Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 96 LVR–Archäologischer Park/RömerMuseum 1523
Beschreibung
Türsturz vom ehemaligen Erweiterungsbau der sog. Hervorstschen Propstei. Baumberger Sandstein. Vorderseite scharriert, Rücken- und Seitenflächen glatt. Die Fläche der Vorderseite mit der eingehauenen Bauinschrift ist in der Höhe etwas kleiner als der restliche, in die Fassade eingelassene Teil des Sturzes.
Maße: H. 32 cm; B. 170 cm; T. 28,5 cm; Bu. 7 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
IO(HANNES)a) · INGENWINKEL · P(RAE)P(OSI)TVSb) · A · FVNDAMENTc) · STRVXIT · ANNO · M · D · XX / IIId)
Übersetzung:
Propst Johannes Ingenwinkel errichtete (dieses Gebäude) von Grund auf im Jahre 152(3).
Textkritischer Apparat
- Ohne Kürzungszeichen.
- Loch durch den rechten Schaft des V.
- Richtig: FVNDAMENTO.
- III wegen Platzmangels kleiner über der Zeile.
Anmerkungen
- Näheres zur Geschichte der Neuen Propstei bei Wilkes, Studien (1952), S. 70–72 und 137–145.
- ‚…mit Rücksicht auf den vortrefflichen und kostspieligen Bau, den ihr Mitbruder und Propst Johannes ingen Winkel, päpstl. Prothonotar und Skriptor, im Zuge der Errichtung des neuen Gebäudes der Propstei in Richtung Westen und auf das besagte baufällige Haus zu von Grund auf in großartiger Weise unternommen hat‘ (Kastner, Urkunden III [2007], Nr. 2656 von 1523 Sept. 22).
- Wilkes, Studien (1952), S. 141.
- Zählung nach Wilkes, heute Kapitel 25.
- Zum Erhaltungszustand der Alten Propstei nach 1945 s. die Aufnahmen in Kat. Xanten, Februar 1945 (1995), S. 160–163.
- Ebd., Abb. 113, S. 163; vgl. auch Nr. 97.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 94f.; vgl. Pels II, Deliciae (1734), p. 377.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 94f.
- Pels II, Deliciae (1734), p. 377; Successio, fol. 3r.
- Der Umfang seiner Pfründe wird aus einer Karte ersichtlich, die bei Schulte 1904 ausgewiesen wurde. A. Schulte, Die Fugger in Rom I (1904), S. 289–306; abgedruckt bei Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 65 und Janssen/Grote, Zwei Jahrtausende (2001), S. 162. Vgl. Pels II, Deliciae (1734), p. 377; Classen erwähnt darüber hinaus noch seine Position als Scholaster und Kanoniker in Rees (1526–1535).
- Alexander VI., Pius III., Julius II., Leo X. und Hadrian VI. (Pels II, Deliciae [1734], p. 377).
- Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 65.
- Ebd. mit Jahresangabe.
- Maas, German Community (1981), S. 60.
- Ebd. Siehe zu den verwandtschaftlichen Verhältnissen auch Nr. 163. Über Irritationen der Amtsführung des Johannes Ingenwinkel in Xanten, Köln und Nimwegen siehe Classen, Archidiakonat (1938), S. 95. Zum „System“ Ingenwinkel siehe jetzt ausführlich Lieven, Memoria (2017), S. 19f.
- Jaques/Hilger, Paramente (1979), S. 39–45; Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 136–142.
- Successio, fol. 3r: 25. Juli.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 96 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0009606.
Kommentar
Die Kapitalis zeigt mit ihren schmalen Buchstaben, dem spitzovalen O und dem ausgebuchteten Kürzungsstrich stilistische Anklänge an die frühhumanistische Kapitalis. Zum schlanken, gestreckten Gesamteindruck der Schrift tragen der kleine Bogen des R und die lange Cauda des G bei. Die Schäfte enden in Serifen, die Bögen des S in flächigen Dreispitzen. Diese Elemente finden sich auch am Kaminsturz aus der Propstei (Nr. 97). Im Unterschied zur Kamininschrift liegen beim Türsturz der mittlere Balken des E und der untere Balken des F aber deutlich oberhalb der Zeilenmitte und betonen die schmale Proportion des Buchstabens. Anders als am Kamin endet der Schrägbalken des N am Türsturz oben wie unten neben dem Schaftende, sodass der jeweilige Verbindungspunkt zwischen beiden Linien breit wirkt. Diese markanten Details lassen trotz der deutlichen Übereinstimmungen daran zweifeln, dass beide Inschriften von derselben Hand stammen, zumal auch die Serifen an der Kamininschrift schwächer ausgeprägt zu sein scheinen. Wohl wird man an dieselbe Werkstatt und eine gemeinsame Vorlage denken. Die Worttrennung erfolgt durch Quadrangel.
1398 hatte Propst Hugo von Hervorst die Stiftspropstei von dem im Süden gelegenen Gebäude in den Norden verlegt.1) Er hatte zu diesem Zweck die Kurie des verstorbenen Kanonikers Heinrich von Hessen angekauft und zu einem repräsentativen Gebäude umbauen lassen, das neben seiner Funktion als Wohn- und Verwaltungssitz des Propstes auch als Sitz der Archidiakonalverwaltung dienen sollte. Über seine Lage im Winkel zwischen der Kirchstraße und dem Gässchen, das von der Brückstraße zum Dom führt, berichtet Pels. Am 22. September 1523 beschloss das Kapitel, den Ankauf der heruntergekommenen Kurie Vygenhuiss mit dem dazu gehörigen Garten der Stiftspropstei zu übertragen, „attendentes egregiam et sumptuosam structuram, quam reverendus pater dominus Johannes ingen Winkel, prothonotarius et scriptor apostolicus, prepositus et confrater noster venerabilis, in edificatione nove domus in dicta curia sua versus occidentem et dictum domum ruinosam a fundamentis magnifice fecit“.2) In derselben Sitzung handelte das Kapitel die Erweiterung des Domfriedhofs zugunsten der Stadtbevölkerung aus, indem es die Errichtung einer neuen Mauer entlang der von der Tür der Kurie des verstorbenen Arnold Histfelt bis zum Hauptportal der Propstei („ad portam magnam curie dicte prepositure“) gezogenen Linie verlangte.
Zu unterscheiden sind also das imposante Gebäude der Hervorstschen Propstei und der wohl 1523 vollendete Neubau des Johannes Ingenwinkel, der sich westlich anschloss. Quellen über den Bau und die Gestaltung dieses dreistöckigen Neubaus sind nicht überliefert.3) Für die ursprüngliche Platzierung des Türsturzes könnte eine Notiz über die Errichtung eines neuen Portals für 34 Goldgulden im Jahr 1529 wichtig sein. Unklar ist, ob es sich dabei um die „magna porta“, die in der zitierten Urkunde erwähnt wird, später „groete poirte“ oder „poert vur aen de kerck“ genannt, oder um eine eigene, in den Neubau führende Tür handelte.
Wilkes berichtet, dass die Stiftspropstei bis zur Säkularisation meist vermietet gewesen sei, weil die Pröpste vom 16. Jahrhundert an gar nicht mehr residierten. 1803 sei sie an Philipp Houben verkauft worden, der dort seine Altertumssammlung unterbrachte, und später in die Hand der Propsteigemeinde übergegangen. „Neuestens“ sei der Teil des Propsteigebäudes, der der Neubau des Johannes Ingenwinkel sei, als Wohnung des Pfarrers wiederhergestellt worden, während der östlich anschließende Teil, das ehemalige Hervorstsche Propsteigebäude, jetzt (also 1952) als Steinmetzhütte genutzt werde. Diese ehemals sog. „Neue Propstei“ (Kapitel 27)4) mutierte in jüngster Zeit mit der Verlegung des Pfarrhauses und der Propstei nach Kapitel 8 zur „Alten Propstei“.5) Im selben Gebäude befand sich noch 1946 der Kaminsturz, dessen Inschrift ebenfalls auf Johannes Ingenwinkel verweist (vgl. Nr. 97).6)
Johannes Ingenwinkel wurde 1469 in Xanten geboren.7) Sein Amt als Scholaster, das er bekleidete, ohne eine Kanonikerpfründe zu besitzen, gab er 1502 zugunsten seines Bruders Heinrich auf.8) Am 13. September 1511 erhielt er ein Kanonikat am Viktorstift durch apostolische Provision. Am Vortag des Palmsonntags 1513, dem 25. März, wurde er vom Kapitel zum Propst gewählt9) und verblieb in diesem Amt bis zu seinem Tode 1535. Ingenwinkel häufte eine Vielzahl von Ämtern und Pfründen an, darunter etliche Propsteipfründen.10) Seit 1496 in Rom, diente er fünf Päpsten11) in den höchsten Ämtern der päpstlichen Kanzlei: als Protonotar (1505)12), Abbreviator (1517)13), Scriptor, Datar, Referendar und Registrator Iustitiae sowie als ständiger Assistent des Kardinals Giulio Medici, des späteren Papstes Clemens VII.14) In seiner Abwesenheit führten Verwandte seine Geschäfte in Xanten als Prokuratoren: sein Bruder Heinrich von 1513–1517 und sein Neffe Conrad von 1517–1533, beide waren außerdem zeitweise Thesaurar und Scholaster. Sein Neffe Otto war von 1515–1529 in der Propsteiverwaltung tätig.15) 1520 stiftete er dem Xantener Dom eine prachtvolle goldene Kapelle.16) Johannes Ingenwinkel verstarb am 23. Juli 1535 und wurde in Rom zu Füßen Papst Hadrians VI. begraben.17)