Inschriftenkatalog: Landkreis Jena
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 39: Landkreis Jena (1995)
Nr. 133 Dienstädt, Dorfkirche 1520/24
Beschreibung
Inschriften auf vierflügligem Schnitzaltar, im Chor hinter dem Altar. Holz, farbig gefaßt, und Öl auf Holz; restauriert 1937 in Eisenach. – Mittelschrein (mit Überhöhung der Mitte): Auf der Innenseite drei Schnitzfiguren, von links nach rechts: Barbara, Maria mit dem Kind (über ihr eine schwebende Krone), Katharina, bezeichnet durch Inschriften (A) in den Nimben; auf dem Sockel der Gottesmutter drei Heilige (Erzväter) mit einem Spruchband, darauf Reste einer Inschrift (B). Linker Seitenflügel: Auf der Innenseite zwei Schnitzfiguren, links Anna Selbdritt, rechts Elisabeth (mit Weinkanne und Brot), bezeichnet durch Inschriften (C) in den Nimben, Elisabeth ferner durch Inschrift (D) auf dem Mantelsaum; auf der Außenseite Gemälde der Apostel Petrus, Paulus, dahinter Jacobus minor (nach Bergner).1) Rechter Seitenflügel: Auf der Innenseite zwei Schnitzfiguren, links Sebastian, rechts Erasmus, bezeichnet durch Inschriften (E) in den Nimben, Sebastian ferner durch Inschrift (F) auf dem Mantelsaum; auf der Außenseite Gemälde der Apostel Johannes, Jacobus maior, dahinter Philippus. Linker Außenflügel: Auf der Innenseite Gemälde der Apostel Bartholomäus, Andreas, dahinter Simon. Rechter Außenflügel: Auf der Innenseite Gemälde der Apostel Matthäus, Thomas, dahinter Matthias. „An den Aussenseiten der hinteren Flügel sind nur Buchstaben-Reste wie es scheint einer langen Inschrift des 18. Jahrhunderts, erkennbar“;2) diese verloschen. Predella: Auf den Flügeln außen Früchte, Blumen, Vögel und Ranken in braunen und gelben Tönen gemalt; an einem Granatapfel Buchstaben (G); innen links Kelch, rechts kniender Engel; die Figuren im Schrein fehlen.
Maße: H. 179 cm (mit Mittelüberhöhung H. 225 cm); B. 161,5 cm (Mittelschrein); Bu. 3,5 cm, in (B) 2 cm.
Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis, in Umrißlinien eingeritzt und mit Punzen ausgefüllt (A, C, E); (B) und (G) aufgemalt; (D) und (F) ausgeschnittene Buchstaben aus Metall auf Holz mit Ziernägeln befestigt. Worttrennung durch geschwänzte Quadrangeln.
- A
∙ SANCTA ∙ BARBRAa) ∙ ∙ SANCTA ∙ MARIA ∙ ∙ SANCTA ∙ KATRINAa) ∙
- B
ET[.]E[..]G[.]COHb)
- C
∙ S(ANCTA) ∙ ANNA ∙ MATER ∙ M(ARIE)c)∙ S(ANCTA) ∙ ELISABET ∙ LANT(GREFI)N
- D
∙ S(ANCTA) ∙ ELISABET ∙ L[A]NT⟨GREF⟩INd)
- E
∙ SEBASTIAN ∙ MERT(YRER) ∙ ∙ S(ANCTVS) ∙ ERASMV[S] ∙ EPISCOP(VS) ∙
- F
∙ SEBASTIAN ∙
- G
V O Ae) O
Textkritischer Apparat
- Synkopierte Form.
- EXALT Lehfeldt; S.E.F..CA–F.SUS..GOH Bergner.
- MATERCIA (= mettercia) Bergner.
- A fehlt, am Schatten erkennbar; die mittleren Buchstaben scheinbar unter dem Brotlaib verborgen, tatsächlich aber nie angebracht; vgl. zu Nr. 69.
- Die schrägen Hasten nach außen gebogen; Querbalken weit über die Schenkel ragend.
Anmerkungen
- Wie auf dem Altar im benachbarten Engerda üb. Rudolstadt, den Bergner 1894a, 47 zum Vergleich heranzieht.
- BuKTh Kahla, 76.
- A. O. 75–76.
- Bergner 1894, 535; er datiert das Werk auf kurz nach 1494, weil seit diesem Jahr der Tag der hl. Anna (26. Juli) in Kursachsen als ein hoher Festtag begangen wurde.
- Bergner 1894a, 44–46 und 49.
- Voß (s. Nr. 120, Anm. 4), 43.
- Koch 1914, 51–52.
- Luthardt 1943, 151, gegen Bergner 1894a, 45 („ein sehr billiger Preis, jedoch nicht auffällig in jener Zeit“). Für den Marien-Altar (mit sieben Schnitzfiguren) in der Kirche von Buchfahrt b. Weimar, der aus einer Jenaer Werkstatt stammt, werden im Jahre 1492 bezahlt 30 rheinische Gulden (P. Weber, in: Beiträge zur thüringischen und sächsischen Geschichte. Festschrift O. Dobenecker, Jena 1929, 221).
- Vgl. DI 33 (Jena), Nr. 61, mit der anhand der Grabplatte Martin Luthers geführten Diskussion um den Begriff „Tafel“ in den zeitgenössischen Quellen.
- H. Hentschel, Hans Witten. Der Meister H.W., Leipzig 1938, 130ff.
- Luthardt 1943, 149–167.
- Vgl. W.-D. Röber, Der Zwickauer Bildschnitzer Leonhard Herrgott – ein Zeitgenosse Peter Breuers, in: Der Heimatfreund für das Erzgebirge 23, 1978, 276–278. Röber schreibt dem Schnitzer über 15 Altäre und Einzelfiguren zu; den Altar von Dienstädt nennt er nicht.
- Vgl. Thieme/Becker XVI (1923), 544.
- Luthardt 1943, 165. Das späteste datierte Werk aus Saalfeld ist der Altar von Neusitz b. Rudolstadt (1515), s. Koch 1914, 50.
- A. O. 160–162.
- Vgl. A. Heerdegen, Geschichte der allgemeinen Kirchenvisitation in den Ernestinischen Landen im Jahre 1554/55, in: ZVThGA Suppl. Bd. 6, 1914, 109.
- Luthardt 1943, 157: „im Aufbau des Werkes selbst“.
Nachweise
- BuKTh III (Kahla), 1888, 75–76 und Photo auf Taf. nach S. 74 (Mittelschrein) und vor S. 75 (Seitenflügel).
- Bergner 1894, 535–536.
- Bergner 1894a, 44–49.
- Vgl. Wagner 1845, 34.
- Koch 1914, 50–59.
- Luthardt 1943, 149–167.
- Mühlmann 1954, 11.
- Mühlmann 1969, 22.
- Hintzenstern 1979, 141 und Photo S. 44–45.
- Weinhold 1968, 67.
Zitierhinweis:
DI 39, Landkreis Jena, Nr. 133 (Luise und Klaus Hallof), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di039b006k0013306.
Kommentar
Der Schnitzaltar von Dienstädt hebt sich stilistisch von den sonst im Ostthüringer Raum bekannten Schnitzaltären deutlich ab. In den BuKTh wird die Frage des Künstlers nicht berührt.3) Nachdem Bergner zunächst an Lehfeldts Beschreibung nur einige Verbesserungen anbrachte,4) gelang ihm wenig später die Entdeckung von Dienstädter Kirchenrechnungen, aus denen er folgende Nachrichten auf den Altar beziehen zu können glaubte: 1510 wurden 5 Groschen Zehrung für die Männer abgerechnet, die in Saalfeld „die taffel haben besehen“; 1513 wurden 5 Gulden dem „moler“ bei einem Ablaßfest in Orlamünde, weitere 4 Gulden am Johannistag [24. Juni] und der Rest von 4 Gulden am Matthäustag [21. September] ausgezahlt. 1524 schließlich sind 20 Neugroschen „vor das Schloß vor dy taffel“ notiert.5) Danach wäre der Altar um 1510 in Saalfeld bestellt und 1513 vollendet und aufgestellt worden. Je deutlicher freilich die Eigenheiten der im Spätmittelalter in Thüringen bedeutenden Saalfelder Schnitzwerkstatt beim Fortgang der Inventarisation hervortraten, desto mehr geriet der Dienstädter Altar zum Einzelstück. Voß versuchte vermittelnd einen Meister zu erkennen, „der schon als reifer Künstler nach Saalfeld eingewandert ist und dort an seiner besonderen Kunstrichtung festhielt.“6) Die Frage nach der Herkunft des Altarwerkes wurde wieder offen, als E. Koch7) den von Bergner herangezogenen Rechnungen den Charakter eines „förmlichen Nachweises“ für die Saalfelder Provenienz absprach. 13 Gulden sind als Schleuderpreis für den Schrein schlechterdings undenkbar,8) und das bezahlte Objekt, die „taffel“, kann nicht der Altar gewesen sein.9) In seiner Arbeit über den bedeutendsten obersächsischen Bildschnitzer Hans Witten10) nimmt Hentschel den Dienstädter Altar für eine Zwickauer Werkstatt in Anspruch und sucht den Meister unter den „Nachahmern“ des Hans Witten.
Diesen Ansatz führte Luthardt in der bislang umfassendsten kunsthistorischen Studie über den Altar weiter, indem er den Meister des Altares von Crossen b. Zeitz als den Schnitzer des Dienstädter Werkes erweist.11) Nach den Urkunden ist dies der Zwickauer Bildschnitzer Leonhardt Herrgott gewesen;12) Herrgott ist seit 1505 in Zwickau und dort 1534 gestorben.13) Den Dienstädter Altar datiert Luthardt nach 1520. Den terminus ante quem gibt sicher das Jahr 1524 mit Karlstadts bilderstürmerischem Wirken im benachbarten Orlamünde. Das späte Datum zwischen 1520 und 1524 kann wohl auch die Bestellung des Altares bei dem Zwickauer Meister erklären: Die Werkstätten von Jena und Saalfeld waren kurz vor 1520 zum Erliegen gekommen.14) Für die Malereien wird eine enge Beziehung zur Cranach-Schule angenommen; der Maler ist möglicherweise unter den Schülern Lucas Cranachs d. Ä. zu suchen.15) Der Altar wurde während der Reformation aus der Kirche entfernt, aber schon 1554 von dem Pfarrer Peter Meusler wieder aufgestellt, wofür er sich den Tadel der Visitatoren einhandelte.16)
Die Form des Schreines mit der Überhöhung der Mitte ist typisch für die Saalfelder Werkstatt (s. etwa Nr. 97); wie diese Abweichung von der sonst in den Zwickauer Werkstätten gepflegten Form zu erklären sei, ist umstritten.17) Die Figuren sind vielmehr von gleicher Größe, und die Überhöhung durch eine über dem Nimbus der Maria schwebende Krone und durch das geschnitzte Laubwerk keineswegs überzeugend ausgefüllt. Die auf den Nimben eingeprägten Inschriften in Frühhumanistischer Kapitalis sind den Saalfelder Altären fremd, bei denen die Namen vielmehr in Minuskeln an den Sockeln der Figuren stehen.