Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 102 St. Viktor, Südturm 1527
Beschreibung
Barbara-Glocke in der Glockenstube des Südturms. Bronze. Glockengießer: Wilhelm Tolhuis, Utrecht. Konstruktion: Oktavglocke, (sehr) schwere Rippe; Gewicht: 300 kg; Schlagton: c´´ + 6. Die sechshenklige Krone ist mit einfachem Seilstab verziert, die Haube durch eine Rundstegkombination gegliedert. Am Glockenhals verläuft zwischen Kombinationen von Rundstegen, von Perlstäben begleitet, eine einzeilige Umschrift. Sie ist in eine Aufforderung an die Stiftsherren – die zugleich die Funktion der Glocke ausdrückt – (A) und eine Meisterinschrift mit Datum und Amtsträgernennung (B) unterteilt. Oberhalb der Umschrift ein Fries aus stehenden Blattornamenten, unten ein Fries mit hängenden Kreuzblüten. Zwei nicht sehr deutlich ausgeprägte Hochreliefs der hl. Barbara mit Turm, Palmzweig und Buch unter einem Baldachin, beide aus demselben Model, schmücken die Flanke. Auf Wolm und Schlagring Rundstegkombinationen. Die Rundstege auf dem Wolm sind z. T. vergossen.
Nach Pels hing die Barbara-Glocke im 18. Jahrhundert im Nordturm, dem „Barbaraturm“. 1945 wurde der Nordturm zerstört, die Glocke stürzte ab, wurde aber unversehrt aus den Trümmern geborgen. 1954 wurde sie in den Glockenstuhl des Südturms hochgezogen.1)
Maße: H. 63 cm; Dm. 82,3 cm.2)
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
BARBARA DVM SONAT HEC CELERES ACCVRRITE MYSTE ·
- B
WILH(ELMVS)a) · TOLHVIS · FVNDEBAT · AN(NO) · SAL(VTIS)3) · 1527 · GER(HARDO)a) DE HAFFEN PRAEFECTO FABRICAE ·
Übersetzung:
(A) Wenn diese Barbara ertönt, lauft schnell herbei, ihr Geistlichen. (B) Wilhelm Tolhuis goss sie im Jahre des Heils 1527 unter dem Fabrikmeister Gerhard von Haffen.
Versmaß: Hexameter, reimlos (A).
Textkritischer Apparat
- Ohne Kürzungszeichen.
Anmerkungen
- Foto Koch vom 27.9.1954, Stiftsarchiv Xanten.
- Die Buchstabenhöhe konnte nicht gemessen werden.
- Die Formulierung ANNO SALVTIS verwendet Wilhelm Tolhuis auch auf einem Mörser (1540) (van Loon-van de Moosdijk, Goet ende wael gheraet [2004], S. 75).
- Siehe Renard, Von alten rheinischen Glocken (1918), S. 31 und S. 78; Walter, Glockenkunde (1913), S. 887. Über die Tätigkeit des Glockengießers Jan Tolhuis für das Viktorstift s. Nr. 161 und Kastner, Urkunden IV (2013), Nr. 3174 von 1557 Sept. 6: Quittung mit Hausmarke.
- In diesem Amt nachweisbar von 1508 bis 1534, s. Beissel, Bauführung II (1889), S. 4 mit Bezug auf die Baurechnungen.
Nachweise
- Pels II, Deliciae (1734), p. 60.
- Bader, Dom I (1978), S. 286.
- Cuno in: Heckes, Restaurations-Bau (1989), Glocken S. 5.
- Ley/Kernder, „Mit heiterer Stimme“ (2005), S. 39–41.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 102 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0010206.
Kommentar
Die kräftigen Schäfte und Bögen der Kapitalisbuchstaben verbreitern sich zu den Enden hin und lassen die Schrift statisch und wenig elegant erscheinen. Geradezu unproportioniert wirken B, dessen oberer Bogen größer ist als der untere, und R mit ebenfalls großem Bogen über der niedrig am Schaft ansetzenden Cauda. Trotz der sehr breiten Strichführung sind die Buchstaben teilweise eher schmal gehalten (E, F, M mit kurzem Mittelteil und annähernd parallelen Schäften sowie spitzovales O). A hingegen ist breit ausgeführt, der Mittelbalken sehr hoch angesetzt; ein dornenförmiger Ansatz am Scheitelpunkt nach links ersetzt den Deckbalken. Die Inschriften sind durch eine liegende Raute voneinander getrennt. Die Worttrennung in Inschrift B erfolgt durch unregelmäßig eingesetzte stehende Blüten.
Wilhelm Tolhuis aus Utrecht gehört zu den bekannten holländischen Gießern der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.4) Die vom Auftraggeber vorgegebene Inschrift A weist die Barbara-Glocke als Chorglocke aus, die die Kanoniker zum Chorgebet ruft. Die Inschrift B nennt neben dem Gießer auch den Kanoniker Gerhard von Haffen als Vorsteher der Kirchenfabrik (Fabrikmeister)5), der hier stellvertretend als Auftraggeber genannt wird. Zu ihm siehe Nr. 162.