Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 7 LVR – Archäologischer Park/RömerMuseum 11. Jh.

Beschreibung

Memorienstein des Laien Volcart1), 1950 im Auffüllschutt unter dem Fußboden des Kapitelsaals gefunden, heute im Magazin des RömerMuseums aufbewahrt. Querrechteckige Kalksteintafel mit einzeiligem, zwischen Linien eingehauenem Sterbevermerk, der in der Mitte der Platte verläuft. Geschliffene Oberfläche, an mehreren Stellen vor Anbringung der Inschrift beschädigt, die Schrift berücksichtigt die Beschädigungen. Mörtelreste auf der Rückseite und grob gearbeitete rechte und linke Außenkanten lassen auf eine Einmauerung schließen. Rechts Reste einer Profilleiste, drei Bohrungen, Farbspuren an der Unterkante.2) Bader vermutet, dass es sich um eine Spolie handelt.3)

Maße: H. 44,3 cm; B. 82,7 cm; T. 5 cm; Bu. 5,4 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. IIXa) K(A)L(ENDAS)b) N(OVEMBRIS)c) OBIITd) VOLCARTe) LAICVSf)

Übersetzung:

Am 12. Tag vor den Kalenden des November (21. Oktober) verschied der Laie Volcart.

Kommentar

Die Inschrift ist in Scriptura continua, also ohne Wortabstände, eingehauen. Die ersten vier Wörter sind eng gesetzt und teilweise extrem gekürzt, ungewöhnlich ist vor allem die Kürzung des Monatsnamens November nur durch den Buchstaben N. Name und Standesangabe hingegen nehmen fast zwei Drittel der Zeile ein. Da die Übermittlung des Todestages neben dem Namen von hervorragender Bedeutung für die Sicherung der Memoria war, ist diese ungleichmäßige Schriftverteilung vermutlich nicht beabsichtigt, sondern auf fehlende Erfahrung bzw. mangelndes Geschick des Steinmetzen zurückzuführen. Dafür spricht auch die ungelenke Ausführung des O, das unten stark abgeflacht ist und zudem eine senkrechte Schattenachse, d. h. seitliche Bogenverstärkungen, anstelle einer linksschrägen Achse aufweist, wie sie in hochwertigen Kapitalisschriften der Antike und der karolingischen Zeit üblich ist. Dem entspricht das Fehlen von Linksschrägenverstärkungen; bei V ist vielmehr der rechte Schaft als breiterer Schattenstrich ausgeführt. Schäfte und Balken tragen dünnstrichige Sporen. Alle Buchstabenformen entstammen dem kapitalen Alphabet. Die Bögen des B berühren sich nicht. Der obere, extrem kurze Schrägbalken des K setzt außen am unteren Schrägbalken an.4) Die Cauda des (auffallend gut gelungenen) R ist geschwungen, eine Form, die erst ab dem Ende des 10. Jahrhunderts und regelmäßig ab dem 11. Jahrhundert verwendet wird.5) Binding datiert den Stein paläographisch in das erste Drittel, Nisters-Weisbecker in die Mitte des 11. Jahrhunderts.6) Bader konstatiert Schriftähnlichkeiten mit dem Hubertus-Stein (Nr. 8) und schlägt eine Entstehung im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts vor.7) Tatsächlich aber unterscheidet sich die Schrift beider Steine deutlich in der Buchstabengestaltung (B, O) und im Schriftniveau.

Ein Folchard ist im ältesten Xantener Totenbuch unter dem 20. Oktober verzeichnet, bei ihm handelt es sich vermutlich um den Verstorbenen, für den der Memorienstein angefertigt wurde.8) Daraus resultiert die Annahme, dass mit der Zahl IIX der zwölfte, nicht – wie ebenfalls denkbar – der achte Tag vor den Kalenden gemeint ist. Eine Abweichung des Sterbedatums um einen Tag zwischen dem Totenbuch und der Inschrift ist nicht ungewöhnlich. „Laicus“ wird der Angehörige einer der im 9. Jahrhundert aufgekommenen Laienkongregationen in Klöstern und Stiften genannt. Der LAICVS Volcart dürfte eine Memorialstiftung für das Heil seiner Seele getätigt haben, in deren Zusammenhang der Memorienstein gesehen werden muss.9)

Textkritischer Apparat

  1. Die Ziffern sind wohl in falscher Reihenfolge notiert, gemeint ist wahrscheinlich XII. Siehe den Kommentar.
  2. Kürzung durch waagerechten Strich durch den Schaft des L.
  3. Kürzungsstrich oberhalb der Lineatur.
  4. BI in O eingestellt; zweites I verkleinert unter den Balken des T gestellt.
  5. A in C eingestellt.
  6. A über dem Balken des L, S verkleinert. Wegen einer Beschädigung der Oberfläche Lücke zwischen I und C, auch der Bogen des C ist beschädigt.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. Lx 2.
  2. Zustandsprotokoll des LVR, Abt. Restaurierung (vor dem 23.10.2009).
  3. Bader, Vermischtes (1964), S. 357.
  4. Ganz ähnlich ist das K auf einem Grabstein aus Uedem, den Nisters-Weisbecker in die Mitte des 11. Jh. datiert (Grabsteine [1983], S. 289f., Nr. 111). Vgl. auch den Memorienstein des Athalbero aus Bonn-Dottendorf (11.– Mitte 12. Jh.), DI 50 (Bonn [2000]), Nr. 16).
  5. Siehe DI 70 (Trier I [2006]), Nr. 84.
  6. Nisters-Weisbecker führt eine Reihe anderer Steine an, deren Inschrift nicht kreuzförmig ist, sondern einzeilig in der Plattenmitte verläuft, schätzt diese Besonderheit aber offensichtlich nicht als Datierungskriterium ein (Grabsteine [1983], S. 273–278).
  7. Binding, Memoriensteine (1971), S. 58; Bader, Vermischtes (1964), S. 357.
  8. Oediger, Totenbuch (1958), S. 81: „XIII Kal. Nov.“. Eine Angabe zur ausführenden Hand und ihrer zeitlichen Einordnung durch Oediger fehlt in diesem Fall.
  9. Conrad, Niederrheinische Epigraphik (1931), S. 46.

Nachweise

  1. Oediger, Totenbuch (1958), S. 81.
  2. Totenbuch in Lichtdrucken (1959), Bl. 57v.
  3. Bader, Vermischtes (1964), S. 357.
  4. Binding, Memoriensteine (1971), S. 57f.
  5. Bader, Dom I (1978), Tf. 30.
  6. Nisters-Weisbecker, Grabsteine (1983), S. 278, Nr. 85 und S. 275, Abb. 36.
  7. Kat. Königtum (2009), Nr. 33, S. 310f. mit Abb. (B. Päffgen).

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 7 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0000704.