Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 14 Stiftsmuseum 3. D. 12. Jh.
Beschreibung
Ovales Reliquienkästchen mit Tragegriff.1) Silberblech über Holzkern, teilweise vergoldet, unterer Teil getrieben, Deckel getrieben mit Nielloarbeiten. An der Wandung plastische Halbfiguren zwischen aufgenagelten niellierten Halbsäulchen. Im Zentrum der Vorderseite Christus mit Kreuznimbus, Segensgestus und Buch, über ihm auf der Unterkante des Daches ein Ornament2) zwischen Alpha und Omega, auf deren Spitze jeweils ein Kreuz aufgesetzt ist (A). Christus zur Seite Halbfiguren von Märtyrern der Thebäischen Legion mit Namensbeischriften, die umlaufend in den Rand des gewölbten Deckels graviert sind (B–H). Alle Märtyrer sind als Soldaten in Rüstung dargestellt, mit Nimbus und z. T. (Viktor, Gereon und Florentius) mit Märtyrerpalme. Auf dem Deckel begrenzen Mäanderbänder am Rand und um den Tragegriff niellierte Darstellungen der Geburt Christi und der Verkündigung an die Hirten. Ein Fuß ist erneuert, fünf Halbsäulen fehlen. 1998 konserviert und restauriert durch H. Cürvers, Kevelaer. Inschriften graviert.
Maße: H. 11,8 cm; B. 20 cm; T. 10,5 cm; Bu. 0,5 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel (B–H), griechische Buchstaben (A).
- A
· A · // · ω
- B
· S(ANCTVS)a) · GEREON
- C
· S(ANCTVS) · CANDIDVS
- D
· S(ANCTVS) · FLORENTIVS
- E
· S(ANCTVS) · MAVRICIVS
- F
· S(ANCTVS) [·] MALLVSIVS
- G
· S(ANCTVS) · CASSIVS
- H
· S(ANCTVS) · VICTOR
Textkritischer Apparat
- In den Inschriften B bis H dient ein waagerecht durchstrichenes S als Kürzung für S(ANCTVS).
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): B-6.
- Eine Parallele findet sich auf der sog. Staatsrobe König Roberts, Victoria & Albert Museum, London, Inv.-Nr. 828-1894, s. Kat. Kaiser Friedrich II. (1194–1250). Welt und Kultur des Mittelmeerraums, hg. von Mamoun Fansa/Karen Ernete, Mainz 2008, Abb. 13, S. 177 (freundlicher Hinweis von Elisabeth Maas M. A., Xanten). Der aus islamischem Zusammenhang stammende Seidenstoff trägt eine arabische Inschrift in kufischem Duktus, die graphische Ähnlichkeiten mit dem Ornament am Xantener Reliquiar aufweist.
- Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), S. 66. Abweichende Datierungen: Kraus, Christl. Inschriften II (1984), Nr. 655: 12. Jh.; Schnitzler, Rheinische Schatzkammer (1959), S. 48: Mitte 12. Jh.; Kat. Ornamenta Ecclesiae (1985), Bd. 3, H 22, S. 100: 3. Viertel 12. Jh.; Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 82: um 1160/70. Nähere Beschreibung und kunsthistorische Einordnung ebd., S. 82–85 (mit weiteren Literaturangaben).
- Freundliche Auskunft von Prof. Dr. Judith Pfeiffer, Oxford; Prof. Dr. Thomas Bauer, Münster; Prof. Dr. Tilman Seidensticker, Jena; Islamisches Zentrum Duisburg (Vermittlung: Günther Holtmeyer) jeweils in persönlichen Nachrichten an Reiner Woitaschek, Xanten.
- Freundlicher Hinweis von Clemens M. M. Bayer M. A., Bonn.
- Freundliche Hinweise auf die Verteilung von Elisabeth Maas M. A., Xanten.
Nachweise
- Kraus, Christl. Inschriften II (1894), S. 300, Nr. 655.
- Hölker, Inventar (1925), B–6.
- Schnitzler, Rheinische Schatzkammer (1959), S. 48, Abb. 160f.
- Kat. Zeit der Staufer (1977), Bd. 2, Abb. 360 (dazu Bd. 1, S. 426, Nr. 558).
- Schiffler, Inventar (1981), Mp. 4, Reliquiare, Nr. 3.
- Kat. Ornamenta Ecclesiae (1985), Bd. 3, H 22, S. 100f., Abb. 101.
- Grote, Schatz von St. Viktor (1998), Abb. S. 83 und 85.
- Maas, Reliquienkästchen (2009), passim.
- Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), Nr. III/02, S. 66f. (Abb.).
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 14 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0001405.
Kommentar
Die Inschriften sind in Kontur graviert und weisen daher eine deutliche Flächigkeit auf. Eine keilförmige Verbreiterung der Schäfte zum Ende hin ist besonders bei N und V erkennbar. Schaft-, Balken- und Bogenenden weisen ausgeprägte Sporen auf, die jedoch nicht zur Ausbildung eines Abschlussstrichs führen. Auch Alpha und Omega sind flächig gestaltet, beiden Buchstaben ist ein griechisches Kreuz aufgesetzt. Die beiden Bögen des Omega sind am Ende nach außen umgebogen. A ist leicht trapezförmig mit Deckbalken, E wird sowohl kapital als auch unzial (mit verkürztem mittlerem Balken) verwendet, M nur in der vorne geschlossenen unzialen Form. Beim R in VICTOR setzen sowohl der kleine Bogen als auch die Cauda am Schaft an. G ist eingerollt mit weit nach rechts geführtem oberem Bogenende, O ist – wie auch der geschlossene linke Bogen des unzialen M – spitzoval. Die S-Bögen sind unterschiedlich stark gerundet, der Buchstabe wirkt teilweise leicht nach rechts geneigt. Als Worttrenner dienen kleine gravierte Kreise. Die Qualität der Schriftausführung ist lediglich als mittelmäßig zu bezeichnen, zumal die Abstände zwischen den Buchstaben unterschiedlich groß sind und Buchstabenhöhe sowie der Zeilenverlauf leicht schwanken.
In der kunsthistorischen Forschung wird das Reliquiar ins Rheinland, vielleicht nach Köln oder an den Niederrhein, lokalisiert. Angesichts der Ikonographie gilt als wahrscheinlich, dass das Kästchen Reliquien der wichtigsten Thebäischen Märtyrer enthielt und nach der Erhebung der Gebeine der heiligen Cassius, Florentius und Mallusius 1166 entstand. Die neueste kunstwissenschaftliche Literatur datiert das Reliquiar deshalb in das letzte Drittel des 12. Jahrhunderts.3) Der paläographische Befund widerspricht dem nicht.
Die Gestaltung des Kästchens ist in mehrfacher Hinsicht rätselhaft. Der im byzantinischen Stil gehaltene Deckel mit eleganten Nielloarbeiten kontrastiert zu den wesentlich gröber wirkenden romanischen Büsten des segnenden Christus und der Thebäer im unteren Teil. Die Auffassung, das Ornament zwischen den traditionellen Zeichen A und ω sei möglicherweise Kufi, einer altarabischen Schrift, nachempfunden, wurde von Experten der arabischen Literatur verworfen.4) Ob aber die Auftraggeber des Kästchens die Zeichen für Kufi hielten, lässt sich nicht mehr feststellen.5)
Bei der Anordnung der Thebäischen Märtyrer scheinen lediglich zwei Gesichtspunkte eine Rolle gespielt zu haben: Zu beiden Seiten Christi sind Viktor und Gereon postiert; sie repräsentieren die Zugehörigkeit Xantens zum Erzbistum Köln, wobei die Position des hl. Viktor rechts von Christus darauf hindeuten könnte, dass das Kästchen für Xanten gearbeitet worden ist. Auf der Rückseite nimmt der Anführer der Thebäischen Legion, Mauritius, die zentrale Position ein. Keine ersichtliche Rolle spielt dagegen die Position der anderen Heiligenfiguren.6)