und Fotografen standen sich kaum nach in der Intention, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen und eine authentische Momentaufnahme zu schaffen. Es ist der analytische Blick, den die Maler des Biedermeiers die Fotografen lehrten. Es ist der Blick, der sich bemüht, hinter die Kulissen zu schauen, ohne dabei allerdings die gesellschaftlichen und persönlichen Tabus zu verletzen.
Schwingens Dorfidyllen werden ergänzt durch ein 1842 entstandenes Bild, das drei Kinder mit Hund zeigt. „Die Kinder pflegen ihren kranken Hund" – eine alltägliche Begebenheit, wie alle Kinder sie schon einmal erlebt haben. Der kleine Hund wird zum Gegenstand ernster Sorge, wenn er einmal einen Tag fastet oder weniger lebhaft als an anderen Tag ist. So lässt der Hund denn, hin- und her gerissen zwischen echter Freude über die Zuwendung und dem Wunsch, sich den Kindern entziehen zu können, alles mit sich geschehen. Er erträgt die liebevolle Zwangsfütterung, solange er sich nur der Aufmerksamkeit der Kinder sicher ist. Auch hier deuten Brunnen und Holunderbusch auf eine dörfliche Umgebung hin. Schwingen mag sich an Begebenheiten aus seinen Kindertagen in Muffendorf erinnert haben und mit leiser Wehmut, gepaart mit feinem Humor, diese Kinderbilder als Beschwörung einer glücklichen Kindheit in einer ihm nun fernen Vergangenheit gemalt haben.
1837 schuf Albert Lortzing (1801-1851) seine Oper „Zar und Zimmermann" und nahm damit die Frage des sozialen Status auf. Nur ein Jahr später erschien in England Charles Dickens (1812-1870) Roman „Oliver Twist", der zum Synonym für sozialkritische Literatur wurde. Dickens selbst hatte nach dem Bankrott des väterlichen Geschäfts einige Jahre lang bittere Not gelitten und als Kind in einer Fabrik für Schuhcreme arbeiten müssen. Soziales Elend kannte er somit aus direkter Anschauung. In Mitteleuropa verschlimmerte sich die Situation besonders nach 1845. Missernten trieben die Brotpreise in die Höhe; 1848 kam es zur Revolution. Politische sowie soziale Umwälzungen betrafen auch das Rheinland und wurden von den Düsseldorfern Malern aufgenommen.
Peter Schwingen gehört zu einer Gruppe von Düsseldorfern Malern, deren Hauptinteresse dem Genre und dem Porträt galt. Das Genrebild als „freie Kunst", das Porträt als „Brotkunst". Zu dieser Gruppe der politisch interessierten rheinischen Genremaler sind vor allem der mit Schwingen befreundete Johann Peter Hasenclever, ferner Wilhelm Joseph Heine (1813-1839), Carl Wilhelm Hübner (1814-1879), Adolf Schroedter (1805-1875), Henry Ritter (1816-1853) und Ludwig Knaus (1829-1910) zu zählen. In wie fern Christian Eduard Boettcher (1818-1889) später besonders vom Werk Schwingens profitiert hat, in dem er sehr ähnliche Sujets auswählte und auch ein großformatiges Landschaftsbild mit dem Blick über Muffendorf auf das Siebengebirge schuf, bleibt noch zu untersuchen.
Peter Schwingen hat sich zeitlebens nicht auf ein bestimmtes Thema festgelegt. Sein Werk umfasst einen weiten Bogen: Porträts, Familienbildnisse, Kinderbilder, ländliche Szenen, soziales Genrebild, die Schilderung des rheinischen Brauchtums und Selbstporträts. Gerade diese Vielfalt machte es in der Vergangenheit schwer, Schwingens Werk einzuordnen. Viele Bilder haben einen sehr privaten Charakter, wobei die Kinderbilder und die ländlichen Szenen am meisten über Schwingen aussagen. Den Lebensunterhalt für die große Familie sicherten die Bildnisaufträge, sein Herz gehörte aber den Kinderbildern und den Szenen des ländlichen Lebens, die er liebevoll ausformulierte und ihnen manche politische Andeutung beigab, wie das "Preisschießen um ein fettes Schwein" (1844) beweist. Dort findet sich, unauffällig in den Mittelgrund des Bildes gerückt, der schlafmützige "deutsche Michel", der noch zielt, ohne erfasst zu haben, dass der "Vogel" schon längst gefallen und der Schützenkönig ausgerufen ist. Schwingen ist glaubwürdig eine Synthese aus Romantik und Realismus gelungen, die für die Düsseldorfer Malerschule typisch ist. Schwingen gehört zu den bedeutenden Vertretern dieser Schule.
Er starb im Alter von noch nicht ganz 50 Jahren am 6.5.1863 in Düsseldorf, wo er bis dahin mit seiner kinderreichen Familie lebte. In Bonn wurde in Erinnerung an den bekannten rheinischen Maler eine Straße nach ihm benannt.
Werkverzeichnis
Heidermann, Horst, Werkverzeichnis Peter Schwingen, mit einer biographischen Einleitung, Bonn-Bad Godesberg 2000.
Literatur
Heckes, Pia/Heidermann, Horst, Peter Schwingen. Leben und Werk, Bonn 1996.
Heidermann, Horst, Peter Schwingen (1813-1863), Gemalte Familiengeschichten aus dem Tal, in: Romerike Berge 52 (2002), S. 26-42.
Holzhausen, Walter, Peter Schwingen, Maler aus Muffendorf. Ein Lebensbild, dargeboten zu seinem hundertfünfzigsten Geburtstage und hundertsten Todestage 1963, Bad Godesberg 1964.
Niesen Josef, Bonner Personenlexikon, 2. Auflage, Bonn 2008, S. 294-295.
Peter Schwingen - Ein Maler der Düsseldorfer Malerschule. Zum 200. Geburtstag, hg. v. Ingrid Bodsch und mit Beiträgen von Pia Heckes und Horst Heidermann, Bonn 2013.
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Heckes, Pia, Peter Schwingen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peter-schwingen/DE-2086/lido/57c94d4eca2412.85108683 (abgerufen am 20.08.2024)