Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 13 Stiftsmuseum um 1180
Beschreibung
Tragaltar.1) Kupfer über Holzkern, vergoldet, graviert, emailliert. An den Kastenwandungen Christus bzw. Maria im Zentrum der Langseiten, flankiert von jeweils vier Aposteln, die ihnen zugewandt sind. Jeweils zwei Apostel an den Schmalseiten ergänzen die Zwölfzahl. Alle Figuren sitzen auf Thronen, durch Säulchen voneinander getrennt. Gewänder und Körperteile heben sich durch Vergoldung vom farbigen Emailgrund ab. Vergoldet sind auch die geprägten Ornamentfriese an der Schräge zwischen der Wandung und der Deck- bzw. der Sockelplatte2); die Stirnseiten des Sockels und der Deckplatte sind mit emaillierten Blattfriesen verziert. In die Deckplatte wurde 1725 statt des Altarsteins eine Silberplatte mit graviertem fünfzeiligem Restaurierungsvermerk und Reliquienbezeichnung3) eingefügt, weil man den Tragaltar als Reliquiar mit Gewandteilen des hl. Viktor verwendete. Neben der Silberplatte Ganzfiguren des Melchisedech mit Kelch und Hostie (links) sowie des Abraham mit Widder (rechts) als priesterliche Vorbilder des neutestamentlichen Messopfers, beide mit Namensbeischrift im Nimbus (A, B). Gerahmt werden die Platte und die beiden sie flankierenden Figuren durch eine umlaufende Leiste mit einer Inschrift, die eine liturgische Erklärung der Eucharistie bietet (C). 18 durch Palmzweige getrennte Rundmedaillons präsentieren Verkündiger des Evangeliums in Halbfigur, die durch Beischriften auf einer am Rand umlaufenden Leiste namentlich bezeichnet sind: In den Ecken die vier Evangelisten, repräsentiert durch ihre Symbole (D–G). Der üblichen Anordnung der Evangelisten gemäß ist Matthäus links oben dargestellt, entgegen dem Uhrzeigersinn gefolgt von Markus, Lukas und Johannes. Ihrer Bedeutung als Eckpfeiler der Kirche entsprechend sind sie größenmäßig etwas hervorgehoben und tragen Spruchbänder mit dem Anfang des jeweiligen Evangeliums (H–K). Dazwischen sind an den Schmalseiten mit Viktor und Mauritius bzw. Gereon und Cassius je zwei Märtyrer der Thebäischen Legion (L–O) links und rechts des Mittelteils sowie zehn Bischöfe und Kirchenlehrer (P–Y) an den Langseiten dargestellt. Die entsprechenden Namensbeischriften sind blau auf goldenem Grund in die umlaufende Rahmenleiste emailliert. Füße des Tragaltars verloren, geringe Abplatzungen an den Emails, Vergoldung der Deckplatte abgerieben. 1998 durch H. Cürvers in Kevelaer konserviert.
Maße: H. 10 cm; B. 24 cm; T. 15 cm; Bu. 0,2 cm (A, B), 0,3–0,4 cm (C–Y).
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
- A
MELCHI//SEDEH ·
- B
· ABRAHAM ·
- C
+ QVICQVID · IN · ALTARI · TRACTAT/VR · MATERIALI · a)+ CORDIS · IN · ALT/ARI · COMPLETVR · SPIRITUALI ·+ HOSTIA · VISIBILIS · MACTATVR ·/ OPERTA · FIGVRA+ IMMOLAT · HAN/C · PVRA DEVOCIOb) MENTIS · IN ARA4)
- D
S(ANCTVS) · MATHEUS · EV/ANGELISTA ·
- E
MARCVS · E/VANGELISTA ·c)
- F
· S(ANCTVS) · LVCAS · / EVANGELIST/Ad)
- G
S(ANCTVS) · IOHANNES · / EVANGELISTA ·
- H
LIBER GEN[ERATIONIS]e)5)
- I
VOX · CLAMA[NTIS]e)6)
- J
FVIT IN DI[EBVS]e)7)
- K
IN PRINC[IPIO]e)8)
- L
S(ANCTVS) · VICTOR ·
- M
· S(ANCTVS) · MAVRICIVS ·
- N
S(ANCTVS) · GEREON ·a)
- O
S(ANCTVS) · CASSIVS ·
- P
S(ANCTVS) · MATERNVS ·
- Q
S(ANCTVS) · AMBROSIVS ·
- R
S(ANCTVS) · MARTINVS ·
- S
S(ANCTVS) · BASILIVS ·
- T
S(ANCTVS) · EVCHARIVS ·
- U
S(ANCTVS) · AGVSTINVVS f) ·
- V
S(ANCTVS) · CVNIBERTVS ·
- W
S(ANCTVS) · SEVERINVS ·
- X
S(ANCTVS) · EVERGISLVS ·
- Y
S(ANCTVS) · SERVACIVS ·a)
Übersetzung:
(C) Was auf dem stofflichen Altar geschieht, wird auf dem geistigen Altar des Herzens vollendet: Eine sichtbare Hostie, deren (wahre) Gestalt verborgen ist, wird geweiht, die Frömmigkeit der Seele bringt sie auf reinem Altar als Opfer dar.
(H) Stammbaum …
(I) Stimme eines Rufenden …
(J) Es geschah in den Tagen …
(K) Im Anfang …
Versmaß: Hexameter mit zweisilbigem Zäsur- und Endreim (caudati collaterales) (C).
Textkritischer Apparat
- Dahinter us-Haken auf der Zeile ohne erkennbare Funktion.
- Nexus litterarum verbindet den letzten Buchstaben von PVRA und den ersten Buchstaben von DEVOCIO.
- Der Text beginnt auf der unteren Randleiste, wird dann an deren linker Ecke mit einem kopfständigen E fortgesetzt und endet auf der linken Leiste.
- Der Text beginnt auf der unteren Randleiste und springt dann auf die rechte Leiste über. Der letzte Buchstabe steht kopfständig am rechten Rand der unteren Leiste neben dem Namen.
- Beschriftung des Schriftbandes bricht mitten im Wort ab.
- Sic! Der rechte Schaft des mit N ligierten V ist nicht komplett ausgeführt, da an dieser Stelle zwei Leisten aneinander stoßen. Vielleicht wurde der Buchstabe deshalb auf dem benachbarten Leistenstück wiederholt.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): B-3.
- Palmettenfries an den Schmalseiten der Sockelplatte teilweise erneuert.
- In hac Capsula Sunt /de Veste et de Chla=/mide S(anc)ti Victoris patro=/ni Nostri particulae : / Renovatum 1725 (‚In diesem Kästchen befinden sich Partikel von Gewand und Überwurf des hl. Viktor, unseres Patrons. Renoviert 1725‘). Bu: 1–1,2 cm.
- Vielleicht in Anlehnung an Lv 24,6: „super mensam purissimam“.
- Mt 1,1.
- Mc 1,3.
- Lc 1,5.
- Io 1,1.
- Dazu und zur weiteren kunsthistorischen Beschreibung und Einordnung und zu weiterer Literatur siehe Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 85–87, und Budde, Altare portatile (1998), Bd. 2, S. 23–31.
- Bamberg, Diözesanmuseum, Inv.-Nr. 2722/19; Budde, Altare portatile (1998), Bd. 2, S. 36–43 (Nr. 60).
- Kat. Ornamenta Ecclesiae, Bd. 2 (1985), S. 337, E 102.
- Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 85.
Nachweise
- Aus’m Weerth, Kunstdenkmäler I (1857), Tf. XVII, 4, S. 38 (C, nur Übersetzung).
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 129f., Nr. 2.
- Kraus, Christl. Inschriften II (1894), Nr. 656.
- Braun, Altar, Bd. 2 (1924), S. 471.
- Hölker, Inventar (1925), B-3.
- Schiffler, Inventar (1981), Mp. IV, Reliquiare, Nr. 2.
- Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 85–87 mit weiteren Literaturangaben.
- Budde, Altare portatile (1998), Bd. 2, S. 23–31 (Nr. 58), mit 39 Abb.
- Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), Nr. VI/12, S. 140f. mit Abb.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 13 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0001306.
Kommentar
Während die Inschrift C, in der Mitte der oberen Langseite beginnend, durchgängig von innen lesbar um das Zentrum des Altars als Ort des liturgischen Geschehens umläuft, sind die Beischriften beider Langseiten von der Vorderseite des Tragaltars aus lesbar. Da die Beischriften zu den Evangelisten Markus und Lukas auf die untere und die jeweils benachbarte seitliche, nach innen weisende Schriftleiste verteilt sind, ergibt sich eine Störung des Leseflusses. In beiden Ecken ist ein Buchstabe auf dem Kopf stehend ausgeführt. Das mag dem Platzmangel geschuldet, vielleicht aber auch bewusst so angeordnet worden sein, um einen engeren Bezug zwischen dem Namen und der Bezeichnung als Evangelist herzustellen.
Die nur wenige Millimeter hohen Buchstaben weisen schon aufgrund der Herstellungstechnik eine erkennbare Flächigkeit auf, die durch Bogenschwellungen und durch die keilförmige Verbreiterung von einseitig angesetzten Schrägschäften (bei A und V) oder Balken (bei L) verstärkt wird. Ausgeprägte Sporen sind teils in Form rechtwinklig angesetzter Striche (H, A), teils als Serifen (an den Enden der Bögen bei C) gestaltet. Abschlussstriche sind noch nicht vorhanden. Bei mehreren Buchstaben ist der Wechsel zwischen kapitalen und unzialen bzw. runden Formen feststellbar: kapitales A mit beidseitig überstehendem Deckbalken wechselt mit der unzialen Variante, deren linker Schaft gebogen oder auch geschwungen und mit Schwellung versehen ist. Auch für M wird neben der bevorzugten kapitalen die unziale Form verwendet, symmetrisch und offen (in ABRAHAM) oder unzial und vorne geschlossen (in IMMOLAT). E ist meist kapital, aber auch unzial gestaltet, G stets eingerollt. Bei Q wird zwischen der geschwungen nach rechts geführten und der senkrecht eingestellten Cauda variiert. Die Cauda des R ist geschwungen und am Ende umgebogen, sie trägt eine Schwellung und wird zum Ende hin feiner. In der metrischen Inschrift C kennzeichnen Kreuze den Beginn der Verse. An etlichen Stellen werden Buchstabenverbindungen verwendet, die sich auf die Verschmelzung von Schäften beschränken und auf Kombinationen von Schäften und Bögen verzichten. Verschränkungen und Enklaven gibt es nicht.
Der Tragaltar wird nach Köln in die Werkstatt des Meisters des Siegburger Gregorius-Tragaltars lokalisiert.9) Die in der kunsthistorischen Forschung festgestellte stilistische und ikonographische Verwandtschaft zum Siegburger Gregorius-Tragaltar und zum Tragaltar aus St. Maria im Kapitol im Museum Schnütgen lässt sich auch an den Inschriften nachvollziehen: Die Inschrift C findet sich nahezu wörtlich am Gregorius-Tragaltar in Siegburg (außerdem an einem Tragaltar in Bamberg10)), die ersten beiden Verse auch in ähnlichem Wortlaut am Tragaltar aus St. Maria im Kapitol.11) Eine zwar flächige, aber bezüglich der gewählten Formen und der Stilistik recht konservative Schriftgestaltung ist sowohl für den Xantener als auch für den Siegburger Gregorius-Tragaltar zu konstatieren. Die Behandlung der Sporen, die keilförmige Verbreiterung zu den Schrägschaft- und Balkenenden und die Beschränkung auf konventionelle Buchstabenverschmelzungen finden sich an beiden Tragaltären. In Siegburg wird allerdings wiederholt ein us-Haken als Kürzungszeichen verwendet und das S ist nach links geneigt; das Xantener Portatile wiederum weist eine größere Formenvielfalt auf. Eine Entstehung beider Tragaltäre in derselben Werkstatt ist durchaus denkbar. Gegen die von der neueren kunsthistorischen Forschung vorgeschlagene Datierung um 118012) ist aus paläographischer Sicht nichts einzuwenden, allerdings lässt sich eine so eng gefasste Einordnung anhand der Schrift auch nicht bestätigen.