Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 140 St. Viktor, Märtyrerpforte 1. H. 16. Jh.

Beschreibung

Türsturz der Märtyrerpforte, des Eingangs zur äußeren südlichen Chorkapelle (Joch C1).1) Baumberger Sandstein. Die Türeinfassung besteht aus zwei vorspringenden, kannelierten Wandpfeilern, profilierter Laibung und Balken. In den Türsturz ist eine den Weg weisende Inschrift eingehauen, die zur Benennung der Tür als Märtyrerpforte führte. Die Inschrift ist wohl bei der Ausführung der Tür angebracht worden, im 17. Jahrhundert ist sie bei von Dorth bezeugt.2) Über dem verkröpften Gesims ist ein krabbenbesetzter, kielbogenförmiger Giebel mit eingeschriebenem halbrundem Bogenfeld mit Muscheldekor. Als Giebel- und Pfeilerbekrönung dienen vollplastische Standfiguren dreier Soldatenheiliger der Thebäischen Legion (hl. Mauritius, hl. Viktor und hl. Gereon).3) Das aus Mayener Basaltava gehauene Tor erlitt 1945 Beschädigungen und wurde restauriert.

Siehe Lageplan.

Maße: H. 14,5 cm; B. 145 cm; Bu. 6 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. AD SANCTOS MARTYRES

Übersetzung:

Zu den heiligen Märtyrern.

Kommentar

1493 wurde die Öffnung in die Mauer der südlichen Chorkapelle gebrochen,4) die Ausführung der Tür erfolgte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das kleine Portal ist in den Formen der niederländischen Renaissance gestaltet.5) Bei den Figuren der Soldatenmärtyrer handelt es sich gemäß einer Fabrikrechnung von 1555 um Arbeiten des Meisters Arndt van Tricht († 1570/71) aus Kalkar, die anschließend durch den Maler Dietrich Scherre aus Duisburg gefasst und vergoldet wurden.6) Die Schrift ist eine Kapitalis ohne auffällige Formen (M mit schrägen Außenschäften und kurzem Mittelteil, schmales R und E, asymmetrisches Y). Der Wiedergabe bei Tack zufolge waren die Wörter im 18. Jahrhundert durch Worttrenner auf der Zeilenmitte voneinander getrennt.7) Da diese heute fehlen, wurde die Schrift offenbar – vermutlich im Zusammenhang mit den Restaurierungen nach 1945 – überarbeitet bzw. neu ausgeführt.

Die Inschrift dürfte über die Benennung der Pforte hinaus einen höheren Anspruch erheben. Die Tür AD SANCTOS MARTYRES führt durch das Südschiff direkt zum Hochchor, dessen Mittelpunkt im 15./16. Jahrhundert der Hochaltar, gestaltet als Reliquienrepositorium, darstellt. Die Märtyrerpforte ermöglicht den Gläubigen also nicht nur das Betreten der Kirche an sich, sondern führte sie unmittelbar zu den Reliquien der Märtyrer. Dieser Aspekt erhält in der Sichtweise des Kanonikers Pels eine erweiterte Bedeutung, wenn er 1734 im zweiten Band seines Werks über das Xantener Stift schreibt: „Ianua parva Ecclesiae quae vocatur ad Sanctos Martyres, quia ante hanc portulam requieverunt olim corpora et ossa SS: Martyrum. Inscriptio Portae est ad Sanctos Martyres.“8) Pels hatte, als er dies schrieb, zusätzlich zum Hochaltar und dem seit 1526 in unmittelbarer Nähe der Märtyrerpforte stehenden Märtyreraltar eine Reihe von Reliquienkästen im Blick, die 1713 restauriert und mit Inschrifttafeln versehen auf den Chorschranken standen.9) Die Tafelinschriften hat Pels aufgezeichnet, und er lässt in einer einleitenden Bemerkung keinen Zweifel über den Inhalt der Kästen: „Quando reliquiae Sanctorum Martyrum ex fundamentis veteris combustae Ecclesiae sunt receptae, … in circuitu Chori sunt repositae.“10) Mit der Wendung „ante hanc portulam“ will er offensichtlich die Gräber im weiteren Immunitätsbereich mit einbeziehen.

Heute erhält die Inschrift durch den ebenfalls der Pforte gegenüber liegenden Treppenabgang zur Krypta einen neuen Sinn; denn die Krypta dient als liturgischer Ort, zugleich wird sie als Gedenkstätte der christlichen Märtyrer in alter und neuer Zeit, zur Zeit der römischen und der nationalsozialistischen Verfolgungen, verstanden. Darüber hinaus ist sie in wachsendem Maße auch Gedenkstätte der heutigen Christenverfolgungen in Asien und Afrika.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-17.
  2. Von Dorth, Notizen (1659–1674), fol. 34r.
  3. 1901 fertigte Clemens Breuer Kopien der beschädigten Originalfiguren an. Breuers in Udelfanger Sandstein gehauene Figuren wurden im Zweiten Weltkrieg beschädigt und durch neue Kopien aus Mayener Basaltlava ersetzt. Die aufmodellierten Originale und die Kopien von Breuer befinden sich heute im Lapidarium (Reg.-Nr. 651–656).
  4. Beissel nennt als Anlass für die Errichtung des Nebeneingangs den Abbruch der Vorhalle und die Bauarbeiten am Südportal, wodurch die Zugangsmöglichkeiten ins Dominnere eingeschränkt waren. Vgl. Beissel, Bauführung I (1889), S. 193.
  5. Hilger u. a., Dom zu Xanten (2007), S. 13.
  6. Stiftsarchiv Xanten, F 24, S. 130 und F 25, S. 103; Beissel, Bauführung III (1889), S. 108 (mit Übersetzung der Fabrikrechnungen von 1555); Kamphausen, Plastik (1931), S. 71–85, hier S. 73.
  7. Stiftsarchiv Xanten, H 3, fol. 12v.
  8. Pels II, Deliciae (1734), p. 84, Nr. 37.
  9. Siehe Klapheck, Dom (1930), S. 74f.
  10. Pels II, Deliciae (1734), p. 86, die Tafelinschriften p. 86f.

Nachweise

  1. LAV NRW R, HS N III Nr. 2 (von Dorth, Notizen [1659–1674]), fol. 34r.
  2. Pels II, Deliciae (1734), p. 84, Nr. 37.
  3. Stiftsarchiv Xanten, H 3 (Tack, 1757/1787), fol. 12v.
  4. Bambauer/Kleinholz, Inschriften, Teil 2 (1980), S. 201.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 140 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0014000.