Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 143 Vynen, St. Martinus 4. V. 15. Jh.–1. H. 16. Jh.
Beschreibung
Beckenschlägerschüssel, heute als Deckel einer Taufschale verwendet.1) Messingblech, Darstellungen und Inschriften aus Negativen geschlagen. Im kreisrunden Zentrum Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis. Eva reicht Adam den Apfel, im Hintergrund ist die Mauer des Paradiesgartens erkennbar. Auf Spruchbändern über den Köpfen (B links, C rechts) sind nur einzelne, auf dem Kopf stehende Buchstaben zu erkennen. Um die zentrale Darstellung sind zwei unterschiedlich breite, durch schlichte Stege begrenzte konzentrische Ringe gelegt. Der etwas breitere innere Ring trägt kalligraphische Ornamente2), der schmalere äußere eine fünffach wiederholte theologische (?) Aussage (A). Der bis zum Deckelrand verbleibende Platz ist mit einer (frei getriebenen?) wellenartigen Dekoration versehen.3) In der Mitte der Schüssel wurde für die Verwendung als Deckel nachträglich ein Knauf angebracht. Der Deckel zeigt deutliche Gebrauchsspuren, vor allem sind die beiden Figuren im Zentrum und die Schriften abgewetzt, der Rand weist Dellen auf.
Maße: Dm. 33,5 cm; Bu. 2 cm (A), 1 cm (B), 0,8 cm (C).
Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.
- A
WVNDI · DI · DAL ·
- B
O E A / A C / E
- C
[.I / D I N]a) A / [.] A O
Übersetzung:
(A) Du hast dich hinunter gebeugt/geneigt.
Textkritischer Apparat
- Ergänzung nach einer aus demselben Negativ geschlagenen Schüssel (Lockner, Messing [1982], S. 82, Abb. 126).
Anmerkungen
- Die dazugehörige Schale ist mit zwei Griffen versehen und dient als Einsatz eines Taufsteins aus dem 14. Jh.
- Zahlreiche Parallelbeispiele führt Lockner an (Messing [1982], S. 43 und passim).
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 70; Alders, Vynen (1978), S. 351.
- Siehe Lockner, Messing (1982), S. 62f. Vgl. auch DI 33 (Stadt Jena [1992]), Nr. 36; DI 64 (Querfurt [2006]), Nr. 227; DI 79 (Rhein-Hunsrück-Kreis 2 [2010]), Nr. 62.
- Lockner, Messing (1982), S. 63, Abb. 91 (Herkunft aus dem Würzburger Kunsthandel).
- Ebd., S. 62, Abb. 89f.
- Vergleichbares findet sich auf einer Taufschüssel des 16. Jh., möglicherweise aus dem Maasgebiet, Eigentum der Ev. Gemeinde Essen-Werden (Kat. Jahrtausend der Mönche [1999], Nr. 309, S. 466). Bei einer zweiten Taufschüssel, um 1500, wahrscheinlich ebenfalls aus dem Maasland, ist die Schrift bzw. Quasi-Schrift nicht mehr lesbar (ebd., Nr. 307, dort auch der Verweis auf eine fast identische Schüssel im Museum Schnütgen, Köln).
- Vgl. u. a. Lockner, Messing (1982), S. 42, Abb. 39a, 77a.
- Vgl. z. B. DI 33 (Stadt Jena [1992]), Nr. 36; DI 55 (Landkreis Rügen [2002]), Nr. 67; DI 64 (Landkreis Querfurt [2006]), Nr. 227.
- Für diesen Deutungsvorschlag sei Prof. Dr. Klaus-Peter Wegera, Bochum, herzlich gedankt.
- Vgl. Io 19,30.
Nachweise
- Alders, Vynen (1978), S. 343, Abb. 3.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 143 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0014307.
Kommentar
Der Sündenfall ist eines der beliebtesten Motive auf Beckenschlägerschüsseln des 16. Jahrhunderts und in verschiedenen Varianten nachweisbar.4) Lockner führt eine Schüssel an, deren Mittelmotiv aus demselben Negativ geschlagen wurde wie das der Vynener Schüssel.5) Andere Schüsseln zeigen das gleiche, aber mit geringen Abweichungen umgesetzte Motiv mit sinnvollem Text in den Spruchbändern.6) Auf der Vynener Schale hingegen wird Text auf den Spruchbändern lediglich durch einzelne Buchstaben angedeutet. Sinnlose Buchstabenfolgen und Quasi-Schrift als Dekor auf einer Beckenschlägerschüssel bzw. Taufschale sind keine singuläre Erscheinung.7) Auch für Umschriften, die ebenfalls mit Hilfe von Negativen hergestellt wurden und sich aus mehrfach wiederholten Buchstabeneinheiten zusammensetzen, sind zahlreiche Parallelbeispiele überliefert. In wenigen Fällen ergeben sie einen sinnvollen Text,8) oft bleiben sie unverständlich oder gar sinnlos.9) Im vorliegenden Fall jedoch scheint die Inschrift A auf den Zusammenhang des Sündenfalls mit dem Kreuzestod Christi hinzuweisen. Das altsächsische WVNDI ist wohl als 2. Person Praeteritum Indikativ von ‚winden, beugen, neigen’ zu verstehen, WVNDI DI DAL bedeutet daher vermutlich „Du hast dich hinunter gebeugt/geneigt“10) und könnte auf Christus zu beziehen sein, der sein Haupt im Tode neigte.11) Im Unterschied zu den Formen DI und DAL ist WVNDI im 16. Jahrhundert nicht (mehr) gebräuchlich; wie das altsächsische Wort in den Text gelangt ist, ist unklar.
Während die schriftähnlichen Ornamente im inneren Ring mit der Brechung der Bögen und der Schaftenden ein wesentliches Element der gotischen Minuskel aufgreifen, sind die Umschrift A und die beiden vermutlich sinnlosen, zumindest aber nicht auflösbaren Buchstabenreihen in den Schriftbändern in frühhumanistischer Kapitalis ausgeführt. A hat einen gebrochenen Mittelbalken und einen beidseitig überstehenden Deckbalken. E ist epsilonförmig, I trägt einen Nodus. Der Schrägschaft des retrograden N ist als Haarstrich ausgeführt und setzt oben wie unten am Sporn des jeweiligen Schafts an. Als Worttrenner fungieren stilisierte Lilien. Da die Verwendung der frühhumanistischen Kapitalis ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts bis etwa in die Mitte des 16. Jahrhunderts denkbar ist, kann man der Datierung ins späte 15. bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts folgen, die Lockner für vergleichbare Beckenschlägerschüsseln vorschlägt.