Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 10 St. Viktor, Mittelschiff 9.–11. Jh.?

Beschreibung

Reliquienkreuz. Pectorale aus Bronze, Schnalle verloren. Bei Aufstellung des Gemeindealtars vor dem Lettner 1975 in die Altarplatte eingelassen. Das Kreuz war 1967 bei der Restaurierung des 1402 aufgestellten Lettnerkreuzes im Rücken des gekreuzigten Christus gefunden worden. Dort befand es sich in einer viereckigen Höhlung von 9 x 12 cm, die mit einem passenden Deckel verschlossen und mit Leinwand überklebt war. Nach Entfernung der Nieten rechts und links neben dem Titulus (A) und an den Fußspitzen des Gekreuzigten konnte man das Kreuzchen aufklappen und fand in seinem Hohlraum mit farbigen Bindfäden verschnürte Stoffpäckchen jüngeren Datums mit Reliquien.1) Das Reliquienkreuz hat kräftige, sich zu den Enden hin verbreiternde Arme und weist auf Vorder- und Rückseite Ritzzeichnungen auf, die einem einheitlichen Typus folgen: Auf der Vorderseite ist der bärtige Gekreuzigte, auf einem Suppedaneum stehend, mit Kreuznimbus und Colobium und ohne Nägel dargestellt; eine griechische Inschrift befindet sich unter dem Querbalken des eingeritzten Kreuzes (B), der Titulus weist nur den griechischen Anfangsbuchstaben des Christusnamens auf (A); auf der Rückseite die Gottesmutter mit Nimbus in Orantenhaltung, im Mantel und mit Beischrift am oberen Rand (C). Inschriften eingeritzt.

Siehe Lageplan.

Maße: H. 7 cm; B. 5 cm; Bu. 0,5 cm.

Schriftart(en): Griechische Majuskel.

  1. A

    Χ(ΡΙΣΤΟΣ)a)

  2. B

    Ι(ΗΣΟΥ)Σ Χ(ΡΙΣΤΟ)Σb) // ΝΗΚΑ

  3. C

    ΜΗ(ΤΗ)Ρ Θ(ΕΟ)Υc)

Übersetzung:

(A) Christus

(B) Jesus Christus siegt!

(C) Mutter Gottes

Kommentar

Die Formel ησος Χριστς νικ mit den üblichen Abkürzungen des Gottesnamens (ΙC ΧC ΝΙΚΑ) gehört zu den gebräuchlichsten Akklamationen des christlichen Ostens seit dem 5./6. Jh. n. Chr.,2) die in der Epigraphik immer verbunden mit dem Kreuz oder dem Kruzifix erscheint. Auffällig, aber nicht ungewöhnlich, ist die itazistische Schreibung νηκ statt νικ.3)

Die Buchstaben sind eher geritzt als graviert. Bei K stoßen die beiden Schrägbalken in sehr stumpfem Winkel aufeinander und berühren den Schaft nicht. A hat einen schrägen Mittelbalken.

Nach der Tradition der ersten Kreuzesdarstellungen, die ins 5. Jahrhundert reichen,4) wird Christus als Sieger dargestellt.5) Der Gekreuzigte trägt eine ärmellose, knöchellange Tunika, ein sog. Colobium, d.h. eine Dalmatik ohne die eingesetzten Ärmel, wie sie ab dem 3. Jahrhundert hochgestellte Persönlichkeiten als nicht offizielle Tracht über einer langärmeligen Tunika aus Leinen trugen.6)

Solche Reliquienkreuze wurden als Pectorale an einer Schnalle auf der Brust getragen und von Wallfahrern aus dem Heiligen Land mitgebracht, bis ab 1078 die Seldschuken christliche Pilger aus dem byzantinischen Reich und Europa überfielen und damit der Wallfahrt ein Ende machten. Vergleichbare Kreuze werden von der neueren Forschung in mittelbyzantinische Zeit (9.–11. Jahrhundert) datiert und ins östliche Mittelmeergebiet lokalisiert.7)

Textkritischer Apparat

  1. Befund: X. In Umschrift: Χ(ριστς).
  2. Befund: IC XC. In Umschrift: (ησο)ς Χ(ριστ)ς // νηκ.
  3. Befund: MHP ΘV. In Umschrift: Μ(τη)ρ Θ(εο).

Anmerkungen

  1. Nach den lateinischen Authentiken handelt es sich um Reliquien vom Kreuz Christi, vom Kreuz des hl. Petrus, von der Geißelsäule im Hause des Kajafas, von der hl. Jungfrau Cäcilia, vom hl. Viktor und einem seiner Gefährten. S. Bader, Dom I (1978), S. 241.
  2. Belege finden sich bei E. Peterson, ΕΙΣ ΘΕΟΣ. Epigraphische, formgeschichtliche und religionsgeschichtliche Untersuchungen, Göttingen 1926, S. 152–163.
  3. Für die sprachliche Beurteilung der Inschrift sei Prof. Dr. Klaus Hallof, Berlin, herzlich gedankt.
  4. Zur Entwicklung der Kreuzigungsdarstellungen in der byzantinischen Kunst vgl. E[lisabeth] Lucchesi Palli/G[éza] Jászai, Art. Kreuzigung Christi, in: LCI, Bd. 2 (1970), Sp. 606–642, insbesondere Sp. 608, 613–615; Schiller, Ikonographie, Bd. 2 (1983), S. 99–110 mit zahlreichen Abbildungen. Die Übereinstimmungen mit einem Pektoralkreuz aus Smyrna aus dem 6.–7. Jh. (ebd., Abb. 333) erstrecken sich nicht nur auf die Abbildung des mit geöffneten Augen und ohne Nagellöcher auf einem Suppedaneum stehenden Christus, sondern auch auf Details wie die Kreuzestafel mit dem X, die Musterung des Gewandes und die Anbringung einer Inschrift unter den Kreuzarmen.
  5. Sein Bart weist auf die Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater hin.
  6. Besonders häufig nachzuweisen im 9. Jh., im 11. Jh. nur noch selten (vgl. E[lisabeth] Lucchesi Palli, Art. Kolobion, in: LCI, Bd. 2 [1970], Sp. 541f.).
  7. PD Dr. Ulrike Koenen, Düsseldorf, sowie Prof. Dr. Klaus Hallof, Berlin, ist für hilfreiche Hinweise zur Datierung und Lokalisierung herzlich zu danken.

Nachweise

  1. Bader, Dom I (1978), S. 241.
  2. Ley, Bronzealtar (2010), S. 43–45.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 10 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0001009.