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Carl Albert Ernst Poensgen, geboren am 19.9.1871 in Düsseldorf als ältester Sohn von Carl Poensgen (1838-1921) und dessen Ehefrau Clara, geborene Poensgen (1846-1910), die aus einer zweiten Familienlinie (Düren-Kaldenkirchen) stammte, war ein deutscher Industrieller. Die Eifeler Linie, aus der Ernst Poensgens Vater stammte, lässt sich seit dem 15. Jahrhundert im Raum Schleiden-Manderscheid nachweisen und war seit dieser Zeit im Hüttenwesen aktiv.
Claras Vater Albert Poensgen, der sich 1860 in Düsseldorf ansiedelte, gilt als der Begründer der deutschen Stahlrohrindustrie. Er betrieb, ebenso wie seine Cousins Gustav und Rudolf Poensgen, im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk ein Röhrenwalzwerk. Die Unternehmen fusionierten 1872 zur Düsseldorfer Röhren- und Eisenwalzwerke AG, vorm. Poensgen (DREW), dem sich dann auch Carl Poensgen, ein weiterer Cousin und Ernsts Vater, anschloss. Das Unternehmen galt als einer der bedeutendsten Hersteller von schmiedeeisernen, längsnahtgeschweißten Röhren in Europa und konnte durch eine Lizenz der Gebr. Mannesmann seine Produktpalette und sein Absatzgebiet in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre noch steigern. Seit 1880 wurde ausschließlich in Düsseldorf, in den Stadtteilen Oberbilk und Lierenfeld, produziert.
Carl und Clara Poensgen heirateten 1870; aus der Ehe gingen zehn Kinder (sieben Jungen und drei Mädchen) hervor, von denen eines im Kleinkindalter und zwei im frühen Mannesalter verstarben. Die Familie war evangelisch-reformiert. Carl gehörte seit 1872 dem Vorstand der DREW an und war an der Handelsgesellschaft Albert Poensgen, seit 1872 ein Teil des Unternehmens, beteiligt. Im 65. Lebensjahr trat er aus dem Vorstand aus und wurde Mitglied des Aufsichtsrates. Er galt als Gartenliebhaber und führte ein eher häuslich orientiertes Leben. Clara war ausgesprochen musisch begabt (musizierte mit zwei ihrer Söhne) und sozial engagiert, insbesondere im Bereich der schulischen Bildung. Seit 1903 gehörte sie dem Verwaltungsausschuss für die kaufmännischen Lehranstalten der Düsseldorfer Handelskammer an.
Ernst Poensgen machte 1890 das Abitur am Städtischen Gymnasium in Düsseldorf, zeigte früh sportliche Interessen und beteiligte sich zunächst an Fahrradrennen, was zu einem Konflikt mit dem Gymnasialdirektor führte, der ihn wegen „unpassender“ Bekleidung der Schule verweisen wollte. Später trat er dem Düsseldorfer Ruderverein bei, nahm an zahlreichen Regatten teil und übernahm sogar den Vereinsvorsitz, den er 1925 wegen Überlastung aufgab. Dem Rudersport blieb er bis ins Alter verbunden, trieb jedoch noch weitere Sportarten und war in zahlreichen bekannten Düsseldorfer Sportvereinen aktiv. Er gehörte zu den Mitgründern des Düsseldorfer Hockey Clubs (DHC) und des Tennisvereins „Rochusclub“ und war rund 30 Jahre dessen Präsident. Zudem betrieb er 1935 – Poensgen war auch aktiver Schlittschuhläufer - den Bau des ersten Eisstadions in Düsseldorf an der Brehmstraße und den Zusammenschluss mehrerer Eissportvereine zur „Düsseldorfer Eislauf-Gemeinschaft“ (DEG). Darüber hinaus ließ er 1937 bei der Hauptverwaltung der „Vereinigten Stahlwerke“ in Düsseldorf-Lierenfeld die „Ernst-Poensgen-Kampfbahn“ errichten, die noch heute vom „Düsseldorfer Sportverein 04 Lierenfeld“ (DSV) genutzt wird. Auch zahlreichen anderen Sportvereinen in Düsseldorf und im Ruhrgebiet verhalf Poensgen seit den 1920er Jahren zu Sport- und Spielplätzen.
Nach seiner Zeit als Einjährig-Freiwilliger studierte er zunächst in Straßburg, dann in Berlin Mathematik, Chemie und Hüttenkunde. In Berlin entdeckte Ernst Poensgen seine Liebe zum Theater und blieb ihm bis zu seinem Tode eng verbunden. In Düsseldorf förderte er vor und nach dem Ersten Weltkrieg das Schauspielerpaar Gustav Lindemann und Louise Dumont und deren Schauspielhaus Düsseldorf GmbH. Ernst Poensgen gehörte, wie auch einige weitere Familienmitglieder, dem Künstlerverein „Malkasten“ an. Ebenso gehörte Ernst Poensgen zu den wichtigsten Organisatoren der Ausstellung „GeSoLei“ (Gesundheitspflege, Soziale Fürsorge und Leibesübungen), die von Mai bis Oktober 1926 in Düsseldorf stattfand; mit etwa 7,5 Millionen Besuchern die größte Ausstellung in der Zeit der Weimarer Republik. Zehn Jahre später, 1936, war er organisatorisch auch an der Ausstellung „Schaffendes Volk“ beteiligt.
Nach einem Praktikum bei der Oberschlesischen Eisenbahnbedarfs AG 1895 in Friedenshütte heiratete er noch im September jenes Jahres Elisabeth Cohnitz (1876-1917), Tochter von Georg Ferdinand Cohnitz (1843-1903) und Amalie, geborene Kruse (1847-1935), deren Vater Textilfabrikant war, später jedoch in die Direktion der Berliner Hypothekenbank eintrat. Aus dieser Ehe stammte der Sohn Georg Poensgen (1898-1974), Kunsthistoriker und Schriftsteller, nach dem Zweiten Weltkrieg Direktor des Kurpfälzischen Museums in Heidelberg. Zwischen 1907 und 1914 lebte der Philosoph und Nationalökonom Alfred Sohn-Rethel (1899-1990) als Pflegesohn im Hause Poensgen. In zweiter Ehe, die kinderlos blieb, heiratete Ernst Poensgen 1918 Louise Julie (Lulu) Hammerschmidt (1885-1944), Tochter von Rudolf Hammerschmidt, Unternehmer und Namensgeber der Villa Hammerschmidt in Bonn, 1950-1994 Amts- und Wohnsitz des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland; seit 1994 dessen zweiter Amts- und Wohnsitz.
Im Jahre 1896 kehrte Poensgen schließlich nach Düsseldorf zurück und trat in das Familienunternehmen ein. Er war zunächst als Ingenieur, dann als Prokurist und schließlich als Betriebsdirektor tätig. Seit 1905 gehörte er dem Vorstand des Unternehmens an. Zwischen 1898 und 1913 reiste er mehrfach in die USA, um die dortigen technischen Neuerungen, vor allem die Elektrifizierung der Röhrenwalzwerke zu studieren, die er ab 1901 auch in den Düsseldorfer Betrieben einführte. 1908 nahm das erste vollständig elektrifizierte Röhrenwalzwerk in Europa den Betrieb auf. Im Zuge des Zusammenschlusses der „Phoenix AG für Bergbau und Hüttenbetrieb“ übernahm Poensgen die technische und kaufmännische Leitung der Düsseldorfer Abteilung und blieb auch im neuen Unternehmen Mitglied des Vorstandes.
Entscheidend beteiligt war Poensgen an der 1904 erfolgten Gründung der „Deutschen Stahlwerksverband AG“, eines Syndikatkartells zunächst der rheinischen und westfälischen Stahlproduzenten, dem 1909 auch die oberschlesischen Stahlproduzenten beitraten. Von 1914 bis 1933 war er Vorsitzender des „Arbeitgeberverbandes Nordwest“ des „Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller“, seit 1929 zudem Vorsitzender des Gesamtvereins.
In der Weimarer Republik stieg Poensgen zu einem der führenden Eisen- und Stahlindustriellen auf, auch über Deutschlands Grenzen hinaus. Er war einerseits führend an der Gründung der „Vereinigte Stahlwerke AG“ 1925/1926 beteiligt, dem bis zu diesem Zeitpunkt größten Unternehmenszusammenschluss der deutschen und europäischen Industriegeschichte und wurde deren stellvertretender Vorstandsvorsitzender, 1935 Vorstandsvorsitzender. Andererseits hatte er schon 1924 die „Deutsche Rohstahlgemeinschaft“, das größte deutsche Stahlkartell, mitgegründet und war zudem von deutscher Seite aus der erfolgreiche Verhandlungsführer bei der Gründung der Internationalen Rohstahlgemeinschaft 1926. Seit 1930 fungierte er zudem als Leiter der deutschen Gruppe der „Internationalen Rohstahlexportgemeinschaft“.
Politisch stand Poensgen im rechtsliberalen Lager und trat 1919 in die von Gustav Stresemann (1878-1928, 13.8.-23.11.1923 Reichskanzler, anschließend bis 1929 Außenminister) geführte „Deutsche Volkspartei“ (DVP) ein, die er allerdings 1928 wieder verließ und in die weiter rechts stehende „Deutschnationale Volkspartei“ (DNVP) wechselte. Am Ende der Weimarer Republik unterstützte er die Politik des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning (1885-1970, 30.9.1930-30.5.1932 Reichskanzler), der mit Notverordnungen regierte. Poensgen gehörte jedoch in der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 keiner NS-Organisation an und wurde auch nie Mitglied der Fördergruppen aus den Reihen der Wirtschaft wie etwa dem „Freundeskreis Himmler“.
Allerdings zeigte Poensgen schon ab etwa 1930 eine durchaus wohlwollende Haltung gegenüber politisch autoritären Konzepten und plädierte in jener Zeit für das „Führerprinzip“ in der Politik, was er bald darauf jedoch öffentlich dementierte. Er war auch bei mehreren Veranstaltungen zugegen, auf denen führende Industrielle wie etwa Fritz Thyssen (1873-1951) die nationalsozialistische Politik unterstützten, so auf der Veranstaltung im Düsseldorfer Industrie-Club im Januar 1932, auf der Adolf Hitler (1889-1945) eine Rede hielt. Zudem war er Mitglied der „Ruhrlade“, einer exklusiven, 1928 gegründeten Interessenvereinigung der zwölf wichtigsten Ruhrindustriellen. Dieser exklusive Kreis hielt seine Existenz geheim und finanzierte als Sprachrohr die „Deutsche Allgemeine Zeitung“.
Nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten setzte sich Poensgens Aufstieg fort. 1934 wurde er Leiter der neu entstandenen Zentralorganisation der Schwerindustrie, der „Wirtschaftsgruppe Eisenschaffende Industrie“ und führte zugleich deren Nordwestgruppe. Ein Jahr später, 1935, übernahm er von seinem Freund Albert Vögler (1877-1945) den Vorstandsvorsitz der „Vereinigten Stahlwerke“. Grundsätzlich wandte sich Poensgen gegen staatliche Eingriffe in die Wirtschaft wie etwa die Gründung der „Reichswerke Hermann Göring“ und die staatlichen Vierjahrespläne. Zugleich lehnte er die rassistischen Ideen und Konzepte entschieden ab. Zwar verlieh ihm das NS-System mehrere hohe Auszeichnungen, so wurde er 1937 zum Wehrwirtschaftsführer ernannt, erhielt 1941 den Adlerschild des Deutschen Reiches, Ende Januar 1941 das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse und wurde noch Anfang 1942 von Reichsminister Albert Speer (1905-1981, 1942-1945 Rüstungsminister) in den „Rüstungsrat“ berufen, dennoch blieb er gegenüber dem NS-System auf Distanz.
Als Poensgen sich jedoch im Frühjahr 1942 entschieden gegen eine staatliche Lenkung der Produktion wandte, wurde er von Speer als Leiter der „Wirtschaftsgruppe Eisenschaffende Industrie“ abgesetzt, woraufhin er von weiteren Leitungspositionen in der Eisen- und Stahlindustrie zurücktrat und nach Kitzbühel übersiedelte. Von dort aus teilte er Vögler seinen Rücktritt als Vorstandsvorsitzender der „Vereinigten Stahlwerke“ mit und wechselte in den Aufsichtsrat des Unternehmens. In den folgenden Jahren lebte er zunächst in Österreich und, nachdem er dort 1946 ausgewiesen worden war, in seinem Chalet in der Nähe von Zermatt. Trotz seiner seit 1943 stark angegriffenen Gesundheit engagierte sich Poensgen nach Kriegsende mit britischer Billigung noch einmal bis 1947 im Wiederaufbau der Wirtschaft, wurde dann jedoch von britischer Seite zur internationalen Fahndung ausgeschrieben. Jedoch wurde Poensgen weder im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess angeklagt, noch dort als Zeuge vernommen, sondern aufgrund der Aussagen zahlreicher Personen weitgehend entlastet, obwohl er wie wohl alle führenden Unternehmer über die Ereignisse in den besetzten Ostgebieten, darunter auch die dortigen Massenmorde, informiert war.
Ernst Poensgen, von Gerhard Mollin als „kultivierter Grandseigneur“ charakterisiert, war umfassend gebildet, polyglott und hatte breitgefächerte Interessen. Er engagierte sich in der Förderung von Kunst und Kultur sowie dem Sport ebenso wie in der Organisation von gesellschaftlich relevanten Ausstellungen. Politisch bürgerlich-konservativ, zeigte er sich gegenüber neueren gesellschaftlichen Entwicklungen durchaus aufgeschlossen und lehnte extremistische Anschauungen grundsätzlich ab. Er war als Ingenieur und Unternehmer ebenso aktiv und ausgesprochen erfolgreich wie als Vorsitzender zahlreicher berufsständischer Vereinigungen und Verbände.1927 verlieh die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen ihm die Ehrendoktorwürde (Dr.-Ing. e.h.).
Poensgen starb am 22.7.1949 in Bern und wurde auf seinen Wunsch neben seiner zweiten Frau Lulu begraben.
Nach Ernst Poensgen ist in Düsseldorf die Ernst-Poensgen-Allee im Stadtteil Grafenberg benannt. Die seit 1941 anlässlich seines 70. Geburtstages von den Generaldirektoren der großen Stahlwerke ins Leben gerufene Ernst-Poensgen-Stiftung, wiedergegründet 1953, fördert heute vor allem Kunst und Kultur.
Literatur
Hatzfeld, Lutz, Ernst Poensgen (1871-1949), in: Rheinische Lebensbilder 7 (1977), S. 203-225.
Hatzfeld, Lutz, Poensgen in Amerika, in: Technikgeschichte 35 (1968), S. 56-67.
Wessel, Horst A., Die Unternehmer der Familie Poensgen in der Eifel und in Düsseldorf, in: Soénius, Ulrich S. (Hg.), Bewegen – Verbinden – Gestalten. Unternehmer vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Festschrift für Klara van Eyll zum 28. September 2003, Köln 2003, S. 71-86.
Mollin, Gerhard, Montankonzerne und „Drittes Reich“, Göttingen 1988.
Reckendrees, Alfred, Das „Stahltrust“-Projekt. Die Gründung der Vereinigte Stahlwerke A.G. und ihre Unternehmensentwicklung 1926-1933/34, München 2000.
Schunter-Kleemann, Susanne, Cohnitz & Company. Lebenswege einer rheinischen Kaufmannsfamilie (1750-1950), Bremen 2014, S. 140-151, 196-205.
Online
Mollin, Gerhard Th., Poensgen, Ernst, in: Neue Deutsche Biographie 20, 2001, S. 569-570. [Online]
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Dahlmann, Dittmar, Ernst Poensgen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ernst-poensgen/DE-2086/lido/5b7d2b1fc56d17.06333773 (abgerufen am 19.08.2024)