Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 86 St. Viktor, Südportal/Westchorhalle 1500–1509
Beschreibung
Skulpturen mit Sockeln vom Südportal.1) Baumberger Sandstein. Das Figurenportal wurde 1493 von Dombaumeister Jan Langenberg nach dem Vorbild des Petrusportals an der Westfront des Kölner Domes gezeichnet, der Plan in der Folgezeit bis 1509 ausgeführt.2) Von der ursprünglichen Ausstattung sind die Skulpturen des Salvators, der Apostelfürsten Petrus und Paulus sowie des Evangelisten Johannes erhalten und heute in der Westchorhalle aufgestellt, am Portal befinden sich Abgüsse. Das Figurenprogramm wurde ergänzt durch die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas, die Kirchenpatrone St. Viktor und St. Helena sowie weitere Thebäische Märtyrer (Mauritius und vermutlich Gereon), die hl. Maria und einen Engel.3) Außer den vier Skulpturen vom Anfang des 16. Jahrhunderts sind neugotische Figuren der Kirchenpatrone St. Viktor und St. Helena (1870) sowie der Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas (1870–1892) erhalten (Originale im Lapidarium, Abgüsse am Portal).4) Die Skulpturen des Salvators und der hll. Petrus, Paulus sowie des Evangelisten Johannes wurden im Zweiten Weltkrieg beschädigt; die frei ausgestreckten, aus Holz eingesetzten Hände der Skulpturen sind heute ebenso verloren wie der blecherne Strahlennimbus an der Figur des Salvators.5) Die Figurensockel sind in situ erhalten. Der Sockel der Johannesfigur trägt eine unvollständig ausgeführte Namensinschrift (A), derjenige der Salvatorfigur einen Sterbevermerk, der an der Frontseite des Sockels stark abgewittert, an den beiden anderen Seiten hingegen sehr gut erhalten ist (B). Beide Texte sind wohl zugleich als Stifterinschrift zu verstehen. Die entsprechenden Sockel tragen vor einer Ecke das jeweilige Stifterwappen in Vollrelief; ein weiteres Wappen (Ingenwinkel) ist am Sockel der Petrusstatue angebracht. Auf den Gewandsäumen des Petrus und Paulus befinden sich Anrufungen (C, D), auf dem Saum des Johannes sein Name (als Beischrift oder Anrufung) (E). Alle Inschriften sind eingehauen, B und E stellenweise verwittert.
Siehe Lageplan.
Maße: H. 17 cm (Sockel), 148 cm (Petrus), 140 cm (Paulus), 146 cm (Johannes); Bu. 2 cm (A, B), 3 cm (C, E), 3–3,5 cm (D).
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A), frühhumanistische Kapitalis (B–E), in D mit griechischen Buchstaben vermischt.
- A
Joha(nne)s mesmeker // Canonic(us)a) etb)
- B
· D(OMI)N(V)S · THE(ODORI)C(VS)c) · / NYEN[H(VIS)] · CANON[IC(VS)] · // [XA]NГ[TE]N(SIS)d) · OBIJTe) · / · AN(N)O 1203f) ·
- C
· SANC/TE · PET/RE · / ORA · / PRO
- D
· SANГT/VSg) / ПA/VLVSh) · ORA6)
- E
[SAN]CTVS · IOH/ANN/[E]S / [EV]A(NGEL)[I](STA)i)
Übersetzung:
(A) Johannes Mesmeker, Kanoniker und …
(B) Herr Dietrich Nienhuis, Kanoniker zu Xanten, starb im Jahr 1503.
(C) Hl. Petrus, bitte für uns!
(D) Hl. Paulus, bitte!
Mesmeker7), Nienhuis8), Ingenwinkel9) |
Textkritischer Apparat
- Kürzung durch us-Haken.
- Inschrift bricht hier ab.
- Hochgestelltes c mit us-Haken, sonst kein Kürzungszeichen.
- Kein Kürzungszeichen. C vermutlich durch Γ (Gamma) ersetzt, wegen der starken Verwitterung des Steines im Bereich der Grundlinie kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass dort ein eckiges C stand. Von TE ist nur die obere Hälfte der Buchstaben erhalten; T war offenbar mit dem vorausgehenden Gamma ligiert.
- Ligatur in Form eines Y.
- Richtig: 1503. Statt einer (linksgewendeten) 5 wurde eine spitze 2 ausgeführt. Die 0 ist verkleinert und hochgestellt.
- Statt C ein griechisches Gamma.
- Statt P ein griechisches Pi.
- Ergänzungen des letzten Wortes nach Kamphausen.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-73.
- Beissel, Bauführung III (1889), S. 48f.
- Ebd.; Kamphausen, Plastik (1931), S. 14f. Vgl. C. Schimmel, Westfalen’s Denkmäler (1826), wo auf einer der beiden Lithographien zum Xantener Dom der Zustand des Südportals von 1825 dokumentiert ist: Außer dem Salvator und jeweils zwei Figuren am linken und rechten Gewände an der Kopfseite des linken Strebepfeilers über einer leeren Nische ein Soldatenmärtyrer (nach Beissel Mauritius), darüber Maria. Rechts über zwei leeren Nischen ein Engel. Ein Foto von 1868 zeigt nur noch Christus und drei oder vier Figuren an den Gewänden (RBA 840381). Zur Beschreibung und kunsthistorischen Einordnung siehe Karrenbrock in Kat. Dries Holthuys (2002), S. 176.
- Hilger u.a., Dom zu Xanten (2007), S. 13 und Abb. S. 35.
- Kamphausen, Plastik (1931), S. 16f.
- Ursprünglich Beischrift (Name im Nominativ); Gebetsansatz durch Hinzufügung eines ora.
- Gespalten: vorne 3 Maiskolben (redendes Wappen?), hinten 5 (2, 1, 2) Mühleisen (niederländische Form).
- Dürrer und entwurzelter Laubbaum.
- Balken, begleitet von 3 (2, 1) Winkeln.
- Beissel, Bauführung I (1889), S. 199.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 134. Zum Todesdatum s. Pels II, Deliciae (1734), p. 245, Successio, fol. 85v–86r. Pels nennt ihn einen hervorragenden Mann, „für Großes geeignet, aber nicht so clever“ (Pels II, Deliciae [1734], p. 245 und 313), die Successio charakterisiert ihn darüber hinaus als „sparsamen Verwalter“ (fol. 86r).
- Beissel, Bauführung I (1889), S. 199f.; in den Stiftsurkunden zum ersten Mal als Fabrikmeister in Kastner, Urkunden II (2006), Nr. 2143,1 von 1493 Jan. 31 erwähnt.
- Pels II, Deliciae (1734), p. 245.
- Kamphausen, Plastik (1931), S. 14ff.
- Siehe Kastner, Urkunden II (2006), Nr. 2065 von 1474 Juli 1. In einem Prozess setzte sich Mesmeker, Familiar des Papstes Sixtus IV., durch und wurde vicarius perpetuus des Altars der hll. Martin und Elisabeth in der Domkirche zu Utrecht.
- Pels und Successio nennen ihn einen „aufgeregten und rührigen Mann“ (Pels II, Deliciae [1734], p. 222; Successio, fol. 69v–70r).
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 105. Zum Todestag s. Successio, fol. 69r, 70v.
- Kastner, Urkunden II (2006), Nr. 2286 von 1489 Sept. 23.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2528 von 1513 Apr. 1.
- Ebd., Nr. 2462 von 1505 Juli 27.
Nachweise
- Beissel, Bauführung III (1889), S. 48 (A, B).
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 100 (A, B).
- Kamphausen, Plastik (1931), S. 16f.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 86 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0008609.
Kommentar
Die Inschrift A bricht unvermittelt ab, obwohl eine weitere Sockelseite zur Beschriftung zur Verfügung stand. Auch die Anrufungen der Apostel um Fürbitte sind nicht zur Gänze vorhanden, allerdings lassen sich die Fehlstellen im Text hier vielleicht durch den Faltenwurf des Gewandes erklären, vergleichbar den gewollten Textlücken bei Inschriften auf gewundenen Spruchbändern. Die Anrufung des Petrus beginnt korrekt im Vokativ, während der Nominativ SANCTVS PAVLVS eine reine Bildbeischrift, nicht aber eine Anrufung erwarten lässt.
Während Inschrift A in gotischer Minuskel ausgeführt ist, wurde für den Sterbevermerk B und für die Gewandsauminschriften die zu Beginn des 16. Jahrhunderts moderne frühhumanistische Kapitalis gewählt. Typische Merkmale sind A mit breitem Deckbalken (in Inschrift B–E), teilweise auch mit gebrochenem Mittelbalken (in Inschrift B, C, E); offenes D (in B), P und R (in D); epsilonförmiges E (in B, C); gebrochener Balken bei H (in B); ausgebuchteter Balken bei H (in E); eingezogener Schrägbalken bei N (in B); retrogrades N mit Schrägbalken als Haarstrich (in E); sehr großer Bogen bei P (in C); gerade, am unteren Abschluss des Bogens ansetzende Cauda bei R (in C); ausgebuchteter Kürzungsstrich (in B). In der Gewandsauminschrift der Paulus-Figur sind anstelle des C in SANCTVS und des P in PAVLVS die griechischen Buchstaben Gamma bzw. Pi eingesetzt worden, wohl im Hinblick darauf, dass der Apostel seine Briefe in griechischer Sprache verfasste. Vermutlich ist aber auch beim Wort [XA]NГT[E]N(SIS) in Inschrift B ein Gamma statt eines C verwendet worden, doch ist aufgrund des schlechten Erhaltungszustands der Inschrift nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob es sich um Γ oder um ein eckiges C handelt. Die Balken-, Schaft- und Bogenenden tragen Serifen. Wenngleich für den Sterbevermerk am Sockel der Salvatorfigur (B) dieselbe Schriftart gewählt wurde wie für die Gewandsauminschriften, unterscheiden sich die Schriften stilistisch deutlich. Während die Apostelinschriften sich zu den Enden der Schäfte und zu den freien Balken- und Bogenenden hin erheblich verbreitern und in sehr kräftigen, leicht konkaven Dreiecksporen enden, strahlen die Buchstaben des Sterbevermerks durch ihre fast gleichbleibend feine Strichstärke mehr Leichtigkeit, aber auch eine gewisse Starre aus. Große Kleeblätter mit gebogenen Stängeln als Worttrenner (anstelle der Quadrangel in den Gewandsauminschriften) erzielen einen verspielten Effekt, der durch die Gestaltung des us-Hakens in Form eines seitenverkehrten S unterstrichen wird. Bemerkenswert sind das H mit gebrochenem Balken und das epsilonförmige E mit geradem Abschlussstrich, das auf geringe Kenntnisse im Umgang mit der frühhumanistischen Kapitalis deutet. Wohl irrtümlich ist bei der Jahreszahl statt einer linksgewendeten 5 eine spitze 2 ausgeführt worden, auch die 3 ist spitz. Der Sockel der Salvatorfigur wurde – vermutlich mitsamt dem Sterbevermerk – 1509 von dem Steinmetz Robert, dem Sohn des Schmiedes Gerard Wrenger, geliefert10) und stammt somit aus Xantener Produktion. Der Befund macht deutlich, dass die frühhumanistische Kapitalis sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Xanten noch im Stadium des Experimentierens befand.
Die Bildhauer, die die Statuen nach Zeichnungen Langenbergs angefertigt haben, sind unbekannt. Durch Stilvergleich mit der 1496 entstandenen Madonna am ersten nordwestlichen Pfeiler im Inneren des Domes weist Kamphausen die Christusfigur dem Klever Bildhauer Dries Holthuys zu. Auch bei der Petrusfigur sieht er einen niederrheinischen Bildhauer am Werk, während er bei den „moderneren“ Figuren des Paulus und des Johannes einen westfälischen Künstler, der seine künstlerischen Impulse in Süddeutschland empfangen hatte, annimmt.
Theodoricus (Dietrich, Derrick) Nienhuis war von 1447 bis zu seinem Tod am Vortag des Festes des hl. Bartholomäus, dem 23. August 1503, Kanoniker in Xanten11), 1492–1496 war er Fabrikmeister12), nach Pels war er Thesaurar13). Die Figur des Salvators dürfte er testamentarisch gestiftet haben, da sie sicherlich wegen der laufenden Bauarbeiten am Dom erst als letzte Figur aufgestellt wurde.14)
Der Xantener Johannes Mesmeker, ein ehemaliger Kurialer15), war von 1478 bis zu seinem Tod am 13. August 1515 Kanoniker in Xanten16). Zwischen 1479 und 1492 war er fünfmal Stiftskellner.17) In mehreren Urkunden zwischen 148918) und 151319) ist er als Portar nachgewiesen, 1505 war er Senior-Diakon des Stifts20).