Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 50 St. Viktor, Kreuzgang 1480
Beschreibung
Epitaph für Gerhard Vaeck im Ostflügel des Kreuzgangs, Joch U5.1) Baumberger Sandstein. Das Epitaph besteht aus einem Relief und einer darunter angesetzten Schrifttafel. Das ursprünglich farbig gefasste Relief zeigt in einer Nische mit angedeutetem Netzgewölbe eine Anbetung der Könige. Im Vordergrund links kniet der verstorbene Stiftsherr, hinter ihm steht sein Patron, der hl. Martin im Bischofsornat, der einem Bettler eine Münze in die Bettelschale wirft. Auf der rechten Seite steht der hl. Viktor in mittelalterlicher Rüstung unter einem Engel, der ein leeres Spruchband in den Händen hält. Die Figuren des hl. Viktor und des Kanonikers wurden 1945 stark beschädigt.2) Das Relief ist unten durch eine plastische Rankenleiste begrenzt, die durch ein weitgehend verlorenes Lilienwappen unterbrochen ist, und seitlich durch krabbenbesetzte Fialen gerahmt. Im oberen Bereich ist der Rahmen verlorengegangen, vielleicht als das Epitaph beim Umbau des östlichen Kreuzgangflügels (1543–44) an seinen heutigen Standort versetzt wurde. Unter dem Relief ist eine querrechteckige Inschrifttafel mit profiliertem Rahmen angesetzt, die ein erhaben herausgehauenes, vierzeiliges Grabgedicht mit Grabbezeugung und abschließender Fürbitte trägt. Die Schrifttafel war infolge von Kriegseinwirkungen in mehrere Teile zerbrochen, die rechte obere Ecke fehlte ganz. 1955 wurde das Epitaph restauriert, der verlorene Text dabei ergänzt.
Siehe Lageplan.
Maße: Relief: H. 100 cm; B. 100 cm. Inschrifttafel: H. 28 cm; B. 90 cm; Bu. 4 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.
M semel et semel l du(m) scribis C qua[ter x ter] /Festo maurini tumula(n)tur hic ossa ge[rardi] /Pauperib(us) grati cognomi(n)e vaeck vocita[ti] /Canonic(us) fuerat que(m) crist(us) ad ethe(r)a ducat3)
Übersetzung:
Während man einmal tausend und einmal fünfzig, viermal hundert, dreimal zehn (= 1480) schreibt, werden am Fest des Maurinus hier die Gebeine des Gerhard beigesetzt. Er, der bei den Armen beliebt war und mit Beinamen Vaeck hieß, war Kanoniker gewesen. Christus möge ihn in den Himmel führen.
Versmaß: Hexameter, Vers 3 zweisilbig, Vers 4 einsilbig leoninisch gereimt.
Datum: 10. Juni.
[Vaeck] |
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-31.
- Einen Eindruck vom ursprünglichen Zustand vermittelt ein vor 1945 aufgenommenes Foto (RBA 25170).
- Die Formulierung Christus ad aethera ducat ist auch in einem liturgischen Reimoffizium des 15. Jh. überliefert, belegt für das Regensburger Kloster St. Emmeram (Analecta Hymnica, Bd. 28 [1898], Nr. 41, S. 114).
- Bader, Dom I (1978), S. 224.
- Zu den ebenfalls vorhandenen feinen Unterschieden in der Schriftform siehe Nr. 56 und die Einleitung, Kap. 5.2.
- Siehe Einleitung Kap. 4.1.3.
- Wie uneigennützig und raffiniert er dabei vorging, hat Heymerick in einer witzigen Darstellung festgehalten (Heymerick, Opuscula, Stiftsarchiv Xanten, H 1, fol. 19f., in Übersetzung bei Beissel, Bauführung I [1889], S. 63, und Bader, Dom I [1978], S. 233, abgedruckt).
- In einer verblichenen Randnotiz der zweiten Handschrift des ältesten Xantener Ordinarius (Stiftsarchiv Xanten, H 126, fol. 18v) zum Fest Christi Himmelfahrt ist zu lesen: „Anno d(omi)ni MCCCC octuagesimo die b(ea)ti mauricij m(arty)ris obijt d(o)m(i)n(us) Gerardus Vaick“. Die Glosse datiert Vaecks Tod mithin (irrtümlich?) auf den 22. September. Vgl. Oediger, Ordinarius (1963), Nachträge N 8 und N 9; nach Oediger wurde der Ordinarius etwa 1344–1503 niedergeschrieben.
- Bader, Dom I (1978), S. 292.
Nachweise
- Archiv der Dombauhütte, Abrieb Cuno, Nr. 16691 (1857/1868).
- Rein, Gedenktafel (1869), S. 133.
- Beissel, Bauführung I (1889), S. 172.
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 147, Nr. 10.
- Hölker, Inventar (1925), H-31.
- Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 26, Nr. 10.
- Bader, Vermischtes (1964), S. 356.
- Bader, Dom I (1978), S. 293.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 50 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0005001.
Kommentar
Der Bildhauer des Epitaphs für Gerhard Vaeck hat auch die Epitaphien für Johannes Smeds (Nr. 49), Hermann Smacht (Nr. 51) und Arnold Bols (Nr. 56) geschaffen. Seine Kennzeichen sind die derben, gedrungenen Figuren mit großen Köpfen,4) eine Staffelung in die Tiefe des Raumes fehlt ebenso wie eine realperspektivische Gestaltung der Figuren. In überraschendem Gegensatz zu diesen begrenzten künstlerischen Qualitäten der szenischen Darstellung steht das außerordentlich hohe Niveau der Schrift. Die sehr sorgfältig gehauene gotische Minuskel sticht insbesondere durch ihre Zierformen hervor: Zierbögen, die etwa an die unteren Schaftenden des i, des h, an die als Quadrangel ausgeführte Fahne des r oder an den Bogen des us-Hakens angesetzt sind und in Ranken enden. Das l trägt einen nach links ragenden Zacken, das a findet sich sowohl kastenförmig mit zum Schaft verschmolzenen senkrechten Abschnitten des gebrochenen unteren und oberen Bogens als auch doppelstöckig mit erkennbarer Trennung zwischen dem oberen und dem unteren gebrochenen Bogenabschnitt. Der us-Haken nimmt die Höhe des Mittelbandes in Anspruch und endet unter der Zeile in einem Zierbogen. Besonders aufwändig gestaltet sind die Versalien, die auf Grundformen der gotischen Majuskel basieren. Die teilweise konturierten Buchstaben sind sehr flächig angelegt, C und symmetrisches unziales M sind geschlossen. Die Innenflächen der Bögen von C, M und P sind mit Maßwerkornamenten gefüllt, die Abschlussstriche des C und des M und die sehr breiten Sporen bei F und P enden eingerollt, auch Blüten kommen vor. Sowohl die Reliefs als auch die Schrift der vier genannten Epitaphien weisen so deutliche Parallelen auf, dass man von der Herkunft aus derselben Werkstatt ausgehen kann.5) Alle vier Epitaphien waren farbig gefasst und stellten einen besonderen Schmuck dar, nach Baders Vermutung der Grund für ihre Übernahme in den neuen Kreuzgang.6)
Gerhard Vaeck aus Geldern erhielt 1463 ein Kanonikat in Xanten. Obwohl noch ohne Amt, schaltete er sich sofort in die Vorbereitungen der Viktortracht 1464 ein und setzte eine vorläufige Instandsetzung des Domes gegen den Widerstand allzu sparsamer Kollegen durch.7) Vaeck wurde 1464 Fabrikmeister und blieb es bis zu seinem Tod am 10. Juni 1480.8) In dieser Zeit war er unermüdlich mit Arbeiten am Dom und seiner Ausstattung, mit dem Neubau der Andreaskapelle, der Michaelskapelle und einem Beinhaus auf dem Domfriedhof tätig. Den von ihm intendierten und vorbereiteten gotischen Neubau des Langhauses hat er nicht mehr erlebt; an der Sakristei, die ein Provisorium aus dem 14. Jahrhundert ersetzen sollte, baute er seit 1475. Unter den zahlreichen Ausstattungsgegenständen des Domes, für die Vaeck verantwortlich zeichnet, sei hier nur der Martinusaltar erwähnt, den der Kanoniker gestiftet und per Testament reichlich mit Renten und Stiftungen versehen hat. Vaeck war demnach ein außerordentlich rühriger und verdienter Mann, von seinen Verdiensten aber wird in seinem Epitaph nichts erwähnt. Allerdings wird er als Freund der Armen bezeichnet, daher die Figur des heiligen Martin hinter dem Stiftsherrn als Vor- und Sinnbild der inneren Haltung Vaecks. Sein Testamentsvollstrecker war sein langjähriger Freund, der Kanoniker und propsteiliche Offizial Peter Vynck aus Roermond.9)