Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 29† Meertor 1389

Beschreibung

Steintafel mit Bauinschrift und Gebet am Meertor1), dem sog. Sonsbecker Tor. Das Tor bildete zusammen mit dem Meerturm eine Stadttoranlage nach dem Typus des Torturms2), der dem Liber albus zufolge im Zuge der Stadtbefestigung von 1389 durch den Kölner Erzbischof Friedrich III. von Saarwerden im Westen der Stadt „gegen den Sumpf hin“ erbaut3) und mit der alten Bischofsburg durch einen Gang verbunden wurde. Den Durchgang neben dem Meerturm4) muss man sich als „eine kleine, nicht ausgebaute Pforte“ vorstellen.5) Sie wurde 1821 abgebrochen, während der Meerturm so massiv gebaut war, dass er bis heute allen Sprengungsversuchen widerstand. Die Bauinschrift mit historischer Nachricht ist erstmals im ersten, noch von Johann Gelenius († 1631) zusammengetragenen Band der Farragines Gelenianae überliefert.6) Ob der aus Kempen stammende Gelenius die Inschrift nach eigener Ansicht notiert oder einer Vorlage entnommen hat, ist nicht feststellbar. Jedenfalls hat Pels aus den Farragines einen längeren Passus, zu dem auch der Text der Inschrift am Meertor gehört, mit geringfügigen Abweichungen übernommen. Rein (1869) berichtet, er habe Kreisbaumeister Cuno um einen Abklatsch, alternativ um eine genaue Beschreibung der vormals am Sonsbecker Tor eingemauerten Steintafel gebeten, dieser habe die Tafel jedoch nicht mehr auffinden können.7) Rein erhielt seine Informationen über die Inschrift stattdessen von Pfarrer Mooren nach einer von diesem und Pfarrer Spenrath angefertigten Abschrift und weist explizit darauf hin, dass er für deren Genauigkeit nicht garantieren könne.8)

Inschrift nach Gelenius.

  1. m semel et ter c quater x semel l minus i q(ue)praesul magnificus Agrippinae Fredericusde Sarwarta) mense martis vib) coepit etc) ense9)Xanctisd) firmare cepto de(us) auxiliare.

Übersetzung:

(Im Jahre) einmal tausend und dreimal hundert, viermal zehn, einmal fünfzig weniger eins (= 1389), im Monat März begann der hochwürdige Erzbischof von Köln Friedrich von Saarwerden, mit Waffengewalt in Xanten eine Befestigungsanlage zu errichten. Gott, hilf dem begonnenen (Werk)!

Versmaß: Hexameter mit zweisilbigem leoninischem Reim.

Kommentar

Cunos Notiz über den Briefwechsel mit Rein enthält auch den Hinweis auf einen ihm von Rein zugesandten Abklatsch der Gedenktafel des Burgbaus zu Kempen.10) Es handelt sich dabei um eine querrechteckige, 78 mal 51 cm große Bronzeplatte aus dem Jahr 139611) mit Rosettenbordüren oben und unten, die Inschrift ist in gotischer Minuskel auf scharriertem Grund ausgeführt, Rosetten dienen als Worttrenner. Die 6 cm hohe Schrift ist auf sechs Zeilen verteilt, die durch schmale Stege voneinander getrennt sind. Ob die äußere Gestaltung der Xantener Tafel dem Kempener Stück nahe kam, kann angesichts der unterschiedlichen Materialien und Herstellungsverfahren nicht sicher beurteilt werden, ist aber anzunehmen. Die Texte der beiden fast gleichzeitig angefertigten Tafeln sind in leoninischen Hexametern abgefasst, auch die inhaltlichen Übereinstimmungen in Textaufbau und Wortwahl sind evident, so dass der Schluss auf denselben Verfasser naheliegt. Der Text der Kempener Tafel lautet:

m semel et ter c nonis xv semel i q(ue)
pri(n)cipio maij Iubet hoc castr(um) fab(ri)cari
presul magnific(us) agrippine frederic(us)
de Sarward nat(us) valeat sine fine beat(us)
quatuor hoc annis op(us) explet cura Ioh(ann)is
hunt ditti chr(ist)e da sit felix locus iste12)

Im Liber albus wird die Ankunft des Erzbischofs in Xanten mit Handwerkern und Bewaffneten in einer Notiz zum 10. März festgehalten und auf den 11. April 1389 datiert.13) Die Befestigungsanlage des Kölner Erzbischofs wird als eine Art Nacht-und-Nebel-Aktion im Zuge der heftigen Auseinandersetzungen Friedrichs von Saarwerden (1372–1414) mit Herzog Adolf I. von Kleve (1368–1394) um den Besitz der Stadt Xanten beschrieben, die im Frieden von 1392 zu einer gemeinsamen Verwaltung der Stadt durch Kleve und Kurköln führten.14) In diesem Zusammenhang scheint das coepto auf die Vorläufigkeit des erzbischöflichen Unternehmens hinzuweisen, denn die im Frühjahr 1389 vi et ense erstellten Anlagen bestanden aus Holzpalisaden und Holztürmen und stellten auf die Dauer kein ernst zu nehmendes Hindernis für potentielle Angreifer dar. Die Errichtung des Meerturms – und im Zusammenhang damit wohl auch des Meertors – setzt der Liber albus im Sommer desselben Jahres an.

Textkritischer Apparat

  1. sarwert Beissel.
  2. VI (verstanden als Zahl) Beissel.
  3. et fehlt bei Pels, Beissel.
  4. Xantis Pels, Beissel.

Anmerkungen

  1. „Meer“ von mēr = Maar oder Sumpf. Gemeint ist ein Bruchgebiet.
  2. Bridger, Meertor (1989), S. 25 und 27.
  3. Stiftsarchiv Xanten, B 2, fol. 16a zu 1389, s. Oediger, Notizen (1964), S. 150f.; Beissel, Bauführung I (1889), S. 123; nach Pels II, Deliciae (1734), p. 111, Baubeginn am 14. Juli 1389; vgl. auch Bader, Dom I (1978), S. 161 mit weiteren Quellenangaben.
  4. Vgl. eine Ansicht der Situation von 1746 auf einer Radierung von Paul van Liender, angefertigt 1759 nach einer Tuschezeichnung von Jan de Beyer, im Stiftsmuseum Xanten (Kat. Stiftsmuseum Xanten [2010], Nr. IX/06, S. 211 [Abb.]); vgl. Mainzer, Stadtbefestigung (1978), S. 79, Abb. 5; Hawicks, Xanten (2007), S. 426. Die Verfasserin weist mit Recht darauf hin, dass „das Meertor, der steinerne Wehrgang und das später so genannte Mitteltor die ältesten steinernen Befestigungsbauwerke Xantens sind“, sieht man einmal von der Alten Bischofsburg ab.
  5. Kat. 750 Jahre (1978), S. 22, Nr. 29. Die Fundamente der eigentlichen Toranlage wurden Ende der 1980er Jahre archäologisch untersucht. Sie war südöstlich des Turmes angelegt, ihren Durchlass berechnet Bridger auf ca. 3,15 m (Bridger, Meertor [1989], S. 27). Die vier Skizzen von Xantener Stadttoren, die Clemen (KDM Kreis Moers [1892], S. 160) aufgenommen hat, stammen aus einem Gutachten des klevischen Bauinspektors Hermann von 1820, wobei die Darstellung des Meertors nicht mit den realen Gegebenheiten übereinstimmt (Bridger, Meertor [1989], S. 27). Die Stelle, wo das Tor gestanden hat, ist heute durch Basaltlavaplatten im Pflaster der Bahnhofstraße in Höhe des Westwalls kenntlich gemacht.
  6. HAStK, Best. 1039 (Farrag. Gelenianae), Bd. 1, fol. 60r. Dort sind unter der Überschrift „Metra qualiter Capsa sancti Victoris fuerit deducta Wesal[iam] propter exercitum Regis Francorum contra Gelrenses …“ acht Verse überliefert, deren Ausführung als Inschrift sich allerdings nicht nachvollziehen lässt. Zu Johann und Ägidius Gelenius siehe August Franzen, Art. Gelenius, in: NDB 6 (1964), S. 173f. und die Einleitung Kap. 3, S. 28f.
  7. Eine entsprechende Notiz Cunos liegt in der Xantener Dombauhütte vor (Reg.-Nr. 16705).
  8. Rein, Gedenktafel (1869), S. 129f.
  9. Das geläufige Hendiadyoin „vi et armis“ ist hier wohl reimbedingt durch vi et ense ersetzt. Die Interpretation Reins, in der Inschrift sei vi auf die Befestigungsanlagen und ense auf die verteidigenden Krieger zu beziehen, ist umstritten.
  10. Nr. 16703/04. Heute befindet sich diese Tafel im Kramer-Museum Kempen.
  11. Nach der Lesart Pohls (Kempener Wochenblatt 1890, Nr. 33), dem Clemen zu Recht gegen Rein folgt (KDM Kreis Kempen [1891], S. 91).
  12. „(Im Jahre) einmal tausend, dreimal hundert, neunmal zehn, einmal fünf und eins, zu Beginn des Mai, ließ der hochwürdige Erzbischof von Köln, Friedrich aus dem Haus von Saarwerden, diese Burg erbauen. Er möge immerdar glückselig sein! In vier Jahren vollendete die Fürsorge des Johannes, genannt Hunt, dieses Werk. Gib, Christus, dass dieser Ort glücklich sei.“
  13. „Anno domini MCCC octogesimo nono die undecima Aprilis dominus Fridericus archiepiscopus Coloniensis venit mane cum magno exercitu armigerorum …“ (Liber albus, fol. 16a).
  14. Hawicks, Xanten (2007), S. 441f.

Nachweise

  1. HAStK, Best. 1039 (Farrag. Gelenianae), Bd. 1, fol. 60r, abgedruckt in REK IX (1983), Nr. 1770.
  2. Pels II, Deliciae (1734), S. 104f.
  3. Rein, Gedenktafel (1869), S. 129f.
  4. Beissel, Bauführung I (1889), S. 123.
  5. Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 159.
  6. Schrörs, Fälschungen (1913), S. 54f.
  7. Hawicks, Xanten (2007), S. 418, 425.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 29† (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0002905.