Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 57 St. Viktor, Kreuzgang 1492

Beschreibung

Epitaph für Philipp Schoen1) im Ostflügel des Kreuzgangs, Joch U4. Baumberger Sandstein. Der ursprüngliche Standort ist nicht bekannt; während des Umbaus des Kapitelsaales (1528–1550), wahrscheinlich beim Neubau des östlichen Kreuzgangumganges (1543–1544), wurde das Epitaph an den heutigen Standort versetzt, dabei gingen u.a. Teile der Rückwand verloren.2) Der Bildbereich im oberen Teil zeigt unter zwei rundbogigen Nischen mit Netzgewölbe fragmentarisch erhaltene, vollplastische Darstellungen Mariens mit dem Kind sowie (vermutlich) des Evangelisten Lukas3). Zwischen beiden kniet der Verstorbene als Adorant, der vermutlich vom Evangelisten Lukas, dem Schutzpatron der Ärzte, der Gottesmutter empfohlen wird. Das Relief ist durch einen profilierten, nach unten durch eine Leiste mit Blattranken etwas aufwändiger gestalteten Rahmen eingefasst. Den Unterhang bildet eine querrechteckige Schrifttafel mit eingehauenem Sterbevermerk und Fürbitte. Die unteren Ecken der Tafel sind mit Blendmaßwerk verziert, in der Mitte geht sie in eine unten angesetzte Scheinkonsole über, deren Vorderseite das Wappen des Verstorbenen trägt. Das von Philipp Schoen selbst in Auftrag gegebene Epitaph4) weist keine Farbspuren auf. Es wurde vor dem und im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, Köpfe und Hände der dargestellten Personen fehlen.5) Zwei größere Ausbrüche auf der Schrifttafel haben zu Schriftverlust geführt; vor 1945 aufgenommene Fotos dokumentieren den vollständigen Text. 1955 restauriert.

Ergänzungen nach Foto.

Siehe Lageplan.

Maße: H. 120 cm; B. 78 cm; Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

  1. Anno Domini Mcccc xci[i p(ri)m]oa) / Die mensis decembrisb) obijt eximi(us)c) / Medici[ne Doc]tor M(a)g(iste)r philipp(us)c) / schoen [hui(us)c) e]cclesie Canonic(us)c) Cui(us)c) / a(n)i(m)a in christo requiesc(a)td)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1492 verstarb am ersten Tag des Monats Dezember der hervorragende Doktor der Medizin und Magister, Philipp Schoen, Kanoniker der hiesigen Kirche. Seine Seele möge in Christus ruhen.

Wappen:
Schoen6)

Kommentar

Die Schrift ist mit schmaler Kerbe eingehauen. Die Gemeinen entsprechen dem zeittypischen Repertoire der gotischen Minuskel. Erwähnenswert sind die häufig, wenn auch nicht immer gesetzten i-Striche, das Bogen-r und das stets zweistöckig ausgeführte a. Im Unterschied zu den Gemeinen stechen die Versalien unter denen der übrigen Xantener Epitaphinschriften hervor. Sie sind aus der Buchschrift übernommen, ihre Schäfte und Bögen sind durch Brechung aufgelöst und neu zusammengesetzt, so dass der zierliche Charakter der Schrift betont wird. Eine Parallele zu dem S-Versal in der Inschrift auf dem von Philipp Schoen gestifteten blauen Antependium (Nr. 58) ist offensichtlich. Angesichts der vielseitigen geistigen Interessen des Verstorbenen und seines beachtlichen Bücherbesitzes (s. unten) ist denkbar, dass er selbst als Auftraggeber des Epitaphs auch auf die Gestaltung der Schrift Einfluss genommen hat.

Das qualitätvolle Epitaph wird Dries Holthuys aus Kleve zugeschrieben.7) Philipp Schoen (Schone) aus Geldern8) war Magister artium et medicinae und Doktor der Medizin. Nach seinem Medizinstudium in Deventer wirkte er 1423–1465 und 1471–1473 als Leibarzt des Herzogs von Geldern, Arnold von Egmond.9) Nachdem er 1454 ein Kanonikat in Xanten erhalten hatte,10) übte der hoch angesehene Arzt seine segensreiche Tätigkeit im Xantener Stift aus. Pels schreibt über ihn, er sei „den Fürsten lieb und teuer, für alle ein gütiger und fürsorglicher Mensch“ gewesen und habe an der letzten und vorletzten Tracht des hl. Viktor11) teilgenommen.12) Zum Bestand der Xantener Stiftsbibliothek gehört aus der Bibliothek Schoens die Historia Xantensis von 1420/21 (H 6, s. Nr. 38), ferner eine Schrift mit geistlichen Traktaten (H 32). Nach Oediger befanden sich in Schoens Besitz u. a. ein lateinisch-niederdeutsches Lexikon, eine Sammlung lateinischer Synonyma mit niederdeutscher Übersetzung sowie „orationes rhetoricae“.13) Nach den Präsenzrechnungen wird der Kanoniker für die Zeit 1456–1459 als Besitzer der Kurie 3, heute Bischöfliches Büro, ausgewiesen.14) Ab 1473 wohnte er in der Kurie Nr. 10,15) der Alten Dechanei (heute ist dort das Pfarramt untergebracht). Von seinen Stiftungen ist eine graue Seidencappa (1476) bekannt, vor allem aber ein besonders wertvolles Altarantependium, das Schoen für die Johannes-Kapelle in der Nord-West-Ecke des äußeren nördlichen Seitenschiffes gestiftet hat (s. Nr. 58).16)

Textkritischer Apparat

  1. Kürzung durch o über p; Zeilenfüllung durch Wellenlinie.
  2. Das r als Schaft mit Oberlänge und rechts oben angefügtem Quadrangel. Querstrich durch Schaft des r für i.
  3. Kürzung durch us-Haken.
  4. t hochgestellt.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-29.
  2. Bader, Dom I (1978), S. 224; ders., Vermischtes (1964), S. 338.
  3. Bader bezieht sich für die Interpretation der Figuren auf ein gleiches Motiv des Epitaphs Balthasar von Distelhuysen († 1502) in Kleve.
  4. Pels II, Deliciae (1734), p. 233.
  5. Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 147, stellte bereits 1892 starke Beschädigungen fest.
  6. Schrägbalken, belegt mit drei Erpelköpfen.
  7. Karrenbrock in ders./Kempkens, St. Viktor (2002), S. 69, und in Kat. Dries Holthuys (2002), S. 20f. und S. 74, mit ausführlicher Beschreibung, kunstgeschichtlicher Zuordnung und besonderer Würdigung der Qualität des Kunstwerks.
  8. Pels II, Deliciae (1734), p. 233.
  9. Bader, Dom I (1978), S. 308.
  10. Classen, Archidiakonat (1938), S. 135 mit weiteren Quellenangaben.
  11. In den Jahren 1464 und 1487.
  12. Pels II, Deliciae (1734), p. 233.
  13. Bader, Dom I (1978), S. 309.
  14. Wilkes, Studien (1952), S. 31.
  15. Zählung nach ebd., S. 49.
  16. Weitere Einzelheiten bei Bader, Dom I (1978), S. 308–310.

Nachweise

  1. Foto: RBA 25166 (vor 1945).
  2. Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 147, Nr. 8.
  3. Hölker, Inventar (1925), H-29.
  4. Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 25f., Nr. 8.
  5. Bader, Dom I (1978), S. 308.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 57 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0005704.