Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 126(†) St. Viktor, Lapidarium (1482, 1504, 1510)/ 1543
Beschreibung
Epitaph für vier Mitglieder der Familie van Orsoy,1) bestehend aus einem Relief mit architektonischer Rahmung und einer unten angesetzten Inschrifttafel. Baumberger Sandstein. Vor 1945 im Westflügel des Kreuzgangs, Joch U28. Das Relief war schon zur Zeit Clemens schwer beschädigt,2) auf Vorkriegsfotos fehlen Teile des Hintergrundes sowie die Köpfe einiger Figuren im Vordergrund. 1945 wurde das Epitaph vollends zerschlagen, die Fragmente befinden sich im Lapidarium. Vom Zentralrelief sind nur noch ein Torso des Corpus Christi sowie etliche Architekturteile vorhanden, die Beschreibung basiert auf alten Aufnahmen.3) Im Relieffeld ein Vesperbild mit Resten alter Polychromierung. Die Szene mit der Pietà im Zentrum ist in eine Felsenlandschaft gebettet, im Hintergrund ist vage die Stadt Jerusalem zu erkennen. Links von der Mutter Maria Johannes der Täufer mit dem Lamm, rechts Johannes der Evangelist. Im Vordergrund knien anbetend links ein Priesterkanoniker, vor ihm ist Johann van Orsoy in bürgerlicher Kleidung, ihm gegenüber rechts seine Frau Gees in trauernder Haltung dargestellt. Spätgotischer Architekturrahmen in Form eines hochformatigen Rechtecks; das Relieffeld wird von einem krabbenbesetzten, mit einer Kreuzblume bekrönten Kielbogen überfangen und von zwei auf Konsolen ruhenden Strebepfeilern, die in Fialen enden, flankiert. Die Wandzone unter dem schmalen, vorkragenden Schlussgesims ist durch Blendmaßwerk mit Dreipässen gegliedert. Unter dem Rahmen ist eine querrechteckige Schrifttafel angefügt, in die ein siebenzeiliger Sterbevermerk mit Fürbitte in Niederländisch eingehauen ist. Das Schriftfeld ist durch eine schmale, eingehauene Linie begrenzt, die in der zweiten und in der letzten Zeile am rechten Rand von der Schrift durchschnitten wird. Die Tafel wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt und später mithilfe alter Fotos restauriert. Unter der Schrifttafel war vermutlich das (heute verlorene) Wappen angefügt.4)
Ergänzungen nach Foto.
Maße: H. 225 cm; B. 90 cm; Bu. 3,6 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.
Jn[t j]aer on[ss her](e)na) M cccc[c]b) lxxxii de(n) [ix dach / in d]ye spo[r]kel5) sterff de eirber joha(n) v[a(n)] orssoy / J[n d]e(m) iair [x]vc ind vyer de(n) xv dach i(n) de(n) ost6) / sterff G[ees io]ha(n)s hui[s]frouc) jnt iair xvc ind x / [st]e[rff joha(n) va(n)] orssoy d[e(n)] xxix [d]a[ch] i(n) de aprill / J[nt iair xvc ind] xliii sterff her Lambert va(n) /or[ssoy priest(er)d)] de(n) xvi dach i(n) ap(ri)lise) bidt voir [d]y zile(n)a)
Übersetzung:
Im Jahr unseres Herrn 1482, am 9. Tag im Februar, starb der ehrbare Johann van Orsoy. In dem Jahr 1500 und vier am 15. Tag im August starb Gees, Johanns Ehefrau. Im Jahr 1500 und zehn starb Johann van Orsoy am 29. Tag im April. Im Jahr 1500 und 43 starb Herr Lambert van Orsoy, Priester, am 16. Tag im April. Bete für die Seelen.
[Orsoy?]7) |
Textkritischer Apparat
- Der ursprünglich vorhandene Kürzungsstrich fehlt heute.
- Sic! Das hochgestellte c ist überflüssig; fehlt bei von Dorth.
- Über dem ersten u ein o als diakritisches Zeichen.
- Kürzung durch Haken bei t.
- Kürzung durch Haken über p.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-62. In der Dombauhütte ist die Inschrifttafel mit Nr. 381 bezeichnet.
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 150.
- RBA 25210 und 25211.
- Von Dorth (Notizen [1659–1674], fol. 32r) überliefert eine Zeichnung des Wappens unter seiner Wiedergabe des Textes.
- Zu Sporkel als alte Bezeichnung für den Februar siehe Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 16 (1905), Sp. 2678f.
- Zu Ost als alte Bezeichnung für den Monat August siehe Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 13 (1889), Sp. 1369.
- Nach von Dorth zeigte das Wappen zwischen zwei unten gezinnten Balken einen Sparren und ein Mühleisen (?), Helmzier: Brustbild eines Mannes mit Krone. Die Wappen an den vom Kanoniker Johannes van Orsoy 1509 gestifteten Leuchtern zeigen ein anderes Wappenbild: 3 (2,1) Vögel (vgl. Nr. 84).
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 150.
- Bader, Vermischtes (1964), S. 358.
- Die Namensform ‚Gees(e)‘ ist als Kurzform von Gertrud abgeleitet (Förstemann, Personennamen [1901], § 93.2, 94).
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2355,1, Transfix von 1516 Dez. 22.
- Weise, Memorien (1937), S. 99.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2355,1 und Nr. 2708 von 1526 Dez. 20.
- Nachgewiesen in Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2355 von 1494 Okt. 9.
- Ebd., Nr. 2548,1, Transfix von 1522 Dez. 12.
- So in Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2708 von 1526 Dez. 20 und Nr. 2755 von 1529 Juli 31.
- Kanoniker in Xanten 1474–1519; s. Classen, Archidiakonat (1938), S. 136 mit weiteren Quellenangaben; Pels II, Deliciae (1734), p. 145; Successio, fol. 19v–20r; vgl. Nr. 84.
- Nr. 21 nach Wilkes, Studien (1952), S. 103, 108.
Nachweise
- Foto: RBA 25211 (vor 1945).
- LAV NRW R, HS N III Nr. 2 (von Dorth, Notizen [1659–1674]), fol. 32r.
- Archiv der Dombauhütte, Abrieb Cuno, Nr. 16689 (1857/68).
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 150.
- Hölker, Inventar (1925), H-62.
- Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 39, Nr. 47.
- Bambauer/Kleinholz, Inschriften, Teil 2 (1980), S. 198.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 126(†) (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0012608.
Kommentar
Clemen datiert das Werk in das Jahr 1482, das Todesjahr des älteren Johann van Orsoy.8) Die Inschriftentafel ist aber wohl in einem Zug und demnach erst nach dem Tod des Priesters Lambert van Orsoy († 1543) gehauen worden. Trotz der späten Entstehungszeit handelt es sich bei der Schrift noch um eine reine gotische Minuskel mit ausgeprägten Oberlängen, die bei h, k und l (ebenso wie die Unterlänge des p) gespalten sind. Das kastenförmige, unten offene a wechselt mit doppelstöckigem a ab. Das r ist, von zwei Ausnahmen in der ersten Zeile abgesehen, stets als Bogen-r gestaltet. Die Versalien (unziales M, eingerolltes G mit eingestelltem Schaft) stehen in der Tradition der gotischen Majuskel. Beim Vornamen Lambert ist vermutlich auch das L als Versal gemeint, obwohl es keinem Majuskelalphabet entnommen ist. Vielmehr wurde der Schaft des Minuskel-l besonders breit und tief gehauen und durch einen Haarstrich mit angesetzten Zierhäkchen verdoppelt. Auch I-longa am Wortanfang ist mit einer Reihe nach links angesetzter Häkchen versehen und läuft in feinen Zierbögen und -schleifen aus. Als Versal am Zeilenbeginn ist es weit nach unten gezogen und mit einem oben ansetzenden, nach links geführten und geschwungenen Balken versehen. Der rechte Schaft des x ist ebenso als gebogener Haarstrich gestaltet wie der obere Bogenabschnitt des zweistöckigen a und der untere Bogen des ebenfalls zweistöckigen z. Über dem ersten u in hui[s]frou steht ein kleines o als diakritisches Zeichen. Unter den Steininschriften im Kreuzgang steht die Schrift zu diesem Zeitpunkt singulär da, lediglich die in Messing gearbeitete Inschrift auf der Grabplatte für Sibert von Riswick von 1540 ist ebenfalls noch in einer reinen gotischen Minuskel ausgeführt (Nr. 120).
Vorbildlich für den Aufbau des Epitaphs, insbesondere der Bildzone und ihrer architektonischen Rahmung, könnte das Epitaph für Arnold Bols und Margaretha von Saerbruggen gewesen sein, das in den 1480er Jahren entstand (Nr. 56). Bader setzt aber auch das Relief des Orsoy-Epitaphs in die Zeit um 1543, unter Verweis auf „die sich stark werfenden Krabben mit den kugeligen Ausbeulungen …, die in der Bauzier des Langhauses vorkommen.“9)
Eine Memorie für die Eheleute Johann und Gees10) van Orsoy ist urkundlich erwähnt11) und unter dem Todestag der Ehefrau, dem 15. August, von einer Hand um 1513 im Memorienbuch des Stifts eingetragen.12) In welchem verwandtschaftlichen Verhältnis sie zu den beiden anderen Verstorbenen stehen, ist nicht eindeutig. Vielleicht waren sie die Eltern des Priesters Lambert van Orsoy, der als Vikar des Agathaaltares in St. Viktor,13) Vikar zu Obermörmter,14) Magister15) und Prokurator der Xantener Vikarienbruderschaft16) belegt ist. Die Familie van Orsoy hat mehrere Kanoniker hervorgebracht, so u. a. einen Johann van Orsoy, der allerdings bis 1519 quellenmäßig bezeugt ist.17) Der in der Inschrift erwähnte und 1510 verstorbene Johann van Orsoy ist in der einschlägigen Literatur nicht eindeutig zu identifizieren. Die Kurie van Orsoy lag an der Klever Straße und war Teilkurie der sog. Kaboyse.18)