Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 94 St. Viktor, Hochchor 1521
Beschreibung
Sog. rotes Antependium,1) gestiftet für die Mensa des Hochaltars. Stickerei in Gold, Silber und Seide auf Leinen, 1950 auf neuen roten Baumwollsamt appliziert.2) Bildthema ist die Sacra Conversazione zwischen Maria als Himmelskönigin im Zentrum und den sie flankierenden Stiftspatronen. Die Muttergottes ist mit Lilienkrone und Nimbus in der Strahlenmandorla dargestellt, auf der Mondsichel stehend, in zeitgenössischer Kleidung mit purpurnem Obergewand und blauem Mantel. Auf dem rechten Arm trägt sie das ebenfalls nimbierte, nackte Kind, das die Rechte zum Segen erhoben hat und mit der Linken nach dem Apfel greift, den die Mutter ihm darbietet.3) Links der hl. Viktor mit Nimbus als Ritter in goldener Rüstung4) und mit goldener Märtyrerfahne; er empfiehlt den Stifter, der in Chorkleidung und mit einem roten Birett in der Hand5) vor ihm kniet, der Himmelskönigin, deren Kind sich ihm zuwendet. Vor dem Stifter (Andreas von Venraed?) sind sein Vollwappen mit linksgelehntem Schild sowie eine Bitte um Fürbitte (C) appliziert. Rechts die hl. Helena in zeitgenössischer Tracht mit Nimbus und Crux Commissa. Über der Gruppe der Heiligen, durch ein schmales Band von ihnen getrennt, sind die drei ersten Verse der Festantiphon des Stifts in einzeiliger Ausführung angebracht (A). Am Ende der Zeile eine Jahresangabe (B) und ein unkenntliches Wappen. Die Applikationen befinden sich in schlechtem Zustand, die Stickerei ist z. T. vergangen. Konservierung 1951 durch V. Thorn, Wuppertal, Nadelrestaurierung durch van den Wyenbergh, Kevelaer, unter Aufsicht der Zentralen Forschungsstelle für die Restaurierung historischer Gewebe, Krefeld.
Siehe Lageplan.
Maße: H. 98 cm; B. 360 cm; Bu. 7,5 (A, B), 2–3 cm (C).
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.
- A
Aue Miles InvictissimeAue Martyr SanctissimeAue Pie Protector Sancte Victor6)
- B
1521
- C
oratea) p(ro) me fr(atr)es
Übersetzung:
(A) Sei gegrüßt, wahrhaft unüberwindlicher Streiter, sei gegrüßt, heiligster Märtyrer, sei gegrüßt, frommer Schutzherr, hl. Viktor.7)
(B) Betet für mich, Brüder.
Versmaß: Akzentrhythmische Verse (A).
unbekannt (Venraed?)8), [unkenntlich]9) |
Textkritischer Apparat
- Spatium zwischen r und a.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): I-40. Detaillierte Beschreibung bei Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 43–47.
- Der rote Samt von 1950, weil Rot als liturgische Farbe für einen Märtyreraltar vorgeschrieben ist. Die ursprüngliche Farbe ist anhand der vorgefundenen Stoffe nicht nachweisbar, s. Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 43.
- Der Apfel als Zeichen der Erlösung, s. H[endrik] W[illem] van Os, Art. Apfel, in: LCI 1 (1968), Sp. 123f.
- Jaques/Rotthoff weisen auf deren Frührenaissancecharakter mit spätgotischen Elementen hin (Paramente [1987], S. 44).
- Nach Jaques/Rotthoff handelt es sich um das Doktorbirett der Kölner Universität oder das Birett des Propstes von St. Kunibert in Köln (Paramente [1987], S. 44).
- Festantiphon, gesungen beim Fest der Translation des hl. Viktor (Oediger, Ordinarius [1963], S. 116; vgl. Beissel, Bauführung III [1889], S. 11). Der Text war auch Bestandteil einer Inschrift im Altarschrein am Hochaltar, vgl. Nr. 111.
- Der Superlativ „invictissime“ kommt als Epitheton, insbesondere für Märtyrerheilige, in der Hymnendichtung häufig vor, vgl. die zahlreichen Beispiele in Analecta Hymnica, z. B. für den hl. Stephanus Erzmärtyrer (Bd. 19 [1895], Nr. 462, S. 255), den hl. Georg (Bd. 33 [1899], Nr. 1/33, S. 12), den hl. Vinzenz (Bd. 19 [1895], Nr. 491, S. 270f., Nr. 495, S. 272; Bd. 50 [1907], Nr. 36, S. 35f.). Als Ausdruck der höchsten Ehrerbietung wird er hier wohl analog zu anderen geläufigen Superlativen der Hymnendichtung wie „sanctissime“, „sacratissime“, „fortissime“, „clementissime“ verwendet, besonders häufig in der Junktur „miles invictissime“ und „martyr invictissime“.
- Linksgewendet. Quadriert: 1 silbernes Schildhaupt (Rest unkenntlich), 2 unkenntlich (Löwe?) in Gold, 3 goldene Lilie, 4 silberner Balken, belegt mit 3 roten Amseln.
- Erkennbar ist noch ein Balken, darüber vielleicht zwei Rosetten.
- Siehe dazu Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 45f.
- Matrikel Köln 1 (1928), 338,79; 2 (1919), S. 697, 700. Als Propst von St. Kunibert Vorgänger des Sibert von Riswick, der dieses Amt 1520 übernahm, s. Nr. 120.
- Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 47, mit Berufung auf Reichert, Spätgotische Stickereien (1938), S. 30f. mit Abb. 13. Reichert bezeichnet „die Dreiviertelfigur einer Maria mit Kind in der Strahlenglorie auf einem gestickten Antependium des Kölner Domes als typisch kölnisch“. Mit der technischen Ausführung ist die Lasurstickerei gemeint, die von den Niederlanden auf Köln übertragen wurde.
Nachweise
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 142, Nr. 45.
- Hölker/Jaques, Inventar (1925/75), I-40.
- Reichert, Spätgotische Stickereien (1938), S. 103.
- Jaques, Erfahrungen (1964), S. 218.
- Jaques/Hilger, Paramente (1979), S. 106, Tf. 35.
- Schiffler, Inventar (1981), Mp. V 3, Nr. 34.
- Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 44f. und Tf. 35.
- Heitmeyer-Löns, Inventar Paramente (2008), Bd. 1, Nr. 603/604.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 94 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0009406.
Kommentar
Aufgrund sehr kurzer Ober- und Unterlängen wirkt die gotische Minuskel fast in ein Zweilinienschema eingestellt. Auch die Versalien ragen nur unwesentlich über das Mittelband hinaus. Der Balken des e ist zum Haarstrich reduziert, der mal senkrecht, mal schräg nach rechts oder links verläuft und am unteren Ende umgebogen ist. Auch die Enden des (gebrochenen) s-Bogens sind durch einen feinen, an den Enden umgebogenen Zierstrich verbunden. Das Schaftende des langen s und der rechte Schaft des y gehen in waagerechte Kontra-Schleifen über. Zum ornamentalen Charakter der gitterartigen Schrift tragen maßgeblich die kunstvoll gestalteten Versalien bei, die aus der gotischen Majuskel abgeleitet sind. Ihre aufwändigen Zierbögen und (Kontra-)Schleifen sowie einige durch Brechung aufgelöste und neu zusammengesetzte Bögen (bei P, S, V) bestimmen den dekorativen Gesamteindruck der Schrift. Sehr viel schlichter ausgeführt ist die Inschrift C, deren Linienführung zudem unregelmäßig geraten ist.
Höchstwahrscheinlich ist das Antependium mit jenem identisch, das der Xantener Thesaurar 1521 von den Testamentsvollstreckern des Magisters Andreas von Venraed aus Köln für den Xantener Hochaltar erwarb.10) Venraed war u.a. seit 1486/87 Kanoniker und 1492/93 bis 1499 Dechant in Xanten sowie 1512/13 Rektor der Universität Köln und ab 1497 Propst an St. Kunibert in Köln.11) Auf die beiden letztgenannten Ämter könnte das rote Birett in den Händen des Stifters hinweisen. Auf Köln als Herkunftsort weisen auch Darstellungsstil und technische Ausführung des Antependiums.12)